Ein chinesischer Beitrag zur Weltgeschichte, aus der Zukunft betrachtet
Von Helga Zepp-LaRouche
Die Präsidentin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, hielt am „Internationalen Akademischen Forum in China 2021“ eine Rede, zum Thema „Ein neuer und einzigartiger chinesischer Weg zur Modernisierung“. Wir drucken im Folgenden ihre Rede im Wortlaut ab.
China ist gegenwärtig das einzige Land, das eine klare und begeisternde
Vision für die Zukunft hat, namentlich, daß China bis zum 100. Jahrestag der
Volksrepublik China ein „modernes sozialistisches Land werden will, das
wohlhabend, stark, demokratisch, kulturell fortgeschritten, harmonisch und schön
ist“. Aufgrund seiner unglaublichen Erfolgsbilanz, insbesondere in den letzten
40 Jahren, gibt es hinreichenden Grund anzunehmen, daß dieses Ziel eine
überwältigende Chance hat, erreicht zu werden.
Chinas Errungenschaften
Der Erfolg der KPCh [Kommunistische Partei Chinas], China zu vereinigen und
es von einem Land, das unter Aggression, Besetzung und Ausplünderung durch
imperiale Mächte gelitten hat, in den heutigen Motor der Weltwirtschaft zu
verwandeln, ist eine der größten zivilisatorischen Leistungen der Geschichte!
Nach den Erfahrungen des Jahrhunderts der Demütigung und der arroganten
Ungerechtigkeit des Versailler Vertrags, der China sein eigenes Territorium
verweigerte, brachte die Gründung der KPCh China auf den Weg, seine Souveränität
zu erlangen, was nach Jahrzehnten weiterer Kriege und Bürgerkriege zur Gründung
der Volksrepublik China führte. Doch mit Deng Xiaopings Reform- und
Öffnungspolitik, die 1978 begann, kam es zu einem in der Geschichte
beispiellosen Wandel. Deng war der erste, der den Begriff „Xiaokang“ (eine
„mäßig wohlhabende Gesellschaft“) verwendete, um dem chinesischen Traum von der
Modernisierung einen Namen zu geben.
Von einem vorwiegend ländlichen, auf Handarbeit basierenden Land entwickelte
sich China zu einem Land mit dem größten Hochgeschwindigkeitsbahnsystem der
Welt, und, obwohl es relativ spät mit seinem Raumfahrtprogramm begann, war China
das erste Land, das mit der Mission Chang’e-4 auf der erdabgewandten
Seite des Mondes landete. Im Februar brachte die Marssonde Tianwen-1 den
Rover Zhurong für Erkundungszwecke zum Mars. Der Wukong-Satellit
zur Erforschung dunkler Materie ist auf dem neuesten Stand der Technik, und
chinesische Nuklearwissenschaftler haben Kernreaktoren der dritten Generation,
den Kugelhaufenreaktor, entwickelt und erforschen die Technologie der
Kernfusion.
Zu diesen Erfolgen kommt hinzu, daß 850 Millionen Chinesen aus der Armut
befreit wurden, die Lebenserwartung erheblich gestiegen ist und sich der
Lebensstandard der chinesischen Bevölkerung verbessert hat. Mit der Neuen
Seidenstraße, der BRI, arbeitet China am größten Infrastrukturprogramm der
Geschichte und bietet damit zum ersten Mal vielen Entwicklungsländern die
Hoffnung, die von den Kolonialmächten hinterlassene Armut und Unterentwicklung
zu überwinden. Xi Jinpings Vision einer Gemeinschaft für die gemeinsame Zukunft
der Menschheit ist die bei weitem entwickeltste Konzeption für eine völlig neue
Ära in der Geschichte der Menschheit, die zum ersten Mal ein Modell für eine
Welt ohne Krieg bietet.
