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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Harmonie als Übereinstimmung – Frieden als Balance

Gelingt uns eine Symphonie mit Chinas philosophischer Kultur?

Von Dr. Ole Doering, Sinologe und Philosoph, Berlin

Dr. Doering hielt im Rahmen des 2. Abschnitts der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 12. Dezember den folgenden Vortrag. Er wurde für den Abdruck aus dem englischen Original übersetzt.

Wenn wir uns in dieser Welt wiederfinden, verloren im Labyrinth kalter, feindseliger Umgebungen, mit Haßreden, alternativen Fakten, mit Bösem und Angst, wenn wir dringend Orientierung und menschliche Fürsorge brauchen, in dieser Megastadt, die unsere Welt werden soll – lassen Sie uns in der Zeit zurückgehen und uns auf den Ursprung der Menschheit besinnen.

Dies kann uns helfen, die Zukunft zu gestalten.

Die Menschen haben sich in der Materie, die das „krumme Holz“ unserer Natur bildet, weder zum Guten noch zum Schlechten verändert. Wir sind so klug und gut geboren wie die Alten. Wir sehen sie bloß nicht als unsere Brüder und Schwestern, die in ferner Zeit gelebt haben.

Das Einzige, was uns wirklich von unseren Vorfahren von vor drei Jahrtausenden unterscheidet, ist, daß wir die Möglichkeit haben, von den Erfahrungen zu profitieren, die die Menschheit im Laufe der Zeit und über alle Kulturen hinweg gesammelt hat.

Bei der aktuellen Weltgesundheitskrise geht es nicht um COVID-19. Bei der akuten Hungerpandemie geht es nicht um Entwicklungshilfe.

Beide sind symptomatisch und – da sie Krankheit und Mangel an Vernunft ausdrücken – tief in unserer kulturellen Verfassung und unserem zivilisatorischen Zweck verwurzelt. Es gibt vieles, auf das wir stolz sein können. Aber wir werden unsere Würde nur dann wiedererlangen, wenn wir uns unserer Schwächen bewußt werden.

Handlungen definieren sich durch ihre Folgen, nicht durch ihren Zweck. Der Zweck heiligt nicht die Mittel, aber die rechten Mittel heiligen den Zweck. Wenn wir diese einfache Wahrheit respektieren, können wir uns von den Fesseln der Vergangenheit befreien und die Schwingen der Klassiker wiedererlangen – was auch immer es ist, das uns wahr, schön und gut macht.

Die gegenwärtige Krise ist eine Krise der Menschheit. Die akademische Krise der Geisteswissenschaften ist nur ein weiteres Symptom des Niedergangs eines Zeitalters, das seine Sinnhaftigkeit verloren hat. Unsere Krankheit ist eines der Herzen und Köpfe. Wir haben vergessen, was uns menschlich macht, was es bedeutet, die Welt durch unser eigenes Zutun zu erschließen. Und wir haben vergessen, daß wir vergessen haben, was wichtig ist.

Die Menschheit ist auf einer neuen Ebene angekommen – der Herausforderungen und Möglichkeiten, zu wachsen oder zu verfallen. Unsere Zukunft steht auf dem Spiel. Wir sollten niemals angesichts einer bestimmten Wahl oder eines bestimmten Wahlkampfs aus einer existentiellen Unsicherheit nach der Welt fragen müssen. Doch welche Ressourcen können wir nutzen, um sicherzustellen, daß grundlegende Normen der Verantwortung allgemein eingehalten werden, insbesondere, aber nicht nur, von den Machthabern?

Dies ist genau die historische Situation, welche die konfuzianische Philosophie um das 5. Jahrhundert v. Chr. prägte – nur daß der Raum und die Zahl der Menschen relativ kleiner waren. Doch auch damals gab es einen Verlust der moralischen Orientierung, eine Verschlechterung der politischen Legitimität, einen Zerfall des Sozialbereichs und der Zivilisation, der eine Erneuerung der philosophischen Grundlagen erforderte. Menschlichkeit und Gerechtigkeit, Kultivierung und Frieden, gegenseitige Verpflichtungen und soziale Integrität wurden die Grundlagen einer neuen Ära.

Das europäische Streben nach Wohlstand hat sich seit dem 18. Jahrhundert durch Revolutionen und Eroberungen verwirklicht. Inseln moralischer Gemeinschaften wurden errichtet und gestärkt, oft auf Kosten der Nachbarn, Minderheiten oder weit entfernter Völker, wodurch eine koloniale Welt entstand.

