Ein schreckliches Ende oder ein neues Paradigma?
Von Helga Zepp-LaRouche
Die Gründerin und Präsidentin des Schiller-Instituts eröffnete
die Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 13. November mit dem folgenden
Vortrag. Er wurde aus dem Englischen übersetzt, Zwischenüberschriften sind
hinzugefügt.
Ich grüße Sie und freue mich sehr, daß ich zu Ihnen sprechen kann, egal an
welchem Ende der Welt, wo immer Sie diese Konferenz verfolgen. Denn wir befinden
uns in einem äußerst entscheidenden Moment.
Um mit einer optimistischen Möglichkeit, oder besser gesagt einem
Gedankenexperiment zu beginnen: Es wäre eigentlich recht einfach, fast jedes der
vielen Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, zu lösen, wenn die
Mehrheit der Regierungen der europäischen Nationen und vielleicht sogar die
US-Regierung sagen würde:
„Ok, wir haben Mist gebaut, wir müssen unsere Denkweise ändern! Wir haben
viele Fehler gemacht: Wir haben Investitionen in die grundlegende Infrastruktur
vernachlässigt. Wir haben eine Politik gemacht, die Spekulation gegenüber der
Realwirtschaft begünstigt. Wir haben zugelassen, daß in einer Zeit einer
Hungerkrise biblischen Ausmaßes unsere Landwirte ruiniert werden. Wir hätten
wissen müssen, daß wir den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen können, der sich
zu einer Katastrophe entwickelt hat. Wir haben nichts getan, um zur Überwindung
der Armut in Afrika beizutragen. Wir haben Länder, die uns freundlich und offen
gegenüberstanden, wie Rußland und China, durch geopolitische Provokationen
unnötigerweise zu Gegnern gemacht. Wir scheinen unfähig zu sein, die Pandemie in
den Griff zu bekommen, weil wir die Privatisierung des Gesundheitswesens nicht
rückgängig gemacht haben und uns in Sachen Impfstoffe nur um die reichen Länder
kümmern. Wir haben unsere großen humanistischen klassischen Kulturen
vernachlässigt. Wir haben zugelassen, daß die Köpfe unserer Bevölkerung mit
einer völlig verkommenen Unterhaltungsindustrie vergiftet werden. Wir haben
zugelassen, daß unsere Jugend am kommenden Weltuntergang verzweifelt, indem wir
die Medien mit pseudowissenschaftlicher Propaganda über das Klima berieseln.
Weil wir erkennen, daß wir dabei sind, das ganze System an die Wand zu
fahren, ändern wir uns, und wir schließen uns den Ländern der Gürtel- und
Straßen-Initiative (BRI) an und arbeiten mit Rußland, China und anderen Nationen
zusammen, um all diese Probleme zu lösen, was wir auch können, denn gemeinsam
sind wir die kreative Gattung!“
Es wäre wirklich einfach. Aber ist es wahrscheinlich, daß dies passieren
wird? Leider nicht! Denn bisher haben die Institutionen des Westens, trotz eines
politischen Versagens nach dem anderen, keinerlei Fähigkeit gezeigt, ihre Fehler
zu erkennen, einzugestehen und die entsprechenden Korrekturen vorzunehmen.
Infolgedessen ist es wahrscheinlicher, daß das gesamte transatlantische System
kurz vor dem Zerfall steht!
Erinnern Sie sich an diese Sätze: „Unsere Republik gehört heute zu den zehn
leistungsfähigsten Industrienationen der Welt, zu den knapp zwei Dutzend Ländern
mit dem höchsten Lebensstandard…“? Der Mann, der diese Worte am 6. Oktober 1989
sprach, war Erich Honecker, zwölf Tage später war er aus dem Amt und 34 Tage
später öffnete sich die Berliner Mauer.
Damals warnte Papst Johannes Paul II., man solle aus dem Untergang des
kommunistischen Systems nicht den Schluß ziehen, daß das westliche liberale
System moralisch überlegen sei, und wenn jemand Zweifel habe, solle er sich die
schrecklichen Zustände in den Entwicklungsländern ansehen.
