Schiller-Institut und eCampus stellen den „Odysseus-Korridor“ vor
Von Claudio Celani
„Odysseus-Korridor“ ist der faszinierende Name, den Prof. Enzo Siviero
einem Infrastruktur-Großprojekt gegeben hat, das in der geographischen Region
verwirklicht werden soll, die Homers Held in der Odyssee bereist hat.
Hauptpfeiler des Projekts ist eine Verbindung zwischen Italien und Albanien
und weiter nach Griechenland (kurz GRALBeIT), die mit Hilfe einer Kombination
von Brücken und Tunneln hergestellt werden soll. Siviero, der an der
Universität Venedig Brückenbau gelehrt hat und jetzt Rektor der
eCampus-Universität ist, hat sein Projekt auf der internationalen Konferenz
des Schiller-Instituts in Bad Soden beschrieben und am 9. Dezember bei einer
öffentlichen Veranstaltung in Tirana in Albanien, bei der auch der Verfasser
kurz sprach, vorgestellt.
Die Veranstaltung mit dem Titel „Italien und Albanien: ein Tor zum Balkan“
wurde gemeinsam von Sivieros eCampus-Universität und dem albanischen
Ministerium für die Diaspora unter Pandeli Majko organisiert. Diese
Kombination kommt nicht von ungefähr: Majko hatte – woran er in einer
Begrüßungsrede auf der Konferenz erinnerte – 2005 als Verteidigungsminister
mit seinem italienischen Amtskollegen vereinbart, eine erste
Machbarkeitsstudie für eine Brücke zu initiieren, die Albanien und Italien
verbinden sollte: „Damals haben alle darüber gelacht, weil sie dachten, ich
sei verrückt. Aber heute erscheint die Idee nicht mehr so verrückt.“
Sivieros Odysseus-Korridor umfaßt auch Eisenbahnverbindungen, die auf der
einen Seite über den Korridor 8 durch Albanien, Nordmazedonien nach Bulgarien
sowie nach Griechenland zum Hafen von Piräus führen, und auf der anderen Seite
Süditalien und die Straße von Messina durchqueren, um die Westküste Siziliens
zu erreichen, von wo aus eine weitere ehrgeizige Infrastruktur Italien mit
Tunesien verbinden soll (TUNeIT). So ist der Odysseus-Korridor in der Sicht
Sivieros Teil einer globalen Landbrücke, die von Kapstadt nach Peking
führt.
Die anspruchsvollsten Teile des Korridors sind natürlich die beiden
Meeresverbindungen TUNeIT und GRALBeIT. Während erstere 150 km lang und
relativ flach ist, ist letztere „nur“ 85 km lang, überquert aber eine maximale
Tiefe von 895 m. Italiens nationales Forschungszentrum ENEA hat bereits einen
Plan für TUNeIT als Unterwassertunnel zur Durchquerung der Straße von Sizilien
entworfen, der aus fünf Abschnitten besteht, die durch vier künstliche Inseln
verbunden sind, die mit dem Aushubmaterial gebaut werden. Siviero spricht sich
jedoch (auch aus psychologischen Gründen) für eine Brückenverbindung oder eine
Tunnel-Brücken-Kombination aus, die in Modulen gebaut werden könnte, wobei das
Projekt für die Messinabrücke als Modul verwendet wird.
GRALBeIT ist aufgrund der Meerestiefe (Straße von Otranto am südlichen Ende
des Adriatischen Meeres) technisch anspruchsvoller. „Aber im Jahr des Leonardo
sollten wir ihn ehren, indem wir seinem Beispiel folgen und das Undenkbare
denken“, so Siviero.
Nach Sivieros Vortrag setzte sich die Konferenz mit Vorträgen von
Vertretern italienischer und albanischer Institutionen fort, darunter der
ehemalige Finanzminister und Prorektor des Tirana eCampus Prof. Arben Malaj.
Er sprach das Thema der Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI) an, die seiner
Meinung nach sowohl Chancen als auch Risiken bietet. Malaj brachte das
Anliegen zum Ausdruck, daß die BRI durch internationalen Konsens und nicht
durch aufgezwungene Entscheidungen unterstützt werden sollte.
Während der Odysseus-Korridor organisiert wird, könnte die
Eisenbahnverbindung des Korridors 8 Vlora-Varna, der das Schwarze Meer und die
Adria verbindet und den Nord-Süd-Korridor von Hamburg durch Osteuropa und die
Balkanländer nach Athen und weiter zum Orient und zum östlichen Mittelmeer
kreuzt, mit geringem finanziellen Aufwand fertiggestellt werden, sagte
Dipl.-Ing. Kujtim Hashorva, Leiter der Direktion für Straßenverkehrspolitik im
albanischen Verkehrsministerium und ehemaliger Vorsitzender der
Beobachtungsstelle für den Verkehr in Südosteuropa der EU.
Die Eisenbahnverbindung entlang des Korridors 8 (der alten Via Egnatia) ist
fast fertiggestellt, mit Ausnahme von zwei kurzen Abschnitten in
Nordmazedonien an den Grenzen zu Bulgarien und Albanien. Dieser Abschnitt kann
mit einer Investition von einer Milliarde Euro in kurzer Zeit zu einer
kommerziellen Strecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h ausgebaut
werden. Eine solche Strecke würde eine Lücke füllen, die es ermöglicht, Güter
in kürzerer Zeit und in kleineren Dimensionen als auf Schiffen zu
transportieren, was auch die Ausweitung des lokalen Handels ermöglicht.