China war das erste Land, das das Coronavirus durch strenge pandemische
Maßnahmen, den Bau neuer Krankenhäuser mit Tausenden Betten und die solidarische
Mobilisierung des ganzen Landes eindämmen konnte, während es gleichzeitig
medizinische Hilfsgüter und später Impfstoffe in viele Länder der Welt
exportierte und spendete. Mit dem Konzept der Gesundheits-Seidenstraße hat China
auch einen wichtigen Beitrag zum Aufbau eines weltweiten Gesundheitssystems
geleistet, ohne das weder diese Pandemie noch zukünftige Pandemien bewältigt
werden können.
Eines der beeindruckendsten Merkmale der Entwicklungen in China ist die
Konzentration auf die kulturelle Verbesserung der Bevölkerung. Überall im Land
wurden enorme Anstrengungen unternommen, um die im Laufe von 5.000 Jahren
Geschichte entstandenen Kulturschätze zu bewahren und sie in digitaler Form
möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen und so die kulturelle Identität
der Bevölkerung zu stärken und ihr eine anregende Freizeitbeschäftigung zu
bieten. Negative kulturelle Einflüsse werden bekämpft, wie Rap, Hip Hop und die
Zeit, die Jugendliche mit destruktiven Internet-Spielen verschwenden.
Auf der positiven Seite werden die großen klassischen Traditionen der
chinesischen Kultur wie klassische Poesie, Malerei, Kalligraphie, Musik und Tanz
wiederbelebt. Auch die chinesische Oper, die schönen Volkslieder und die
Instrumentalmusik werden von der chinesischen Jugend immer mehr geschätzt.
Präsident Xi Jinping hat sich eindeutig die Sichtweise des ersten
Bildungsministers der Republik China, Cai Yuanpei, der auch Präsident der
Beijing-Universität war, zu eigen gemacht, das heißt, daß die ästhetische
Erziehung der Menschen sowohl die Kreativität als auch den moralischen Charakter
fördert. Er sagte ausdrücklich, daß so Studenten mit einem schönen Geist
hervorgebracht werden, was die Quelle für neue große Kunstwerke ist. Die
Absicht, 10% des BIP in die kulturelle Entwicklung der breiten Bevölkerung zu
investieren, ist absolut revolutionär.
In Anbetracht der Entwicklung Chinas, insbesondere der letzten 40 Jahre, und
der Betonung der eben beschriebenen kulturellen Werte gibt es also allen Grund
zu der Annahme, daß China sein Ziel, die Art von Gesellschaft, die es bis Mitte
des 21. Jahrhunderts sein möchte, erreichen wird. Denn jene Entscheidungen, die
heute mit Blick auf bestimmte kulturelle Werte getroffen werden, werden
bestimmen, welche Gesellschaft in zwei Generationen existiert.
Die Sichtweise des Westens
Das Hauptproblem ist jedoch, daß die Anhänger des liberalen westlichen
Systems das chinesische Modell als Rivalen, ja sogar als Gegner betrachten und
entschlossen sind, den weiteren Aufstieg Chinas einzudämmen, wofür die Gründung
des AUKUS nur das jüngste Beispiel ist. Auch wenn diese Beschreibung nicht in
die offizielle diplomatische Sprache von heute paßt, handelt es sich im
wesentlichen um dasselbe System wie das Britische Empire, das mit dem Vertrag
von Paris 1763 gegründet wurde und das die Britische Ostindiengesellschaft zur
Ausbeutung Indiens und vieler anderer Entwicklungsländer einsetzte und die
Opiumkriege gegen China führte.
Heute existiert dieses Imperium in Form einer ausbeuterischen Oligarchie mit
Sitz in der Londoner City und der Wall Street. Nachdem Amerika seinen
Unabhängigkeitskrieg erfolgreich gegen dieses Imperium führte, erkannten die
Briten nach dem Sieg Lincolns über die Konföderation (die mit dem Britischen
Empire verbündet war), daß die amerikanische Kolonie militärisch nicht
zurückerobert werden konnte. Also konzentrierten sich die Kräfte des Imperiums
darauf, das amerikanische Establishment für die Idee zu gewinnen, die Welt als
ein Imperium zu regieren, das auf einer Sonderbeziehung zwischen Großbritannien
und den USA beruht.
