Papst Franziskus hat seine Osterbotschaft anläßlich des „Urbi et
Orbi“-Segens dazu genutzt, weitreichende Änderungen der Politik als Konsequenz
der Corona-Krise zu fordern.
In seiner Ansprache, die in 170 Länder in aller Welt live übertragen wurde,
richtete er zunächst tröstende Worte an alle, die unmittelbar vom Coronavirus
betroffen sind, und wünschte „Ärzten sowie den Krankenschwestern und Pflegern,
die überall ein Zeugnis der Fürsorge und Liebe für ihren Nächsten bis zur
Erschöpfung und nicht selten bis zum Opfer der eigenen Gesundheit ablegen“,
Kraft und Hoffnung. Er dankte ihnen „und allen, die sich eifrig für die
Gewährleistung aller Dienste einsetzen, die zum gesellschaftlichen
Zusammenleben notwendig sind, den Ordnungskräften und dem Militär, die in
vielen Ländern dazu beigetragen haben, die Schwierigkeiten und Leiden der
Bevölkerung zu lindern“.
„In diesen Wochen hat sich das Leben von Millionen von Menschen schlagartig
verändert. Für viele war der Aufenthalt zu Hause eine Gelegenheit
nachzudenken, in der Hektik des Lebens innezuhalten, mit ihren Lieben zusammen
zu sein und ihre Gesellschaft zu genießen. Für viele ist es aber auch eine
Zeit der Sorge um eine ungewisse Zukunft, den drohenden Verlust eines
Arbeitsplatzes und die anderen Folgen, die die gegenwärtige Krise mit sich
bringt.
Ich ermutige alle politisch Verantwortlichen, sich aktiv für das Gemeinwohl
der Bürger einzusetzen und die Mittel und Geräte bereitzustellen, die
notwendig sind, um allen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und dann,
wenn es die Umstände erlauben, ihnen zu helfen, ihre gewohnten täglichen
Aktivitäten wiederaufzunehmen.
Diese Zeit erlaubt keine Gleichgültigkeit, denn die ganze Welt leidet und
muß sich bei der Bekämpfung der Pandemie zusammenschließen. Der Auferstandene
schenke den Armen und allen, die am Rande der Gesellschaft leben, den
Flüchtlingen und Obdachlosen, Hoffnung. Mögen diese schwächsten Brüder und
Schwestern, die die Städte und Randgebiete in allen Teilen der Welt bevölkern,
nicht auf sich allein gestellt sein. Lassen wir nicht zu, daß es ihnen an den
lebensnotwendigen Dingen fehlt, die jetzt aufgrund der vielen Schließungen nur
schwer zu finden sind, ebenso wie auch Medikamente und eine angemessene
Gesundheitsversorgung.
Angesichts der Umstände sollten auch die internationalen Sanktionen
gelockert werden, die es den betreffenden Ländern unmöglich machen, ihre
Bürger angemessen zu unterstützen. Alle Staaten sollten in die Lage versetzt
werden, die notwendigsten Maßnahmen in Angriff zu nehmen, indem die Schulden,
welche die Bilanzen der ärmsten Länder belasten, teilweise oder sogar ganz
erlassen werden.
Diese Zeit erlaubt keinen Egoismus, denn die Herausforderung, vor der wir
stehen, ist uns allen gemeinsam und macht keine Unterschiede. Bei den vielen
Gebieten der Welt, die vom Coronavirus betroffen sind, kommt mir eigens in
Bezug auf Europa folgender Gedanke. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte dieser
Kontinent wieder neu erstehen, weil ein konkret spürbarer Geist der
Solidarität es ermöglichte, die Rivalitäten der Vergangenheit zu überwinden.
Umso dringender ist es, gerade unter den heutigen Umständen, daß diese
Rivalitäten nicht wieder aufleben, sondern daß sich alle als Teil einer
Familie erkennen und sich gegenseitig unterstützen. Die Europäische Union
steht heute vor einer epochalen Herausforderung, von der nicht nur ihre
Zukunft, sondern die der ganzen Welt abhängt. Laßt uns nicht die Gelegenheit
versäumen, einen weiteren Beweis der Solidarität zu erbringen, auch wenn wir
dazu neue Wege einschlagen müssen. Als Alternative bleibt sonst nur ein
Egoismus der Einzelinteressen und die Versuchung, in die Vergangenheit
zurückzukehren, und das Risiko in Kauf zu nehmen, daß das friedliche
Zusammenleben und die Entwicklung künftiger Generationen auf eine harte Probe
gestellt werden.
Diese Zeit erlaubt keine Spaltungen. Möge Christus, unser Friede,
diejenigen erleuchten, die in den Konflikten Verantwortung tragen, sodaß sie
den Mut haben, dem Aufruf zu einem globalen und sofortigen Waffenstillstand in
allen Teilen der Welt zu folgen. In dieser Zeit ist es unangebracht, weiter
Waffen zu produzieren und damit Handel zu treiben und Unsummen auszugeben, die
man eigentlich bräuchte, um Kranke zu heilen und Menschenleben zu retten. Es
ist hingegen an der Zeit, endlich den langen und blutigen Krieg im geschätzten
Syrien zu beenden. Der Konflikt im Jemen und die Spannungen im Irak sowie im
Libanon müssen endlich ein Ende haben. Dies ist hoffentlich auch der
Zeitpunkt, an dem Israelis und Palästinenser endlich wieder den Dialog
aufnehmen, um eine stabile und dauerhafte Lösung zu finden, die beiden ein
Leben in Frieden ermöglicht. Das Leid der Menschen in der Ost-Ukraine muß
aufhören. Man setze den Terroranschlägen, die gegen so viele unschuldige
Menschen in verschiedenen Ländern Afrikas verübt wurden, ein Ende.
Diese Zeit erlaubt kein Vergessen. Die Krise, in der wir uns augenblicklich
befinden, lasse uns nicht die zahlreichen anderen Nöte vergessen, unter denen
viele Menschen leiden. Der Herr des Lebens zeige den Menschen in Asien und
Afrika seine Nähe, die schwere humanitäre Krisen durchmachen, wie etwa in der
Region Cabo Delgado im Norden Mosambiks. Er erwärme die Herzen der vielen
Menschen, die aufgrund von Krieg, Dürre und Hungersnot auf der Flucht sind und
vertrieben wurden. Er beschütze die vielen Migranten und Flüchtlinge, unter
denen sich zahlreiche Kinder befinden und die unter unerträglichen Bedingungen
leben, insbesondere in Libyen und an der griechisch-türkischen Grenze. Und ich
möchte auch die Insel Lesbos nicht vergessen. Er ermögliche, daß man in
Venezuela konkrete und sofortige Lösungen findet, die darauf abzielen,
internationale Hilfe für die Bevölkerung zu ermöglichen, die unter der
schweren politischen, sozioökonomischen und gesundheitlichen Situation
leidet.“