Zerstörung Beethovens im Beethovenjahr 2020?
In einem vielbeachteten Appell erklärte Helga Zepp-Larouche, Vorsitzende des internationalen Schiller-Institutes, dass die Zerstörung der Oper "Fidelio" von Ludwig van Beethoven in einer Aufführung in Darmstadt einem Dammbruch gleichkomme. Hier wurde nicht nur durch die Regie der Sinn der Oper, sondern sogar auch die Musik entstellt.
"Die Grenze des Zumutbaren ist endgültig überschritten", erklärte Frau Zepp- LaRouche. Wenn dieser Zerstörung nicht Einhalt geboten würde, wird sich die ganze Welt über den "Eurotrash" lustig machen, wie dieses Genre inzwischen in vielen Ländern genannt wird.
Dieser Apell erregte schon international Aufsehen, wie z.B. in den USA, Italien und Holland.
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Die Grenze des Zumutbaren ist endgültig überschritten!
Ein Offener Brief an die Klassikliebhaber Deutschlands im Beethoven-Jahr
Von Helga Zepp-LaRouche
Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!
– Friedrich von Schiller
Das erste, was man über die Aufführung von Beethovens Fidelio im
Staatstheater Darmstadt in einer Inszenierung von Paul Georg Dittrich und
einer musikalischen Bearbeitung des Finales durch Annette Schlünz sagen kann:
Sie ist grottenschlecht. Grottenschlecht vom musikalischen, vom
künstlerischen, vom philosophischen und vom menschlichen Standpunkt. In einer
langen Reihe von stupiden, geschmacklosen, repetitiven Aufführungen des
Regietheaters, wie sie seit mehr als einem halben Jahrhundert (!) auf die
Bühne gebracht werden – zunächst beschränkt auf das Theater, und seit Jahren
auch der Oper angetan –, war diese Aufführung der absolute Tiefpunkt.
Als Hans Neuenfels im Sommer 1966 als 25 Jahre alter Dramaturg am Trierer
Theater als Werbung für das „1. Happening in Rheinland-Pfalz“ ein Flugblatt
verteilen ließ, wo er auch die Frage stellte: „Warum schänden Sie nicht kleine
Mädchen?“, befand er sich durchaus in Übereinstimmung mit den Überzeugungen
der 68er Bewegung, wie man spätestens seit Cohn- Bendit weiß. Seitdem – seit
53 Jahren! – kopulieren diverse Nackte, Rockerbanden, Schizophrene oder
Nazi-Kostümierte auf den Bühnen und haben erfolgreich die Stücke und
Kompositionen der klassischen Dichter und Komponisten bis zur Unkenntlichkeit
entstellt. Originalität sieht anders aus.
Die Darmstädter Fidelio-Inszenierung präsentiert nicht nur eine
Multimedia-Mischung von ästhetischen Abgeschmacktheiten, Brechtschen
Entfremdungseffekten und einer Überlagerung der musikalischen Szenen des
ersten Teils mit einer die ganze Bühne ausfüllenden Leinwand, auf die Bilder
und Filmausschnitte projiziert werden. Diese sollen den zeitgeschichtlichen
Hintergrund illustrieren, vor dem acht Inszenierungen von 1805 bis heute
stattgefunden haben. Der Gesamteindruck ist chaotisch, die Sänger, die gegen
diese Clip-Gewitter ansingen müssen, beginnen einem leid zu tun, so wie
Leonore, die die ganze Zeit wie ein kopfloses Huhn um die Bühne herumlaufen
muß.
