Die Beziehung zwischen Politik und Wissenschaft
Von Sergej Pulinez
Sergej Pulinez ist Forschungsleiter des Weltraumforschungsinstituts
der Russischen Akademie der Wissenschaften. Bei der Internetkonferenz des
Schiller-Instituts hielt er am 5. September den folgenden Vortrag.
Meine Damen und Herren!
Es ist eine große Ehre für mich, an einem so repräsentativen Forum teilzunehmen,
in dem wir über das Schicksal unserer Zivilisation diskutieren, welche gegenwärtig
realen Gefahren ausgesetzt ist, die zur Zerstörung der menschlichen Zivilisation als
solcher führen könnten.
Als Raumfahrtwissenschaftler möchte ich mit den kosmischen Faktoren beginnen, die
unseren Planeten beeinflussen. Besondere Aufmerksamkeit sollte unserem leuchtenden
Himmelskörper geschenkt werden, dessen Verhalten viele Wissenschaftler verblüfft
hat. Seine Aktivität während des letzten Sonnenzyklus erwies sich als unerwartet
gering; tatsächlich konnten wir den schwächsten Sonnenaktivitätszyklus seit Beginn
der instrumentellen Sonnenbeobachtung beobachten. Wenn es im Maximum der
vorhergehenden Zyklen 150-200 Sonnenflecken gab, welche die Aktivität der Sonne
charakterisieren, dann hat im aktuellen 24. Zyklus die Zahl der Sonnenflecken im
Maximum kaum 95 überschritten.
Gewöhnlich sind lange Perioden verminderter Sonnenaktivität mit einer Abkühlung
auf unserem Planeten verbunden, wie es während des Maunder-Minimums der Fall war,
das von etwa 1645 bis 1715 dauerte. Seit November 2019, als nach einer langen Pause
wieder die ersten Flecken auf der Sonne erschienen, hat ein neuer, 25. Zyklus
begonnen, und das Jahr 2020 wird zeigen, wie sich die Situation weiter entwickelt.
Wird sich die Sonne wieder normalisieren, oder müssen wir trotz aller Prognosen und
der tatsächlich beobachteten globalen Erwärmung eine Abkühlung abwarten?
Wir beobachten zwar eine allmähliche Zunahme der solaren und geomagnetischen
Aktivität, aber die Sonne versetzt uns weiterhin in Erstaunen. Wir befinden uns
schon seit drei Wochen, seit dem 17. August, in einem kontinuierlichen magnetischen
Sturm. Er ist zwar klein, aber von solcher Dauer habe ich ihn in meiner ganzen recht
langen wissenschaftlichen Karriere noch nie gesehen.
Deshalb müssen wir die Aktivitäten in der Sonnenforschung verstärken. In diesem
Zusammenhang begrüße ich die Initiative der NASA, ein neues Sonnenforschungsprojekt
namens HelioSwarm zu beginnen.
Ich weiß, daß es große Begeisterung gibt für die Astrophysik, für Probleme der
Entstehung des Universums, für interplanetare Flüge, die Erforschung des Mondes und
der Planeten des Sonnensystems, aber es scheint mir, daß man sich bei der Planung
der Weltraumforschung auch besonders um unseren eigenen Planeten kümmern sollte,
denn momentan geht es buchstäblich um das Überleben der Menschheit. Ich möchte die
wichtigsten Bereiche hervorheben.
1. Stationierung von Waffen im Weltraum
In jüngster Zeit gibt es eine gefährliche Tendenz, daß Länder Vereinbarungen über
die friedliche Nutzung des Weltraums ignorieren und damit beginnen,
Weltraumkommandos, Weltraumwaffen und -systeme zum Einsatz zu bringen. Dadurch wird
die Schwelle zu einem neuen Weltkrieg, der mit den verfügbaren Technologien sehr
schnell mit der Zerstörung unserer Zivilisation enden kann, entscheidend gesenkt.
Daher sollten nicht nur Politiker, sondern die gesamte Menschheit, einschließlich
der Teilnehmer dieses Forums, alle Anstrengungen unternehmen, um die Entwicklung
einer Situation zu verhindern, in der die Stationierung von Waffen im Weltraum
tatsächlich möglich würde.
2. Das Problem des Klimawandels und der Weltraumforschung
Wir beobachten eine ständig wachsende Zahl globaler Katastrophen, Brände und
Überschwemmungen, die sich ohne Unterbrechung abwechseln, und wir sehen, daß die
Menschheit mit diesem Problem nicht fertig wird. Und ein Teil dieses Problems ist
die Unfähigkeit der Wissenschaft, diese Phänomene zu erklären und vorherzusagen.
