Das Überleben unserer Welt hängt davon ab,
ob die USA und China miteinander auskommen können
Von Dr. George Koo
Dr. George Koo ist Vorsitzender der Burlingame-Stiftung und
internationaler Unternehmensberater i.R.
Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender. Ich weiß die Gelegenheit zu schätzen, an
dieser sehr wichtigen Konferenz teilnehmen zu können. Und ich möchte dem
Schiller-Institut dafür danken, daß es diese Konferenz organisiert hat.
Mein Thema spiegelt meine Besorgnis wider: Ich bin sehr besorgt über den
Konflikt, der sich zwischen den Vereinigten Staaten und China entwickelt, und
ich denke, das Überleben unserer Welt hängt davon ab, daß die beiden Länder
miteinander auskommen.
Die am häufigsten gehörten Vorwürfe, die die Vereinigten Staaten gegen China
erheben, lassen sich wie folgt aufzählen:
Erstens beschuldigen unsere (amerikanischen) Kongreßmitglieder, Senatoren und
Abgeordnete, China der Währungsmanipulation, was ziemlich absurd ist, denn China
hat den Wechselkurs an den Dollar gekoppelt, und der Grund für die Manipulation
ist, daß wir den Dollar absichtlich geschwächt haben.
Wir haben China auch, vor allem während der Trump-Präsidentschaft, unfaire
Handelspraktiken vorgeworfen und deshalb Zölle auf chinesische Waren erhoben.
Das hat nichts zum Abbau des Handelsdefizits beigetragen. Es hat vielmehr die
Inflation und die Lebenshaltungskosten für die amerikanische Bevölkerung in die
Höhe getrieben. Aus grundlegender wirtschaftlicher Sicht war es nicht
sinnvoll.
Wir beschuldigen China auch, geistiges Eigentum zu stehlen. Nun, in den
frühen Gründertagen, als China begann, sich dem Westen zu öffnen, verlangte es
von ausländischen Unternehmen, die in China Fuß fassen wollten, die Gründung von
Joint Ventures, und es förderte die Investition von Technologie und geschützter
Technologie als Teil der Kapitalbeteiligung, bis zu 25% des Eigenkapitals. In
diesem Sinne konnte China also Technologie einführen, aber das war zu einer
Zeit, als China sehr rückständig und arm war und erst herausfinden mußte, wie
man investieren und westliche Technologie einführen konnte.
Das ist nicht viel anders als in der frühen nachkolonialen Zeit Amerikas, als
man der britischen industriellen Revolution so weit hinterherhinkte, daß
Alexander Hamilton eigens amerikanische Landsleute nach London schickte, um
Geschäftsgeheimnisse zu stehlen. Aber das ist schon lange her. Und es ist eine
Übertreibung der Politiker in Washington, wenn sie behaupten, China habe den
Vereinigten Staaten Technologie im Wert von Hunderten Milliarden Dollar
„gestohlen“. Tatsächlich hat China inzwischen seine eigene Technologie
entwickelt und in vielen Bereichen den amerikanischen Wissensstand übertroffen.
Es ist doch ziemlich absurd zu behaupten, ein Unternehmen wie Huawei stehle
Technologie, die die Vereinigten Staaten nie hatten!
Und der vierte und beliebteste Vorwurf ist, daß China
Menschenrechtsverletzungen begehe. Aber wie kann jemand maßlose
Menschenrechtsverletzungen begehen, wenn man 850 Millionen Menschen aus der
Armut herausholt? China hat wiederholt gezeigt, daß es sich um den
Lebensunterhalt jedes Bürgers in China kümmert, und mit seiner Gürtel- und
Straßeninitiative auf der ganzen Welt zeigt es, daß es sich um den
Lebensunterhalt aller Menschen auf der Welt kümmert. Das steht in krassem
Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, die für Demokratie und individuelle
Freiheit werben, aber wohin sie auch gehen, folgen Tod und Zerstörung. So wie,
und das ist natürlich nur das jüngste Beispiel, das Ende des ewigen Krieges in
Afghanistan.
