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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Aus einem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung meißeln

Von Dr. Joycelyn Elders

Dr. Joycelyn Elders, ehemalige Leiterin der Gesundheitsdienste (Surgeon General) der Vereinigten Staaten, hielt bei der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 13. Dezember den folgenden Vortrag.

Ich freue mich immer, so wie heute, auf den Konferenzen des Schiller-Instituts zu sprechen. Ich danke Ihnen für die Einladung. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um die Zuhörer darauf aufmerksam zu machen, daß ich als ehemaliger Surgeon General der Vereinigten Staaten einem Zweig der uniformierten Dienste der Vereinigten Staaten angehöre. Das heißt, einem Zweig des Militärs, der keine Waffen trägt. Der Name dieses Zweigs ist „United States Public Health Service Commissioned Corps”.

Jetzt, Ende 2020, befinden wir uns an einem Wendepunkt in unserem Kampf, nicht nur mit COVID-19, sondern auch mit uns selbst. Wir müssen erwachsen werden und erkennen, daß alle Nationen der Welt über ein zuverlässiges Gesundheitssystem, ein Präventionssystem und ein Notfallwarnsystem verfügen müssen, um die Ausbreitung von Pandemien zu verhindern. Alte Vorstellungen von Spaltung in der Situation eines solchen öffentlichen Gesundheitsnotstands sind heute noch tödlicher als die Krankheit selbst. Auch wenn es jetzt mehr Infektionen gibt, wir verfügen jetzt zum Glück aber auch über mehr Informationen. Obwohl es mehr Krankenhausaufenthalte gibt, verfügen wir auch über mehr Wissen über eine wirksame Behandlungen. Wir haben zwar mehr Todesfälle, aber wir haben den Ansatz einer Lösung in Form von Impfstoffen, die jetzt entwickelt, getestet und angewendet werden.

Dank des Erfolgs von Initiativen, einschließlich der Operation Warp Speed, ist die Welt nun in der Lage, eine großangelegte Mobilisierung zu beginnen. Ohne eine entsprechende Mobilisierung des Vertrauens können wir jedoch nicht erfolgreich sein. Jede Bevölkerungsgruppe muß informiert, konsultiert und dann zur Teilnahme aufgefordert werden. Wir müssen auch feststellen, daß die psychologischen Auswirkungen der Krankheit ebenso verheerend sind wie die physischen. Wir brauchen eine Mobilisierung der Hoffnung.

Dr. Martin Luther King hat einmal davon gesprochen, aus einem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung zu meißeln. Um das zu tun – Hoffnung aus der gegenwärtigen Situation zu ziehen –, bedarf es wissenschaftlicher Erkenntnisse, medizinischer Entdeckungen und einer disziplinierten, klaren Bereitstellung der Werkzeuge, um Gegenmittel, Behandlungen und Medikamente anzuwenden und zu verbessern. Darüber hinaus muß dies weltweit geschehen, gerade um Nebenwirkungen der Impfstoffe sowie die Möglichkeit von Virusmutationen oder sogar des Entstehens neuer Krankheiten festzustellen, während wir die alte bekämpfen. Hätte es diese Art der Zusammenarbeit bereits vor dem Ausbruch von COVID-19 gegeben, wären wir jetzt nicht mit Millionen von Toten weltweit konfrontiert.

Wir hier sind uns über einen Grundsatz völlig einig: Es muß eine weltweite Mobilisierung in der Tiefe geben, die eine Zusammenarbeit zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen einschließt – militärische Fähigkeiten, medizinische Fähigkeiten sowie wissenschaftliche Forschung und Entwicklung auf allen Ebenen und aus allen Nationen. In gewissem Sinne sind wir alle, die für die Krankheit anfällig sind, jetzt zufällige Wehrpflichtige in einem Krieg um die öffentliche Gesundheit geworden.

David Beasley vom UN-Welternährungsprogramm hat die Vereinten Nationen soeben darüber informiert, dass in den nächsten sechs Monaten oder länger bis zu 270 Millionen Menschen der Tod durch Hunger – und nicht durch COVID – droht. Dies ändert nichts am Schwerpunkt unserer Gesundheitsinitiative. Vielmehr unterstreicht es das Ausmaß der unmittelbaren Notlage, da sich die Krankheit bei insgesamt anfälligen Menschen wahrscheinlich noch schneller ausbreiten wird.

Deshalb haben wir heute auf dieser Konferenz einen Querschnitt von Personen aus den Bereichen Militär, Medizin, Landwirtschaft und Regierung versammelt, um vor der Welt und insbesondere vor der Jugend der Welt zu sprechen. Wir brauchen alle – und den Einfallsreichtum aller –, um einen neuen Zusammenfall der Gegensätze zwischen Nationen, Zivilisationen und Gesellschaften zu erreichen, die alle zumindest von der Notwendigkeit des Überlebens überzeugt sind. Dieser Dialog wird einen Stein der Hoffnung aus einem Berg der Verzweiflung herausmeißeln. Dieser Dialog erfordert es, eine internationale Antwort im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu erreichen.

Eine solche Frage wurde bereits am Ende des Zweiten Weltkriegs aufgeworfen. Es ist an der Zeit, sie zu verwirklichen. Das bedeutet nicht ein „Eine-Welt“-Gesundheitssystem; es bedeutet, daß jede Nation, insbesondere durch Jugendbrigaden, sich dafür einsetzt, daß jeder Durchbruch, der von einer Nation erzielt wird, allen zugänglich gemacht werden kann.

Mit Blick auf die Vereinigten Staaten habe ich bereits gesagt:

    „Ein Team des öffentlichen Gesundheitswesens kann weit mehr zur Erhaltung unserer Gesundheit beitragen als 100 Chirurgen. Diese Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens sind keine Ärzte oder Krankenschwestern. Für das Verteilen von Masken, das Messen der Temperatur und sogar für die Kontaktverfolgung und einige Diagnosen ist es nicht erforderlich, daß man einen medizinischen Abschluß hat oder zwölf Jahre lang zur Schule gegangen ist. Wir brauchen ein Korps für öffentliche Gesundheit, das mit dem Ingenieurkorps der Armee und vielen anderen Behörden zusammenarbeiten könnte. Wir brauchen Millionen von Mitarbeitern des öffentlichen Gesundheitswesens in den Vereinigten Staaten, und die Welt braucht Dutzende von Millionen.“

Das habe ich im September gesagt, und jetzt im Dezember trifft es noch mehr zu. Im Februar, März, April oder Mai wird es noch mehr zutreffen. Wir dürfen also nicht warten, um anzufangen, damit man sich in sechs Monaten wieder trifft und sagt: „Wissen Sie was, Sie hatten Recht mit dem, was Sie gesagt haben.“ Wir wissen, daß wir Recht haben. Jetzt müssen wir tun, was richtig ist.