Trotz zunehmender Möglichkeiten der Fernerkundung bleibt der Mensch nur ein
Beobachter, zwar mit besten Instrumenten ausgestattet, doch das Paradigma der
modernen Wissenschaft, das auf einer engen Spezialisierung beruht, macht einige
Wissenschaftler zu Blinden, die den Elefanten aus ganz verschiedenen Blickwinkeln
wahrnehmen. Das Problem der Wechselwirkung zwischen Geosphären, über das die
Akademiker Wernadskij und Lawerow sprachen, bleibt ein Randphänomen, fernab der
Mainstream-Forschung. Wenn diese Situation anhält, werden wir nach der nächsten
Verheerung wieder mit den Achseln zucken und passiv das Abschmelzen von Eisbedeckung
und des Permafrostes beobachten.
3. Das Problem der Erdbebenvorhersage
Ich möchte gesondert auf ein Problem eingehen, das mich persönlich beschäftigt.
Es geht um das Problem der Erdbebenvorhersage. Wir haben eine Technologie
entwickelt, die eine kurzfristige Vorhersage (innerhalb mehrerer Tage) von
zerstörerischen Erdbeben ermöglicht. Ein physikalisches Modell der Bildung von
Vorboten wurde entwickelt, es sind eine Reihe von Einzeldarstellungen und Hunderte
von Artikeln erschienen, es wurden Vorträge auf allen möglichen internationalen
Konferenzen auf höchstem Niveau gehalten, es wurden Patente in den USA und in
Rußland erteilt, es wurden Verhandlungen mit dem Notstandsministerium in Rußland,
der FEMA in den USA und in Japan geführt. Die Ergebnisse wurden anhand von Daten
verschiedener Raumsonden im globalen Maßstab praktisch demonstriert. Aber es
scheint, daß die Lösung dieses Problems für die Machthaber nicht von Vorteil ist.
Alle unsere Bemühungen versickern im Sand, und immer wieder sterben Menschen,
stürzen Gebäude ein, und dann beginnen die Rettungskräfte, die Opfer heldenhaft
unter den Trümmern hervorzuziehen. In diesem Fall können wir sagen, daß dies kein
Problem der Wissenschaft ist, sondern der Beziehung zwischen Wissenschaft und
Politik.
4. Grüne Energie
In letzter Zeit hat sich die Zahl von Phantomerscheinungen in der Welt
vervielfacht, worunter auch die sogenannte grüne Energie zu zählen ist. Uns werden
Bilder von sauberen Städten gezeigt, in denen Elektroautos fahren. Doch wenden wir
uns den Zahlen zu. Einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge
wird der globale CO2-Ausstoß nur um 1 Prozent reduziert, selbst wenn der
Anteil der Elektrofahrzeuge in der Welt um das 15-fache der heutigen Zahl wächst.
Andererseits sagte IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol, daß Elektrofahrzeuge im Jahr
2018 weltweit 40 Millionen Tonnen CO2 eingespart hätten, was einem
Rückgang der globalen Temperaturen um nur 0,000018 °C – etwas mehr als ein
Hunderttausendstel Grad Celsius – bis zum Ende des Jahrhunderts entspräche.
Aber reduziert der Einsatz von Elektrofahrzeugen tatsächlich CO2?
Überlegen wir einmal, woher der Strom kommt, um die Batterien von Elektrofahrzeugen
aufzuladen. Der Strom wird in Kraftwerken erzeugt, von denen die meisten thermisch
betrieben werden, d.h. sie verbrennen Erdölprodukte und erzeugen dabei eine enorme
Menge Kohlendioxid. Wenn wir in Betracht ziehen, daß die Effizienz der gesamten
Kette der Energiezufuhr zu einer Autobatterie viel geringer als eins ist, dann wird
bei der Erzeugung dieser Energie viel mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre
freigesetzt, als wenn dieses Auto einfach einen Verbrennungsmotor verwenden
würde.
Aber das ist noch nicht alles. Bei der Herstellung von Batterien werden Metalle
wie Lithium und Kobalt verwendet, die auf unserem Planeten nicht so reichlich
vorhanden sind und nur in einigen Ländern vorkommen. In Chile zum Beispiel
„verbraucht der Lithiumbergbau fast 65% der Wasserressourcen der Region Salar de
Atacama, einer der trockensten Wüstenregionen der Welt, um Sole aus gebohrten
Brunnen herauszupumpen“, stellten UN-Experten fest, denn für eine Tonne Lithium
werden eine Million Liter Wasser benötigt. Dies „trug zur Umweltzerstörung,
Landschaftszerstörung, Bodenverschmutzung, Erschöpfung und Verunreinigung des
Grundwassers bei“, heißt es in dem UN-Bericht.
Neben Lithium ist Kobalt eine weitere Schlüsselkomponente in Batterien für
Elektrofahrzeuge, und zwei Drittel des gesamten Kobalts werden in der Demokratischen
Republik Kongo (DRC) abgebaut, so die UNO. Das Kinderhilfswerk der Vereinten
Nationen (UNICEF) berichtet, daß etwa 20 Prozent des aus der Demokratischen Republik
Kongo gelieferten Kobalts aus Minen stammt, „in denen die Menschenrechte ständig
mißachtet werden und 40.000 Kinder unter extrem gefährlichen Bedingungen für magere
Löhne arbeiten“.
