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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Von Tripolis bis Kapstadt

Um in Nordafrika Frieden zu schaffen, muß Libyen Afrikas Tor nach Europa werden

Von Dean Andromidas

© www.kremlin.ru

Abb. 1: Rußlands Präsident Wladimir Putin (Mitte) mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (links) und UN-Generalsekretär Antonio Guterres (rechts) vor dem Beginn der Internationalen Libyen-Konferenz in Berlin am 19. Januar 2020.

© DoD/Brigitte N. Brantley (al-Sarraj), CC/Magharebia (Haftar)

Abb. 2, 3: Libyens Premierminister Fayez al-Sarraj (links) leitet die Regierung der Nationalen Eintracht in Tripolis, Feldmarschall Khalifa Haftar (rechts) kommandiert von Bengasi aus die Libysche Nationalarmee.

Die Konferenzen von Moskau und Berlin zum Libyen-Konflikt im Januar haben die Hoffnung auf ein baldiges Ende des neunjährigen Krieges geweckt, zumal Rußlands Präsident Wladimir Putin persönlich die Initiative ergriffen hat, um diesen Erfolg sicherzustellen (Abbildung 1). Mit seinem Aufruf zu einem Gipfeltreffen der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – China, Rußland, Frankreich, Großbritannien und die USA - organisiert Putin ein Konzert der Mächte und nimmt damit die europäischen Mächte Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Italien in die Pflicht. Aber der Erfolg kann nur durch die Realisierung eines energischen Wiederaufbaus und wirtschaftliche Entwicklung gesichert werden, nicht nur in dem durch den Krieg zerrissenen Libyen, sondern in ganz Nordafrika und auch der Sahelregion, die in Armut, Terrorismus und Instabilität versinkt.

Putins Bemühungen laufen parallel zu denjenigen der Vorsitzenden des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, die die Vereinigten Staaten und China aufgefordert hat, gemeinsam an Chinas Gürtel- und Straßen-Initiative (Belt & Road-Initiative, BRI) zu arbeiten, die einen starken Impuls für Frieden und wirtschaftliche Entwicklung geben kann. Mit dem Wiederaufbau Libyens wäre dann der Weg frei für einen mächtigen Entwicklungskorridor von Tripolis nach Europa im Norden und nach Süden bis Kapstadt.

Im Gegensatz zu Syrien hat Libyen keine Massenzerstörung erlebt, leidet aber stark unter wirtschaftlicher Stagnation, Instabilität und inneren Konflikten. Die Großmächte müssen die von Großbritannien, Frankreich und der Obama-Administration betriebene Regimewechselstrategie umkehren, unter der Muammar Gaddafis Regime durch die Mobilisierung der von Großbritannien unterstützten, mit der Muslimbruderschaft verbundenen terroristischen Milizen gewaltsam gestürzt wurde, was die Einheit des Landes zerbrechen ließ. Nun ist Libyen geteilt zwischen der sogenannten Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis, die von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj (Abbildung 2) geleitet wird und nominell internationale Anerkennung genießt, und dem Interimskabinett und dem nationalen Parlament, die von Tripolis nach Bengasi im Osten des Landes umgesiedelt sind. Das Parlament, das von der libyschen Nationalarmee unter dem Kommando von Feldmarschall Chalifa Haftar (Abbildung 3) unterstützt wird, ist von den Vereinigten Staaten, Rußland, Frankreich und anderen Ländern als ein wichtiger Akteur in einer Regelung anerkannt.

Rascher Wiederaufbau Libyens

Es ist nun die Aufgabe der Großmächte, die Einheit des Landes durch eine wirtschaftliche Entwicklungsinitiative wiederherzustellen, um einen starken Anreiz zur Zusammenarbeit der verschiedenen Fraktionen zu schaffen. Als bedeutender Öl- und Gasförderer und -exporteur verfügt Libyen über die Ressourcen, um seine Wirtschaft rasch wieder in Gang zu bringen und um eine wichtige Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas zu spielen.

© EIRNS
Abb. 4: Der teilweise fertiggestellte Trans-Maghreb-Eisenbahnkorridor von Casablanca nach Kairo.

