Die Bedeutung der physischen Wirtschaftswissenschaft in der heutigen
Welt
Von Ding Yifan
Ding Yifan ist Stellvertretender Direktor des
Forschungsinstituts für Weltentwicklung am Zentrum für Entwicklungsforschung
des chinesischen Staatsrats in Beijing.
Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Lyndon LaRouche ist der
Erfinder der „Physischen Ökonomie“. Als die Nixon-Regierung 1971 die
Verpflichtungen der USA gegenüber dem Bretton-Woods-System nicht erfüllte und
den US-Dollar vom Gold abkoppelte, brach das Bretton-Woods-System zusammen.
LaRouche sagte die Gefahr der Liquiditätsüberschüsse in der Welt voraus.
Und 50 Jahre später treten viele der von Herrn LaRouche vorhergesagten
Dinge ein. Wenn wir diesen Dingen heute keine Aufmerksamkeit schenken und sie
sich weiter entfalten lassen, wird sich die Welt in Zukunft in eine noch
bedrohlichere Richtung entwickeln und uns in einen gefährlichen Abgrund
führen.
Wir müssen uns vor den beiden von Herrn LaRouche erwähnten Gefahren in Acht
nehmen: dem Mißbrauch von Währungen und der ungeordneten Entwicklung der
Finanzindustrie.
1. Seit der US-Dollar vom Gold abgekoppelt wurde, geriet die US-Regierung
permanent in Versuchung, wahllos Währungsmanipulationen zu betreiben.
Tatsächlich haben in der Geschichte viele Länder dasselbe getan, aber sie
haben alle einen hohen Preis dafür bezahlt. Vor 2000 Jahren, als Wang Mang in
der Han-Dynastie die Macht an sich riß und neue Münzen herausgab, beschloß er,
das Gold in der neu ausgegebenen Währung mit Messing zu mischen. Die Preise
stiegen in die Höhe, und Wang Mangs Regime wurde 14 Jahre später gestürzt.
Nachdem die Mongolen die Zentralebene besetzt hatten, gründeten sie die
Yuan-Dynastie. Sie fanden das von der vorangegangenen Song-Dynastie
geschaffene Papiergeldsystem sehr bequem und akzeptierten es vollständig. In
der Song-Dynastie war das Papiergeld jedoch nur ein Stellvertreter für
Metallwährung gewesen, um den Warenverkehr zu erleichtern. In der
Yuan-Dynastie wurde Papiergeld zu „Fiatgeld“, und die Händler mußten auf dem
Markt Metallwährung in Papiergeld umtauschen, bevor sie Waren kaufen konnten.
Marco Polo hat das in seinen Reiseerinnerungen festgehalten. Wenn die
Yuan-Dynastie knapp bei Kasse war, konnte mehr Papiergeld ausgegeben werden,
um die Finanzen aufzustocken. Bald führte die Verbreitung von Papiergeld zu
einer Inflation und zu Aufständen überall, und die Mongolen wurden bald in das
nördliche Grasland zurückgedrängt.
Seit den 1970er Jahren fließt das von den Vereinigten Staaten ausgegebene
Geld in die ganze Welt. Da der US-Dollar einen einzigartigen Status als
Weltreservewährung genießt, hat die überschüssige Liquidität des US-Dollars zu
einem enormen Inflationsdruck auf der ganzen Welt geführt. In den letzten
Jahren scheint die US-Regierung regelrecht abhängig von der
„Schuldenmonetarisierung“ zu sein. Seit der Covid-19-Epidemie hat die Federal
Reserve, die Zentralbank der Vereinigten Staaten, so viele Anleihen gekauft,
wie im gesamten Zeitraum seit der Finanzkrise 2008. Wenn die Zentralbank
Anleihen auf dem Markt kauft, heißt das im ökonomischen Lehrbuch, daß sie
„Geld druckt“. Die Folgen einer solchen Gelddruckerei kann man sich
ausmalen.
2. Die ungeordnete Entwicklung der Finanzbranche ist zur Entropie dieser
Ära geworden, statt zu einem Instrument zur Förderung der Wirtschaft. Herr
LaRouche verwendet in seinem Buch Was Sie schon immer über Wirtschaft
wissen wollten den Begriff der „Entropie“ aus der Physik, um Aktivitäten
in der Wirtschaft zu beschreiben, die zwar funktionieren, aber nicht die
kinetische Energie erzeugen können, um den technischen Fortschritt zu fördern.
Der Begriff Entropie wurde von dem deutschen Physiker Rudolf Clausius
eingeführt und bezieht sich auf kinetische Energie, die nicht für Arbeit
verwendet werden kann. LaRouche ist der Überzeugung, daß eine Gesellschaft,
die entropisch wird, eine verschwendende Struktur hat: Sie wird viel Energie
verbrauchen, ohne einen wirklichen Nutzwert zu erzeugen, und wird schließlich
die Ressourcen der gesamten Gesellschaft erschöpfen.
Seit der „Deregulierung“ des US-Finanzmarktes in den 1980er Jahren sind die
Finanzinstitute und Finanztransaktionen exponentiell gewachsen. Obwohl der
Wohlstand auf dem Papier stark zugenommen hat, hat er nicht viel zur
Realwirtschaft beigetragen. Obwohl die Ausweitung des Finanzvermögens die
übermäßige Liquidität in gewisser Weise absorbiert hat, konnte das Geld nicht
in den physischen Markt fließen.
Dies trug zwar dazu bei, einen allgemeinen Preisanstieg zu verhindern,
führte aber zu einem Teufelskreis von „Boom und Crash“. Seitdem kann der
Kapitalmarkt nicht mehr normal ohne Blasen funktionieren. Aber die Blase wird
definitiv platzen. Um diesen Teufelskreis aufrechtzuerhalten, muß man also
weiter „Legenden“ schaffen und den armen Kleinanlegern auf dem Aktienmarkt
weismachen, daß sie über Nacht reich werden können, solange sie diesen
„Legenden“ folgen.
Die heutigen Finanzderivat-Transaktionen haben sich völlig von der
tatsächlichen Nachfrage abgekoppelt und sind die Entropie der heutigen
wirtschaftlichen Entwicklung. Nehmen wir als Beispiel den Handel mit
Öltermingeschäften: Der jährliche Handel mit Öltermingeschäften umfaßt mehr
als 380 Milliarden Barrel, während der jährliche weltweite tatsächliche
Ölverbrauch nur etwa 36 Milliarden Barrel beträgt; damit ist das
Handelsvolumen von Öltermingeschäften mehr als zehnmal so hoch wie der
Ölverbrauch. Die meisten Öltermingeschäfte werden ausschließlich von
Finanzinstituten getätigt. Ihnen geht es nicht um den Endverbraucher, sondern
nur um die Differenz der Investitionen. Obwohl der Handel mit
Öltermingeschäften ein wichtiges Produkt auf dem Finanzhandelsmarkt ist, ist
es sicherlich nicht der Handelszweig mit der größten Kluft zwischen
Termingeschäften und realen Produkten.
Mit anderen Worten, der Grad der Diskrepanz zwischen der virtuellen und der
realen Wirtschaft ist sehr hoch, vielleicht mehr als das Zehnfache. Und der
größte Teil der virtuellen Wirtschaft steckt im Leerlauf und wird letztlich
nicht in etwas Reales umgewandelt. Das ist das „Krebsgeschwür“ der heutigen
Weltwirtschaft, und wenn wir dieses Krebsgeschwür nicht loswerden, könnten wir
in die von Herrn LaRouche beschriebene entropische Gesellschaft abgleiten.
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