Das Potential der Neuen Seidenstraße für Europa
Von Wang Weidong,
Gesandter-Botschaftsrat, Leiter der Wirtschafts- und Handelsabteilung
der Botschaft der VR China in Deutschland
Sehr verehrte Frau Zepp-LaRouche,
Sehr verehrte Damen und Herren, Guten Tag!
Zunächst möchte ich mich bei Frau Zepp-LaRouche herzlich bedanken für ihre
Einladung. Es ist mir eine große Freude, mich mit den heutigen Gästen aus
mehreren Ländern über das Thema Belt and Road Initiative (BRI) auszutauschen.
Der Begriff „Seidenstraße” ist unlösbar mit Deutschland verbunden. Er wurde
im Jahre 1877 von dem deutschen Geographen Ferdinand von Richthofen erfunden
und ist längst zum Allgemeingut geworden. Doch die Erschließung der
Seidenstraße reicht mehr als 2100 Jahre in die Vergangenheit zurück. In der
Han-Dynastie wurde der chinesische Beamte Zhang Qian zweimal nach Zentralasien
entsandt und stieß damit das Tor für freundschaftliche Beziehungen zwischen
China und den zentralasiatischen Ländern auf. Gleichzeitig eröffnete er damit
eine Querverbindung von Ost nach West, die als Seidenstraße an die Handelswege
nach Europa anknüpfte. Chinesische Waren wie Seide, Porzellan und Tee flossen
in alle Teile der Welt, auch der Konfuzianismus und die chinesische Kultur
verbreiteten sich durch die Seidenstraße. Damit wurde ein großes Kapitel in
der Geschichte des Austausches zwischen Ost und West geschrieben.
Heute, 2100 Jahre später, sehen wir uns in einer Ära ständiger
Herausforderungen und zunehmender Risiken. Der Unilateralismus und der
Protektionismus bedrohen in ernster Weise Frieden und Stabilität in der Welt,
und kein einziges Land kann verschont bleiben. Die richtige Antwort heißt,
eine überregionale Zusammenarbeit von noch größerem Ausmaß, auf noch höherem
Niveau und auf noch mehr Ebenen in Gang zu setzen. Als Staatspräsident Xi
Jinping im Jahre 2013 die Initiative zur internationalen Zusammenarbeit bei
der Errichtung einer Neuen Seidenstraße vorlegte, zielte er auf die
Verbesserung der Konnektivität und die Vertiefung der pragmatischen
Zusammenarbeit, um Hand in Hand den Risiken und Herausforderungen der
Menschheit zu begegnen, und die gemeinsame Entwicklung zum gegenseitigen
Vorteil voranzutreiben.
Was hat die BRI bisher erreicht?
Welche Erfolge wurden in den ersten sechs Jahren der BRI erzielt? Das
Vorhaben ist auf immer breitere internationale Unterstützung und Zustimmung
gestoßen. Bis heute haben bereits mehr als 160 Länder und internationale
Organisationen mit China 195 Regierungsabkommen unterzeichnet. Die Vereinten
Nationen, die G20 und die APEC haben schon die BRI sowie die darin enthaltenen
Kernpunkte in ihre Abschlußdokumente aufgenommen.
In diesen sechs Jahren hat das gesamte Handelsvolumen Chinas mit den
Staaten der BRI 6 Billionen Dollar überschritten, und mehr als 90 Mrd.
US-Dollar Direktinvestitionen sind in die betreffenden Länder geflossen. Eine
Vielzahl von Kooperationsprojekten ist vor Ort ins Leben gerufen worden. Somit
hat die BRI dem internationalen Handel und Investitionen eine neue Plattform
geboten und neue Spielräume für das Wachstum der Weltwirtschaft
geschaffen.
In diesen sechs Jahren hat China gemeinsam mit den beteiligten Ländern 82
Industrieparks gegründet, die den Gastgeberländern mehr als 2 Mrd. US-Dollar
Steuereinnahmen bescherten und etwa 300.000 Arbeitsplätze schufen. Die
Kooperation hat der lokalen Bevölkerung bessere Lebensbedingungen, besseres
Geschäftsklima sowie immer mehr Entwicklungschancen gebracht.
Laut einem Bericht der Weltbank wird der Handel nach Fertigstellung aller
Verkehrsprojekte der BRI um 2,8% bis 9,7% wachsen, und 7,6 Mio. Menschen
werden von extremer Armut befreit. Diese Erfolge haben verdeutlicht, daß die
BRI ihren Ausgang zwar in China nimmt, ihre positiven Auswirkungen jedoch auf
die ganze Welt ausstrahlen.