In dieser Zeit habe ich viele Reden gehalten, in denen ich warnte, wenn man
den Fehler machen würde, der ganzen Welt das neoliberale System überzustülpen –
und genau das wurde versucht und implizit in Fukuyamas Euphemismus vom „Ende der
Geschichte“ und explizit in der Idee einer „unipolaren Welt“ gesagt –, daß dies
zu einem noch dramatischeren Zusammenbruch des gesamten Systems führen würde.
Ich denke, daß wir uns jetzt an diesem Punkt befinden. Ich denke, wir stehen
am Rande des systemischen Zusammenbruchs des neoliberalen Systems. Er wird eine
andere Form annehmen als das Ende der DDR und dann der Sowjetunion, aber dieses
System befindet sich in einem Prozeß der Selbstzerstörung. Die existentielle
Bedrohung für die westliche Welt geht nicht von den sogenannten „autokratischen
Systemen“ und „Diktaturen“ des Planeten oder von irgendeinem äußeren Feind aus,
sondern einzig und allein von der moralischen Dekadenz, die aus dem kulturellen
Paradigmenwechsel resultiert, der in den 60er Jahren begann und von Lyndon
LaRouche damals hellsichtig erkannt wurde, und dessen Langzeitwirkung wir heute
erleben. Wenn es nicht zu einer plötzlichen Umkehr dieses Paradigmenwechsels
kommt, wird das, was sie die „regelbasierte Ordnung“ nennen, uns in ein
finsteres Zeitalter mit sehr ähnlichen Merkmalen wie das 14. Jahrhundert stürzen
oder schlimmer noch, es wird zu totalem Chaos und Weltkrieg führen.
In den letzten zwei Wochen wurde auf der COP26-Konferenz in Glasgow versucht,
die Nationen dieser Welt dazu zu nötigen, Maßnahmen zur Verringerung der
CO2-Emissionen zu schlucken, die zu einem Bevölkerungsrückgang in
Milliardenhöhe führen und die Industrienationen in einen vorindustriellen
Zustand zurückversetzen würden, wenn sie umgesetzt werden. Es war
glücklicherweise ein umfassender Fehlschlag, da Rußland, China und mehrere
Entwicklungsländer offensichtlich die bösartigen Absichten dieser Leute erkannt
haben, nur untergeordnete Delegationen entsandten und völlig andere Prioritäten
geltend machten, wie das Recht auf Entwicklung für ihre Länder oder
Energiesicherheit.
Es fällt auf, daß von Seiten der Organisatoren nicht ein einziges Mal über
die katastrophalen Situationen auf der Welt gesprochen wurde, von der bereits
bestehenden Hungersnot in vielen Ländern oder dem Zusammenbruch der
Gesundheitssysteme oder der Flüchtlingskrise.
(Sie zeigte an dieser Stelle ein kurzes Video von Demonstrationen
fanatischer Klimaaktivisten.)
Diese arme, irregeführte Jugend, die von einer Finanzoligarchie in die Irre
geführt wird, lebt eindeutig nicht in der realen Welt. Sie machen sich keine
Gedanken über die Realität des Massenhungers in den Entwicklungsländern, über
den Zusammenbruch der Zivilisation. Nach mehreren Jahren apokalyptischer
Szenarien, daß „der Planet überkochen wird“ (Obama), oder daß „uns nur noch
zwölf Jahre bleiben“ (Fridays for Future), oder sogar „nur noch 18 Monate“
(Prinz Charles vor 18 Monaten), hat ein massenpsychologischer Effekt
schreckliche Auswirkungen hervorgerufen. Laut der britischen medizinischen
Zeitschrift The Lancet hat die Öko-Angst vor allem bei Kindern und
Jugendlichen zu einem dramatischen Anstieg von Depressionen, schlechter
Stimmung, extremer psychischer Belastung und Selbstmorden geführt. Laut The
Lancet ergab eine Umfrage unter 10.000 jungen Menschen zwischen 16 und 25
Jahren in zehn Ländern, daß 84% über die globale Erwärmung besorgt sind, 59%
sogar sehr besorgt, und 40% wollen keine Kinder haben. Le Figaro
berichtete darüber und fügte hinzu: „Jedes weniger geborene Kind würde den
Ausstoß von 58 Tonnen CO2 pro Jahr vermeiden (das sind 50 Hin- und
Rückflüge von Paris nach New York).“
Reale Katastrophen
Stellen wir diesem von der Finanzoligarchie gesteuerten Pöbel, der im
Videoclip gezeigt wird, die Realität des Massenhungers in der Welt
gegenüber.