Das einzige Ziel, das die beiden kriegführenden Seiten gemeinsam haben, ist die Wiederaufnahme der Infrastrukturprojekte, die begonnen wurden, bevor das Land Opfer des Regimewechselkriegs wurde. Im Mittelpunkt dieser Infrastrukturprojekte stand der Bau einer Eisenbahnlinie, die das letzte, fehlende Glied der Maghreb-Bahn entlang der Mittelmeerküste bilden sollte - eine Strecke von Alexandria bis Casablanca, die Ägypten, Libyen, Tunesien, Algerien und Marokko in einem mächtigen Ost-West-Wirtschaftskorridor verbinden soll (Abbildung 4). Die Bahn ist Teil des von der Afrikanischen Union konzipierten Afrikanischen Integrierten Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetzes.

Der zu Beginn des Jahrhunderts entworfene Plan sah den Bau einer 3170 km langen Normalspur-Eisenbahnstrecke vor, und der Abschnitt zwischen Ras Ejder an der tunesisch-libyschen Grenze und Sirte in Libyen über Tripolis sollte bis 2012 fertiggestellt werden, was der Krieg jedoch verhinderte.

Die China Railway Construction Corp. (CRCC) war dabei, 352 km des Abschnitts von Sirte im Westen bis El-Chums zu bauen. Die Russische Eisenbahn hatte bereits eine Machbarkeitsstudie durchgeführt und 2008 einen Vertrag über den Bau des Abschnitts von Sirte im Osten bis Bengasi geschlossen. Ein weiterer, 800 km langer Abschnitt sollte von den Eisenerzvorkommen in Wadi Shati bei Sabha im Süden des Landes bis zum Stahlwerk der Libyschen Eisen- und Stahlgesellschaft (LISCO) in der Küstenstadt Misrata gebaut werden. General Electric aus den USA hatte 2007 Lieferverträge für 15 Lokomotiven geschlossen, und die italienische Finmeccanica wurde mit der Lieferung der Signalanlagen beauftragt.

Abdul Hadi al-Hweij, der Außenminister des Parlaments und Interimskabinetts in Bengasi, nahm im vergangenen Jahr am Afrika-Gipfel in Moskau teil, wo er Rußland aufrief, das 2,2 Mrd. Dollar teure Bahnprojekt Sirte-Bengasi fertigzustellen. Und schon im Oktober 2018 war eine hochrangige Delegation der Einheitsregierung (RNE) aus Tripolis unter der Leitung von Wirtschafts- und Industrieminister Nasir Schaglan in Moskau mit der Führung der russischen Eisenbahngesellschaft RZD zusammengetroffen, um über die Fertigstellung der Strecke von Bengasi nach Sirte zu sprechen, obwohl dieses Gebiet außerhalb ihres Herrschaftsbereichs liegt.

Im September 2019 schloß General Electric eine verbindliche Absichtserklärung mit der RNE, die Stromerzeugung im Land in den nächsten fünf Jahren mit Gasturbinen um bis zu 6 Gigawatt (GW) auszuweiten, davon allein 2020 bis zu 2 GW. Im Juni 2019 startete LISCO eine Milliarden-Dollar-Ausschreibung für die Erweiterung ihres Stahlwerkskomplexes Misrata, der bereits zu den größten in Nordafrika gehört. Dies sind nur einige der Milliardengeschäfte, die geschlossen werden können, sobald sich das Land politisch stabilisiert hat.

Doch darüber hinaus bietet Libyen im Kontext einer größeren afrikanischen Entwicklung ein weitaus größeres Potential. Dies kann dann auch eine große Chance für Europa sein, in Zusammenarbeit mit der chinesischen BRI sowie russischen und amerikanischen Interessen Verantwortung für die Entwicklung Afrikas zu übernehmen. Mit seinen 1,2 Milliarden Menschen ist Afrika das nächste China der Welt. Seine Industrialisierung wird einen vergleichbaren riesigen Markt für europäische Industrieprodukte und Dienstleistungen bieten wie China, wenn es zunehmend in die Industrieregionen der Welt integriert wird.

Aus Libyen wird „Afrikas Tor nach Europa“

© CC/Bucsky
Abb. 5: Schematische Darstellung des vorgeschlagenen Nord-Süd-Eisenbahnkorridors von Tripolis/Libyen nach Kapstadt/Südafrika. Die Karte zeigt bestehende und im Bau befindliche Strecken.

© CC/Skilla1st
Abb. 6: Die Holhol-Brücke der Eisenbahnstrecke Addis Ababa–Djibouti.

