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Friedrich Schiller



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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Um die globale Krise zu überwinden,
müssen wir so denken wie Beethoven

Von Alexander Hartmann, Chefredakteur

Während diese Zeilen in Druck gehen, werden Teilnehmer aus aller Welt am 12. und 13. Dezember die Internetkonferenz des Schiller-Institut zum Thema „Die Welt nach den US-Wahlen: eine Welt auf der Basis von Vernunft schaffen“ verfolgen. Die Konferenz, deren Mitschnitte für alle, die die Vorträge verpaßt haben oder nochmals anhören wollen, auf der Internetseite des Schiller-Instituts (www.schillerinstitute.com) veröffentlicht werden, wird sich mit den zahlreichen Krisen befassen, die derzeit die Welt bedrohen – vom Streit um das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl über die militärische Konfrontationspolitik des Westens gegenüber Rußland und China und die voranschreitende Wirtschafts- und Finanzkrise bis hin zu den Bedrohungen der Menschheit durch die COVID-19-Pandemie und die bevorstehende Hungerkatastrophe.

Allen diesen Krisen ist gemeinsam, daß sie gelöst werden können – durch verstärkte Zusammenarbeit auf allen Ebenen, durch den schnellen Aufbau eines weltweit funktionierenden Gesundheitssystems und der dazugehörigen grundlegenden Infrastruktur, mit großen Wasser-, Energie- und Verkehrsprojekten in allen Ländern der Welt, insbesondere in Afrika, und eine Verdoppelung der weltweiten Nahrungsmittelproduktion. Diese Lösungen können nur auf der Basis von Vernunft realisiert werden, aber die Krisen sind selbst die Folge einer unvernünftigen Politik. Nur wenn die Politik geändert wird, können wir die Krisen beheben – und nur wenn wir zu einer vernünftigen Kultur zurückfinden, kann diese Änderung der Politik durchgesetzt werden.

Genau hier liegt der wesentliche Unterschied zwischen China und dem Westen.

Der Erfolg Chinas gründet vor allem darauf, daß Chinas politische Führung keine Probleme hat, in ihrem Land eine vernünftige Politik zu formulieren und durchzusetzen – nicht weil es eine Diktatur wäre, sondern, weil es in der vom konfuzianischen Denken geprägten chinesischen Kultur von den Menschen und von der politischen Führung einfach als selbstverständlich empfunden wird, eine vernünftige Politik im Dienste des Gemeinwohls zu unterstützen.

So gelang es China in den letzten Jahrzehnten, rund 800 Millionen Menschen aus der extremen Armut herauszuführen. So gelang es China, das weltweit größte Schnellbahnsystem aufzubauen. So gelang es China, die COVID-19-Pandemie einzudämmen. So gelang es China, in vielen Bereichen zur technologischen Weltspitze aufzusteigen, wie es soeben mit der Inbetriebnahme seines Reaktors Tokamak HL-2M für die Entwicklung der Kernfusion und seiner Mondmission Chang’e-5, mit der es Bodenproben von der Rückseite des Mondes zur Erde holte, bewiesen hat. Und die Chinesen sind stolz darauf – und das vollkommen zu Recht.

Im Westen ist oft die Rede von der „Herausforderung“ des Westens durch China und vom „Wettkampf der Systeme“, aber tatsächlich liegt das Problem des Westens darin, daß der Westen zu diesem „Wettkampf der Systeme“ genaugenommen gar nicht erst antritt, weil die politischen Eliten des Westens darauf bestehen, das zu unterlassen, was dazu notwendig wäre.