Am 8. November teilte das Welternährungsprogramm in einer
Dringlichkeitserklärung mit, daß weltweit 45 Millionen Menschen am Rande des
Verhungerns stehen: in Haiti, Äthiopien, Somalia, Kenia, Burundi, Jemen, Syrien
und Afghanistan. Diese Zahl steigt exponentiell an, weil die Preise für
Treibstoff, Lebensmittel und Düngemittel gestiegen sind. David Beasley war
gerade in Kabul, wo er sagte, daß wir in Afghanistan mit der schlimmsten
humanitären Krise der Welt konfrontiert sind. 95% der Bevölkerung dort seien in
den nächsten sechs Monaten vom Hungertod bedroht, und es werde die Hölle auf
Erden sein.
Was ist die Reaktion im Westen? Nach 20 Jahren Krieg, der die USA 2 Billionen
Dollar gekostet und das Land völlig zerstört hat, werden jetzt 9 Milliarden
Dollar vom US-Finanzministerium einbehalten, 430 Millionen von der Commerzbank,
ähnliche Summen von der Bundesbank, der Bank für Internationalen
Zahlungsausgleich usw. Sie argumentieren, daß dieses Geld nicht ausgezahlt wird,
wenn die Taliban nicht bestimmte Bedingungen erfüllen.
Was glauben Sie, was passieren wird, wenn mehr als 30 Millionen Menschen in
Afghanistan verhungern und erfrieren? Wie viele Millionen werden dann versuchen,
nach Europa zu gelangen?
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration gab es Ende 2020
bereits 281 Mio. Migranten auf der Welt, plus etwa 55 Mio. vertriebene Migranten
innerhalb der Länder. Das macht 336 Millionen Flüchtlinge, bei einer
US-Bevölkerung von 329,5 Millionen sind das 6 Millionen Menschen mehr als die
gesamte US-Bevölkerung! Das geschieht unter den Bedingungen einer Pandemie, die
immer noch völlig außer Kontrolle ist.
An der Grenze zwischen Weißrußland und Polen gibt es jetzt eine große Krise
mit mehreren tausend Flüchtlingen, die bei eisigen Temperaturen keine Nahrung,
kein Wasser und keine Unterkunft haben. Was tut die polnische Regierung? Sie hat
15.000 polnische Soldaten geschickt; sie hat Stacheldrahtzäune errichtet.
Zusammen mit der EU werfen sie Lukaschenko vor, er sei ein Diktator, weil er
diese Menschen absichtlich in einen „hybriden Krieg“ geschickt habe.
NATO-Generalsekretär Stoltenberg ist bereits involviert und gibt Erklärungen ab.
Es wird gefordert, die NATO solle Polen unterstützen.
Der Vorwurf, diese Flüchtlinge würden absichtlich „geschickt“, ist völlig
unzutreffend. Es handelt sich um Flüchtlinge, die aus dem Irak, Syrien, dem
Kongo, Kamerun und anderen Ländern kommen. Es ist nicht Lukaschenkos Schuld, daß
sie dort sind, sondern die der USA und anderer Länder, die 2003 einen Krieg
gegen den Irak geführt haben, der auf Lügen basierte, und die sogenannten
Caesar-Sanktionen gegen Syrien verhängt haben, um einen Regimewechsel gegen die
Assad-Regierung herbeizuführen, was laut Kardinal Zenari über 90% der
Bevölkerung in Ernährungsunsicherheit und extreme Armut stürzte.
Dmitrij Poljanskij, Chargé d'affaires der russischen Mission bei den
Vereinten Nationen, berichtet, daß viele Flüchtlinge geschlagen und nach
Weißrußland zurückgetrieben wurden – eine totale Schande, ein Verstoß gegen alle
internationalen Konventionen! Offensichtlich sind das die „westlichen Werte“ der
regelbasierten Ordnung geworden!