Unser Staatspräsident Xi hat vor ein paar Tagen, während seines
Staatsbesuchs in Griechenland das von allen Seiten mit großer Aufmerksamkeit
verfolgte Projekt, den Hafen Piräus, persönlich vor Ort besucht. Trotz
kritischer Stimmen aus Regierungskreisen der EU wird dieses Projekt sowohl von
der griechischen Regierung als auch von den Arbeitnehmern und den lokalen
Anwohnern hoch gewürdigt. Als der chinesische Investor vor elf Jahren hier
ankam, steckte der Hafen noch in einer tiefen Krise. Seit dem Einstieg Chinas
hat er sich aber rasant und dynamisch entwickelt. Beim weltweiten Ranking des
Container-Umschlags ist er bereits von Platz 93 vor elf Jahren auf Platz 32
aufgerückt. Mehr als 5000 neue Arbeitsplätze wurden seither geschaffen. Der
Hafen Piräus ist heute der größte Hafen im Mittelmeerraum und einer der am
schnellsten wachsenden Containerterminals der Welt. Seine
Entwicklungsperspektive in der Zukunft ist auch vielversprechend.
Was die Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland im Rahmen der BRI
anbelangt, haben beide Länder auch bereits an frühzeitigen Erfolgen etwas
geerntet. Die Eisenbahnverbindung zwischen China und Europa ist in diesem
Zusammenhang zweifellos das wirkungsvollste Projekt. Der Zeitaufwand liegt bei
rund 30% des Schiffstransportes, und die Kosten liegen bei einem Fünftel der
Luftfrachten: Die Vorteile liegen also auf der Hand. Bis heute sind bereits
mehr als 17.000 Züge gefahren, von denen 40% zwischen China und Deutschland
verkehrten. Die Verbindungen führen in über 50 Städten in 15 Ländern und
sorgen für eine ausgewogene Auslastung in beiden Richtungen.
Betrachten wir zum Beispiel die Stadt Duisburg. Seit dem Besuch von unserem
Staatspräsidenten Xi Jinping im März 2014 hat der Zugverkehr zwischen China
und Europa nicht nur die Menge der umgeschlagenen Güter im Duisburger Hafen
anwachsen lassen, sondern auch Investitionen chinesischer Unternehmen
angeschoben, so daß die Zahl der in Duisburg angesiedelten Firmen seitdem von
40 auf über 100 anstieg. Allein im Bereich Logistik entstanden im Duisburger
Hafen rund 3000 neue Arbeitsplätze.
Als einer der wichtigsten Knotenpunkte der BRI profitiert Hamburg auch
unmittelbar davon. Man kann sagen, daß der Zugverkehr zwischen China und
Europa zur längsten Kooperationsverbindung auf dem eurasischen Kontinent
geworden ist und dem regionalen Wirtschaftswachstum neue Impulse verleiht.
Meine Damen und Herren!
In diesem Jahr begehen wir den 70. Jahrestag der Gründung des Neuen Chinas,
und wir blicken auf die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen China
und Deutschland vor 47 Jahren zurück. Mit dem Motto „Kooperation zum
gegenseitigen Nutzen” werden die Beziehungen zwischen China und Deutschland
weiter ausgebaut und haben inzwischen eine nie dagewesene Breite, Tiefe und
Intensität erreicht. Die bilateralen Beziehungen in Wirtschaft und Handel
haben sich ständig vertieft. Deutschland behauptete über 43 Jahre hinweg seine
Position als Chinas größter Handelspartner in Europa, während China seit drei
Jahren zu Deutschlands größtem Handelspartner weltweit aufgestiegen ist. Seit
China eine neue Reihe von Maßnahmen der Reform und Öffnung eingeleitet hat,
gehören deutsche Firmen wie BASF, BMW und Allianz zu den ersten
Nutznießern.
Blick auf die Zukunft
Blicken wir in die Zukunft, so stellt sich die Frage, welche Chancen sich
für China und Deutschland aus der Zusammenarbeit in der Neuen Seidenstraße
ergeben. Im April dieses Jahres hat Präsident Xi auf dem zweiten
Internationalen Gipfel der BRI seine Vorstellungen von einem qualitativ
hochwertigen gemeinsamen Ausbau der Neuen Seidenstraße dargelegt. Im Mai hat
Bundeskanzlerin Merkel anläßlich ihres Besuches des Hamburger Hafens den
offensichtlichen Nutzen nachdrücklich geäußert, den die BRI für die
Entwicklung des Hamburger Hafens bedeutet. Die Deutsche Industrie- und
Handelskammer hat die Initiative als Schwerpunkt aufgelistet und fördert das
Verständnis der deutschen Unternehmen für die gewaltigen Chancen. Insbesondere
seit dem vergangenen Jahr habe ich oft Anfragen oder Einladungen zu
Veranstaltungen zum Thema Neue Seidenstraße bekommen. Das Interesse nimmt
ständig zu.
Blicken wir auf das dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, tritt die
internationale Zusammenarbeit der BRI in eine neue Phase, wobei China und
Deutschland/Europa ihre Kooperation weiter vertiefen können.