Heute jedoch erkennen wir, was es bedeutet, daß die Welt rund ist. Wir können das eine nicht vermeiden oder vom anderen trennen, außer unter Bedingungen des Krieges. Für uns Menschen gibt es keine Alternative, als uns anzupassen, zu wachsen und uns zu einer neuen Qualität des Friedens, einer neuen Erweiterung der sozialen Fähigkeiten zu entwickeln. Aus diesem Grund haben sich die Vereinten Nationen auf Kernfragen und Kodizes und Programme geeinigt, wie die Ziele für nachhaltige Entwicklung.

Die Jugend verdient es, daß wir ihnen die besten und mächtigsten Ressourcen zur Verfügung stellen, um unsere Zukunft wieder aufzubauen, d.h. Gesundheit, um ein ganzes Lebenswerk beginnen zu können, und zusammenhängendes Wissen über Geschichte, die Kulturen und Philosophie. Nur mit festen Wurzeln können wir den Optimismus, die Kreativität, die gegenseitige Unterstützung und die Freiheit, die den Weg zu menschlichem Wohlstand ebnen, mit einem Geist des Lernens neu beleben. Denn wir müssen über Materialismus, Positivismus, Utilitarismus, Hedonismus und Konsumismus hinausgehen – samt ihrer traurigen Geschwister wie Angst, Einsamkeit und Verzweiflung. Institutionen, Auffassungen, Kodizes und Regeln, die die europäische Welt des 20. Jahrhunderts beherrschten, sind anachronistisch geworden. Sie werden ihren ursprünglichen Wert verändern, wenn sie eine neue Weltordnung unterstützen. Vor allem kann diese neue Ordnung mehr als das Überleben versprechen, aber nichts Kühneres als inspirierte Anpassungen der klassischen Ziele –, um uns der Wahrheit, Schönheit und Güte würdig zu machen.

Wie Mahatma Gandhi hervorhob: „Die Welt hat genug für die Bedürfnisse aller, aber nicht genug für die Gier aller.“ Unsere Aufgabe ist es, verantwortungsvoll damit umzugehen und das Teilen zu ermöglichen. Im globalen Maßstab. Im Sinne einer globalen Gesundheit, jenseits von Medizin und Märkten und geleitet von einer verantwortungsvollen globalen Bürgerschaft. Wir müssen die Grundmuster gesunder menschlicher Beziehungen im globalen Dorf neu überdenken.

Wenn wir uns im Wald verirrt haben und den Weg nicht finden können, ist es ratsam, uns an diejenigen zu wenden, die das Land kennen und sich an dessen Anlage erinnern, bevor das Dickicht die Struktur der natürlichen Ordnung verdeckte. Von der so gebildeten Anhöhe aus können wir vielleicht klarer sehen, worauf es ankommt, wie zum Beispiel die Verbindung zwischen unserem moralischen Kompaß und der Vernunft. Ein solcher Überblick kann die Navigation lenken und Verwirrung auflösen. Vielleicht finden wir den richtigen Weg, der von unseren Entscheidungen abhängt.

In der Lage zu sein, das Geflecht menschlicher Beziehungen im globalen Maßstab zu verstehen und zu handhaben, ist keine Übung in Gehorsam, sondern stärkt den Wert des Einzelnen. Es ist die Harmonie der polyphonen Übereinstimmung, die orchestrierte Teilung von Fähigkeiten und die Anerkennung von Unterschieden, die zum Nutzen des gemeinsamen Reichtums hergestellt werden kann, wenn die damit verbundene Arbeit geteilt wird. „Wenn alles seinen Platz bekommt, harmonisiert die ganze Welt.“

Der daraus resultierende Friede ist nicht die Abwesenheit von Streit, sondern das ausdrucksvolle Gleichgewicht der Verschiedenheit im Handeln, im Licht gemeinsamer Verpflichtungen, jenseits egoistischer Interessen. Es ist die ruhige Oberfläche des Wassers als ein Medium, das eine Fülle von Leben schützt und ermöglicht.

Mit dem klassischen philosophischen Wissen Chinas über den ethischen und wirtschaftlichen Umgang mit menschlichen Beziehungen, mit der Betonung der Freundschaft als der modernsten aller zivilen Formen und mit der philosophischen Vernunft-Ethik von Immanuel Kants Aufklärung und des Ewigen Friedens, haben wir zwei mächtige Instrumentarien, um uns auf den richtigen Weg zu bringen.

Wir dürfen kulturelle Vielfalt nicht als pathogen, als Rivalität um die Vorherrschaft, sondern als wesenhaft rohe Elemente einer menschlichen Zivilisation betrachten – lassen Sie uns gemeinsam, zum besseren Verständnis, lernen, wie eine gesunde globale Vision von Subsidiarität, Nachhaltigkeit und Solidarität aussieht.

(Der Vortrag wurde aus dem englischen Original übersetzt.)