Mitten in dieser Krise hat Bundespräsident Steinmeier nichts Besseres zu tun,
als die Oppositionsführerin Tichanowskaja zu empfangen, die bei der letzten Wahl
10% erhalten hat, aber von der EU als Siegerin anerkannt wird. Außenminister
Maas und die EU fordern weitere Sanktionen, und sie treffen sich morgen [14.11.
– Red.], um dies wahrscheinlich zu beschließen. Lukaschenko hat gesagt, er werde
das nicht akzeptieren und möglicherweise die Energielieferungen durch
Weißrußland unterbrechen. In der EU gibt es gerade eine große Debatte darüber,
ob sie den Bau eines befestigten äußeren Zauns um die EU finanzieren soll.
Damit sind wir wieder bei der Dystopie aus dem Buch von Jean-Christophe Rufin
aus dem Jahr 1991 Das Reich und die neuen Barbaren, in dem es um die Idee
geht, einen neuen Limes um Europa zu errichten. Südwestasien und Afrika werden
zur terra incognita, zu gescheiterten Staaten erklärt, mit von der EU
finanzierten Flüchtlingslagern, die Papst Franziskus bereits mit
Konzentrationslagern verglichen hat, und wo Frontex „Pushback-Operationen“
betreibt, bei denen in Kauf genommen wird, daß viele Flüchtlinge ertrinken oder
auf andere Weise sterben.
Wenn es eine hyperinflationäre Explosion des Finanzsystems gibt wie in der
Weimarer Republik 1923, aber diesmal in allen Ländern, die keine
Kapitalkontrollen haben, und die Pläne des Great Reset umgesetzt werden, dann
wird es eine Völkerwanderung geben, wie wir sie zunehmend aus Süd- und
Mittelamerika in die USA und aus dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika nach
Europa erleben. Aber es werden nicht nur einige Migranten sein, sondern
„Völkerwanderungen“ wie in der Antike.
Weltkriegsgefahr
Was die größere strategische Situation zwischen den Großmächten angeht: Wenn
man versucht, die verwirrend widersprüchlichen Äußerungen der
Biden-Administration über das Verhältnis der USA zu China und Rußland zu
bewerten – die an einem Tag vielversprechend sind und am nächsten Tag durch
provokative Aktionen der USA um Taiwan oder die Ukraine und das Schwarze Meer
entkräftet werden –, dann sollte man die Äußerungen des Kommandeurs des
Strategischen Kommandos der USA, Admiral Charles Richard, nicht vergessen, der
im Februar dieses Jahres in der Zeitschrift Proceedings schrieb:
„Es besteht die reale Möglichkeit, daß eine regionale Krise mit Rußland oder
China schnell zu einem Konflikt mit Atomwaffen eskalieren könnte, wenn dem
Regime oder Staat eine konventionelle Niederlage droht. Folglich muß das
US-Militär seine Grundannahme von ,der Einsatz von Atomwaffen ist nicht möglich‘
ändern in ,der Einsatz von Atomwaffen ist eine sehr reale Möglichkeit‘.“
Das ist eine sehr bemerkenswerte Aussage. Wie wahrscheinlich ist es, daß
Rußland oder China einen Konflikt um die heißesten regionalen Krisenpotentiale
verlieren, falls es zu konventionellen Militäraktionen kommt? Was einen
konventionellen Angriff auf Rußland betrifft, so wäre Admiral Richard gut
beraten, Leo Tolstois Krieg und Frieden über die Napoleonischen Kriege zu
lesen, ergänzt durch die strategischen Studien von Friedrich Schillers Schwager,
Ludwig von Wolzogen, der für die preußischen Reformer und den russischen Zaren
den Plan entwarf, wie man Napoleon in die Weiten Rußlands locken könnte, wo er
an der logistischen und materiellen Überforderung zugrunde gehen würde. Am Ende
dieses Feldzuges war Napoleons gigantisches Heer auf ein paar armselige Haufen
zusammengeschrumpft, die es mit Mühe und Not in den Westen zurück schafften.