Aber die wirkliche Monstrosität ereignet sich im zweiten Teil, als das
Finale, die großartige Freiheitshymne der Oper, durch Einschübe von
Kompositionen im Stil der Neuen Musik von Annette Schlünz martialisch
regelrecht zerhackt wird. Schlünz beschreibt die von ihr komponierten
Einschübe im Programmheft folgendermaßen:
„Nach und nach ist so ein ,Heil-Chor’ entstanden, der teilweise verstummt
oder in dem nur einzelne Stimmen oder Wörter stehen geblieben sind. Manchmal
radikalisiere ich auch Beethovens Instrumentation, um seine Ideen noch zu
verstärken oder ich wiederhole einzelne Takte und stoppe dann plötzlich. Ein
ganz großer Wunsch von mir war es, Fremdklang mit einzuflechten und die Musik
an manchen Stellen einzufärben. Die Trompetenfanfare, die schon vor Beginn der
Vorstellung vom Balkon des Staatstheaters erklingt, greife ich auf und
erweitere sie: Das ist das Signal, das zum Aufbruch ruft. Einige Instrumente
und Musiker, die aus dem Orchesterklang herausfallen, werden sozusagen
abtrünnig und bringen etwas Neues herein. Das F-Dur Ensemblestück – ein
fantastisches Stück Musik mit einer Sakralität und Geschlossenheit, an die ich
mich nie heranwagen würde – lasse ich hingegen unberührt wie einen Edelstein
stehen. Das anschließende Zwischenspiel mit meiner Musik, bei der
unterschiedliche Klänge inklusive der Stimmen von acht Vokalsolistinnen durch
den Raum geschickt werden, bricht die Beethoven’sche Klangwelt vollends
auf.“
Vom Standpunkt der malträtierten Zuschauer hatte der von Schlünz
zwischengeschobene Krach, bei dem Sänger und Instrumentalisten aus Plätzen
mitten im Publikum und von allen Seiten ihren ohrenbetäubenden Mist
hinausposaunten, mit Musik nicht mehr das geringste zu tun: Die Grenze zur
Körperverletzung war eindeutig überschritten.
Wie emotional gestört Schlünz ist, wird aus ihren nächsten Sätzen
deutlich:
„Beim Hören habe ich mir oft vorgestellt, ich würde an den Reglern eines
Mischpults sitzen und die Geschwindigkeit noch weiter hochdrehen. Und da würde
ich Beethoven einfach mal unterstellen, daß er beim Komponieren im Sinn hatte,
fast etwas zu überdrehen. Das ist eine regelrechte Jubelmaschine! Mich
erinnert das an Kinder, die vor Aufregung völlig überschnappen, weil sie nicht
wissen, wie sie ihre Gefühle im Griff behalten sollen.“
Wenn hier irgend etwas übergeschnappt ist, dann ist es die von Schlünz hier
demonstrierte Erbärmlichkeit, ihre emotionale Impotenz, das Erhabene des
Sieges der Liebe zwischen Leonore und Florestan zu begreifen. Mehr noch, sie
kann diese Größe offensichtlich nicht ertragen, ihre Vorstellung, mittels der
Regler eines Mischpults die Geschwindigkeit der Musik hochdrehen zu wollen,
ist der gleiche unkontrollierbare Ausraster, mit dem die Mörder des Ibykus
sich selbst verraten, nachdem der Chor der Erinnyen die höhere Macht der
Poesie im Theater von Korinth wachgerufen hat. Kleine, niedrig gesinnte
Geister können weder große Ideen noch erhabene Gefühle ertragen.
Das großartige Finale des Fidelio, in dem Beethoven die Überwindung
der Tyrannei durch den Mut der Gattenliebe zelebriert, ist Ausdruck der
edelsten Humanität, bei der Liebe, Mut und Freiheitswille ihren musikalischen
Ausdruck finden. In der Arie Leonores heißt es zuvor: „Ich wanke nicht, mich
stärkt die Pflicht der Gattenliebe.“ Beethoven wählte den Stoff der Oper als
im Sinne Schillers gelungene Idealisierung einer historischen Begebenheit, der
Befreiung des Helden der Amerikanischen Revolution und französischen
Republikaner, Marquis de La Fayette, durch seine Frau Adrienne. Darin kommt
Beethovens eigene republikanische Gesinnung zum Ausdruck, wozu in der
damaligen Zeit immer noch feudaler Strukturen und napoleonischer Feldzüge
selber schon persönlicher Mut und Freiheitswille gehörte.
