Die neue Seidenstraße und Pakistan
Von Sultan M. Hali
Sultan M. Hali ist Journalist und Oberst a.D. der
pakistanischen Luftwaffe. Im zweiten Abschnitt der Internetkonferenz des
Schiller-Instituts sagte er am 20. März folgendes.
Die Neue Seidenstraße, auch bekannt als Belt and Road Initiative (BRI),
wurde nach dem Vorbild der alten Seidenstraße errichtet, die über viele
Jahrhunderte hinweg der wichtigste Landweg war, der Europa und Asien verband.
Jede Erwähnung der alten Seidenstraße läßt die Geschichten der Reisen von
Marco Polo und Ibn-e-Battuta wieder aufleben, von denen der eine ein
Venezianer und der andere ein Marokkaner war, die ihre sagenhaften Reisen nach
China im 14. Jahrhundert machten und ihre reichhaltigen Erinnerungen davon in
Reiseberichten für andere festgehalten hatten, die ihnen nachfolgen
würden.
Die alte Seidenstraße diente nicht nur als Handelsroute, sondern trug auch
wesentlich zum Austausch von Kultur, Religion, Ideen und Wissen bei, was zum
Zeitalter der Entdeckungen führte. Es ist bekannt, daß Christoph Kolumbus,
ausgerüstet mit Marco Polos Seekarte der neuen Welt, die er aus China
mitgebracht hatte, und Marco Polos Reisenotizen, auf der Suche nach einer
neuen und kürzeren Route nach Indien segelte (und stattdessen aus Versehen
Amerika entdeckte).
Die Seidenstraße, die während der chinesischen Han-Dynastie (206 v. Chr. -
220 n. Chr.) als Handelsroute begann, erstreckte sich über 6.000 Kilometer
(4.000 Meilen) und erhielt ihren Namen vom lukrativen Handel mit chinesischer
Seide. Ursprünglich reichte die Seidenstraße bis nach Indien, wurde aber
um die zentralasiatischen Abschnitte um 114 v. Chr. erweitert.
Die Haupthändler, die die alte Seidenstraße nutzten, waren die Chinesen,
Perser, Griechen, Syrer, Römer, Armenier, Inder und Baktrier, während vom 5.
bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. auch die Sogdier die alte Handelsroute nutzten.
In der Neuzeit verlor die Seidenstraße aufgrund der Entwicklungen im
Seeverkehr und der politischen Zwänge in der Region allmählich ihren Wert und
ihre Bedeutung. Die Wiederbelebung des Konzepts der Neuen Seidenstraße
zeigt, daß eine Reihe von internationalen Initiativen durch ein unabhängiges
Nebeneinander die gleichen Ziele anstreben.
Chinas Ansatz der Neuen Seidenstraße ist mehrgleisig und mehrdimensional
und stellt eine Kombination aus einem landbasierten
Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel und einer seebasierten maritimen Seidenstraße
des 21. Jahrhunderts dar. Auf der einen Seite ermöglicht sie Chinas
energieintensiver Industrie, sich aus einer Vielzahl von Quellen zu versorgen,
auf der anderen Seite erleichtert sie es den energiereichen zentralasiatischen
Staaten, nicht nur China, sondern auch die energiehungrigen Verbraucher in
Europa, Afrika und Asien mit Energie zu versorgen.
Gleichzeitig sorgt China dafür, daß die neugeschaffenen Finanzinstitutionen
die Entwicklungsländer steuerlich unterstützen, um die notwendige
Infrastruktur für die Versorgung der Verbraucher zu schaffen. Insgesamt hat
China Mittel in Höhe von rund 100 Milliarden US-Dollar bereitgestellt: 40
Milliarden US-Dollar für den auf Zentralasien ausgerichteten
Seidenstraßenfonds, 50 Milliarden US-Dollar für eine neue Asiatische
Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) und 10 Milliarden US-Dollar für die von
den BRICS geführte Neue Entwicklungsbank.
Diese Initiativen sind mit dem Risiko behaftet, gegen eine „Renditemauer“
zu stoßen, indem riesige Investitionen in Projekte mit geringer Rendite in
Länder mit hohem Risiko fließen. Aber Chinas Wirtschaftsplaner sind bereit,
dieses Risiko einzugehen, weil sie selbst wie ein Phönix aus der Asche der
Entbehrung und Verzagtheit aufgestiegen sind und daher das Wesen einer
helfenden Hand zu schätzen wissen und ihre weniger glücklichen Nachbarn
mitnehmen wollen, damit sie von ihrer Großzügigkeit profitieren und aus dem
Brunnen der Armut aufsteigen können.
