Wir brauchen die klassische Denkweise
Von Helga Zepp-LaRouche
In einem Diskussionsbeitrag zum Abschluß der letzten
Vortragsrunde der Bad Sodener Konferenz sagte die Vorsitzende des
Schiller-Instituts folgendes (der Beitrag wurde aus dem Englischen
übersetzt).
Ich möchte dieser ganzen Diskussion noch einen Gedanken hinzufügen, und
zwar, daß wir eigentlich diese Runde nicht erst am Ende hätten haben sollen,
weil sie wirklich die wichtigste Diskussion ist. Denn, wie Sie wissen, hat
Friedrich Schiller nach dem Zusammenbruch der Französischen Revolution, die in
den Jakobinerterror ausartete, die Ästhetischen Briefe geschrieben, und
darin betonte er nachdrücklich, daß von nun an jede Verbesserung der Politik
nur noch durch die ästhetische Erziehung des Menschen möglich sei.
Ich halte das für absolut wahr. Das ist wohl auch der Grund, warum ich in
der Politik bin. Wenn ich nicht überzeugt wäre, daß man die Menschen so, wie
sie sind, durch die ästhetische Bildung verbessern kann, dann wäre ich nicht
hier.
Denn es ist völlig klar: Die Bevölkerung, wie sie jetzt ist, ist
schrecklich. Das wissen wir alle. Die Menschen der gegenwärtigen Kultur sind
degeneriert, sie sind dumm, sie lassen sich völlig manipulieren. Warum erheben
sie sich nicht und wehren sich gegen eine Politik, die uns alle zerstören
wird? Warum sind die Leute wie betäubt? Sie sind taub, sie sind nicht
wach.
Und ich denke, das ist der Punkt, was Schiller gesagt hat, und das steht
völlig im Einklang mit dem, wofür Lyn [LaRouche] sein ganzes Leben gewidmet
hat: daß Menschen sich verbessern und bessere Menschen werden müssen. Und der
Weg dazu ist die ästhetische Bildung durch große klassische Kunst.
Und Schiller hat diese umfangreiche, schöne Theorie entwickelt, warum das
so ist. Er sagt, die Menschen tun in ihrem täglichen Leben dieses und jenes,
sie sind banal und tun schlechte Dinge. Also mußt du sie in ihrer Freizeit
erwischen. In der Freizeit muß man sie veredeln durch große Kunst. Wenn die
Menschen sich in ein Kunstwerk versenken, mit dem sie sich beschäftigen, sei
es ein großes Gemälde von Leonardo da Vinci oder Rembrandt oder ein deutsches
Kunstlied oder ein amerikanisches Spiritual, dann werden sie zu besseren
Menschen. In dem Moment, in dem sie ihren Geist mit dem Komponisten, mit dem
Sänger, mit dem Orchester verbinden, hören sie auf, habgierig zu sein, sie
denken nicht mehr an sich selbst. Je mehr die Menschen das tun, desto mehr
werden sie also zu besseren Menschen. Und einigen Leuten würde ich sogar
verschreiben, daß sie gar nichts anderes mehr tun sollten, um ihnen keinen
Raum zu geben, dazwischen Böses zu tun. [Lachen.]
Deshalb halte ich diese Frage für äußerst wichtig. Denn wenn wir eine
Chance haben wollen, diese Menschheit vor dem Abgrund zu retten, vor dem wir
stehen, dann kann dies nur durch die ästhetische Bildung geschehen.
Ich habe es schon oft gesagt: Ich glaube nicht, daß die Chinesen an sich
„dies“ oder „das“ sind. Ich befasse mich damit, weil es diese
Anti-China-Kampagne gibt. Aber von Xi Jinping ist dokumentiert, daß er mit
Studenten und Künstlern über die außergewöhnliche Bedeutung der ästhetischen
Bildung diskutiert hat, weil die einen schöneren Geist und eine schönere Seele
schafft.
Nun, ich habe noch keinen westlichen Staatschef so reden hören. Weder Frau
Merkel noch, was dies betrifft, Herrn Trump, ich habe niemanden darüber
sprechen hören, daß wir den höchsten moralischen Standard in der klassischen
Kunst brauchen, um die moralische Verbesserung der Bevölkerung zu bewirken.
Und das sind für mich die wichtigsten Kriterien.
Ich schätze wirklich, was eben gesagt wurde, über die Verstehbarkeit der
Schönheit – die Tatsache, daß man Schönheit verständlich machen kann, daß sie
nicht willkürlich ist. Das war der große Streitpunkt zwischen Schiller und
Kant. Schiller hat sich sehr geärgert, weil Kant in einer seiner Kritiken, die
Schiller in die Hände bekam, gesagt hat, in der großen Kunst könne man die
Absicht des Künstlers nicht erkennen – oder wenn man sie erkenne, dann sei das
schlecht. Schiller wunderte sich: Was soll das? Kant sagte tatsächlich, wenn
ich eine Arabeske an die Wand male und man den Plan dahinter nicht sieht, dann
ist das schöner, als wenn man den Plan des Künstlers erkennen kann.