Seit Jahrzehnten werden die Investitionen aus der physischen (produzierenden) Wirtschaft heraus in immer unproduktivere Spekulationen gelenkt. Bereiche der Spitzenforschung wie die Kerntechnik und die Weltraumforschung werden seit Jahrzehnten kaum gefördert. Spitzentechnologien wie die Magnetschwebebahn oder der Hochtemperaturreaktor wurden aufgegeben. Das grundlegende Entwicklungsprinzip aller großen Zivilisationen an sich – daß der Mensch z.B. durch Infrastrukturaufbau in seine Umwelt eingreift, um die Lebensbedingungen für die Menschen (und oft genug auch für die Natur) zu verbessern – wird zurückgewiesen, menschliche Eingriffe in die Natur werden als frevelhaft abgelehnt.

Statt dessen fließen die Forschungsgelder in Untersuchungen, die beispielsweise darauf abzielen, die Energiedichte unserer Wirtschaft immer weiter zu senken oder die eine Menschheit in immer neue und immer kleinere Ethnien und Gendergruppen aufzuspalten, die dann jeweils versuchen, „ihre“ Interessen gegen alle übrigen durchzusetzen, anstatt Wege zu suchen, wie das gemeinsame Interesse aller verwirklicht werden kann.

Man sieht nicht mehr über den Tellerrand hinaus, sondern nur noch auf den eigenen Bauchnabel. Die Fähigkeit, den eigenen Willen und Vorteil auf Kosten der Allgemeinheit oder anderer durchzusetzen, wird zum Maßstab der eigenen „Freiheit“. Schon die Aufforderung zu einem vernünftigen Verhalten im Interesse des Gemeinwohls wird von vielen als Zumutung empfunden und empört – und zum Teil auch gewalttätig – zurückgewiesen. Fakten, die der eigenen Meinung widersprechen, werden einfach abgestritten oder ignoriert – oder in den Massenmedien unterdrückt.

Eine Folge der Gegenkultur

All dies ist eine Auswirkung der Kultur. Zugespitzt könnte man sagen: Chinas Kultur macht erwachsen, die westliche Massenkultur macht infantil.

Das ist kein Zufall. Schon in den 1940er Jahren befaßten sich Theodor Adorno und andere im „Radio Research Project“ mit der Frage, wie mit Hilfe der modernen Kommunikationstechniken das kulturelle Paradigma verändert werden könnte, um, wie Adorno argumentierte, die in der klassischen Kultur wurzelnden „faschistoiden Tendenzen“ zu beseitigen. Nach dem Ende des Weltkriegs wurde diese neue Massenkultur dann im Rahmen der sogenannten „Umerziehung“ durchgesetzt. Sein Ansatz: eine neue Massenkultur zu schaffen, die die Menschen infantilisiert, um sie sozusagen „neu programmieren“ zu können.

Das Ergebnis war eine Kultur, in der die Menschen emotional mehr oder weniger auf der Stufe von Dreijährigen verharren und in allen Dingen nur noch danach urteilen, ob sie sie „mögen“ oder „nicht mögen“ – und dies auch noch für ihr selbstverständliches Recht halten. Und die politischen Eliten des Westens nutzen ihren Einfluß in den Massenmedien, um nach Belieben Stimmung zu machen – gegen Putin, gegen China, gegen Trump, gegen die Kernkraft, gegen den Klimawandel – und dadurch kurzfristig ihre Macht zu erhalten.

Die Ironie: Je erfolgreicher sie ihre Politik durchsetzen, desto sicherer ist ihr Untergang. Wer es heute unterläßt, die notwendigen Vorleistungen für die weitere Existenz der Menschen zu erbringen, oder gar tatkräftig darauf hinwirkt, solche Vorleistungen zu unterbinden, der wird bald nicht mehr in der Lage sein, diese Existenz zu sichern, geschweige denn, im „Wettkampf der Systeme“ zu bestehen.

Die gegenwärtigen Krisen sind ein Ergebnis dieser jahrzehntelangen Politik des Unterlassens. Nun zeigt sich: Wenn die Menschheit überleben soll, müssen wir erwachsen werden – auch und gerade emotional. Und das bedeutet, daß wir dringend einen kulturellen Paradigmenwandel brauchen – weg von Adornos „Gegenkultur“, hin zu einer neuen Renaissance, in der der Widerspruch zwischen Pflicht und Neigung entfällt und in der die Menschen ihre Kreativität entfesseln, indem sie ihren Blick vom eigenen Bauchnabel weg auf die großen gemeinsamen Aufgaben und Ziele der Menschheit richten und mit Freude und Begeisterung Lösungen für die Probleme der Menschheit suchen und finden.

