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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

„Rußland hält es für seine Pflicht, Hilfe zu leisten“

Von Dmitrij Poljanskij,
Erster Stellvertreter des Ständigen Vertreters Rußlands bei den Vereinten Nationen

Vielen Dank, sehr geehrte Kollegen, vielen Dank, Frau LaRouche, für Ihren interessanten Vortrag, da sind viele Dinge zu verarbeiten, und ich bin mir sicher, daß wir das tun werden. Ich bin, wie Sie wissen, Diplomat, und als Diplomat drückt man sich etwas anders aus. Ich kann also Ihrem Vortrag einige Bemerkungen aus einer politischen und diplomatischen Perspektive hinzufügen.

Es ist absolut klar, daß COVID-19 sehr ernste Probleme geschaffen hat; vor allem geht es um die Rettung von Menschenleben, die Gewährleistung unserer gemeinsamen Sicherheit, der biomedizinischen Sicherheit, und die Erhaltung der menschlichen Umwelt, die angenehm sein und keine Gefahr für Leben und Gesundheit darstellen sollte.

Es ist absolut klar geworden, daß kein einziger Staat, egal wie mächtig und wohlhabend, über alle Instrumente zur Bekämpfung der Pandemie verfügt. Um die Epidemie einzudämmen, mußte jeder drastische Maßnahmen ergreifen, die für die Volkswirtschaft schädlich sein können. Wir kennen das ganze Ausmaß der Konsequenzen noch nicht, mit denen die meisten Länder der Welt konfrontiert sind, das muß noch ermittelt werden. Auch ein halbes Jahr, nachdem wir zuerst vom Coronavirus gehört haben, verfügt bisher noch niemand über einen Impfstoff und wirksame Vorschläge für Behandlung.

Keine Zeit für Vorwürfe

Wir können absolut gewinnen, aber dies ist nicht die Zeit für Vorwürfe und Stigmatisierungen, es ist eine Zeit für Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung. Es ist auch nicht die Zeit für einen Wettstreit – wer hat was getan und wer war erfolgreicher als andere. Dies ist kein Schönheitswettbewerb. Es ist wirklich eine Zeit, zu helfen, Erfahrungen auszutauschen und einander zuzuhören und Wege zur Zusammenarbeit zu finden, um sich dieser in der neueren Zeit beispiellosen Herausforderung für die ganze Menschheit zu stellen.

Rußland ist bereit, sich dieser Herausforderung gemeinsam mit unseren Partnern zu stellen. Deshalb halten wir es, während wir alle notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus auf nationaler Ebene ergreifen, auch für unsere Pflicht, den anderen, unseren Partnern Hilfe zu leisten. Deshalb haben wir schon in einem sehr frühen Stadium der Ausbreitung des Coronavirus, Anfang Februar, China, das damals sehr stark betroffen war, persönliche Schutzausrüstungen und medizinisches Material gespendet. Mehrmals wurden Teams russischer Ärzte und Virologen nach Italien und Serbien entsandt, die sich zu der Zeit in einem fortgeschritteneren Stadium der Pandemie befanden.

Jetzt kämpft unser Land selbst mit aller Kraft gegen die Pandemie. Deshalb begrüßen wir auch jede Hilfe, die meinem Land geleistet werden kann, und wir arbeiten in dieser Hinsicht mit vielen Ländern zusammen – mit China, mit den europäischen Ländern, mit den Vereinigten Staaten.

Wie Sie wissen, haben wir Anfang April eine Flugzeugladung mit humanitärer Fracht nach New York geliefert, und wir sagten, daß dies ganz ohne Hintergedanken getan haben und daß wir selbst später jede Hilfe annehmen würden, wenn wir sie für notwendig halten, was, wie wir schon damals wußten, unvermeidlich eintreten mußte. So wird Kooperation organisiert. Noch einmal, das ist kein Schönheitswettbewerb, es ist keine Situation, in der einer sagt, wir hatten Erfolg und andere sind durch die Prüfung gefallen. Das ist der falsche Zeitpunkt dafür. Es ist eine Zeit, in der man die Bereitschaft zeigt, Unterstützung zu bieten und einander helfend die Hand zu reichen. So sollten sich alle verantwortlichen globalen Akteure verhalten.

