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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Ein Fall der „Faulen Vernunft“:

Was hinter der Rebellion der Amerikaner gegen Wissenschaft und Autorität steckt

Das Schiller-Institut veröffentlichte am 3.7. auf seiner Internetseite den folgenden Kommentar zu dem Streit über die COVID-19-Schutzmaßnahmen in den USA.

Dr. Anthony Fauci, Direktor des Nationalen Instituts für Allergologie und Infektionskrankheiten einer Einrichtung der Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH), hat vor kurzem emphatisch auf das Problem der Wissenschafts- und Autoritätsfeindlichkeit der amerikanischen Bevölkerung hingewiesen, welche der Ergreifung erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie im Wege stehen. Anfang letzter Woche erklärte er in einer Anhörung im US-Kongreß: „Ich denke, die Haltung, Autoritäten und wissenschaftliche Daten abzulehnen, ist sehr beunruhigend. Wir befinden uns mitten in einem katastrophalen Ausbruch, und wir müssen uns wirklich von wissenschaftlichen Prinzipien leiten lassen.“

Beispiele dafür gibt es im Überfluß. Nehmen wir den Fall einer Studentengruppe in Tuscaloosa/Alabama, die gerade mit Covid-19 diagnostiziert wurden, nachdem sie „Covid-Partys“ im Rahmen eines Wettbewerbs besucht hatten, um zu sehen, wer sich als erster mit dem Virus anstecken kann, berichtete ein Stadtratsmitglied am 1. Juli gegenüber ABC News. Sonya McKinstry, Stadträtin von Tuscaloosa, sagte, daß die Organisatoren der Partys absichtlich Gäste einladen, die Covid-19 haben. „Sie legen Geld in einen Topf und versuchen, Covid zu bekommen. Wer zuerst Covid bekommt, bekommt den Topf. Es macht keinen Sinn; sie tun es absichtlich.“

Das kann auch nicht als bloße Kindereien abgetan werden. In Rockland County/New York haben sich so viele Einwohner strikt geweigert, mit den Behörden bei der Ermittlung von Kontaktpersonen zusammenzuarbeiten, daß der Bezirk gezwungen war, den Prozeß mit Vorladungen durchzusetzen. NBC New York berichtete am 1. Juli 2020:

    „Die Gesundheitsbehörden untersuchen eine neue Gruppe von acht oder mehr COVID-19-Fällen in Rockland County, die mit einer großen Feier Anfang des Monats in Verbindung stehen, aber sie haben Probleme mit der Ermittlung von Kontaktpersonen, weil die Menschen sich weigern zu kooperieren. Der Bezirk plant, wie während des Masernausbruchs vor einigen Jahren Zwangsvorladungen zu erlassen, um die Menschen dazu zu zwingen, mit den Kontaktermittlern zusammenzuarbeiten, die sich darum bemühen, einen neuen potentiellen Ausbruch einzudämmen… Diese Feier, die mit dem neuen potentiellen Cluster in Verbindung steht, war die erste von drei großen Feiern in Rockland County in den letzten zwei Wochen. Informierten Quellen zufolge wurde sie am 13. Juni von jemandem in New City ausgerichtet, der zu dieser Zeit an einem Coronavirus erkrankt war. Bezirksbeamte sagten am Mittwoch, daß der Gastgeber wußte, daß die Gäste symptomatisch waren, und die Party trotzdem abhielten.“

Einblicke in solche Probleme, die sowohl „linke“ Radikale als auch „rechte“ Libertäre im Land betreffen, gab Gottfried Leibniz schon vor 310 Jahren in seiner Theodizee (1710):

    „Zu allen Zeiten hat die Menschen ein Trugschluß beunruhigt, welchen die Alten die Faule Vernunft nannten, weil er dahin führte, nichts zu tun oder wenigstens sich um nichts zu kümmern und nur seinen Neigungen zum unmittelbaren Genusse zu folgen. Denn, sagte man, wenn das Zukünftige notwendig ist, so wird das, was kommen muß, eintreten, gleichviel, was ich auch tun mag…

    Die falsche Auffassung des Begriffes der Notwendigkeit, hat in ihrer Anwendung auf das Handeln zu dem sogenannten Mohammedanischen Schicksal (Fatum Mahometanum), dem Schicksal bei den Türken, Anlaß gegeben, weil man von den Türken meint, daß sie den Gefahren nicht aus dem Weg gehen und selbst die Orte nicht verlassen, wo die Pest herrscht, und zwar aus Gründen, welche den erwähnten gleichen…

    Indeß zeigt sich, daß die Mehrzahl der Menschen und selbst der Christen bei ihren Handeln auch etwas Mischung mit dem türkischen Schicksal eintreten lassen, wenn sie sich dessen auch nicht genügend bewußt sind. Sie verharren allerdings bei offenbaren Gefahren, oder bei sichern und großen Glücksfällen nicht in Untätigkeit und Nachlässigkeit; denn sie werden z. B. nicht versäumen, ein einstürzendes Haus zu verlassen oder sich von einem Abgrunde, der auf ihrem Weg sich öffnet, wegzuwenden; sie werden auch in der Erde nach dem Schatz graben, der schon halb entdeckt ist, und nicht warten, bis das Schicksal ihn vollends hervortreten läßt; ist dagegen das Gute oder das Übel noch entfernt und zweifelhaft und das Schutzmittel beschwerlich oder nicht genehm, so gilt uns die Faule Vernunft für gut. Handelt es sich z.B. um die Erhaltung unserer Gesundheit und selbst unseres Lebens vermittelst einer zuträglichen Lebensweise, so entgegnen die Leute, denen man einen solchen Rat gibt, sehr oft, daß unsere Tage gezählt seien und daß es vergeblich sei, gegen das zu kämpfen, was Gott uns bestimmt habe. Dabei ergreifen aber dieselben Leute mit Hast die lächerlichsten Mittel, wenn das vernachlässigte Übel sich nähert…

    Man wird die Faule Vernunft benutzen, welche sich auf das unvermeidliche Schicksal stützt, um damit sich die Überlegung, welche sich gehört, zu ersparen…“