Viele Länder, die an der alten Seidenstraße liegen, insbesondere das
eingeschlossene Zentralasien, haben ihre Hoffnungen auf Fortschritt,
Wohlstand, Wachstum und Entwicklung auf eine Infrastruktur gesetzt, die an die
historische Seidenstraße anknüpft. Ihr Eifer ist nachvollziehbar, denn sich
entwickelnde Industrien verlangen nach neuen Märkten; technologische
Innovationen erleichtern die internationale Zusammenarbeit; bessere Transport-
und Logistikmöglichkeiten erhöhen die Effizienz des Handels; und der wachsende
Energiebedarf erfordert internationale Kooperation.
Das Aufkommen von Projekten der Neuen Seidenstraße wird als Katalysator für
die Schaffung regionaler Kooperation, den Aufbau politischer Flexibilität, die
Steigerung des Wirtschaftswachstums, die Diversifizierung des Handels und
Investitionen in den Bereichen Transport, Bergbau und Energie wirken. Die
zentralasiatischen Republiken, die durch die geschlossene Wirtschaft der
ehemaligen UdSSR begrenzt und durch ihre geografische Lage mit unzureichender
Konnektivität eingeschränkt waren, erhalten nun eine epochale Chance, die
ihnen zugedachte Rolle in der Weltwirtschaft zu spielen.
Früher dachte man, daß die Welt durch die Medien zu einem globalen Dorf
geschrumpft sei, jetzt ist es das Konzept der Seidenstraße, das Nationen,
Rassen, Kontinente und Menschen in einer engen Gemeinschaft näher
zusammenbringt, die ihre Ressourcen an Produktion, Dienstleistungen, Energie,
Information und Verständnis miteinander teilen.
Pakistan und China genießen eine einzigartige Beziehung. Der bekannte
amerikanische Historiker Stephen F. Cohen wurde nach einem Seminar gefragt,
welche beiden Länder der Welt die engste Beziehung haben. Die Zuhörer
erwarteten, daß er die USA und Israel nennen würde, waren aber überrascht, als
der gelehrte Akademiker „China und Pakistan“ sagte. Er fuhr fort, die
Parameter der engen Beziehung zwischen den beiden zu definieren, die über
Transaktionen, Verteidigung und wirtschaftliche Bedürfnisse hinausreichen und
statt dessen auf Prinzipien und gegenseitigem Respekt beruhen, und dem Test
der Zeit standgehalten und sich zu einem besonderen Band entwickelt haben.
Der Chinesisch-Pakistanische Wirtschaftskorridor
Abb. 1: Eisenbahnprojekte im Rahmen des Chinesisch-Pakistanischen
Wirtschaftskorridors (CPEC), der von China aus zur pakistanischen Hafenstadt
Gwadar führt und so Chinas Zugangswege nach Südwestasien dramatisch verkürzt
und Pakistans wirtschaftliche Entwicklung massiv vorantreibt.
Der China-Pakistan Wirtschaftskorridor (Abbildung 1), euphemistisch
als CPEC bezeichnet, ist ein Vorzeigeprojekt der Neuen Seidenstraße. Der CPEC
ist ein umfassendes, auf 15 Jahre angelegtes Entwicklungsprojekt zwischen
Pakistan und China, das sich über die Jahre 2015 bis 2030 erstreckt und die
Verbindung des pakistanischen Hafens Gwadar mit Chinas nordwestlicher Region
Xinjiang durch Autobahnen, Eisenbahnen, Öl- und Gaspipelines sowie eine
Glasfaserverbindung vorsieht. Das Projekt wurde vom chinesischen Präsidenten
Xi Jinping im Jahr 2013 ins Auge gefaßt.
Ich habe einen persönlichen Bezug zum Mega-Projekt Neue Seidenstraße. Im
Vorfeld des historischen Besuchs von Präsident Xi Jinping in Islamabad zum
Start des Projekts wurde ich vom chinesischen Außenministerium eingeladen,
eine Delegation von vier pakistanischen und drei srilankischen hochrangigen
Analysten zu leiten, die in Peking und an anderen Orten eingehende Briefings
erhielten. Das Briefing von Chinas stellvertretendem Außenminister Liu
Jianchao konzentrierte sich auf den Austausch von Details des Besuchs im
Bereich der Zusammenarbeit sowohl mit Pakistan als auch mit Sri Lanka.
