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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Die wahre Bedeutung der Karibik für den Auf- und Umbau der modernen Weltwirtschaft

Von Kirk Meighoo

Dr. Kirk Meighoo, Volkswirt, Radiomoderator und ehemaliger Senator von Trinidad und Tobago, hielt bei der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 27. Juni 2020 den folgenden Vortrag.

Hallo, mein Name ist Dr. Kirk Meighoo, ich bin Volkswirt, Rundfunkmoderator und ehemaliger Senator von Trinidad und Tobago in der Karibik. Es ist mir eine große Freude, Teil dieser Konferenz mit dem Schiller-Institut zu sein, und ich danke den Organisatoren für die Einladung.

Ich bin seit einigen Jahren mit der LaRouche-Bewegung und dem Schiller-Institut bekannt. Es gibt so vieles, die wir gemeinsam haben, und es gibt eine Menge Projekte, bei denen ich möchte, daß wir zusammenarbeiten, und dies ist sicherlich eines davon.

Ich bin auch Mitglied der offiziellen Oppositionspartei. In diesem Jahr stehen Wahlen an, und wir hoffen, die Regierung zu übernehmen. Das Programm, das Manifest unserer Partei – das noch aus der Zeit vor der COVID-19-Krise stammt – sieht die Schaffung von 50.000 neuen Arbeitsplätzen in der Wirtschaft vor. Auf unserer kleinen Insel leben 1,3 Millionen Menschen, die Zahl der Arbeitskräfte beträgt etwa 650.000. 50.000 wäre also eine große Zahl. Doch mit dem COVID-19-Lockdown und dem, was dies unseren Volkswirtschaften und der gesamten Weltwirtschaft angetan hat, müssen wir diese Zahl erhöhen, mindestens auf 150.000, und durch die Kombination mit dem Programm der LaRouche-Bewegung für 1,5 Milliarden produktive Arbeitsplätze weltweit gibt es eine unglaubliche Synergie, die wir nutzen müssen.

Etwas, was mir für uns kleine Staaten in der Karibik immer Sorgen bereitet (wir sind mit über einer Million Einwohnern noch eine der größeren Inseln, wie Jamaika mit etwas mehr als zwei Millionen, viele andere Inseln sind viel, viel kleiner): Es gibt eine Tendenz, daß wir bei solchen Programmen übersehen werden, und das ist einer der Gründe für unseren Mangel an Entwicklung hier. Aber es ist nicht nur eine Frage der mangelnden Entwicklung, es geht auch um die Art von Entwicklung, die wir hier erleben.

Ich gehöre zu einer Tradition von Intellektuellen, die hier in den 1960er Jahren kurz nach unserer formellen Unabhängigkeit entstand und sich „Gruppe Neue Welt“ nennt. Die Überschneidungen mit der LaRouche-Bewegung in Bezug auf unsere Analyse, unsere Ziele und Lösungen sind einfach unglaublich. Ich fand das immer sehr erstaunlich, und es ist nur ein Beispiel mehr dafür, daß es nur eine Wahrheit gibt und daß wir alle von unseren sehr unterschiedlichen Zeiten, Räumen und Umständen aus zu derselben Wahrheit gelangen können – dies ist sicherlich einer dieser Fälle.

Der entscheidende Punkt zur Karibik ist: Wenn ich davon spreche, die Karibik in das globale Programm des Schiller-Instituts und der LaRouche-Bewegung einzubeziehen, ist das nicht nur eine Frage der Wohltätigkeit. Denn was die LaRouche-Bewegung vorschlägt, ist ein Ende des transatlantischen Systems – das, was man traditionell „Imperialismus“ nennen könnte, das imperiale System, das Post-Kolumbus-System, wenn man es so nennen will –, und genau das fordern wir selbst seit Jahrzehnten.

Denn sehen Sie, die Karibik hat einen besonderen Platz in diesem 500jährigen modernen Weltwirtschaftssystem, den wir verstehen müssen, weil unsere Beteiligung daran zentral war. Die Karibik war der Ausgangspunkt der modernen Welt: sie ist der Ort, wo Kolumbus eintraf; sie ist der Ort, an dem die erste weltweite Produktion von Zucker, Rum, Alkohol usw. in die industrielle Revolution einfloß, wodurch New York, Boston und die Ostküste der Vereinigten Staaten reich wurden. Die Organisation dieser riesigen Plantagen in der Karibik war ein Vorläufer des industriellen Kapitalismus in Europa, und unsere großen Intellektuellen sprachen darüber, wie Dr. Eric Williams, unser erster Premierminister, in seinem bahnbrechenden Buch von 1944, Capitalism and Slavery („Kapitalismus und Sklaverei“).