China wird auch vorgeworfen, es sei eine Bedrohung für die nationale
Sicherheit der USA, und infolgedessen werden ethnische chinesische Amerikaner,
die in den Vereinigten Staaten im Bereich von Wissenschaft und Technologie
arbeiten, vom FBI schikaniert, ohne ordnungsgemäßes Verfahren verhaftet, ihre
Karrieren und Existenzen zerstört. Und dann läßt das Justizministerium häufig
ohne jegliche Entschuldigung oder Entschädigungsangebot alle Anklagen fallen und
überläßt diese Menschen ihrem Schicksal.
Eine andere Art, mit China als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“
umzugehen, ist unsere sogenannte „Freiheit der Seefahrt“ im Südchinesischen
Meer. Wir drohen China, indem wir an der Küste patrouillieren; früher haben wir
auch den chinesischen Luftraum überflogen, um auszuspionieren, was dort vor sich
geht. Und jetzt beschuldigen wir sie, eine Bedrohung zu sein! Vor allem, wenn
wir eine Provokation machen und sie darauf reagieren, heißt es: „Seht her, ihre
Reaktion ist eine Provokation.“
Der wichtigste Vorwurf in Bezug auf die nationale Sicherheit betrifft das,
was wir uns in Taiwan herausnehmen, vor allem, als Pompeo Außenminister war, was
aber von der derzeitigen Biden-Regierung fortgesetzt wurde. Wir scheinen das
Shanghaier Kommuniqué, das bei Nixons Besuch in China unterzeichnet wurde und in
dem anerkannt wird, daß Taiwan schon immer zu China gehörte, nicht zu
respektieren und anzuerkennen. Wir ermutigen die Regierung in Taipeh, die von
der DPP [Demokratische Fortschrittspartei] angeführt wird, zu der Überlegung,
die Amerikaner kämen ihnen zu Hilfe, wenn sie zu weit gehen sollten. Und das ist
ein drittes Gleis, das unsere Sicherheit – die Sicherheit der ganzen Welt –
gefährdet.
Schließlich heißt es auch, man könne China nicht trauen, weil es nicht wie
eine „westliche Demokratie“ ist. Ach ja! Wissen Sie, wenn die Vereinigten
Staaten ein Modell für westliche Demokratie sind, dann geben wir ein
schreckliches Beispiel ab: Kürzlich ergab eine Umfrage von Pew Research, daß
etwa 80% der Befragten u.a. in Ländern wie Großbritannien, Deutschland und
Frankreich der Meinung sind, daß die Vereinigten Staaten kein würdiges
Demokratiemodell mehr sind. Und es waren auch 80% der Menschen in den
Vereinigten Staaten! Das zeigt nur, wie weit Amerika sich von sich selbst
entfernt hat.
Der wahre Grund für die Vorwürfe
Der wahre Grund, warum China als Gegner und Bedrohung angesehen wird, ist
der, daß die chinesische Wirtschaft die amerikanische zu überholen droht, und
das scheint etwas zu sein, was die Leute in Washington nicht ertragen
können.
Was Gürtel und Straße betrifft, hat China sich durch die vielen sinnvollen
Infrastrukturinvestitionen nach der Finanzkrise von 2008 qualifiziert. Sie haben
Brücken gebaut, sie haben Autobahnen gebaut, sie haben
Hochgeschwindigkeitsbahnen gebaut. Jetzt tragen sie ihr Know-how in den Rest der
Welt und bieten es an, um anderen Ländern zu helfen.
Ein einfaches Beispiel soll verdeutlichen, wie effektiv sie waren: In Hanoi
haben sie innerhalb von sieben Jahren eine U-Bahn mit Hochbahn gebaut. Es
handelt sich um eine 13,5 km lange Strecke mit zwölf Stationen, die in sieben
Jahren fertiggestellt wurde und jetzt in Betrieb ist.
Auch Japan hat sich für eine U-Bahnlinie beworben: Der Bau wurde begonnen und
läuft seit neun Jahren, sie ist immer noch nur zu 87% fertig, und die
Kostenüberschreitung hat die günstige Finanzierung, die Japan ursprünglich
angeboten hatte, zunichte gemacht.
