Die Notwendigkeit wissenschaftlicher Bildung für Afrikas Jugend
Von Marie Korsaga
Die Astrophysikerin Maria Korsaga aus Burkina Faso hat als
erste Frau in Westafrika in Astrophysik promoviert; sie war der Konferenz aus
Südafrika zugeschaltet.
Mein Name ist Marie Korsaga, ich bin Astrophysikerin und komme ursprünglich
aus Burkina Faso. Meine Forschung konzentriert sich auf die Verteilung von
dunkler und sichtbarer Materie in Galaxien. Vereinfacht läßt sich sagen, daß
die sichtbare Materie – d.h. die gewöhnliche Materie aus Protonen, Neutronen,
Elektronen, alles, was mit unseren Geräten beobachtbar ist - nur etwa 5% des
Universums ausmacht; der Rest ist unsichtbare Materie, die sich wie folgt
verteilt: 26% dunkle Materie und 68% dunkle Energie. Mit Hilfe der dunklen
Materie mit ihrer Gravitationskraft kann man die Tatsache erklären, daß die
Galaxien nahe beieinander bleiben, während die dunkle Energie bewirkt, daß
sich das Universum mit der Zeit schneller „ausdehnt“. Wir können also nicht
von einem Verständnis des Universums sprechen, wenn wir nur etwa 5% seiner
Bestandteile kennen. Um unser Universum zu verstehen, d.h. seine Entstehung
und Entwicklung erklären zu können, ist es also unerläßlich, zu verstehen, was
dunkle Materie und dunkle Energie sind.
Dunkle Materie, wie der Name schon sagt, ist etwas, das man selbst mit den
raffiniertesten Teleskopen nicht sehen kann. Bisher wurden noch nie Teilchen
der dunklen Materie nachgewiesen; dennoch spüren wir ihre Anwesenheit dank
ihres Einflusses auf die Schwerkraft. Der Zweck meiner Forschung ist es, zu
untersuchen, wie dunkle Materie innerhalb von Galaxien verteilt ist, um die
Entstehung und Entwicklung unseres Universums und damit den Ursprung des
Lebens auf der Erde besser zu verstehen.
Neben meiner Forschung interessiere ich mich auch für die Entwicklung der
Astronomie in Afrika. Zu diesem Zweck arbeite ich im Office of Astronomy for
Development (OAD) an einem Projekt, das darin besteht, die Astronomie als
Entwicklungsfaktor fast überall auf der Welt, vor allem aber in den
Entwicklungsländern zu nutzen, indem Projekte im Zusammenhang mit Bildung,
Bildungstourismus usw. unterstützt werden.
Wenn wir über Bildung sprechen, ist es wichtig, daran zu erinnern, daß
Afrika nach Angaben der Afrikanischen Union die jüngste Bevölkerung der Welt
hat, mehr als 40% sind Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren, was in den
nächsten zehn Jahren zu einer demographischen Explosion führen wird. Dieses
Bevölkerungswachstum hat Nachteile, aber auch Vorteile. Die Kehrseite ist die
Gefahr, daß diese jungen Menschen, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden –
nämlich Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung für Jungen und Mädchen,
insbesondere in den Naturwissenschaften –, statt zu einer Quelle der
Entwicklung des Kontinents eher zu einer Quelle sozioökonomischer und
politischer Instabilität und Konflikte werden, die den Kontinent weiter ins
Elend stürzen. Die Vorteile sind jedoch so groß, daß dieses demographische
Wachstum, wenn es durch ein gut entwickeltes Bildungssystem und von
wirkungsvollen Maßnahmen auf Seiten der öffentlichen Politik wie auch des
Privatsektors begleitet wird, eine große Quelle für eine nachhaltige
Entwicklung des Kontinents auf wirtschaftlicher und politischer Ebene sein
wird. Dazu ist es sehr wichtig, erhebliche Investitionen im Bereich der
Bildung mit Schwerpunkt auf Innovation, Wissenschaft und Technologie zu
tätigen. Es sei darauf hingewiesen, daß afrikanische Hochschulabsolventen
heute ihren Abschluß vor allem in den Bereichen Literatur und
Humanwissenschaften machen: MINT-Studenten (Mathematik, Ingenieurwesen,
Naturwissenschaften und Technik) machen laut Weltbank im Durchschnitt nur 25%
der Abschlüsse aus. Zudem sind Frauen in diesen Bereichen
unterrepräsentiert.