Bekanntlich hatten die Architekten des Zweiten Weltkriegs nichts aus diesem
Präzedenzfall gelernt, und der „Große Vaterländische Krieg“ ist in den Köpfen
der russischen Bevölkerung noch sehr lebendig. Die US- und NATO-Streitkräfte
haben also mit Sicherheit studiert, wie ein konventioneller Krieg gegen Rußland
aussieht, und er ist keineswegs eine Option!
Und vor kurzem, nach einigen sehr irritierenden Signalen aus den USA
bezüglich ihrer Unterstützung für eine mögliche Unabhängigkeit Taiwans, die in
Präsident Bidens „Versprecher“ gipfelte, die USA würden Taiwan nach einem
„Überfall“ vom Festland aus verteidigen, waren die chinesischen Medien voller
Artikel, in denen die Zuversicht geäußert wurde, daß die PLA
(Volksbefreiungsarmee) jeden konventionellen Krieg mit Leichtigkeit gewinnen
würde. Tatsächlich: Wie sollte eine konventionelle Streitkraft der USA gegen
eine hochmotivierte Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen gewinnen, die fest
entschlossen ist, daß sich das „Jahrhundert der Demütigung“, in dem fremde
Mächte in ihr Land eindrangen und Gebiete an sich rissen, nie wiederholen wird –
noch dazu, wenn die logistische Unterstützung der anderen Seite mehr als 7000
Meilen entfernt ist?
Zu Beginn dieses Jahres verwies Daniel Ellsberg anläßlich des 50. Jahrestages
seiner Enthüllung der Pentagon-Papiere auf einen Vorschlag von John Foster
Dulles, einen nuklearen Schlagabtausch mit Rußland und China in der Straße von
Taiwan einzuleiten, selbst auf Kosten der Vernichtung Taiwans, nur um die
strategische „Position“ der USA zu wahren. Er zitierte eine teilweise
freigegebene Studie der RAND Corporation mit dem Titel „Die Krise an der
Taiwan-Straße, eine dokumentierte Geschichte“ – ein Papier, das unseren heutigen
Politikern, die wieder einmal in einen Weltkrieg hineinzuschlittern drohen,
dringend als Lektüre zu empfehlen ist.
Ellsberg wies darauf hin, daß heute möglicherweise eine ähnliche Diskussion
geführt wird, bezog sich auf das erwähnte Zitat von Admiral Richard und äußerte
seine Sorge, daß die Zivilisation das Zeitalter der Atomwaffen nicht überleben
wird, wenn diese Diskussionen nicht rechtzeitig veröffentlicht werden.
Zwar gibt es immer wieder winzige Anzeichen für eine Verbesserung der
Beziehungen zwischen den USA, Rußland und China, wie z.B. das Gipfeltreffen
zwischen Biden und Putin vor kurzem oder die strategischen Gespräche in Genf
oder die Äußerung von NATO-Generalsekretär Stoltenberg, daß China nicht der
Feind sei. Aber es dauert in der Regel nur etwa einen Tag, bis dieser Hoffnung
eine kalte Dusche verpaßt wird, durch eine provokative Aktion in Bezug auf
Taiwan, die Ukraine oder die derzeitige Stationierung von Aufklärungsflugzeugen
und US-Kriegsschiffen im Schwarzen Meer. Der Sprecher des russischen
Verteidigungsministeriums Generalmajor Igor Konaschenkow warnte, Rußland
betrachte dies als eine „Studie über den voraussichtlichen Kriegsschauplatz für
den Fall, daß die Ukraine eine Machtlösung für den Konflikt im Südosten
vorbereitet“. Manchmal sind diese Aktionen höchst provokativ und gefährlich für
die regionale Sicherheit und strategische Stabilität, manchmal sind sie eher
lächerlich, wie wenn unsere unerschrockene Verteidigungsministerin AKK [Annegret
Kramp-Karrenbauer] eine Fregatte in den Indopazifik schickt, um „Flagge“ zu
zeigen. Vielleicht hofft sie, daß der Westen gewinnt, indem er die Chinesen dazu
bringt, sich totzulachen!