Für die gestörte Emotionalität der Vertreter der Frankfurter Schule und des
liberalen Zeitgeistes sind solche zutiefst menschlichen Gefühle nicht mehr
zugänglich. Der Regisseur Paul-Georg Dittrich sagt in seinem Interview im
Programmheft in aufschlußreicher Weise, daß ihm das Finale vorkommt „wie eine
Feier, bei der man gar nicht weiß, was eigentlich gefeiert wird“. Wenn
Dittrich und Schlünz das nicht wissen, heißt das aber noch lange nicht, daß
sie das Recht hätten, auch den normalen Menschen den Zugang dazu durch die
Dekonstruktion der Komposition Beethovens zu zerstören.
Im Geiste des „Kongreß für kulturelle Freiheit“
Aber genau das war von Anfang an die Absicht der diversen Strömungen, in
deren Tradition sich Dittrich, Schlünz und die ganze Inszenierung in Darmstadt
befinden, einem Amalgam aus Adorno, der Eisler-Brecht-Schule und des
Kongresses für kulturelle Freiheit. In einem bemerkenswerten Anflug
wahrheitsgerechter Berichterstattung berichtete die FAZ am 12.11. 2017
in dem Artikel „Die CIA und die Kultur: Wie man die großen Wörter klaut“ über
die Ausstellung anläßlich des 50jährigen Jubiläums des Skandals, als 1967
bekannt wurde, daß die gesamte gigantische Operation des Kongresses für
kulturelle Freiheit eine von der CIA finanzierte Operation als Teil des Kalten
Krieges war. Und dann das für die FAZ schon beinahe sensationelle
Eingeständnis über das Ganze: „Die beunruhigende Pointe ist, daß der
Geheimdienst dabei nicht einfach eine sinistre Reaktion beförderte, sondern
eben jenem Linksliberalismus zum Durchbruch verhalf, der bis heute den
Mainstream-Standard der westlichen Intellektuellen bildet.“
Die Darmstädter Fidelio-Inszenierung ist gewissermaßen die Endmoräne
dieses Prozesses. Angefangen hatte er mit dem Wandel der amerikanischen
Nachkriegspolitik. Nach dem unzeitigen Tod Roosevelts, unter dessen Führung
die USA im Zweiten Weltkrieg mit der Sowjetunion im Kampf gegen den Faschismus
verbündet waren, geriet der intellektuell wesentlich kleinere Truman schnell
unter den Einfluß Churchills. Mit seiner berüchtigten Fulton-Rede am 5. März
1946 läutete dieser den Kalten Krieg ein. Damit gewannen die Vorläufer jener
Elemente im amerikanischen Sicherheitsapparat, vor denen Eisenhower später als
dem Militärisch-Industriellen Komplex warnte und die heute oftmals verkürzt
als „Tiefer Staat“ bezeichnet werden, die Oberhand.
Der nunmehr ausgerufene Kalte Krieg erforderte, daß die tiefen Emotionen,
die Amerikaner und Russen aufgrund der Kriegserfahrung verbanden und wie sie
im Treffen an der Elbe in Torgau ihren Höhepunkt fanden, durch ein
antirussisches Sentiment ersetzt werden mußten. Es mußte ein neues Feindbild
aufgebaut und die gesamte Axiomatik des Denkens in der Bevölkerung
entsprechend geändert werden. Für die USA bedeutete dies, die Grundannahmen in
der Bevölkerung zu ändern, die zur Unterstützung der Politik Roosevelts
beigetragen hatten. Für Europa und insbesondere Deutschland mußten die Wurzeln
der europäischen humanistischen Kultur, die die kulturelle Identität jenseits
der zwölf Jahre Schreckensherrschaft ausmachten, zerstört und durch ein
Konstrukt ersetzt werden – die Dekonstruktion der klassischen Kultur.
Das Instrument, das für diesen Zweck geschaffen wurde, war der „Kongreß für
kulturelle Freiheit“ (CCF), ein gigantisches Programm der psychologischen
Kriegsführung, das von den Geheimdienstkreisen um Allan Dulles unter der
Leitung von Frank Wisner, dem damaligen Chef des Büros für politische
Koordination im US-Außenministerium, ins Leben gerufen wurde. Später wurde der
CCF in die Abteilung für verdeckte Operationen verlagert. Die Operation
dauerte offiziell von 1950 bis 1967, als die New York Times am 27.