Sobald sich die Lage in China zu stabilisieren begann, leistete China der ganzen Welt Hilfe, auch Rußland, und wir begrüßen diese Hilfe sehr. Wir halten das für normal. Kürzlich wandten sich einige afrikanische Staaten an Rußland und baten um Hilfe bei der Bekämpfung der Pandemie. Wir erwägen diese Bitten in Moskau, und ich bin mir absolut sicher, daß wir ihnen zu Hilfe kommen werden, sobald wir einen größeren Durchbruch bei unserem eigenen Kampf gegen die Pandemie erreicht haben. Das ist es, was wir derzeit tun. Es ist auch sehr wichtig zu betonen, daß wir der Überzeugung sind, daß die Antwort auf diese globale Bedrohung auch global sein sollte. Es wäre ein Fehler, die Dinge zu fragmentieren und auf die nationalen Grenzen zu beschränken.

Wichtige Rolle der Vereinten Nationen und der WHO

Wir sind auch fest davon überzeugt, daß die Vereinten Nationen hier eine zentrale Rolle spielen müssen. Es ist wichtig, daß wir alle die WHO als wichtigste spezialisierte UN-Behörde unterstützen und ihr helfen, globale Maßnahmen zu koordinieren, und auf ihre Empfehlungen hören. Die WHO ist in diesen letzten Monaten das Zentrum aller Informationen über die Pandemie geworden. Ich glaube, daß jeder, der die Chronologie ihrer Handlungen, Erklärungen und konkreten Entscheidungen studiert, überzeugt sein wird, daß die WHO effizient war. Darüber hinaus spiegelt sich die Tatsache, daß die WHO bei der Bekämpfung der Pandemie eine wichtige Rolle gespielt hat und weiterhin spielt, in der kürzlich verabschiedeten Konsensresolution der UN-Generalversammlung und in der Abschlußerklärung des G20-Sondergipfels wider. Man sollte auch nicht das Dokument der Gruppe der 77 und Chinas vergessen, in dem die koordinierende Rolle der Weltgesundheitsorganisation bei den weltweiten Bemühungen betont wird. Wir müssen sicherstellen, daß über diese Organisation universelle medizinische Versorgung gewährleistet ist. Noch einmal, dies ist eine Zeit, zusammenzustehen, und nicht, andere zu beschuldigen oder ein Land zu stigmatisieren, weil es etwas getan hat oder nicht getan hat. Wir sollten wirklich die WHO unterstützen, wir sollten sie jetzt zu einem Grundpfeiler unserer Bemühungen zur Bekämpfung des Virus machen, jetzt und vielleicht auch zu einem späteren Zeitpunkt, da es viele Vorhersagen darüber gibt, daß diese Pandemie schon bald weitere Folgen haben wird.

Es ist offensichtlich, daß die Ausbreitung des Coronavirus sehr schlimme Auswirkungen auf die Wirtschaft hat. Wie ich schon sagte, ist es sehr schwierig, den Schaden und die Konsequenzen für die Entwicklung der Weltwirtschaft und für die Wirtschaft bestimmter Länder nach der Pandemie einzuschätzen. Natürlich wirkt sich die Pandemie auch sehr schädlich auf Unternehmen, Handel und Investitionen sowie Wechselkurse aus. Wir stecken immer noch mitten drin, deshalb können wir noch nicht wirklich anfangen, die Schäden zu beseitigen und funktionierende Lösungen zu finden.

Man sieht auch, daß das, was geschieht, die Nachfrage nach verschiedenen Produkten so gesteigert hat, daß einige Länder sie nicht mehr erfüllen können. Es ist also auch ein Zeitpunkt für Koordination. Wir glauben, daß die G20 diese Rolle spielen sollte, sie sollte am Steuer sitzen bei der Ausarbeitung einer Wirtschaftsagenda, um uns allen zu helfen, einen gemeinsamen Rahmen für gegenseitige wirtschaftliche Antworten zu schaffen, um nach diesen durch die Pandemie verursachten schweren Schocks die Weltwirtschaft neu aufzuladen.

Es ist auch, ich wiederhole es, eine Zeit für eine tiefe und offene Solidarität, unabhängig von politischen Agenden und Präferenzen. Wir müssen vor allem den Entwicklungsländern unsere Aufmerksamkeit widmen, die vor enormen Herausforderungen stehen und die vor allen anderen unterstützt werden sollten.