Wo soll diese Änderung herkommen, fragt Friedrich Schiller in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung der Menschen, wenn die Elite korrupt und die Masse verroht ist? Und er gibt die Antwort: von den Künstlern. Daher ist der 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens, den wir in diesen Tagen feiern, ein hervorragender Anlaß, eine solche kulturelle Wende einzuleiten.

Genau darum geht es an diesem Wochenende bei der Internetkonferenz des Schiller-Instituts, deren Schlußabschnitt dem Thema „Eine menschliche Zukunft für die Jugend: eine von Beethoven vorangetriebene Renaissance der klassischen Kultur“ gewidmet ist. Die Vorsitzende des Instituts, Helga Zepp-LaRouche, sagte dazu am 9. Dezember im Internetforum des Schiller-Instituts:

    „Lyndon LaRouche hat immer gesagt, daß eine Gesellschaft lernen muß, wie die großen Komponisten oder die großen Dichter in ihren klassischen künstlerischen Kompositionen zu denken. Und das ist, glaube ich, sehr wichtig, denn Kultur ist keine Luxussache, die man macht, wenn man viel Freizeit hat, sondern es ist eine Lebensweise, eine Art und Weise, wie man sich mit seinem eigenen Leben identifiziert und wie man die Menschheit betrachtet.

    Die Beethoven-Feier bietet eine perfekte Gelegenheit, diese Idee der klassischen Komposition, der Organisation Ihrer Gedanken wie ein Komponist, wirklich zu entwickeln: Man hat eine Idee, man entwickelt sie, man erschöpft sie, und man kommt auf eine höhere Ebene, und man schließt sie ab. Das ist etwas ganz anderes als die heutigen Talkshows, wo ein Wort das andere gibt und die Leute einen endlosen Strom von Meinungen haben – es ist eher die sokratische Methode, die Wahrheit durch die Erschöpfung eines Arguments zu finden.

    Und natürlich ist Schönheit sehr wichtig: In dieser Welt, die so voller Häßlichkeit und Not und Gewalt ist, all diese Dinge, die wir in unserer Umgebung kennen, müssen wir in die höchsten Epochen der Vergangenheit zurückgehen, in die griechische Klassik, die italienische Renaissance, die deutsche Klassik und andere große Epochen der Menschheitsgeschichte, und in jeder Gesellschaft die fortschrittlichsten Ideen finden und diese dann miteinander kommunizieren lassen, um eine neue Renaissance zu schaffen.

    Ich bin überzeugt, das ist absolut möglich, und es ist sehr wichtig, daß vor allem die jungen Menschen in die Diskussion einbezogen werden. Denn wenn die Jugend erhoben wird, ist die Zukunft der Menschheit schön – wenn die Jugend in Selbstmorden und Drogensucht, in gewalttätigen Videospielen und all diesen Dingen versinkt, dann kann nichts Positives dabei herauskommen. Also werden wir versuchen, daß die jungen Leute auch über die Verdienste Shakespeares, der Musik, insbesondere natürlich Beethovens, aber auch Schillers und anderer großer Ideen diskutieren.

    Deshalb halte ich das letzte Panel [der anstehenden Konferenz] für sehr wichtig, denn es wird Ihnen die Art von moralischer Einstellung vermitteln, die nur aus der Wahrheit, der Schönheit und dem Guten entstehen kann. Und das war immer die Grundlage für große Epochen in der Geschichte, denn man muß zumindest wissen, was die Einheit des Guten, des Schönen und des Wahrhaftigen ist, denn das ist der Schlüssel zu allen anderen Bereichen.“