April 1967 veröffentlichte, daß der CCF eine Operation des CIA war – eine
Enthüllung, die sich zum größten Kulturskandal des 20. Jahrhundert
entwickelte. Der CCF operierte in 35 Staaten, gab 20 Magazine heraus, und
tatsächlich steuerte der CIA praktisch jede Kunstausstellung und kulturelle
Veranstaltung. In Europa gab es in dieser Zeit so gut wie keinen
Schriftsteller, Musiker, Maler, Kritiker oder Journalisten, der nicht in
irgendeiner Form mit diesem Projekt in Verbindung stand – mal wissentlich, mal
ohne eine Ahnung zu haben.
Die Orientierung dieser Kulturprojekte war im wesentlichen die gleiche wie
die der Frankfurter Schule, deren führende Vertreter während der Zeit des
Nationalsozialismus in den USA im Exil waren und dort teilweise in den Sold
der amerikanischen Geheimdienste getreten waren, wie Herbert Marcuse und
andere. Auf jeden Fall paßten die Ansichten der Frankfurter Schule perfekt in
das Programm des CCF. Theodor Adorno vertrat z.B. die absurde und ignorante
Auffassung, daß der Idealismus Friedrich Schillers direkt zum
Nationalsozialismus geführt habe, weil er einen radikalen Standpunkt
eingenommen habe. Deshalb sei es nötig, die Schönheit vollkommen aus der Kunst
zu entfernen. In seinem Aufsatz „Kulturkritik und Gesellschaft“, 1949
geschrieben, gipfelte seine misanthropische Sichtweise in dem vielzitierten
Satz: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“
In Darmstadt auch hier nichts Neues: Im Programmheft zur Fidelio-Aufführung
vertritt ein George Steiner exakt die gleiche Meinung: „Ist es möglich, daß im
klassischen Humanismus selbst, in seiner Neigung zur Abstraktion und zum
ästhetischen Werturteil, ein radikales Versagen angelegt ist? Kann es sein,
daß Massenmord und jene Gleichgültigkeit gegenüber den Greueln, die dem
Nazismus Vorschub geleistet hat, nicht Feinde oder Negationen der Zivilisation
sind, sondern ihr gräßlicher aber natürlicher Komplize?“
Was hier in Reinformat zum Ausdruck kommt, ist exakt die psychologische
Kriegsführung des CIA-gesteuerten CCF, der die Wurzeln der humanistischen
Identität in der deutschen Bevölkerung zugunsten einer anglo-amerikanischen
kulturellen Werteskala ausreißen sollte.
Eine Frage des Menschenbilds
Um es noch einmal auf den Punkt zubringen: Es gibt keinen größeren
Gegensatz als den, der zwischen dem erhabenen Menschenbild des Humanismus und
der klassischen Kunst und dem barbarischen Menschenbild der
Nationalsozialisten existiert. Das Menschenbild der Klassik sieht den Menschen
als prinzipiell gut an, als das einzig vernunftbegabte Geschöpf, das die in
ihm angelegten Potentiale durch die ästhetische Erziehung zu einem
harmonischen Ganzen, zu einem schönen Charakter, wie Wilhelm von Humboldt es
ausgedrückt hat, vervollkommnen kann. Die klassischen Kunstwerke in der
Dichtung, den bildenden Künsten und der Musik zelebrieren diese schöne
Menschlichkeit und sind selbst wiederum Inspiration für die kreativen
Fähigkeiten der Leser, Zuschauer und Zuhörer.