Aber die ernste Frage ist: Kann ein Krieg zwischen den Großmächten vermieden
werden? Der wahre Grund für all diese Spannungen ist der Aufstieg Chinas – ein
Aufstieg, der nicht aufzuhalten ist, weil China in den letzten 40 Jahren
wirtschaftlich im wesentlichen alles richtig gemacht hat. Es hat 850 Millionen
Bürger aus der Armut befreit und dann durch die BRI den Entwicklungsländern das
chinesische Modell angeboten hat, um die Unterentwicklung zu überwinden, die von
den Kolonialmächten hinterlassen wurde und durch den IWF, die Weltbank und das
neoliberale Finanzsystem fortgesetzt wird.
Da Armut und Hunger unbestritten zu den schlimmsten
Menschenrechtsverletzungen gehören, hat China mehr für den Schutz der
Menschenrechte getan als jedes andere Land der Welt. Aber genau das ist das
„Verbrechen“, über das sich die westliche Finanzoligarchie so aufregt. Wenn man
Klaus Schwabs neuestes Buch Stakeholder-Kapitalismus liest, da spricht er
es klar aus: Es sei der Kampf gegen die Armut und der Wunsch, ein anständiges
Leben zu führen, der den Planeten zerstört! Und deshalb müsse die
Armutsbekämpfung gestoppt werden, wenn man den Planeten retten will!
Und weil China der Hauptverursacher dafür ist, ist China der Feind, der
eingedämmt werden muß, und dafür braucht man einen „Regimewechsel“, wie es im
Januar in dem „Längeren Telegramm“ des Atlantic Council angedroht wurde. Also
wird es als „Diktatur“, als „autokratisches Regime“ usw. usw. bezeichnet.
Tatsache ist jedoch, daß China mit einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden
Menschen bisher 4600 COVID-Tote zu beklagen hatte, verglichen mit 760.000 Toten
in den USA mit einer Bevölkerung von 329,5 Millionen Menschen, und Deutschland
mit 97.300 Toten und 83,24 Millionen Menschen.
Nach diesem Maßstab sind die Kurt Schwabs dieser Welt die schlimmsten
Menschenrechtsverletzer von allen – und das ist noch das Netteste, was man über
sie sagen kann!
Anstatt uns also in einen Konflikt mit Rußland und China hineinziehen zu
lassen, der nur zur Zerstörung aller führen kann, sollten wir auf die eingangs
erwähnte Liste von Fehlern zurückkommen und sie korrigieren.
Operation Ibn Sina
Angesichts des Ausmaßes der Krise muß dies mit einem Notfallprogramm zur
Rettung Afghanistans und Haitis beginnen, mit einem zweifachen Ansatz: ein
sofortiges, dramatisches humanitäres Notfallprogramm für Lebensmittel,
Medikamente, Treibstoff, Energie, Unterkünfte. Dazu müssen alle Gelder, die dem
afghanischen Volk gehören, freigegeben werden, und die Geberländer müssen sowohl
für Afghanistan als auch für Haiti die Hilfe wiederaufnehmen. Und es muß volle
internationale Unterstützung für die Integration Afghanistans in die BRI und ein
echtes Wiederaufbauprogramm für Haiti geben.
Alle Nachbarländer Afghanistans, die zentralasiatischen Republiken, Pakistan,
Iran, Indien, Rußland und China haben ein grundlegendes Interesse daran,
Afghanistan zu retten und zu stabilisieren. Die USA und die NATO, die den Krieg
20 Jahre lang geführt und das Land in einem katastrophalen Zustand hinterlassen
haben, haben die moralische Verpflichtung, sowohl zur Soforthilfe als auch zum
wirtschaftlichen Aufbau des Landes beizutragen.
Es sollte klar sein, wie Lyndon LaRouche schon 1973 mit seiner biologischen
Taskforce betonte, daß diese Pandemie und andere, sich bereits abzeichnende nur
dann in den Griff zu bekommen sind, wenn die schreckliche Unterentwicklung
großer Teile des Planeten endgültig überwunden wird. Das muß nun erreicht
werden, indem wir mit dem Aufbau eines modernen Gesundheitssystems in jedem
einzelnen Land beginnen, mit oberster Priorität in Afghanistan und Haiti, aber
auch im Jemen, in Syrien und in all den anderen Ländern, die es bitter nötig
haben.