2010 verfaßten die libyschen Wissenschaftler Dr. Rajab Abdullah Hokoma und Dr. S.P. Bindra eine Arbeit mit dem Titel „Die libysche Eisenbahn: Ein Tor nach Europa“.1 Diese vor Gaddafis Ermordung veröffentlichte, zukunftsweisende Schrift gibt nicht nur einen Überblick über die Entwicklung der Eisenbahnen in Libyen, Libyen wird auch als Europas „Tor“ nach Afrika vorgestellt. Darin werden Gaddafis libysche Bahnprojekte als Teil eines großen Entwurfs für ein panafrikanisches Eisenbahnnetz betrachtet, das nun in Form des Afrikanischen Integrierten Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetzes (AIHSN) entsteht.

Die libysche Bahn sollte die Lücke in der Maghreb-Bahn schließen, aber auch der Ausgangspunkt für den 9000 km langen Eisenbahnkorridor Tripolis-Kapstadt sein, der nun am nördlichen Ende bei Tripolis die Bezeichnung L48 trägt und mit dem Abschnitt L59 endet, der bis Kapstadt führt (siehe Abbildung 5).

Gaddafi hatte sowohl mit den Regierungen des Tschad als auch des Niger Gespräche geführt, um das libysche Bahnnetz auf diese Länder auszudehnen. Das soll nun der von der Afrikanischen Union geplante Abschnitt L48 des Korridors von Tripolis nach Kapstadt tun. Eine neue libysche Regierung sollte ermutigt werden, ihren Teil zum Bau dieses Abschnitts beizutragen.

Dieser Korridor muß vorrangig entwickelt werden, um eine leistungsfähige Nord-Süd-Entwicklungsachse durch Zentralafrika zu schaffen. Die Afrikanische Union hat bereits vorrangige Eisenbahnkorridore für den Bau eines solchen panafrikanischen Netzes definiert, wie es u.a. in der Studie des Schiller-Instituts Die Neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke beschrieben ist.2

Es wurde viel geplant, und einige ehrgeizige Projekte wurden bereits abgeschlossen, wie z.B. die Strecke Addis Abeba (Äthiopien) nach Dschibuti (Abbildung 6), die Normalspurbahn in Kenia, die Hochgeschwindigkeitsstrecke von Tanger nach Casablanca in Marokko und einige Abschnitte in Nigeria. Dennoch sind wir unter den gegenwärtigen Bedingungen von einem vollständigen panafrikanischen Bahnnetz noch Jahrzehnte entfernt. Entscheidend wird es sein, den industriefeindlichen Malthusianismus, der in der westlichen Afrikapolitik immer noch vorherrscht, zu überwinden.

Verschiedene Regierungen könnten ein Konsortium bilden – die Länder, durch die die Eisenbahn verlaufen wird, aber auch Großmächte, darunter Rußland, China, die USA und europäische Länder wie Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien –, um den Bau der Eisenbahnen mit zinsgünstigen, langfristigen Krediten zu finanzieren. Man könnte neue Finanzinstitutionen gründen, darunter eine Afrikanische Infrastrukturbank und eine Europäisch-Afrikanische Infrastrukturbank, ähnlich der von China initiierten Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB).

Beim Bau der afrikanischen Bahnkorridore wird man sich auf die Erfahrungen beim Bau der transkontinentalen Bahnkorridore der Transsibirischen Eisenbahn und der südlicheren Bahn durch Kasachstan und China stützen. Diese Korridore fördern nicht nur den Handel, sondern sie werden auch Teil der industriellen Lieferkette zwischen Europa und China sowie zwischen Europa und Nordostasien, eingeschlossen die russischen Meeresregionen, Nordostchina, Korea und Japan.

Nord, Süd, Ost und West

Die Eisenbahn soll von Tripolis nördlich durch eine Brücken/Tunnel-Verbindung nach Italien mit Europa verbunden werden. In westlicher und östlicher Richtung wird sie die entwickelteren nordafrikanischen Länder, insbesondere Marokko und Algerien im Westen und Ägypten im Osten, miteinander verbinden. Im Süden wird die Bahn bis nach Südafrika führen, dem am weitesten entwickelten Land im südlichen Afrika. Dieses Eisenbahnnetz wäre ein starker Motor für den Aufbau weiterer Infrastruktur und Megaprojekte, die eine der ärmsten und unterentwickeltsten Regionen der Erde völlig verändern würden.