Das Menschenbild der Nationalsozialisten hingegen mit seiner
Blut-und-Boden-Ideologie geht von einer rassistischen, chauvinistischen und
sozialdarwinistischen Ideologie der Überlegenheit der arischen Rasse aus. Zu
behaupten, die Tatsache, daß sowohl die Klassik als auch der
Nationalsozialismus in Deutschland vorgekommen sind, beweise, daß es einen
inneren Zusammenhang zwischen diesen vollkommen gegensätzlichen Vorstellungen
gäbe, ist genau so absurd wie die Behauptung, aus der amerikanischen
Verfassung seien geradewegs die Interventionskriege der Regierungen Bush und
Obama entstanden oder aus der Überzeugung der Johanna von Orleans die
französische Kolonialpolitik. Diese Behauptungen stammen in Wirklichkeit aus
der Giftküche der CIA, zu deren Rezepten spätestens seit den Zeiten des CCF
die „notwendige Lüge“ und die „glaubhafte Abstreitbarkeit“ gehören, wovon die
Welt in jüngster Vergangenheit mit dem andauernden Coup gegen Präsident Trump
durch den britischen Geheimdienst in Zusammenarbeit mit dem „Tiefen Staat“
wieder genügend viele Kostproben bekommen hat.
Die Frage, wie es vom hehren Ideal der deutschen Klassik zum Absturz unter
der Herrschaft der Nationalsozialisten kommen konnte, ist eine der wichtigsten
Fragen überhaupt. Um sie zu beantworten, ist die gesamte Ideengeschichte
seitdem notwendig, vom Angriff der Romantik auf die Klassik und der damit
beginnenden Auflösung der klassischen Form über den beginnenden
Kulturpessimismus, der mit der Konservativen Revolution als Antwort auf die
Ideen von 1789 und der politischen Restauration des Wiener Kongreß einzusetzen
begann, über Schopenhauer und Nietzsche, die Bewegung des Jungen Europa vor
dem Ersten Weltkrieg bis hin zum Ersten Weltkrieg und seinen Folgen.
Den Zweck, Kulturpessimismus zu induzieren, verfolgten auch die diversen
Musikprojekte des CCF. 1952 veranstaltete er ein einmonatiges Musikfestival in
Paris mit dem Titel: „Meisterwerke des 20. Jahrhunderts“, bei dem über hundert
Symphonien, Konzerte, Opern und Ballette von über 70 Komponisten des 20.
Jahrhundert aufgeführt wurden. Das Boston Symphony Orchestra, das eine
führende Rolle bei weiteren Projekten des CCF spielen sollte, eröffnete das
Festival mit einer mehr als gewöhnungsbedürftigen Aufführung von Strawinskys
Sacre du Printemps. Ebenfalls aufgeführt wurden die Atonalisten Arnold
Schönberg (bei dem Adorno studiert hatte) und Alban Berg, dazu Paul Hindemith,
Claude Debussy und Benjamin Britten, um nur einige zu nennen. Weitere
Konferenzen zur Propagierung von atonaler und Zwölftonmusik folgten in Prato
und Rom, die ausschließlich Avantgarde-Musik förderten. Bei all diesen gut
finanzierten Veranstaltungen wurde es als selbstverständlich erachtet, daß
alle so taten, als würde ihnen häßliche Musik gefallen.
Die „Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik“, ebenfalls unterstützt von der
amerikanischen Militärregierung und dem CCF, brachte u.a. Schönberg, Webern
und Bartok zur Aufführung. Dozenten wie Adorno, Olivier Messiaen und John Cage
referierten über ihre Musiktheorie. Eine offizielle Beurteilung von Ralph
Burns, Chef der OMGUS Cultural Affairs Branch, im Review of Activities
über diese Kurse lautete: „Man war sich allgemein darüber einig, daß ein
Großteil dieser Musik wertlos ist und besser nicht hätte gespielt werden
sollen. Man bedauerte, daß Zwölftonmusik übermäßig viel Raum gegeben wurde.
