Ein Fall der „Faulen Vernunft“:
Was hinter der Rebellion der Amerikaner gegen Wissenschaft und Autorität steckt
Das Schiller-Institut veröffentlichte am 3.7. auf seiner Internetseite
den folgenden Kommentar zu dem Streit über die COVID-19-Schutzmaßnahmen in den
USA.
Dr. Anthony Fauci, Direktor des Nationalen Instituts für Allergologie und
Infektionskrankheiten einer Einrichtung der Nationalen Gesundheitsinstitute
(NIH), hat vor kurzem emphatisch auf das Problem der Wissenschafts- und
Autoritätsfeindlichkeit der amerikanischen Bevölkerung hingewiesen, welche der
Ergreifung erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie im
Wege stehen. Anfang letzter Woche erklärte er in einer Anhörung im US-Kongreß:
„Ich denke, die Haltung, Autoritäten und wissenschaftliche Daten abzulehnen,
ist sehr beunruhigend. Wir befinden uns mitten in einem katastrophalen
Ausbruch, und wir müssen uns wirklich von wissenschaftlichen Prinzipien leiten
lassen.“
Beispiele dafür gibt es im Überfluß. Nehmen wir den Fall einer
Studentengruppe in Tuscaloosa/Alabama, die gerade mit Covid-19 diagnostiziert
wurden, nachdem sie „Covid-Partys“ im Rahmen eines Wettbewerbs besucht hatten,
um zu sehen, wer sich als erster mit dem Virus anstecken kann, berichtete ein
Stadtratsmitglied am 1. Juli gegenüber ABC News. Sonya McKinstry,
Stadträtin von Tuscaloosa, sagte, daß die Organisatoren der Partys absichtlich
Gäste einladen, die Covid-19 haben. „Sie legen Geld in einen Topf und
versuchen, Covid zu bekommen. Wer zuerst Covid bekommt, bekommt den Topf. Es
macht keinen Sinn; sie tun es absichtlich.“
Das kann auch nicht als bloße Kindereien abgetan werden. In Rockland
County/New York haben sich so viele Einwohner strikt geweigert, mit den
Behörden bei der Ermittlung von Kontaktpersonen zusammenzuarbeiten, daß der
Bezirk gezwungen war, den Prozeß mit Vorladungen durchzusetzen. NBC New
York berichtete am 1. Juli 2020:
„Die Gesundheitsbehörden untersuchen eine neue Gruppe von acht oder mehr
COVID-19-Fällen in Rockland County, die mit einer großen Feier Anfang des
Monats in Verbindung stehen, aber sie haben Probleme mit der Ermittlung von
Kontaktpersonen, weil die Menschen sich weigern zu kooperieren. Der Bezirk
plant, wie während des Masernausbruchs vor einigen Jahren Zwangsvorladungen zu
erlassen, um die Menschen dazu zu zwingen, mit den Kontaktermittlern
zusammenzuarbeiten, die sich darum bemühen, einen neuen potentiellen Ausbruch
einzudämmen… Diese Feier, die mit dem neuen potentiellen Cluster in Verbindung
steht, war die erste von drei großen Feiern in Rockland County in den letzten
zwei Wochen. Informierten Quellen zufolge wurde sie am 13. Juni von jemandem
in New City ausgerichtet, der zu dieser Zeit an einem Coronavirus erkrankt
war. Bezirksbeamte sagten am Mittwoch, daß der Gastgeber wußte, daß die Gäste
symptomatisch waren, und die Party trotzdem abhielten.“
Einblicke in solche Probleme, die sowohl „linke“ Radikale als auch „rechte“
Libertäre im Land betreffen, gab Gottfried Leibniz schon vor 310 Jahren in
seiner Theodizee (1710):
„Zu allen Zeiten hat die Menschen ein Trugschluß beunruhigt, welchen die
Alten die Faule Vernunft nannten, weil er dahin führte, nichts zu tun oder
wenigstens sich um nichts zu kümmern und nur seinen Neigungen zum
unmittelbaren Genusse zu folgen. Denn, sagte man, wenn das Zukünftige
notwendig ist, so wird das, was kommen muß, eintreten, gleichviel, was ich
auch tun mag…
Die falsche Auffassung des Begriffes der Notwendigkeit, hat in ihrer
Anwendung auf das Handeln zu dem sogenannten Mohammedanischen Schicksal
(Fatum Mahometanum), dem Schicksal bei den Türken, Anlaß gegeben, weil
man von den Türken meint, daß sie den Gefahren nicht aus dem Weg gehen und
selbst die Orte nicht verlassen, wo die Pest herrscht, und zwar aus Gründen,
welche den erwähnten gleichen…
Indeß zeigt sich, daß die Mehrzahl der Menschen und selbst der Christen bei
ihren Handeln auch etwas Mischung mit dem türkischen Schicksal eintreten
lassen, wenn sie sich dessen auch nicht genügend bewußt sind. Sie verharren
allerdings bei offenbaren Gefahren, oder bei sichern und großen Glücksfällen
nicht in Untätigkeit und Nachlässigkeit; denn sie werden z. B. nicht
versäumen, ein einstürzendes Haus zu verlassen oder sich von einem Abgrunde,
der auf ihrem Weg sich öffnet, wegzuwenden; sie werden auch in der Erde nach
dem Schatz graben, der schon halb entdeckt ist, und nicht warten, bis das
Schicksal ihn vollends hervortreten läßt; ist dagegen das Gute oder das Übel
noch entfernt und zweifelhaft und das Schutzmittel beschwerlich oder nicht
genehm, so gilt uns die Faule Vernunft für gut. Handelt es sich z.B. um die
Erhaltung unserer Gesundheit und selbst unseres Lebens vermittelst einer
zuträglichen Lebensweise, so entgegnen die Leute, denen man einen solchen Rat
gibt, sehr oft, daß unsere Tage gezählt seien und daß es vergeblich sei, gegen
das zu kämpfen, was Gott uns bestimmt habe. Dabei ergreifen aber dieselben
Leute mit Hast die lächerlichsten Mittel, wenn das vernachlässigte Übel sich
nähert…
Man wird die Faule Vernunft benutzen, welche sich auf das unvermeidliche
Schicksal stützt, um damit sich die Überlegung, welche sich gehört, zu
ersparen…“
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