Die Verbindungen bestünden aus zweigleisigen Bahnstrecken, die schwere Güter und Passagiere mit relativ hoher Geschwindigkeit befördern können. Die Eisenbahn würde es erleichtern, parallel zu ihr unterirdisch Öl- und Gaspipelines, Glasfaser-Kommunikationskabel und supraleitende Stromleitungen anstelle der weitaus weniger effizienten und unsicheren Freileitungen zu bauen. Auch Wasserleitungen können hinzukommen, parallel dazu würde eine der panafrikanischen Autobahnen entstehen.

Der am libyschen Hafen Misrata beginnende Korridor wird die Ost-West-Maghreb-Eisenbahn kreuzen. Misrata war bereits vor dem Konflikt einer der wichtigsten Häfen Libyens und sollte zum größten und modernsten Hafen Libyens ausgebaut werden. Misrata ist als eine der am stärksten auf Handel und Gewerbe ausgerichteten Städte des Landes bekannt und beherbergt den staatlichen Stahlwerkskomplex LISCO. Mit einer Kapazität von mehr als 1,3 Millionen Tonnen Rohstahl ist es das drittgrößte Stahlwerk unter den arabischen Ländern. Trotz des Konflikts hat das Unternehmen im vergangenen Sommer eine Ausschreibung über fast 1 Mrd. Dollar für den Bau von zwei weiteren Werken in dem Komplex veröffentlicht, vor allem aufgrund des expandierenden Marktes in Nordafrika. Da es bisher keine Eisenbahnlinie zu den großen Eisenerzvorkommen im Süden des Landes gibt, kauft LISCO Eisenerzpellets aus dem Ausland, sogar aus Brasilien, Schweden und Kanada, die per Schiff geliefert werden.

Durch das Mittelmeer nach Europa

Im Norden könnte die Eisenbahn durch einen vorgeschlagenen Bahntunnel von Capo Bon in Tunesien aus Sizilien erreichen, und von dort aus soll eine Bahnverbindung über eine geplante Brücke über die Straße von Messina zum „Stiefel“ Italiens und von dort weiter nach Mitteleuropa führen. Ein weitere vorgeschlagene Brücken/Tunnel-Verbindung durch das Adriatische Meer nach Albanien würde den direkten Zugang zum Balkan und nach Eurasien ermöglichen und gleichzeitig die Entwicklung der weniger entwickelten südlichen Mezzogiorno-Region Italiens und Südosteuropas fördern. Beide Projekte gehören zu denjenigen, die in den oben zitierten Berichten des Schiller-Instituts ausführlich beschrieben werden.3

Bis zum Bau des Tunnels und der Brücke kann durch die Einrichtung eines Eisenbahnfährdienstes von Misrata zum italienischen Hafen Tarent am Golf von Tarent leicht eine direkte Eisenbahnverbindung geschaffen werden. Mit einem Tiefgang von 16 Metern ist dieser Tiefwasserhafen in der Lage, Schiffe der sog. Post-Panamax-Klasse aufzunehmen (größer als die größten Schiffe, die bis 2016 den Panamakanal passieren konnten). Dieser Hafen wurde in den 1960er Jahren als wichtiger Umschlagplatz für Italien gebaut, aber auch, um das größte Stahlwerk Italiens und Europas zu bedienen, das dort angesiedelt ist und das derzeit von der Schließung bedroht ist.

Der Einbruch der italienischen Wirtschaft infolge der Sparpolitik der Europäischen Union führte 2015 zur Schließung des Containerterminals des Hafens Tarent. Im August 2019 wurde dem Hafen neues Leben eingehaucht, als der türkische Hafenbetreiber Yilport einen Pachtvertrag über 49 Jahre für den Betrieb des Hafens schloß. Berichten zufolge will Yilport den Hafen zu einem wichtigen Drehkreuz machen und hat sich das Ziel gesetzt, dort jährlich 1,5 Mio. Container umzuschlagen.

Yilport betreibt 22 Häfen in der Türkei, in Nord- und Südamerika und in Westeuropa, darunter das Containerterminal im Freihafen von Malta, und gehört zur Yildirim-Gruppe, einem der führenden türkischen Industrieunternehmen, das in den Bereichen Bauwesen, Maschinenbau, Schiffahrt und Energie tätig ist. Das Unternehmen hat zweifellos über das Mittelmeer auch ein Auge auf Afrika geworfen, wo türkische Unternehmen besonders aktiv sind und Hotels, Infrastruktur, Eisenbahnen usw. bauen. Eine schnelle Eisenbahnfähre nach dem Vorbild der Ostseefähren, die bis zu 160 Eisenbahnwaggons befördern können, könnte zwischen Misrata und Tarent und anderen Häfen an der Adria und im Mittelmeer verkehren.