Ein Kritiker beschrieb die Konzerte als ,Triumph des Dilettantismus’.“
Es geht hier gar nicht darum, jemanden davon abzuhalten, atonale oder
Zwölftonmusik oder welche Formen von Avantgarde-Musik auch immer zu
komponieren oder anzuhören. Jeder nach seinem Geschmack. Es geht darum, daß
durch die Idee der Gleichberechtigung aller Töne der temperierten
chromatischen Skala die viel höheren Freiheitsgrade, die sich aus der
polyphonen, harmonischen und kontrapunktischen Komposition, wie sie sich seit
Bach über Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann und Brahms entwickelt
haben, massiv reduziert werden. Damit fallen die Mehrdeutigkeit der Noten und
die Beziehungen zwischen den Tonarten, die Möglichkeit der enharmonischen
Verwechslungen usw. weg: Die „Motivführung“ ist eine Form der Komposition, die
aus einer einzigen musikalischen Idee heraus alle weiteren Themen, alle Sätze
und schließlich die gesamte Komposition gesetzmäßig entwickelt. Diese Technik
des Komponierens hat sich, wie Norbert Brainin, der Primgeiger des
Amadeus-Quartetts, stringent dargelegt und in diversen Meisterklassen
demonstriert hat, von Haydns „Russischen Quartetten“ op. 33 über Mozarts
„Haydn- Quartette“ bis zu Beethovens späten Quartetten zu immer größerer
Komplexität und Vollendung entwickelt.
Von diesem hohen Niveau, das die klassische Komposition mit Beethoven
erreicht hatte, ist die sogenannte Moderne Musik – und es gibt durchaus gute
moderne Kompositionen –, wenn sie diese Prinzipien aus dem Fenster wirft, ein
Abstieg vergleichbar mit dem von einem sich antientropisch entwickelnden
Universums von bisher mindestens zwei Billionen bekannten Galaxien herunter
zur Vorstellung der flachen Erde.
So gut wie alle wirklich kreativen Menschen von Konfuzius bis Albert
Einstein erkannten und nutzten die Wirkung von guter oder klassischer Musik
zur Beförderung ihrer eigenen kreativen Fähigkeiten und zur ästhetischen
Veredlung der Bevölkerung. Konfuzius machte die richtige Beobachtung, daß man
an der Qualität der Musik den Zustand eines Staates ablesen könne. Die
Versenkung in die Kompositionen großer klassischer Komponisten eröffnet den
tiefsten Zugang zu den kreativen Fakultäten der menschlichen Seele und des
Geistes. Wo sonst kann wie bei der klassischen Musik die Leidenschaft gestärkt
und vertieft werden, die notwendig ist, über den eigenen kleinen Tellerrand
hinauszublicken und sich mit den großen Gegenständen der Menschheit zu
beschäftigen? Oder das Empfindungsvermögen ausgebildet werden, um die
Forderung Schillers zu erfüllen, die er in der Rede zur Universalgeschichte
aufstellt:
„Ein edles Verlangen muß in uns entglühen, zu dem reichen Vermächtnis von
Wahrheit, Sittlichkeit und Freiheit, das wir von der Vorwelt überkamen und
reich vermehrt an die Folgewelt wieder abgeben müssen, auch aus unsern Mitteln
einen Beitrag zu legen, und an dieser unvergänglichen Kette, die durch alle
Menschengeschlechter sich windet, unser fliehendes Dasein zu befestigen.“
Es ist genau diese Emotionalität der Liebe, die im Finale des
Fidelio zum Ausdruck kommt: Liebe zum Gatten, Liebe zur Menschheit und
die Idee der Freiheit in der Notwendigkeit, die Idee, mit Leidenschaft die
Pflicht zu erfüllen und darin frei zu werden, was Schiller als die Qualitäten
seines Ideals der schönen Seele und des Genies definiert hat. Es ist die
Quintessenz der gesamten ästhetischen Methode der Klassik und Friedrich
Schillers insbesondere: „Weil es die Schönheit ist, durch welche man zur
Freiheit wandert.“
Verhurzt
Aber es ist genau dieser Freiheitsbegriff, dem die ganzen Verfechter von
Regietheater, disharmonischer Musik und postmoderner Dekonstruktion den Kampf
angesagt haben, weil er ihrem liberalen Konzept von „Freiheiten“ statt
Freiheit entgegensteht. Also greifen sie hemmungslos in die schon reichlich
zerfressene Mottenkiste von Brechtschen Verfremdungseffekten: Unterbrechungen,
Filmclips, Spruchschilder, auf das Publikum gerichteter Kameraführung etc., um
die Zuschauer so aus ihren Hör- und Denkgewohnheiten heraus zu „schocken“. Was
in Darmstadt dabei heraus kommt, ist eine Mischung aus Clockwork Orange – man erinnere sich an die gewalttriefende Scheußlichkeit von Stanley
Kubrick, die mit der Musik der 9. Symphonie Beethovens untermalt wurde – und
der intellektuellen Tiefe Helene Fischers. Wenn Helene Fischer im roten
Latex-Outfit zu orgiastischen Bewegungen ihren Song „Sag mal, spürst Du das?“
ins begeisterte Publikum hineinschnulzt, dann ist das ungefähr genau so
subtil, wie wenn während des gesamten Finales auf der Bühne der Satz „Bewegt
es Dich?“ in großen Neonlettern aufleuchtet. Offensichtlich meint der
Regisseur Dittrich, daß das intellektuell herausgeforderte Publikum mit einer
Holzlatte aufgeweckt werden müsse. Dazu dann das eingangs erwähnte
Bombardement mit ohrenbetäubendem Krach durch im Zuschauerraum verteilte
Instrumentalisten und Chormitglieder.