Und das ist völlig falsch. Deshalb gibt es heute soviel Willkür in der
Kunst. Die Menschen nennen Dinge Kunst, die ganz häßlich sind. Und Schiller
hatte mit Körner, seinem sehr engen Freund, diese absolut notwendige
Diskussion darüber, daß nur schöne Kunst diesen Namen verdient. Man
sollte nicht hinnehmen, daß Kunst, die nicht schön ist, als Kunst bezeichnet
wird.
Das verstößt natürlich gegen den Zeitgeist, denn die Romantiker, die
eigentlich der Beginn dieses Übels waren – und das war ein bewußter
oligarchischer Angriff auf die Klassiker – haben die klassische Form in der
Kunst zerstört, indem sie Willkür einführten. Der Tag ist wie die Nacht, alles
ist ein Traum, es gibt keine Form. Dieser ganze Kampf für die ästhetischen
Gesetze, den Schiller und Goethe zehn Jahre lang geführt haben, wo sie sich
wieder der griechischen Idee zuwandten, daß Schönheit, Wahrheit und das Gute
eins sind, der ist sehr, sehr wichtig.
Daraus entwickelten sie ästhetische Gesetze, von denen sie sagten, sie
seien so universell und dauerhaft wie die Gesetze der Physik, des
physikalischen Universums. Und das ist es, worüber Lyn immer gesprochen hat:
daß es keinen, absolut keinen Unterschied zwischen den kreativen Fähigkeiten
gibt, die Zugang zur Hypothese für die nächste neue wissenschaftliche
Entdeckung haben, und der Frage der klassischen Kunst.
Wenn man also die Form zerstört, wenn man alles zerstört und sagt, was ein
Affe mit Farbe an die Wand schmiert, das nennt man heute Kunst, dann ist das
etwas, wogegen wir kämpfen müssen.
Und ich denke, das Schiller-Institut war von Anfang an als eine
Renaissance-Bewegung gedacht, von Menschen, die kämpfen würden, um zu den
klassischen Ideen der großen klassischen Kunst zurückzukehren, in allen
Bereichen – Musik, Poesie, Malerei, Architektur, einfach jedem Ausdruck
menschlicher künstlerischer Fähigkeiten. Und ich möchte Sie dringend
auffordern, Teil dieser Renaissance-Bewegung zu sein. Weil wir uns in einer
Welt befinden, in der alles erlaubt ist – alles, was auch immer den Menschen
einfällt. Wenn man die Zeitungen liest, da kommt jemand in die Schlagzeilen,
der eine noch verrücktere Idee hat als ein anderer gestern, aber die
Diskussion über die Prinzipien der Wahrheit, der Schönheit, desjenigen, was
die Menschen erhöht, das ist nicht berichtenswert.
Und es gibt noch eine andere Idee, die ich für sehr wichtig halte, nämlich
das, was Schiller in den ästhetischen Schriften sagte: daß Schönheit etwas
ist, das aus der Vernunft geschaffen wird; und wenn etwas Schönes in der
heutigen Welt mit diesem Begriff der Vernunft übereinstimmt, dann ist es
schön. Aber man muß nicht zuerst die Erfahrung, die sinnliche Erfahrung der
Schönheit haben, und dann daraus den Begriff der Vernunft ableiten. Es
funktioniert umgekehrt.
Und deshalb ist das, was Antonella [Banaudi] entwickelt hat, so
entscheidend. Denn es gibt etwas, den Goldenen Schnitt und all diese Maße, die
Maßstäbe sind, warum etwas schön ist und nicht. Und natürlich ist dies, wie
du, Elvira [Green], gesagt hast, der beste Weg, um die Emotionen zu
vermitteln. Es kommt vom Herzen, und wenn man die Emotionen der Menschen nicht
erhebt, dann erfüllt man seine Aufgabe nicht.
Ich meine, jeder kennt das: Es gibt ausgezeichnete Menschen, die in allem,
was sie tun, brillant sind, aber dann gehen sie nach Hause und schlagen ihre
Frau. Also, offensichtlich haben wir da ein Problem, und man muß die Emotionen
solcher Menschen erziehen. Und ich glaube wirklich, daß wir nur dann
menschlich sein werden, wenn Menschen wirklich zu klassischen Denkern werden.
Und Lyn sagte in vielen seiner Schriften, man brauche eine Riemannsche
Denkweise, eine klassische Denkweise, damit die Gesellschaft überleben
kann.
Deshalb denke ich wirklich, daß wir kurz davor stehen, diese kulturelle
Renaissance zu starten, und ich denke, es ist ein großer Moment in der Zeit.
Aber wir brauchen viele, viele weitere Menschen, die sich an diesen Bemühungen
beteiligen.
Ich sehe hier Theo [Mitchell], der seit vielen, vielen Jahren Mitglied im
Vorstand des Schiller-Instituts ist, und ich würde euch gerne alle einladen,
mit im Vorstand zu sein, aber das wäre ein bißchen zu viel. Aber ihr solltet
alle Aktivisten werden und wirklich für diese Idee kämpfen. (Applaus.)
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