Nach Süden in den Sahel

Der Eisenbahnkorridor folgt dem 15. Längengrad in den Süden Libyens bis zur Stadt Sabha in der Nähe der reichen Eisenerzlager im Wadi Schati, das die LISCO-Stahlwerke im Norden mit Erz versorgen kann. Sabha, eine Oasenstadt mit 100.000 Einwohnern in der libyschen Wüste, liegt in der Nähe großer Ölfelder und könnte zu einer bedeutenden Metropole in der libyschen Wüste werden, die nicht nur Arbeitskräfte aus Libyen, sondern auch aus anderen nordafrikanischen Ländern anzieht.

Die Eisenbahn wird dann weiter südlich entlang der Nord-Süd-Grenze zwischen Niger und Tschad verlaufen, mitten in der Sahelzone, einer der ärmsten Regionen Afrikas, wo Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggel florieren und die von Terrorismus geplagt ist.

Doch die Region ist reich an natürlichen Ressourcen. Westlich der Bahnstrecke liegt die Region Agadez im Südwesten Nigers. Die gleichnamige Provinzhauptstadt ist bekannt als wichtiger Transitpunkt für Migranten, die sich auf dem Weg nach Norden in ein ungewisses Schicksal am Mittelmeer befinden. Sie dient auch als Drohnenbasis für das US-Militär. In der Wüstenstadt Arlit liegen die reichsten Uranminen Afrikas, die Frankreich mit dem größten Teil des Urans für seine Atomkraftwerke und Atomwaffen versorgt. Dennoch ist Arlit eine arme, rückständige Stadt aus Lehmhäusern, die einzige feste Straße ist die „Uran-Autobahn“, über die das Uran nach Frankreich ausgeführt wird.

Sowohl Niger als auch der Tschad sind reich an Ressourcen, darunter Uran-, Gold-, Aluminium- und Eisenerze sowie Diamanten, Kohle, Kalkstein, Phosphat und Öl – alles Bestandteile einer industriellen Wirtschaft. Aber gegenwärtig wird alles, wenn überhaupt, unverarbeitet exportiert. Zweigstrecken der Bahn östlich und westlich des Korridors werden die Infrastruktur zur eigenen Nutzung dieser Ressourcen und zum Aufbau neuer, moderner Industriestädte bereitstellen.

Mega-Projekt: Transaqua

Die Hauptaufgabe des Nord-Süd-Eisenbahnkorridors besteht darin, den Bau des ehrgeizigsten Megaprojekts zu erleichtern, das jemals für Zentralafrika konzipiert wurde, nämlich Transaqua, das Projekt zur Wiederauffüllung und damit Wiederbelebung des sterbenden Tschadsees.

Das Projekt, das in den beiden erwähnten Berichten des Schiller-Instituts bereits dargestellt wurde, würde 6-8 Prozent des Wassers des Kongo-Flußbeckens in eine 2400 Kilometer lange „Flußautobahn“ durch das Herz Afrikas zum Tschadsee leiten. Die Wasserstraße – ein schiffbarer Kanal, der die Demokratische Republik Kongo, die Zentralafrikanische Republik und den Tschad durchquert – wird über Dämme und Kraftwerke verfügen, um schätzungsweise 4000 MW Wasserkraft zu erzeugen, das entspricht der heutigen durchschnittlichen Stromerzeugung Nigerias. Es ist die Vision des italienischen Ingenieurbüros Bonifica, das das Projekt vorgeschlagen hat. Transaqua würde das landwirtschaftliche Potential der gesamten Region dramatisch steigern und dazu beitragen, die Ausbreitung der Wüste umzukehren, die jetzt im Gange ist. Nach der Fertigstellung des Transaqua-Projekts würde die Eisenbahnverbindung den Tschadsee und den 2400 km langen Kanal direkt mit dem Mittelmeer im Norden verbinden.

