Afrika braucht ein kontinentales Gesundheitsprogramm
Von Marlette Kyssama-Nsona
Marlette Kyssama-Nsona ist Pharmakochemikerin und Mitglied der
Politischen Führung der Pan-Afrikanischen Liga – UMOJA. Bei der
Internetkonferenz des Schiller-Instituts hielt sie am 6. September den
folgenden Vortrag.
Meine Damen und Herren,
im Namen der Panafrikanischen Liga-UMOJA und in meinem eigenen Namen danke
ich dem Schiller-Institut, daß es mich in diese Vortragsrunde aufgenommen hat,
für den Austausch über Themen, die für das Überleben der menschlichen Gattung
von größter Bedeutung sind.
Ein tödliches Wirtschaftsmodell
Die COVID-19-Pandemie offenbart die Gefahr, in der sich die Menschheit,
einschließlich der wohlhabenden Nationen, befindet, wegen eines räuberischen
Wirtschaftssystems, dessen einziges Ziel darin besteht, kollektive Ressourcen
zum Nutzen einer Handvoll Kosmokraten zu erbeuten und anzuhäufen.
Die Menschen in Afrika sind seit 40 Jahren mit dieser Gefahr konfrontiert.
In der Tat zwingt man Afrika seit den 80er Jahren unter das Joch einer
abscheulichen Verschuldung, die unhaltbar geworden ist, sowie der
Strukturanpassungsmaßnahmen, die vom IWF und der Weltbank mit der allzu
bereiten Komplizenschaft einer lokalen Kompradorenelite allein zu dem Zweck
auferlegt werden, diese Schulden zurückzuzahlen.
Die Folgen für die öffentliche Gesundheit sind katastrophal:
- Seit 30 Jahren werden die Budgets für das öffentliche Gesundheitswesen
gekürzt. Im Falle des Kongo sind die Ausgaben der Gesundheitsbudgets in den
letzten 10 Jahren um fast 7% gesunken.
- Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation belaufen sich die
Gesundheitsausgaben pro Kopf auf 6 Dollar im Jahr, wenn derselben Quelle
zufolge 30 Dollar erforderlich wären.
- Das gleiche gilt für die allgemeine Infrastruktur und für die
veraltete technische Plattform. Auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie hatte
das Land nicht einmal fünf Atemschutzgeräte.
- Die Ausbildung und Rekrutierung von medizinischem und
paramedizinischem Personal leidet unter den gleichen Bedingungen: Im Kongo
kommen auf 10.000 Einwohner 0,3 Ärzte und 1,9 Krankenschwestern und Hebammen.
Zum Vergleich: In Kuba sind es 77.
- Der Teil des Budgets, der für Grundlagenforschung und Investitionen in
Forschung und Entwicklung im biomedizinischen Bereich bestimmt ist, wurde auf
einen Bruchteil reduziert. Der Kongo importiert sämtliche Medikamente.
Ein Sozialversicherungssystem wird seit mehr als 30 Jahren nicht mehr
subventioniert. Infolgedessen gibt es keinen sozialen Schutz – im Kongo muß
man, um sich behandeln zu lassen, vor Ort teuer bezahlen. So verkaufen viele
Familien ihren Landbesitz, um die Chance zu haben, daß ein schwerkrankes
Familienmitglied wieder gesund wird, auch wenn das Ergebnis dennoch oft
tödlich ist. Eine Chemotherapie kann in einem öffentlichen Krankenhaus bis zu
600 Dollar kosten, während der kongolesische Mindestlohn nur 120 Dollar
beträgt. Ein Kaiserschnitt kostet bis zu 400 Dollar! Im Kongo zum Beispiel
liegt die Müttersterblichkeit bei 780 Todesfällen pro 100.000 Geburten, eine
der höchsten in Afrika.
Die gefährlichste Folge ist jedoch zweifellos die Schwächung des Staates,
der sich unter dem Diktat von IWF und Weltbank seiner Vorrechte beraubt sieht,
einschließlich der Möglichkeit, ein Gesundheitssystem zu entwerfen und
aufzubauen, das den Erwartungen der Bevölkerung entspricht.
Hier ist der Staat durch NGOs ersetzt worden, von denen einige als
Trojanische Pferde für die multinationalen Arzneimittelkonzerne fungieren,
ohne jegliche Gesamtkonzeption, erratisch und in homöopathischer Dosis. Eher
wie ein Holzbein!
Freihandel
Meine Damen und Herren, die zwischen unseren Ländern und der Europäischen
Union geschlossenen Freihandelsabkommen haben Afrika zum Empfänger von
zerkleinertem Fleisch und Geflügel gemacht, das für den Verzehr ungeeignet
ist. Im Kongo bringt uns das, was wir essen, um! Aufgrund der hohen
Produktionskosten liegt der Durchschnittspreis für ein vor Ort gemästetes Huhn
bei 6 Dollar, gegenüber 2 Dollar für ein importiertes Huhn.
Die Frage der Gesundheit ist eng mit der Lebensmittelfrage verbunden.
Welche Hebel sollten eingesetzt werden, um ein effektives Gesundheitssystem
aufzubauen?
Souveränität
Meine Damen und Herren, wir alle wissen es: Die globalistische Oligarchie
operiert, indem sie die normative Macht der Staaten angreift. Es ist daher
notwendig, den Staat zu rehabilitieren und ihm die Möglichkeit zu geben, alle
seine Souveränitätsinstrumente wiederzuerlangen, damit er seine Vorrechte
erfüllen kann, von denen das wichtigste der Schutz seiner Bevölkerung ist –
und dazu gehört, die Schulden und die von IWF und Weltbank auferlegten Diktate
anzuprangern. Es liegt in der Verantwortung des Staates, die
Gesundheitspolitik zu entwerfen, umzusetzen und zu finanzieren.
Außerdem lebt Afrika nicht in einem Vakuum! Es trägt zu den kollektiven
Anstrengungen bei, indem es der Menschheit sein tausendjähriges Wissen und
seine reichhaltigen Arzneimittelbücher zur Verfügung stellt. Afrikanische
Forscher, wie auch andere Forscher auf der ganzen Welt, denken jeden Tag über
die Suche nach Lösungen nach.
Afrika ist für viele Pharmaunternehmen ein Versuchsfeld, um ein neues
Medikament oder einen neuen Impfstoff zu testen. Deshalb ist es nicht
hinnehmbar, daß Medikamente, Früchte des Erbes der Menschheit, einem Teil
dieser Menschheit unzugänglich gemacht werden, weil sie zu teuer verkauft
werden! Man muß der „Patent-Erpressung“ von pharmazeutischen Laboratorien ein
Ende setzen, die, weit davon entfernt ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen,
spekulieren und das Gemeinwohl grob mißachten.
Schlußbemerkung
Meine Damen und Herren, die Welt muß eine entscheidende Wende vollziehen.
Wir müssen aus der Finanzwirtschaft aussteigen, sonst riskieren wir die
Zerstörung für alle. Was gestern nur für die Dritte Welt galt, gilt heute auch
für den Westen. Das ist eine Verantwortung, der sich unsere Völker stellen
müssen!
Ich danke Ihnen vielmals.
|