Die Rolle der Medien

Ich möchte noch ein weiteres Thema ansprechen, das zu berücksichtigen ist. Es ist auch wichtig, daß die Medien und sozialen Netzwerke sich verantwortlich verhalten. Denn wir sprechen vor allem über die Wirkung des Coronavirus auf das Gesundheitssystem und auf die Wirtschaft. Aber es ist sehr schwierig, den Schaden einzuschätzen, der dem Geist, den Wahrnehmungen der Mediennutzer zugefügt wird – denen, die sich jetzt in Selbstquarantäne befinden. Sie hungern wirklich nach allen Informationen, die für sie erreichbar sind. Deshalb ist es in dieser Zeit besonders wichtig, daß die Massenmedien Zurückhaltung üben und eine verantwortliche Haltung einnehmen, daß sie keine fake news und nicht verifizierte Informationen verbreiten. Die Konsequenzen davon können wirklich tiefgreifend sein. Wir messen dem große Bedeutung bei, und wir versuchen in Rußland, auf nationaler Ebene alle diese fake news zu bekämpfen, die da verbreitet werden. Wir versuchen, dem Informationen entgegenzusetzen, die sich wirklich als gut und zuverlässig für die Öffentlichkeit erwiesen haben.

Es ist auch sehr wichtig, zu bewerten – und das ist vielleicht eine Frage für Philosophen: Wie wird sich das auf das menschliche Verhalten auswirken? Werden wir wieder Hände schütteln? Werden wir uns umarmen, wenn das Coronavirus vorüber ist? Oder werden Menschen psychologisch versuchen, engeren Kontakt zu vermeiden? Werden sie auch nach dem Ende des Virus weiter soziale Distanz wahren? Denn das könnte das Verhalten der Menschheit verändern, und das könnte auch sehr schwerwiegende, ernste Auswirkungen auf konkrete Einzelpersonen haben, die vielleicht verletzlicher sind und von der Gesellschaft umarmt werden wollen, und auf die Sozialisierung. Wir müssen darüber nachdenken und dürfen in dieser Hinsicht nicht in Extreme verfallen, nicht vom zivilisierten Verhalten der Menschheit abrücken.

Persönliche Kontakte sind notwendig

Und noch etwas: Wir sollten die Situation vermeiden, wo die ganze Welt nur noch online ist. Denn jetzt haben sich diese Online-Dienste natürlich als sehr nützlich erwiesen, und sie sind wirklich sehr gefragt. Das ist normal; das ist sehr gut, weil es eine Menge Ressourcen spart. Aber das sollte nicht den Kontakt von Mensch zu Mensch ersetzen. Ich kann Ihnen sagen, daß es in der Diplomatie viele Dinge gibt, die nur über persönliche Kontakte bewerkstelligt werden können. Es gibt eine Menge vertraulicher Gespräche, die man nicht online führen kann. Schon jetzt sind der aufrichtigen Kommunikation und Diskussion von Themen viele Grenzen gesetzt, weil wir uns bisher nicht persönlich treffen können und wir auf diese elektronischen Kommunikationsmittel angewiesen sind. Auch hier sollten wir nicht ins Extrem verfallen, denn es ist zwar sehr verlockend, einen Großteil unserer Aktivitäten online abzuwickeln und viele Treffen zu organisieren, ohne einander physisch anzuschauen und die Emotionen des anderen zu spüren. Das ist sehr praktisch, aber es ist auch sehr falsch. Ich denke, wir müssen uns auch dieser Falle bewußt sein, die die Welt nach der Pandemie erwarten kann.

Ich werde nicht noch länger sprechen. Für die Zeit, in der ich hier bin, werde ich bereitstehen, alle Fragen zu beantworten. Zum Schluß möchte ich noch sagen, daß in der chinesischen Sprache – China wurde hier bereits mehrmals erwähnt und wird sicher noch oft erwähnt werden – das Wort „Krise“ ein Zeichen enthält, das auch „Chance“ bedeutet. Das ist sehr weise: daß jede Krise auch eine Chance ist, nicht nur eine Herausforderung. Wir müssen also noch stärker aus dieser Krise hervorgehen, und wir müssen zusammenarbeiten und bestimmte Dinge vergessen, die uns aufgrund irgendeiner Emotion oder falsch interpretierter Information wichtig erschienen. Wir müssen auf das Ende sehen; wir müssen das Licht am Ende des Tunnels sehen. Wir müssen verstehen, daß nur Zusammenarbeit, Koordinierung und globale Reaktion das sind, was die Menschheit jetzt braucht. Es ist nicht die Zeit, sich zu streiten und zu zanken und mit dem Finger auf andere zu zeigen und sie zu beschuldigen. Es ist eine Zeit, um zu helfen, eine Zeit, mitfühlend zu sein, eine Zeit, großzügig zu sein. Es ist die Zeit, einander wirklich zuzuhören und der Welt, die diese Lösungen dringend braucht, gemeinsame, praktikable Lösungen vorzuschlagen.

Vielen Dank, und ich wünsche Ihrer Konferenz einen großen Erfolg. Ich danke Ihnen.


(Der Vortrag wurde aus dem englischen Original übersetzt, die Zwischenüberschriften von der Redaktion hinzugefügt.)