Erstens heißt es bei der Festlegung der Regeln mitwirken. Deutschland ist
Gründungsmitglied der Asiatischen Infrastruktur- und Investmentbank (kurz:
AIIB), viertgrößter Aktionär und größter außerregionaler Investor. Die
chinesisch-deutsche Zusammenarbeit im Rahmen der AIIB bei gemeinsam
finanzierten Projekten erweist sich als äußerst fruchtbar. Einschließlich
Deutschland gehört Europa bei der Festlegung der Regeln und Standards zu den
maßgebenden Stimmen und Kräften. Wenn in Zukunft die Standards für die
Kooperation im Rahmen der BRI weiter verbessert werden, ist Deutschland
ebenfalls eingeladen, mitzuwirken und einen Beitrag zu leisten.
Zweitens heißt es Drittmärkte erschließen. Viele deutsche Firmen haben
bereits begonnen, im Rahmen der BRI aus der Zusammenarbeit mit Dritten Nutzen
zu ziehen. So haben zum Beispiel Siemens und Voith gemeinsam mit über hundert
chinesischen Firmen Märkte in Übersee erschlossen. Der Hafen Duisburg
beteiligt sich gerade aktiv am Aufbau eines chinesisch-weißrussischen
Industrieparks und verhandelt mit chinesischen Firmen über eine Intensivierung
der logistischen Zusammenarbeit. Die Kooperation auf Drittmärkten ist ein
Modell für eine Art internationaler Zusammenarbeit, die von Offenheit und
Toleranz, Pragmatismus und Effektivität geprägt ist. Sie verkörpert
überzeugend die goldene Regel der BRI, die heißt: Mitdiskutieren, Mitgestalten
und Mitprofitieren. Außerdem hilft sie den beteiligten Parteien, auf dem Wege
über Synergieeffekte neue Antriebskräfte freizusetzen und eine Wirkung des
wechselseitigen Vorteils nach der Formel zu erzielen, nämlich „1+1+1 ist
größer als 3“.
Drittens heißt es die ökologische Entwicklung vorantreiben. Früher haben
wir immer „zunächst verschmutzt und dann die Schäden behoben“. Im Zuge seiner
wirtschaftlichen Entwicklung will China nicht länger den alten Weg
beschreiten. Daher wird beim Ausbau der Neuen Seidenstraße allergrößter Wert
auf die ökologische Verträglichkeit und den Umweltschutz gelegt. Es geht
darum, eine „grüne Seidenstraße“ zu errichten. Wir werden weiterhin an den
Konzepten von Offenheit, Ökologie und Redlichkeit festhalten und haben in
Hinblick auf Dinge wie Finanzierung, Korruptionsbekämpfung und Umweltschutz
für den nächsten Schub in der optimalen und nachhaltigen Entwicklung der Neuen
Seidenstraße eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet. Die deutsche Seite
ist eingeladen, hier mitzuwirken und ihre reiche Erfahrung einzubringen.
Meine Damen und Herren,
Die Welt befindet sich an einem Scheidepunkt und sieht sich vor die Wahl
gestellt. Wollen wir Mauern oder Brücken? Multilateralismus oder
Unilateralismus? Der gemeinsame Ausbau einer Neuen Seidenstraße steht für die
Unterstützung einer offenen Weltwirtschaft und weltweit partnerschaftlicher
Beziehungen. Aber trotz des großen Interesses der Wirtschaft bleibt die
offizielle Haltung der EU und einiger westeuropäischer Regierungen nach wie
vor reserviert bis negativ. Die Mainstream-Medien und die sogenannten
„Denkfabriken“ betrachten die Initiative immer kritisch und sind oft voll von
„fake news“ oder Horrormeldungen. Es ist sehr bedauerlich. Unsererseits
besteht die Hoffnung, daß sich noch mehr Länder und Unternehmen, Deutschland
natürlich auch, aktiv an der Initiative beteiligen.
Zum Schluß möchte ich noch diese Gelegenheit nutzen, Frau Zepp-LaRouche und
dem Schiller-Institut zu danken. Einerseits haben Sie anders als die meisten
westlichen Denkfabriken ein tiefgreifendes Verständnis für die Bedeutung der
BRI-Initiative für die globale Kooperation, für die Zukunft der Menschheit,
bzw. aus verschiedenen wie Wirtschafts-, Kultur- und
Globalisierungs-Perspektiven, anstatt wie die anderen immer wieder die
Initiative zu kritisieren und das häufig nur aus geopolitischem oder
ideologischem Kalkül. Andererseits haben Sie für die Gäste aus
unterschiedlichen Ländern eine gute Plattform zum Austauschen und Dialog
angeboten. Dafür gilt mein herzlicher Dank.
Schließlich wünsche ich allen anwesenden Freunden alles Gute.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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