Für Afghanistan sollten wir das „Operation Ibn Sina“ nennen, denn diese
herausragende Persönlichkeit Ibn Sina oder Avicenna, wie er im Westen genannt
wird, steht für die stolzeste Tradition dieses Landes. Es gibt verschiedene,
widersprüchliche historische Quellen, ob nur der Vater Abdulla in Balch geboren
wurde oder auch Ibn Sina selbst – Balch liegt in Afghanistan, aber es werden
auch andere Orte in Usbekistan oder Persien (Iran) genannt. Aber das spielt
keine Rolle, er ist ein Sohn Baktriens, das zur Zeit der antiken griechischen
Zivilisation das „Land der tausend Städte“ genannt wurde.
Ibn Sina, der 980 n.Chr. geboren wurde und 1037 starb, gilt allgemein als
Vater der modernen Medizin. Er war auch ein Philosoph, Geologe und Astronom. Er
untersuchte Erdbeben und Wolkengebilde. Er entwickelte Methoden der Chemie, wie
zum Beispiel die Herstellung von Schwefel. Er war auch ein begabter Dichter und
schrieb Dramen. Aber vor allem in der Medizin erzielte er absolut revolutionäre
Durchbrüche. Er erkannte zum Beispiel die Funktion der verschiedenen Organe, den
Puls, die Verbindung zwischen den Nerven und die Bewegung der Muskeln. Er
entdeckte Meningitis, Brustkrebs, Gelbsucht, Blasensteine. Er erstellte einen
ganzen Katalog von Medikamenten. Er war der erste, der die Psychotherapie
entwickelte. Er schrieb ein Kompendium über die Seele – eine Abhandlung darüber,
wie die Heilung der Seele erfolgen kann, die Heilung von Zweifel und
Verzweiflung. Er schrieb mehr als 200 Bücher, vielleicht sogar doppelt so viele.
Sein Kanon der Medizin war das Standardwerk für Ärzte in Europa bis zum 17.
Jahrhundert, teilweise sogar bis zum 19. Jahrhundert.
Ibn Sina entwickelte auch eine umfassende metaphysische Konzeption in der
Tradition von Platon, al-Farabi und al-Kindi. Er entwickelte das äußerst
wichtige Konzept der „notwendigen Existenz“; das Wajib al-Wujud, was im
Arabischen „Gott“ bezeichnet. Alle anderen Existenzen existieren nach diesem
Konzept der notwendigen Existenz nur, weil Gott sie möglich macht. Diese Idee
Ibn Sinas hat viele Denker in den verschiedensten Religionen beeinflußt. Auch
Dante, der ihn im Convivio und in der Göttlichen Komödie erwähnt,
sowie Nikolaus von Kues schätzten ihn hoch ein, in mehreren Texten wie seiner
Verteidigung der Docta Ignorantia gegen Professor Wenck und dessen
Kritik. Cusa schreibt: „Vor Avicenna bemühte sich der göttliche Platon im
Parmenides sehr, den Weg zu Gott zu öffnen, denn ein Bild erreicht als
Abbild nicht die Wahrheit seines Vorbilds.“
Afghanistan braucht dringend moderne Krankenhäuser, die, wie die Chinesen in
Wuhan bewiesen haben, in zwei Wochen gebaut werden können, und modern
ausgebildete Ärzte und Krankenschwestern, und wie könnte man diesem Bemühen
einen besseren Namen geben, als es nach Ibn Sina zu benennen, um an die
Tradition eines der großen Denker der Weltgeschichte zu erinnern! Avicenna ist
gleichzeitig das Bindeglied zwischen der humanistischen Tradition der
europäischen und der islamischen Welt, da er die Ideen der antiken griechischen
Philosophie in sein Werk einfließen ließ, die einen großen internationalen
Einfluß auf ihn hatte.