In N'Djamena, der südlich des Tschadsees gelegenen Hauptstadt des Tschad, würde die Bahn die transkontinentale Ost-West-Eisenbahnstrecke Dschibuti-Dakar kreuzen, die China im Rahmen seiner „Belt & Road-Initiative“ zu einer Priorität erklärt hat. Von diesem Schnittpunkt aus führt die Bahn nach Süden in eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt, die landeingeschlossene Zentralafrikanische Republik. Mit dem Bau der Eisenbahn wird ihr enormes landwirtschaftliches Potential freigesetzt. Die Bahn wird dann in die Republik Kongo und über den Kongofluß in die Demokratische Republik Kongo (DRK) weiterführen.

Mit ihren fast 90 Millionen Menschen, ihren riesigen Rohstoffreserven und ihrem enormen industriellen Potential ist die DRK der schlafende Riese Afrikas. Die wenige vorhandene Infrastruktur dient fast ausschließlich der Bergbauindustrie, die kaum mehr gebracht hat als eine jahrzehntelange Ausplünderung des Landes. Der Eisenbahnkorridor wird nicht nur moderne Verkehrsinfrastruktur ins Land bringen, sondern auch die Wirtschaft des Landes mit den Regionen im Norden und Süden integrieren und gleichzeitig den Wert des Kongoflusses als Verkehrsader erhöhen.

Mega-Projekt: Die Brücke über den Kongo

Für diesen Bereich wurden zwei Megaprojekte vorgeschlagen. Das eine ist eine Straßen-Schienen-Brücke über den Kongo am 15. Meridian, die die Hauptstädte Brazzaville (Republik Kongo) und Kinshasa (DRK) verbindet. Mit vier Kilometern Länge wäre sie die zweitlängste der Welt.

Das zweite Projekt am Kongofluß ist ebenfalls bahnbrechend: die Wasserkraftprojekte Grand Inga und Inga III, die nach ihrer Fertigstellung 51 Gigawatt Strom erzeugen werden – genug, um die gesamte Region mit Elektrizität zu versorgen. Die installierte Energiekapazität in ganz Schwarzafrika beträgt heute nur 96 GW, und häufige Stromausfälle sind die Regel.

© Craig Thorpe/Cooper Consulting Co.
Abb. 7: Künstlerische Darstellung einer kombinierten Eisenbahn/Straßenbrücke über den Kongo zwischen Kinshasa und Brazzaville.

Der kürzlich verstorbene Hal Cooper, ein führender US-amerikanischer Eisenbahningenieur, hat 2011 in seinem Vorschlag für den Ausbau des Eisenbahnnetzes in Afrika eine Brücke zwischen Kinshasa und Brazzaville, einer Metropolregion mit zusammen 20 Millionen Einwohnern, vorgesehen. Coopers Plan sieht vor, über die Brücke vier Eisenbahngleise – zwei für den Güter- und Personenverkehr und zwei für den Nahverkehr – sowie vier Autobahn-, Fußgänger- und Fahrradspuren zu führen (Abbildung 7). Angesichts der Lage am Knotenpunkt von drei von der AU geplanten Eisenbahnstrecken von Norden her und der Kreuzung mit einer der geplanten Ost-West-Querverbindungen sowie der Tatsache, daß in der Metropolregion der beiden Städte fast 20 Millionen Menschen leben, ist das ein sehr vernünftiger Vorschlag.

Ein vergleichbares Beispiel einer solchen Brücke ist die Yibin Jinsha River-Eisenbahnbrücke in China, die längste Kastenbogenbrücke der Welt, über die die Hochgeschwindigkeitsbahn Chengdu-Guiyang führt. Diese verbindet die Hauptstadt von Sichuan, Chengdu (16 Mio. Einwohner), mit der Hauptstadt der Provinz Guizhou, Guiyang (4,3 Mio. Einwohner). Die Brücke verfügt über zwei Gleise für die Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnlinien und vier Fahrspuren für den Straßenverkehr.

Die Brücke Kinshasa-Brazzaville ist ein typisches Beispiel für die kriminelle Verweigerung realer wirtschaftlicher Entwicklung für Afrika. Eine Machbarkeitsstudie eines französischen Unternehmens für eine solche Brücke sieht vor, nur ein einziges Eisenbahngleis und zwei Fahrspuren für den Straßenverkehr zu bauen, eine Spur in jeder Richtung. Die Brücke wäre gebührenpflichtig, sie würde von einem privaten Unternehmen gebaut und betrieben. Zudem würde sie an der schmalsten Stelle des Flusses gebaut – mehr als 60 km von Brazzaville und 80 km von Kinshasa entfernt! Die Machbarkeitsstudie basiert auf einer Wachstumsprognose von lediglich 2,4 Prozent jährlich für die beiden Länder.

