„Diese Komponisten sind Wissenschaftler“
Von Norbert Brainin
Zur Einführung in den zweiten Konferenzabschnitt wurde ein Ausschnitt aus
einer Meisterklasse gezeigt, in der Norbert Brainin, der langjährige Primarius
des weltberühmten Amadeus-Quartetts, im Rahmen eines dreitägigen Seminars des
Schiller-Instituts in Dolna Krupa in der Slowakei 1995 die Bedeutung der
Motivführung in der Komposition erläuterte. Den Mitschnitt seiner Ausführungen
finden Sie auf der Internetseite des Schiller-Instituts unter: https://archive.schillerinstitute.com/music/1995/brainin_demo1.html
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Ich bin eigentlich hier, um die Motivführung zu veranschaulichen, und das
liegt mir sehr am Herzen, ich trage das schon lange in mir herum, und es hat
eigentlich nie richtigen Anklang gefunden. Die einzige Person, die das sofort
verstanden hat, war Lyndon Larouche, und das ist unsere Verbindung. Die
heutigen Forscher, die Mozart- und Haydn-Forscher, die verstehen das überhaupt
nicht. Sie bemerken es, also sie wissen, daß es existiert, und haben das auch
geschrieben, aber weiter beschäftigen sie sich damit überhaupt nicht…
Es ist fast keine Note da drinnen, welche nicht auf das Hauptmotiv
zurückgeführt werden kann. Das ist das Wichtige der ganzen Motivführung, und
es ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der Kompositionskunst
schlechthin. Es ist eine Wasserscheide, würde ich sogar sagen. Es ist von der
allerhöchsten Wichtigkeit. Es gibt der ganzen Komposition eine gewisse
Einheit, welche nicht sofort merkbar ist, wenn man zuhört, da hört man nur die
Musik, aber man fühlt, daß das alles organisch ist.
Haydn zum Beispiel, bevor er das Opus 33 schuf – sein letztes Quartett-Opus
davor war Opus 20, neun Jahre vorher, und er wußte da nicht, wie diese Sache
weitergehen soll, und dann ist er darauf gekommen, und er hat das Motivführung
benannt, eine neue Methode, überhaupt zu komponieren.
Der nächste Komponist, der diese Methode anwandte, war Mozart. Er hat
vorher die Opus 33-Quartette in Wien kennengelernt. Ich weiß nicht, ob er mit
Haydn darüber gesprochen hat, aber Tatsache ist: Mozart hat das sofort
verstanden.
Beethoven hat diese Methode übernommen, und er sagte – ich weiß nicht, das
muß irgendwo eine Aussage geben in einem Brief oder anderswo: „Bevor ich diese
Methode kannte, konnte ich mich nicht als richtigen, vollwertigen Komponisten
betrachten.“
Es ist eine Revolution sondergleichen und hat Implikationen, nicht nur für
die Musik, sondern auch für das Leben, für die Politik, für die Wirtschaft,
für die Poesie, für die Wissenschaft. Und in diesem Sinne sind diese
Komponisten Wissenschaftler. Sie sind nicht nur Notenschreiber. Kompositionen
von Musik gibt es viele, aber diese Handvoll von Musikern, das sind
Wissenschaftler und Philosophen ersten Ranges.
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