Der EIR-Redakteur Claudio Celani, der zusammen mit Feride Gillesberg
als Vertreter des internationalen Schiller-Instituts eingeladen war, wurde
gebeten, die Konferenz mit einem kurzen Vortrag über das Schiller-Institut und
dessen Bad Sodener Konferenz abzuschließen. Ausgehend von Prof. Malajs Bezug
auf die BRI unterstützte Celani dessen Vorschlag, einen globalen Konsens zu
schaffen, dafür setze sich das Schiller-Institut ein. Die derzeitige Skepsis
und Opposition gegenüber der BRI in Europa sei jedoch vor allem auf mangelnde
Kenntnisse sowohl der BRI als auch der chinesischen Mentalität zurückzuführen.
Celani beschrieb die von Helga und Lyndon LaRouche 1989 gestartete Kampagne
zum Aufbau von Entwicklungskorridoren zur Integration West- und Osteuropas,
woraus die Konzepte der Eurasischen Landbrücke, der Neuen Seidenstraße und der
Weltlandbrücke entstanden. Wenn man China einmal beiseite läßt und an die
beiden europäischen Korridore von Süditalien nach Berlin und von Athen nach
Hamburg denkt, stehe der Odysseus-Korridor in einem Kontext, in dem eine
Infrastruktur wie GRALBeIT nicht mehr utopisch oder nur eine lokale Verbindung
ist, sondern regionale und globale strategische Bedeutung erhält. Dies spiegle
den globalen Konsens bzw. das Interesse wider, dies im Rahmen der BRI
vorzuschlagen. Celani kündigte an, daß das Schiller-Institut 2020 in Tirana
eine internationale Konferenz zu diesem Thema veranstalten will. Feride
Gillesberg wurde von der bekannten Journalistin Suzana Zyrakja, die an der
Konferenz teilgenommen hatte, für die populäre Sendung „Dite e mbare“ auf dem
nationalen albanischen Fernsehsender RTSH interviewt.
Im Anschluß an die Konferenz führte die Delegation des Schiller-Instituts
weitere Gespräche mit Vertretern albanischer Institutionen und der
Zivilgesellschaft. Albanien stehe an einem Scheideweg, sagte der Vertreter
einer prominenten Denkfabrik. Seit Jahren unterwirft sich das Land harten
Sparauflagen, in der Hoffnung, daß die Europäische Union ihr Versprechen
einlöst, einen Aufnahmeprozeß für Albanien zu starten. Diese Hoffnungen wurden
im Oktober zunichte gemacht, als Frankreich sein Veto gegen die Verhandlungen
einlegte. Nun wird der Druck für einen „Plan B“ oder C immer stärker, was in
der Praxis bedeutet, die EU zu vergessen und auf China und/oder Rußland zu
schauen.
Die Zusammenarbeit mit China und Rußland bedeutet jedoch nicht den Bruch
mit dem EU-Mitglied Italien, dessen Beziehungen zu Albanien geographisch,
wirtschaftlich und historisch sehr eng sind. Albanische Gemeinschaften in
Italien (arbëreshë) existieren seit dem 15. Jahrhundert, als viele Albaner vor
der osmanischen Invasion flüchteten. Seit dem Sturz des kommunistischen
Regimes 1991 sind mehr als eine halbe Million Albaner ausgewandert und haben
sich in Italien niedergelassen, viele von ihnen haben die italienische
Staatsbürgerschaft angenommen. (Dies war Teil einer riesigen
Auswanderungswelle, durch die eine europäische Diaspora entstand, die genauso
groß ist wie die verbleibende Bevölkerung von 2,8 Millionen in Albanien.)
Als am 26. November ein schweres Erdbeben die Küstenregion um Durres
erschütterte, schickte Italien lebenswichtige Hilfe, allem voran Hunderte
Katastrophenschutz-Spezialisten, mit Ausrüstung, Zelten und Rettungshunden,
die innerhalb weniger Stunden vor Ort waren und halfen, Menschen lebend aus
den Trümmern zu bergen und die Obdachlosen zu versorgen. Die italienische
Regierung hat Wiederaufbauhilfe und Unterstützung für eine internationale
Geberkonferenz zugesagt.
Damit sind wir beim kritischen Punkt angelangt: Albanien ist ein armes
Land, dessen Entwicklungspotential durch die selbstauferlegte Austerität
gelähmt wurde. Selbst bei der Erdbebenhilfe muß die Regierung darauf achten,
daß die bereitgestellten Gelder – bisher ca. 50 Mio. von 1 Mrd. Euro, die
gebraucht werden – keine Neuverschuldung erzeugen!
Aber Italien ist durch die gleiche Politik gelähmt, sie verhindert bisher,
daß der Süden (Mezzogiorno) entlang der TEN-V-Korridore infrastrukturell
erschlossen wird. Dazu gehört der Ausbau der Eisenbahnverbindungen südlich von
Salerno, das sizilianische Bahnnetz, die Messina-Brücke, Häfen – ganz zu
schweigen von den TUNeIT- und GRALBeIT-Verbindungen. Und doch verfügt Italien
als Industrienation – es hat in Europa nach Deutschland die zweitgrößte
produzierende Wirtschaft – über ein großes Kapital und produktives
Kreditpotential zur Finanzierung dieser Infrastruktur.
Somit haben Italien und Albanien (wie auch Griechenland, Nordmazedonien
etc.) das gleiche dringende Interesse, einen Kurswechsel in der europäischen
Politik durchzusetzen, sowohl in der Haushaltspolitik als auch gegenüber
China. Die Alternative ist, sich entweder dem durch die BRI getriebenen
Aufschwung anzuschließen oder einen unausweichlichen Niedergang zu
akzeptieren.
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