Ich muß also fragen: Ist China qualifiziert, dem Rest der Welt zu nützen?
Können die USA ein konkurrenzfähiges Angebot zur aktuellen Gürtel- und
Straßen-Initiative (BRI) machen?
Vielleicht ja, vielleicht nein. Auf jeden Fall soll die BRI keine Situation
mit Gewinnern und Verlierern sein. Sie soll eine Win-Win-Situation für alle
sein.
Und wohin gehen die beiden Länder jetzt? Die Vereinigten Staaten drohen,
China den Zugang zu amerikanischer Technologie zu verwehren, die Verweigerung
von Halbleitern für Huawei ist wohl das offensichtlichste Beispiel.
Dadurch wird China gezwungen, seinen eigenen Weg zu gehen, und mit seinen
Ressourcen und seiner Motivation wird es früher oder später in der Lage sein,
seine eigene, einheimische Technologie zu entwickeln. Und das ist ein Ergebnis,
bei dem man nur verlieren kann. Denn Unternehmen wie TSMC werden einen großen
Teil ihres Marktes an China verlieren, wenn China seine eigene Technologie
entwickeln kann. Beide Märkte werden kleiner sein als der Gesamtmarkt, und das
ist ein Verlustgeschäft.
Der andere Unterschied besteht darin, daß China ein Einparteiensystem ist,
und sobald ein Konsens besteht, werden die Dinge angepackt und erledigt. Sie
handeln schnell. Die Vereinigten Staaten, insbesondere die letzten drei
Regierungen von Obama über Trump bis Biden, waren sehr gut darin, Dinge auf die
lange Bank zu schieben. Kein Politiker will das Offensichtliche sagen und über
gemeinsame Ziele und gemeinsame Interessen sprechen. Sie sind immer darauf aus,
auf das andere Land zu schimpfen.
Nun sehen wir, wie sich die Welt von der amerikanischen Hegemonie wegbewegt
und auf eine multipolare Welt zubewegt. Doch die Vereinigten Staaten scheinen
diesen Trend nicht zu verstehen und zu erkennen. Wir scheinen unsere Energie
darauf zu verwenden, zu versuchen, China den Kopf unter Wasser zu halten,
anstatt zu versuchen, aus eigener Kraft zu konkurrieren.
Unterdessen konzentriert sich China auf die Entwicklung seiner Technologie
und die Entwicklung seiner Wirtschaft. Es steht außer Frage, daß Chinas
Wirtschaft, wenn sie die amerikanische nicht schon überholt hat, auf jeden Fall
die Kaufkraftparität erreicht hat, und es ist unvermeidlich, daß sie mit ihrer
Bevölkerungszahl die Größe der US-Wirtschaft bald übertreffen wird.
Ich denke, es ist ganz offensichtlich, daß die beiden größten
Volkswirtschaften zusammenarbeiten müssen. Es gibt so viele globale Probleme,
die Zusammenarbeit statt Konkurrenz erfordern; die Länder müssen über
Win-Win-Ergebnisse nachdenken. Zum Beispiel, um globale Stabilität zu
ermöglichen und einen nuklearen Winter zu vermeiden. Zum Beispiel, um die
Flüchtlingsströme unter Kontrolle zu bringen und den Menschenhandel zu stoppen,
um Pandemien zu bekämpfen und zu verhindern, um von der Aufrüstung auf die
Förderung des menschlichen Lebens und der Menschenwürde umzuschwenken und um den
globalen Terrorismus gemeinsam zu bekämpfen.
Kurzum, ich möchte nur betonen: Es ist für uns alle wichtig, zu erkennen und
zu verstehen, daß der einzige Weg, wie alle gewinnen können, darin besteht, daß
die beiden Länder mit dem Unsinn des Kalten Krieges aufhören und herausfinden,
wie sie zusammenarbeiten können. Es kann einfach nicht funktionieren, daß man
sich ein Thema aussucht, bei dem man China anschwärzt und auf es einprügelt, und
dann ein anderes Thema, bei dem man zusammenarbeiten will.
Ich danke Ihnen vielmals, ich weiß die Gelegenheit zu schätzen.
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