Wir haben also eine lange eigene Erfahrung, wenn wir die Zustände analysieren. Denn die Karibik verkörpert die dunkle Seite dieser Modernität. Natürlich hat die Moderne auch viel Gutes in die Welt gebracht. Aber in der Karibik ist diese Art von Wirtschaft jetzt, sagen wir, seit den 1980er und 90er Jahren, zum neoliberalen System geworden, doch das fängt in Wirklichkeit schon mit dem System der Sklaverei in der Karibik an. Denn überlegen wir: Diese Volkswirtschaften gründeten auf Sklavenarbeit, d.h. auf importierter Landarbeit zu billigen oder gar keinen Kosten. Das hat die lokale Wirtschaft schrumpfen lassen. Wir haben hier nichts für uns selbst geschaffen. Alles drehte sich um die Zuckerproduktion; manchmal bauten einige auch andere Pflanzen an. Aber was auch immer die frühen englischen Kolonisten hier für ihre eigene Entwicklung brauchten – Tabak, Nutzpflanzen usw., eigene Siedlungen, Kolonien im wahrsten Sinne des Wortes, die man irgendwo anlegt: Sie sind Teil des imperialen Systems, in dem die Karibik eine zentrale Rolle spielte, bei der globalen Zuckerproduktion, im Dreieckshandel, in dem wir eine zentrale Rolle spielten. Genau das ist es, was jetzt in der übrigen Welt vor sich geht. Denn als das alles hier aufgebaut wurde, mußten die unabhängigen Bauern verdrängt werden. Alle unabhängigen Landbesitzer wurden aufgekauft, damit die großen Zuckerinteressen das ganze Land besitzen und die gesamte Produktion kontrollieren konnten, in einem globalen System des Rohstoffexports, in dem die Wertschöpfung anderswo stattfindet und die gesamte Produktionskette aufgebrochen wird.

Was bedeutete das? Das bedeutete, daß hier nicht produziert wird. Und was bedeutete das? Das bedeutete, daß wir mit der Metropole, aber nicht mit uns selbst verbunden waren. So ist es zum Beispiel für uns in Trinidad einfacher und billiger, nach New York zu fliegen, als auf eine Nachbarinsel wie Curaçao oder sogar Antigua oder St. Kitts. Unsere Kommunikation und Infrastruktur führte immer in die Metropole. Es gab keine Binnenwirtschaft mit Produktion: Wir stellten keine eigene Kleidung her, wir erzeugten keine eigenen Lebensmittel, wir produzierten keine eigenen grundlegenden, lebensnotwendigen Waren und Dienstleistungen. Alles wurde importiert. Wir waren eine reine Import-Exportwirtschaft, und das sind wir immer noch, sei es im Tourismus, im Offshore-Banking oder bei Öl und Gas, so wie es in Trinidad und Tobago gang und gebe ist.

Wir kämpfen also seit sehr langer Zeit mit diesem Problem. Wir haben einen großartigen Einblick in dieses Thema, den wir der Welt bieten können. Man sieht, daß derselbe Prozeß auf der ganzen Welt in anderen Ländern stattfindet. Offenbar wurde dieses frühe Modell, das in der Karibik vorexerziert wurde und das eine enorme Ungleichheit, ein enormes Elend und eine enorme Unterentwicklung hervorgebracht hat, auf jedes Land der Welt projiziert, so wie das transatlantische System auf jedes Land der Welt projiziert wurde.

Die Lösung der Probleme hier wird uns helfen, die Probleme für den Rest der Welt zu lösen. Hier hat alles begonnen. Aufgrund unserer Größe stellen sich uns einige Herausforderungen, aber es gibt auch Chancen. Unsere kleinen Gesellschaften in der Karibik sind wie die kleinen Stadtstaaten des antiken Griechenlands, in denen Platon und Aristoteles und die großen Philosophen wirkten. Oder wie in den florentinischen Stadtstaaten: Dort lebten maximal 40.000 Menschen. Wir leben in Gesellschaften mit menschlichen Ausmaßen, wohingegen die riesigen Megastädte, die Teil des gesamten transatlantischen Systems sind, hauptsächlich Finanzzentren mit ihren riesigen, globalen, gesichtslosen Konzernen, eine unmenschliche Umwelt sind. Und ich denke, es ist kein Zufall, daß ein großer Teil der Gewalt, die wir auf der Welt sehen, in diesen großen Städten geschieht, wo so viel Gesetzlosigkeit, so viel Entfremdung und Mangel an Menschlichkeit herrscht. In den sehr viel persönlicheren Gesellschaften, die wir hier in der Karibik haben, ist eine erstaunliche Kreativität entstanden, unsere winzigen Inseln haben so erstaunliche Denker wie V.S. Naipaul, Sir Arthur Lewis, Derek Walcott und C.L.R. James hervorgebracht.

Dies ist also ein Plädoyer, eine Mahnung, darüber nachzudenken, wie wir diese abgelegenen Gebiete, die wie Ausreißer aus dem Weltsystem erscheinen, die aber für die Entwicklung des modernen Weltsystems wesentlich waren, mitnehmen können. Und ich wage zu behaupten, daß wir eine wesentliche Rolle dabei spielen können, dieses Weltsystem zu einem humaneren, globalen System umzugestalten.

Ich möchte Ihnen für die Gelegenheit danken, hier sprechen zu dürfen. Ich freue mich auf Fragen und darauf, mit Ihnen in Verbindung zu bleiben und künftig zusammenarbeiten zu können.

Herzlichen Dank.