Betrachtet man den kulturellen Zustand des „Westens“, so ist es
offensichtlich, daß es keine solchen Bestrebungen nach einer kulturellen und
moralischen Verbesserung der Bevölkerung gibt. Im Gegenteil, das allgemeine
kulturelle Leben wird von einer Gegenkultur beherrscht, die dem Grundsatz folgt:
„Alles ist erlaubt!“ Je verrückter und entarteter eine „künstlerische“ Idee ist,
desto größer ist die Chance, daß sie in den Massenmedien vorgestellt wird. In
den Medien wird sogar eingeräumt, daß eine Bevölkerung, die von niederen
Impulsen beherrscht wird, politisch leichter zu kontrollieren sei. Aus dieser
liberalen Sichtweise heraus wird der Vorwurf abgeleitet, China sei eine
„autokratische Gesellschaft“, die ihrer Bevölkerung kulturelle Werte aufzwinge
und die „Freiheit“ der individuellen Meinungsäußerung unterdrücke.
Dialog über klassische Kultur
Wer hat nun Recht? Ist das nur eine Ansichtssache, bei der jede Meinung
gleichermaßen gültig ist?
Die Menschheit ist die einzige Gattung, die ihre eigene Zukunft gestalten
kann, indem sie eine schöne Vision davon entwickelt, wie die Zukunft aussehen
kann, und dann daran arbeitet, dieses Ziel zu erreichen. Heruntergekommene
Kulturen, wie z.B. solche, die von Empirismus, Sophisterei und Relativismus
beherrscht werden, nehmen dem einzelnen jedoch die Fähigkeit, kreative
Hypothesen über die Zukunft zu formulieren, da dies voraussetzen würde, sich
über die Ebene der Sinnesbefriedigung zu erheben. Daher setzt das Imperium auf
Konfrontation, Aggression und die Projektion der eigenen Motive auf den
gewählten Gegner.
Das Problem ist nicht, daß China autokratisch ist, das Problem ist, daß sich
der Westen von seinen eigenen besten kulturellen Traditionen wie der
italienischen Renaissance, der deutschen Klassik und den Idealen der
Amerikanischen Revolution entfernt hat. Diese Werte sind zwar noch vorhanden,
aber nicht genügend aktiv.
Das Beste, was China daher tun kann, ist, mit den europäischen Nationen und
den USA einen Dialog über die klassische Kultur zu führen, in dem jede Seite die
besten und edelsten Vorstellungen hervorhebt. Es ist die pädagogische Wirkung
der klassischen Kultur, die den Menschen über die Ebene der Sinneswahrnehmung
erhebt und ihm ein Verständnis für die potentielle Unsterblichkeit der
menschlichen Gattung eröffnet. Durch einen lebhaften Dialog zwischen Konfuzius,
Platon, Archimedes, Zhu Xi, Wang Yangming, Nikolaus von Kues, Leibniz, Du Fu und
Schiller, um nur einige zu nennen, können die Menschen eine Vorstellung von der
Gleichzeitigkeit der Ewigkeit entwickeln, wie es beispielsweise in dem Fresko
Die Schule von Athen von Raffaello Sanzio da Urbino zum Ausdruck
kommt.
Der beste Weg für China, sein Ziel für 2049 zu erreichen, besteht darin, die
Bemühungen um die kulturelle Neue Seidenstraße zu verstärken. Denn je mehr
Länder auf dem Planeten auch für sich selbst das Ziel entwickeln, eine kulturell
fortschrittliche, harmonische und schöne Gesellschaft zu schaffen, desto größer
sind die Chancen, daß alle die zugrundeliegenden universellen Prinzipien
entdecken, die uns menschlich machen und die Grundlage für die gemeinsame
Zukunft der Menschheit darstellen.
|