Ich selbst bin die erste Frau, die in Burkina Faso und sogar in ganz
Westafrika in Astrophysik promoviert hat; das mag schmeichelhaft klingen, aber
es offenbart eine ziemlich beunruhigende Diagnose, obwohl es ein
Hoffnungsstrahl ist. Selbst wenn es in der Region ein Dutzend Doktoranden auf
diesem Gebiet gibt, sind unter ihnen fast keine Frauen. Leider zeigt dies, daß
wir von einer Gleichstellung der Geschlechter in der Wissenschaft noch weit
entfernt sind, und es bleibt noch viel zu tun. Was wir brauchen, ist ein
Mentalitätswandel und ein besserer Zugang für Frauen zur Wissenschaft,
insbesondere für die Unterprivilegierten. Es ist nicht unbekannt, daß ein
Berufsweg in der Astrophysik einen Studiengang in Physik erfordert, was für
Frauen in unseren Gesellschaften nicht offensichtlich ist, denn die Mehrheit
der Menschen ist der Meinung, die naturwissenschaftlichen Bereiche seien den
Männern vorbehalten und die Frauen gehörten in den literarischen Bereich. Dies
hat zur Folge, daß Frauen davon abgehalten werden, sich für ein langes Studium
zu entscheiden, vor allem in wissenschaftlichen Bereichen, und selbst wenn sie
sich für ein solches entscheiden, neigen sie dazu, bei den ersten Hindernissen
aufgrund mangelnder Unterstützung aufzugeben. Ich kann für mich heute sagen,
daß ich diese Barriere auf meiner Ebene durchbrochen habe, und ich möchte
dieses Privileg nutzen, um so viele Mädchen wie möglich zu inspirieren und zu
ermutigen, sich genauso zu entscheiden.
Es stimmt, daß heute von mehreren Regierungen Anstrengungen unternommen
werden, um mit diesen Klischeevorstellungen aufzuräumen – zum Beispiel mit dem
NEF (Next Einstein Forum) in Ruanda, einer Plattform für die Popularisierung
der Wissenschaft, die Studentinnen durch Stipendien Möglichkeiten eröffnet,
oder mit dem Netzwerk von Frauen in der Wissenschaft namens OWSD (Organisation
für Frauen in der Wissenschaft für die Dritte Welt), das Mädchen und Frauen in
den MINT-Bereichen Möglichkeiten bietet. Es gibt jedoch noch viel zu tun, denn
die angemessene Repräsentation von Frauen in der Wissenschaft ist noch lange
nicht erreicht. Über die Forschung hinaus beabsichtige ich, zur Ausbildung
junger Menschen in der Wissenschaft in Burkina Faso und in Afrika im
allgemeinen beizutragen, indem ich Kurse an Universitäten gebe und auch
Masterstudentinnen und Doktorandinnen betreue. Ich habe auch vor, Maßnahmen
zur Popularisierung der wissenschaftlichen Ausbildung im allgemeinen und der
Astrophysik im besonderen in Ländern einzuleiten, in denen der Zugang zur
Wissenschaft begrenzt ist. Dies wird dazu dienen, Mädchen und Jungen
(insbesondere Mädchen) zur Aufnahme eines wissenschaftlichen Studiums zu
motivieren.
Es gibt noch weitere zukünftige Initiativen, die ich in Zusammenarbeit mit
anderen Forschern durchzuführen plane, nämlich die Einrichtung
naturwissenschaftlicher Schulen in Afrika, die besonders Frauen gewidmet sind,
die Organisation von Workshops, um Wissenschaftlerinnen die Möglichkeit zu
geben, über ihre inspirierende Arbeit zu sprechen und ihr Selbstvertrauen zu
stärken, die Gründung eines Astronomie-Clubs für Kinder usw.
Die Astronomie ist nicht nur als Wissenschaft faszinierend, sondern sie
kann auch als Entwicklungsinstrument eingesetzt werden, z.B. durch Bildung und
Tourismus. Die Internationale Astronomische Union (UIA) ist sich dessen bewußt
und unternimmt große Anstrengungen, um diese Entwicklungsperspektive in den
Entwicklungsländern aufzugreifen und die von den Vereinten Nationen
festgelegten Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen.
Ein typisches Beispiel in Subsahara-Afrika hierfür ist Südafrika, wo die
Installation von Teleskopen in mehreren Ortschaften nicht nur dazu beiträgt,
die Wissenschaft beliebter zu machen und Arbeitsplätze für junge Menschen zu
schaffen, sondern auch die Wirtschaft und den Ausbau der Infrastruktur in
diesen Ortschaften angekurbelt hat. Der aktuelle Kontext, in dem wir uns
befinden, insbesondere die COVID-19-Pandemie, erinnert uns daran, welche
wichtige Rolle die Wissenschaft in unserem Leben und unserem Bildungssystem
spielen muß. Die afrikanischen Behörden müssen davon überzeugt werden, daß es
mehr als notwendig ist, einen großen Teil der nationalen Haushalte für die
Unterstützung und Förderung von Studium und Forschung aufzuwenden, denn
Investitionen in das Humankapital sind ein sicheres Mittel für das Wachstum
eines Landes.
Um unseren Kontinent aus der Unterentwicklung herauszuführen, müssen wir
vor allem verstehen, daß wir unsere Programme viel effektiver umsetzen müssen.
Die Konzentration auf Bildung und Ausbildung in Wissenschaft, Technologie und
Innovation, insbesondere in der Weltraumwissenschaft, kann nicht nur das
Humanpotential erhöhen, das eine Quelle nachhaltiger Entwicklung ist, sondern
auch die Kontrolle über unsere Rohstoffe verbessern, was sich auf die
Wirtschaft des ganzen Kontinents positiv auswirken würde. Afrika verfügt über
eine immense Menge an Rohstoffen, die für den Ausbau der Industrie unerläßlich
sind. Wir müssen dazu kommen, diese Ressourcen zuerst für unsere eigene
Entwicklung auszubeuten, und zwar durch Frauen und Männer, die auf dem
Kontinent ausgebildet werden, und mit entsprechenden kompatiblen
Techniken.
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