Aber das ist noch nicht alles. Sie alle wissen, daß die Batterien, die Sie in
Ihren Geräten verwenden, nicht mit dem normalen Abfall entsorgt werden dürfen,
sondern zum Recycling in speziellen Behältern gesammelt werden müssen. Das sind
Milliarden kleiner Batterien. Gleichzeitig schätzen UNCTAD-Experten, daß der Absatz
von Elektrofahrzeugen im nächsten Jahrzehnt auf 23 Millionen Einheiten ansteigen
wird, so daß der Batteriemarkt in nur vier Jahren um mehr als 700 Prozent auf 58
Mrd. Dollar im Jahr 2024 wachsen dürfte. Und Batterien halten nicht ewig.
Stellen Sie sich nun die Industrie für das Recycling dieser Batterien vor.
Wieviel Energie wird dafür benötigt? Und wieviel Kohlendioxid wird zur gleichen Zeit
freigesetzt?
Elektroautos sind also eine Fata Morgana für normale Menschen und Liebhaber
schöner Bilder. Wahrscheinlich sollten wir unsere Anstrengungen auf die Produktion
von Autos mit Wasserstoffantrieb richten, die zwar existieren, aber aus irgendeinem
Grund nicht im Massenmaßstab produziert werden.
Man kann mir sagen, daß nicht nur Elektroautos grüne Energie sind, es gibt auch
Windgeneratoren und Sonnenkollektoren. Ich werde hier nicht ins Detail gehen. Ich
will nur sagen, daß beide Energiequellen von äußeren Wetterbedingungen abhängen und
nicht vom Menschen kontrolliert werden. Niemand kann Ihnen garantieren, daß das
Wetter nicht über einen längeren Zeitraum ruhig ist oder daß ein Staubsturm die
Zellen der Solarpaneele nicht mit Sand bedeckt.
Wir brauchen eine zuverlässige Versorgung und nicht Krisensituationen wie in
Kalifornien, wo es in diesem Jahr zu Stromausfällen durch extreme Hitze und Brände
gekommen ist. Selbst mit so einfachen Dingen kommt das System nicht zurecht, daß
tagsüber ein Maximum an Solarstrom erzeugt wird und die Menschen abends nach Hause
kommen und es einen Verbrauchsanstieg gibt.
Es gibt viele weitere Argumente, aber lassen Sie uns zu den Schlußfolgerungen
kommen. Niemand bestreitet, daß grüne Energie zur Erhaltung der Umwelt beiträgt,
aber sie bietet nicht die Hauptbedingungen: Zuverlässigkeit, Sicherheit und
Stetigkeit der Stromproduktion. Sie kann in kleinen Bauernhöfen, auf Dächern in
abgelegenen Orten eingesetzt werden, wo es nicht rentabel ist, Stromleitungen zu
legen. Aber sie kann und sollte nicht für die Stromversorgung von Krankenhäusern,
Schulen, kritischen Infrastrukturen und Militäreinrichtungen verwendet werden.
Dem Konferenzprogramm zufolge ist es klar, daß auf dieser Konferenz der
thermonuklearen Energie große Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es herrschte
Begeisterung beim Baubeginn des ITER-Reaktors in Frankreich, aber die Aussichten
sind noch mindestens ein Jahrzehnt. Wenn wir das Problem jetzt lösen wollen, dann
ist der einzig mögliche Ausweg meiner Meinung nach der umfangreiche Bau von
Reaktoren mit schnellen Neutronen. Sie sind bereits vorhanden, sie sind sicher, und
sie hinterlassen keinen Atommüll. Sie werden viele Probleme lösen, auch in Ländern
mit unterentwickelten Volkswirtschaften, sie können für den Betrieb von
Entsalzungsanlagen in Regionen mit Frischwassermangel eingesetzt werden, und vor
allem für eine stabile und ununterbrochene Stromversorgung.
Sehr geehrte Damen und Herren, unsere Konferenz findet zu einer Zeit statt, in
der die Menschheit an einem Wendepunkt ihrer Entwicklung steht, in der die
Turbulenzen in fast allen Ländern einen kritischen Punkt erreicht haben. Das
Wichtigste unter solchen Umständen ist es, richtige und ausgewogene Entscheidungen
zu treffen. Es reicht nicht aus, sie zu akzeptieren, sie müssen den Menschen noch
vermittelt werden, und eine der Hauptaufgaben besteht darin, diese Informationen
möglichst vielen Bewohnern unseres Planeten zu vermitteln, denn nur dann können sie
auch umgesetzt werden. Ich wünsche uns allen das Beste, um dieses edle Ziel zu
erreichen.
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