Das Publikum dankte für diesen Klamauk mit einem gequälten Mini-Applaus.
Wenn es das Ziel der Inszenierung war, entweder das Publikum zum politischen
Handeln in der Gegenwart aufzufordern oder die zeitgenössische Musik für ein
„breiteres Publikum“ (Dittrich) zu öffnen, dann muß man in beiden Fällen
sagen: Ziel verfehlt. Der bekannte „Hurz“-Sketch von Hape Kerkeling beschreibt
die Reaktion der meisten Zuschauer – die sich offensichtlich schon zu lange an
die Zumutungen des Regietheaters und den Kulturkrieg des CCF gewöhnt haben,
der offensichtlich immer noch andauert – sehr treffend.
Abschließend sei ein Zitat von Alma Deutscher, die wirklich komponieren
kann, erwähnt: „Wenn die Welt so häßlich ist, warum soll man sie dann noch
häßlicher machen mit häßlicher Musik?“
Verteidigt die klassische Kultur!
Ehe das Vorbild von Frau Schlümpf Beispiel macht, noch andere klassische
Kompositionen im Sinne von Hans Neuenfels zu „schänden“, soll diese Kritik im
Beethoven-Jahr eine Debatte ins Leben rufen, die Klassik gegen solche
Übergriffe zu verteidigen.
Das Beethoven-Jahr, in dem nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen
Welt eine große Anzahl von Beethovens Kompositionen aufgeführt werden, bietet
die wunderbare Chance, daß wir uns an unsere bessere kulturelle Tradition in
Deutschland erinnern, dem seit Jahrzehnten fortdauernden moralischen
Abwärtstrend entgegenstellen und im bewußten Hören von Beethovens Musik die
innere Kraft finden, unsere eigene Kreativität lebendig werden zu lassen.
Die Welt befindet sich derzeit in einem Epochenwandel, in der die
bisherige, von den atlantischen Staaten dominierte Ära eindeutig zu Ende geht
und sich der Schwerpunkt der Entwicklung nach Asien verlagert, wo es mehrere
Völker gibt, die auf ihre zum Teil über 5000 Jahre alten Zivilisationen zu
recht stolz sind und diese pflegen. Wenn Europa irgend etwas dazu beizutragen
hat, um das entstehende neue Paradigma in der Welt in einem humanistischen
Geist mit zu gestalten, dann ist es unsere Hochkultur der Renaissance und der
Klassik.
Viele Wissenschaftler, Künstler und durchaus deutschlandfreundliche
Menschen auf der ganzen Welt wundern sich ohnehin seit geraumer Zeit, was mit
den Deutschen eigentlich los ist, daß sie sich so weit von ihrer Eigenschaft
als Volk der Dichter und Denker entfernt haben. Wenn wir uns das
Beethoven-Jahr verhunzen lassen – oder sollte man sagen, „verhurzen“ lassen?
–, dann würde man Deutschland als Kulturnation wohl endgültig abschreiben.
Um Diskussionsbeiträge wird gebeten.
zepp-larouche@eir.de
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