Solches Denken ist lediglich die Fortsetzung der alten Politik, die Ressourcen des Landes zu plündern. Angesichts des tatsächlichen Potentials der Region wäre eine solche Brücke schon vor ihrer Fertigstellung überholt. Aber dies ist kein Beispiel wirtschaftlicher Inkompetenz, man muß dahinter eine klare malthusianische Absicht erkennen: sicherzustellen, daß der Kongo nicht zu der Supermacht wird, die seinem Potential entspricht.

© CC BY 2.5
Abb. 8: Das Wasserkraftwerk Inga I an den Inga-Fällen des Kongoflusses in der Demokratischen Republik Kongo. Im Vordergrund die Wasserzuführung für Inga II.

Das zweite Megaprojekt für dieses Gebiet sind die Wasserkraftprojekte Grand Inga und Inga III entlang der Wasserfälle am Unteren Kongo (Abbildung 8). Ersteres hätte eine Kapazität von 40 GW und letzteres von 11 GW, also zusammen 51 GW an Stromerzeugung. Zum Vergleich: Heute stehen für ganz Afrika nur 158 GW zur Verfügung! Man vergleiche dies mit den 2000 GW Stromerzeugungskapazität in China, das eine mit Afrika vergleichbare Bevölkerungszahl hat.

Das Hauptargument westlicher Experten gegen den Bau dieser Projekte ist die absurde Behauptung, es gebe für diese Menge Strom keinen Markt! Doch dank des Engagements der Chinesen wird das Inga-III-Projekt schließlich gebaut werden. Der Nord-Süd-Bahnkorridor wird es erleichtern, ein Eisenbahnnetz in der DRK und ein Stromnetz in der gesamten Region zu schaffen.

Weg mit dem Alten, her mit dem Neuen!

Der Schienenkorridor wird sich entlang des 15. Längenkreises nach Süden bis Kapstadt fortsetzen. In Angola trifft diese Normalspurbahn (1435 mm) auf die schmaleren Gleise der Meterspur (1000 mm) und Kaiserspur (1067 mm), die in allen Ländern des südlichen Afrika wie Angola, Namibia, Südafrika und Simbabwe üblich sind. Dies ist das Erbe der britischen Kolonialpolitik, die ein kostengünstigeres, aber deshalb auch weniger effektives Schienennetz baute, das nicht die Tragfähigkeit und Geschwindigkeit der Normalspur ermöglicht. Daher muß man entweder Bahnhöfe mit Spurwechsel bauen oder aber, wie von Hal Cooper vorgeschlagen, eine doppelte („gemischte“) Spurführung vorsehen, die Züge beider Spurweiten bewältigt. Die beste Option wäre jedoch, die alten Schmalspurgleise herauszureißen und durch die Standardspur zu ersetzen, denn viele der bestehenden Strecken sind sowieso in einem schlechten Zustand, was die Option, sie durch die Standardspur zu ersetzen, praktischer macht.

Der Korridor von Tripolis nach Kapstadt ist kein Traum. Er ist eine Notwendigkeit – nicht nur für Afrika, sondern auch für Europa, das aufgrund des bankrotten Finanzsystems der Europäischen Union und der malthusianischen Politik unter einem Nullwachstum leidet. Die Zusammenarbeit mit China, Rußland und den USA bei der Umwandlung Afrikas in das „nächste China“ ist die offensichtliche Antwort.


Anmerkungen

1. https://www.researchgate.net/publication/282572721_Libyan_Railway_A_Gateway_to_Europe

2. Die Neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke, siehe https://shop.eir.de/produkt/die-neue-seidenstrasse-wird-zur-weltlandbruecke-pdf/ sowie Extending the New Silk Road to West Asia and Africa: A Vision of an Economic Renaissance,
https://shop.eir.de/produkt/extending-the-new-silk-road-to-west-asia-and-africa-a-vision-of-an-economic-renaissance-pdf/, siehe auch https://schillerinstitute.com/de/unsere-kampagne/baut-die-weltlandbrucke/.

3. Siehe Enzo Siviero, „Die Brücken Italien-Tunesien und Italien-Albanien: Die Belt & Road-Korridore verbinden“, Neue Solidarität 49/2020.