Wir sollten uns also bemühen, die internationale Hilfe und die Kräfte zu
bündeln, um in seinem Namen ein modernes Gesundheitssystem auf Notfallbasis
aufzubauen!
Die Operation Ibn Sina muß auch zum Kristallisationskeim für die
Zusammenarbeit zwischen Rußland, China, den USA und den europäischen Nationen
bei den Bemühungen um die Rettung Afghanistans werden. Wenn es gelingt, in
dieser gemeinsamen Mission das geopolitische Denken zu überwinden, dann kann das
einer der dringend notwendigen vertrauensbildenden Schritte sein, um ein neues
Modell der internationalen Beziehungen auf strategischer Ebene zu schaffen!
Um all die Probleme „biblischen Ausmaßes“, wie David Beasley vom WFP sie
nennt – den Welthunger, die Pandemien, die Migrantenkrisen, die Armut und
Unterentwicklung von Milliarden Menschen – anzugehen und zu lösen, ist die
Zusammenarbeit mit der BRI der einzig praktikable und bereits verfügbare
Lösungsrahmen. Anstatt also das pompöse „Global Gateway“ vorzuschlagen – das von
der Leyen in den nächsten Tagen bei ihrem Besuch in Washington vorstellen will
und das laut Handelsblatt weit hinter den selbstgesteckten Erwartungen
zurückbleibt, keine konkreten Projekte aufführt und eine verpaßte Chance ist –,
sollten die europäischen Nationen und die USA die Win-Win-Kooperation für eine
Zukunftsgemeinschaft akzeptieren, von der Präsident Xi Jinping spricht.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Um diese beispiellose und
vielschichtige Krise zu überwinden, brauchen wir nicht nur ein völlig neues
Paradigma in den internationalen Beziehungen, eine unvoreingenommene
Untersuchung, was China wirtschaftlich richtig macht und warum der Westen nicht
in der Lage oder nicht willens war, den sogenannten Entwicklungssektor zu
entwickeln.
Vor allem braucht man eine ernsthafte Untersuchung, wie es meinem
verstorbenen Mann Lyndon LaRouche möglich war, alle Aspekte der gegenwärtigen
Krise vorherzusehen. Denn er führte sie vorausschauend schon auf den kulturellen
Paradigmenwechsel von 1964-72 zurück, als eine „New Age“-Gegenkultur eingeführt
wurde, vor der er in zahlreichen Artikeln warnte – so auch in einem Artikel 1998
„Wie man in einer Krisenzeit denken sollte“: daß dieses Paradigma, wenn es nicht
umgekehrt wird, die Existenz der Weltzivilisation bedrohen würde. Darin
identifizierte er die Ausbreitung verschiedener Formen des Kulturrelativismus
der Selbsterfahrungsgruppen und der Regenbogenkoalition als „Spaltung aller
gegen alle, nach jedem erkennbaren Unterschied der ethnischen Herkunft, des
Geschlechts oder was auch immer“, als das Prinzip des „Alles ist erlaubt“, das
die Gesellschaft von innen heraus zerstören würde.
Denken Sie an den Videoclip, den wir zu Beginn meiner Ausführungen gesehen
haben, mit dem dionysischen Mob, der in der Tat den Verdacht aufkommen lassen
könnte, daß „Körperfresser“ aus dem All den Geist dieser jungen Leute übernommen
haben, die zwar noch den Körper von Menschen haben, deren Gehirn aber eindeutig
nicht von dieser Gattung ist.
Es ist daher eine Herausforderung für seriöse Wissenschaftler auf der ganzen
Welt, zu untersuchen, warum Lyndon LaRouche den Zeitpunkt und den Charakter der
gegenwärtigen weltweiten Finanz-, Geld- und Wirtschaftskrise so treffend
vorausgesagt hat, sowie seine Methode der physischen Ökonomie, wenn wir unseren
Planeten so entwickeln wollen, daß er für alle heute und in Zukunft lebenden
Menschen lebenswert ist.
In diesem Sinne: Laßt uns auf der freudigen Grundlage handeln, daß wir die
einzigartig schöpferische Spezies im Universum sind, daß wir nicht erdgebunden
sind, sondern die potentiell unsterbliche Spezies im Universum!
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