Der Minister nannte mindestens 25 Großprojekte, vor allem in den Bereichen
Energie, Kapazitätsaufbau, Technologieentwicklung und
Kommunikationsinfrastruktur unter der Ägide des CPEC, der von China und
Pakistan gemeinsam als Pilotprojekt der Neuen Seidenstraße geplant und
betrieben wird. Der Wirtschaftskorridor erstreckt sich über die besiedelten
und wichtigen Gebiete Pakistans und umfaßt Energieprojekte,
Verkehrsinfrastrukturen und Wirtschaftszonen entlang des Korridors. Der Bau
dieser Projekte wird den Strom von Waren, Informationen und anderen
Ressourcen, einschließlich Menschen, fördern. Der Wirtschaftskorridor wird
mehr Möglichkeiten für die Zusammenarbeit, mehr Projekte in den Bereichen
Energie, Handel und Transportinfrastruktur bringen und den Menschen beider
Nationen mehr Beschäftigungsmöglichkeiten bieten.
Neben dem Briefing hatten die besuchenden Analysten die Möglichkeit, die
Organisationen zu besichtigen, die an der Umsetzung der geplanten Projekte
beteiligt sind oder in die Unternehmen investieren, wie etwa, neben
zahlreichen anderen, die China Harbour Engineering Company, die die erste
Phase des Tiefseehafens von Gwadar gebaut hat, und die Dongfang Electric
Corporation, die für die erfolgreiche Durchführung von Großprojekten wie das
Wasserkraftwerk Ghazi Barotha und das Kraftwerk Nandipur verantwortlich ist.
Die Export-Import Bank of China wiederum ist ein ernsthafter Investor, der
Pakistan bereits mit 3,6 Milliarden Dollar in Form von vergünstigten Krediten
und Export-Service-Krediten unterstützt hat und kurz davor stand, neue
Rahmenverträge mit Institutionen in Pakistan zu unterzeichnen, um Milliarden
von Dollar in anstehende Entwicklungsprojekte in Pakistan zu investieren,
insbesondere im Energiesektor und im Rahmen der CPEC.
Was der CPEC für Pakistan bedeutet
Im Hinblick darauf, was die Neue Seidenstraße für Pakistan bedeutet, genügt
es zu sagen, daß sie eine einmalige Chance für den Aufschwung Pakistans,
insbesondere seiner rückständigen Regionen wie Belutschistan, darstellt.
Leider haben Chinas Gegner einige fehlgeleitete Belutschen dahingehend
manipuliert, daß das Megaprojekt nichts an ihrem Zustand der Entbehrung ändern
würde. Terroristen wie die pakistanischen Taliban und der Islamische Staat
haben aktiv Aufständische rekrutiert, ausgebildet und bewaffnet, um die
chinesischen Ingenieure sowie die pakistanischen Strafverfolgungsbehörden
anzugreifen.
Pakistan hat eine spezielle Sicherheitstruppe geschaffen, um die Sicherheit
des Personals und des Projekts zu gewährleisten, und hat es nicht nur
geschafft, den Terrorismus einzudämmen, sondern das Projekt „Neue
Seidenstraße“ hat auch begonnen, sich auszuzahlen, da die Einheimischen durch
die Installation zahlreicher Entwicklungsprojekte, Schulen,
Berufsausbildungszentren, Gesundheitseinrichtungen und
Wasseraufbereitungsprojekte immens davon profitieren. Sowohl die zu Beginn
gestarteten Projekte, als auch die der zweiten Phase haben Früchte getragen.
Während der Herausforderungen, die durch COVID-19 entstanden sind, wurde kein
einziges Projekt gebremst oder verzögert, was bemerkenswert ist.
Gleichzeitig rief China die „Gesundheits-Seidenstraße“ ins Leben, die
parallel zu den zahlreichen Überland-Korridoren der Seidenstraße und der
maritimen Seidenstraße verlaufen soll. In einer deutlichen Demonstration von
Soft Power bot es mehr als 100 Nationen Ausrüstung und medizinische Hilfe an,
die mit Covid-19 zusammenhängen, einschließlich COVAX.
China betreibt keine Schuldenfallen-Diplomatie
Der lautstärkste Kritiker der Neuen Seidenstraße war bisher der indische
Premierminister Narendra Modi. Er hat sich vehement gegen den CPEC
ausgesprochen, der durch einen von Indien beanspruchten Teil von Kaschmir
führt, und bezeichnete die Route als „koloniales Unternehmen“, das „Schulden
und zerrüttete Gemeinschaften in seinem Kielwasser“ zu hinterlassen drohe. Im
Einklang mit den Terroranschlägen wurden Propagandakampagnen gestartet, um die
Neue Seidenstraße zu diskreditieren. China wird mit der Britischen
Ostindien-Kompanie verglichen, die im achtzehnten Jahrhundert als Händler nach
Indien gekommen war und es geschafft hatte, den gesamten Subkontinent zu
erobern. Es werden Gerüchte verbreitet, China betreibe
Schuldenfallen-Diplomatie, um den Schuldnerländern enorme Schulden aufzubürden
und so seinen Einfluß auf sie zu vergrößern. Anfang 2017 wurde der
Begriff „Schuldenfallen-Diplomatie“ vom indischen Akademiker Brahma Chellaney
eingeführt und in den letzten Jahren häufig dazu verwendet, Chinas
Kreditvergabepolitik anzugreifen. Aber die Stichhaltigkeit der Anschuldigungen
gegen China wurde von mehreren akademischen Institutionen wie der Rhodium
Group, dem Chatham House und der Princeton University infrage gestellt, die
erklärten, daß das Narrativ der Schuldenfallen-Diplomatie im Zusammenhang mit
chinesischen Investitionen nicht wahr sei.
Tatsache ist, daß die meisten der chinesischen Firmen, die an dem
Megaprojekt beteiligt sind, als Investoren in Pakistan eingestiegen sind. Das
wenige, was an finanzieller Kreditvergabe stattgefunden hat, ist zu sehr
niedrigen Zinsen und über einen langen Rückzahlungszeitraum verteilt, so daß
es keine Belastung darstellt.
Die Vorteile, die sich für Pakistan ergeben, sind, daß das energiearme
Pakistan in China einen Retter gefunden hat, der versprochen hat, dem Land in
seiner dunklen Stunde beizustehen. Teile des Landes litten früher unter
Stromausfällen von bis zu 18 Stunden pro Tag, die jetzt auf fast null gesunken
sind. In den letzten zehn Jahren hat sich Islamabad bemüht, nicht nur die
Infrastrukturlücken innerhalb seiner Grenzen zu schließen, sondern auch die
Beziehungen zu den bevorzugten Partnern im Norden zu stärken und endlich sein
Potenzial auszuschöpfen.
Auch die USA haben Vorbehalte gegenüber der Neuen Seidenstraße. Die „String
of Pearls“-Theorie, die 2005 von der US-Beratungsfirma Booz Allen Hamilton
geprägt wurde, besagt: „China wird versuchen, seine Marinepräsenz durch den
Aufbau ziviler maritimer Infrastruktur entlang der Peripherie des Indischen
Ozeans zu erweitern. Dieser Korridor ist eines der vielen Megaprojekte, die
China in Zentral-, Süd- und Südostasien plant, um seinen politischen und
wirtschaftlichen Einfluss auszuweiten und der relativ besser etablierten
US-Einflusssphäre in der Region etwas entgegenzusetzen.“
Das Spiel der Großmächte hat Pakistan in eine einzigartige Position
gebracht. Es kann potentiell die Rivalitäten der Großmächte ausgleichen und
die Handelskooperation in der Region fördern, da es sowohl mit dem Westen als
auch mit China gute Beziehungen pflegt. Historisch gesehen gibt es einen
Präzedenzfall, als eine ähnliche Initiative des Regimes von General Yahya Khan
im Jahr 1970 die beiden Großmächte an den diplomatischen Tisch brachte, und im
aktuellen Szenario kann eine handelsorientierte Diplomatie Pakistans dazu
beitragen, die Komplexität dieser Rivalität zu verringern.
Für Pakistan ist die Neue Seidenstraße also ein Wendepunkt, der nicht nur
wirtschaftlich zahlreiche Vorteile mit sich bringt, sondern auch das Prestige
des Landes in der Gemeinschaft der Nationen erhöht.
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