Wissenschaft ist gut
Von Lyndon LaRouche
Zu Beginn der Konferenz des Schiller-Instituts am 24. Juli 2021
wurde der folgende Ausschnitt einer Rede von Lyndon LaRouche aus dem Jahr 1985
gezeigt.
In unserem Bestreben, die genaue Natur unseres Eigeninteresses zu
definieren, suchen wir wie Sokrates nach einer Definition des Guten: Was ist
das, was in welcher Weise diesem Eigeninteresse dient? Wie können wir sicher
sein, daß das, was wir tun, unter Umständen, die wir nicht vorhersehen können,
für die Menschheit in der Gegenwart und in künftigen Generationen von Nutzen
sein wird? Wie kann man wissen, daß das, was man heute tut, als gut beurteilt
werden kann? Ein Beitrag zum Guten in 10, 20 Generationen von heute? Wie kann
man das wissen?
Man kann nicht einfach sagen: „Ich tue das, was mein Vater und meine Mutter
mir gesagt haben, oder was meine Altersgenossen mir sagen, oder was die
aktuelle Meinungsumfrage mir sagt. Und wenn ich so handle, glaube ich, gut zu
sein, meine Freunde und Nachbarn und Altersgenossen glauben, daß ich gut bin,
und wer sind Sie, daß Sie das bestreiten?“ Solche Definitionen des Guten sind
wertlos!
Was ist das Gute, selbst wenn es nur einer Person bekannt wäre, ungeachtet
der gegenteiligen Meinung jedes anderen lebenden Menschen? Und wie könnte
dieses Gute bewiesen werden? Das ist die Frage, die Sokrates beschäftigte: Was
ist das Gute? Der Mensch wird korrekterweise durch nichts anderes als durch
die Liebe zum Guten motiviert! Diese Liebe zum Guten und ihr überzeugter
Selbstzweck ist das Wesen des wirklichen Eigeninteresses.
Noch bevor die Frage nach der Natur des Guten beantwortet ist, wird allein
dadurch deutlich, daß wir als Individuen Instrumente von etwas Universellem
sind und sein müssen; daß wir als Mikrokosmos des Universums ein wirksames
Werkzeug des Makrokosmos werden müssen – der Entwicklung von etwas Größerem,
Dauerhaftem, Allumfassendem, das insbesondere den Zustand und die Tätigkeit
der ganzen Menschheit umfaßt. Unser Eigeninteresse liegt nicht innerhalb
unserer körperlichen Hülle – oder nur in dem, was innerhalb dieser Hülle für
das Wirken unseres Eigeninteresses notwendig ist. Unser Eigeninteresse liegt
im Guten, in etwas Universellem. Das ist unser Wirken; das ist unser
Eigeninteresse. Und das haben einige Menschen verstanden.
Was ist das Gute? Wie kann man empirisch beobachten, was das Gute ist?
Nun, zuerst schauen wir uns den Unterschied zwischen uns und den Tieren an.
Und dann muß man Ökonomie studieren; nicht die Art von Ökonomie, die heute in
Washington oder an den Universitäten gepredigt wird, oder von den sogenannten
Ökonomen, sondern die physische Ökonomie – die reale Ökonomie, die Fähigkeit
einer Gattung oder eines Individuums, die materiellen und kulturellen
Bedingungen zu produzieren, die für die Existenz dieser Gattung notwendig
sind.
Was ist der Unterschied zwischen uns und den Tieren? Der Unterschied ist
sehr einfach zu beobachten – zumindest historisch, auch wenn man ihn nicht
unter den heutigen Leuten in Washington beobachten kann.
Im frühesten Zustand der Menschheit, wie von den allwissenden Anthropologen
behauptet, benötigte man im Durchschnitt etwa zehn Quadratkilometer der
Erdoberfläche, um ein Individuum zu ernähren, und das unter sehr miserablen
Lebensbedingungen. Das Durchschnittsalter eines solchen Individuums lag
deutlich unter 20 Jahren. Solche kleinen Gruppen von Individuen waren eine Art
erweiterter, mutterdominierter Familienclan. Die alte Mutter des Stammes,
wahrscheinlich 28 Jahre alt, herrschte über eine Menge kleiner Kinder,
zänkischer Kinder, die sich Tieren sehr ähnlich verhielten und dachten. Das
Leben dieser kleinen Gruppen war äußerst prekär. Und es gab nicht mehr als
ungefähr 10 Millionen solcher elenden Kreaturen, die ein noch prekäreres Leben
als eine Horde von Pavianen auf diesem Planeten führten.
Aber heute gibt es etwa 5 Milliarden Menschen auf der Erde, die, abgesehen
von den Liberalen, auf einer viel höheren Existenzstufe leben als Paviane.
Wie sind wir dahin gekommen? Hierin liegt der Unterschied, der empirisch
nachweisbare Unterschied zwischen dem Menschen und den Tieren.
Wir sind dorthin gelangt durch das, was wir heute wissenschaftlichen und
technologischen Fortschritt nennen, der sich in Form von wissenschaftlichen
Entdeckungen äußert, durch die wir angeleitet werden, unser Verhalten zu
ändern.
Das heißt, wir verhalten uns nicht nach dem, was Adam Smith als
„Urinstinkte“ anpries, sondern wir unterdrücken diese tierischen,
pavianartigen Instinkte, um eine andere Qualität hervorzubringen, die wir in
uns haben: die Qualität der schöpferischen Vernunft, die Fähigkeit, zum Himmel
zu schauen und einen astronomischen Sonnenkalender zu entwickeln, im Gegensatz
zu jenen Verrücktheiten, die aus Babylonien kamen. Im Grunde war das sehr
einfach: Der Mensch schaute nach oben, nahm ein paar Stöcke oder Steine und
tat das offensichtliche. Er bestimmte den Winkel des Sonnenaufgangs, den
Winkel des Sonnenuntergangs und den höchsten Stand der Sonne während ihres
Mittagslaufs. Elementar!
Und dann tat der Mensch etwas ebenfalls sehr offensichtliches: Er blieb
nachts auf – eine Sache, die, ich sage es Ihnen, für die Weisheit unerläßlich
ist! Man muß warten, bis die Welt schläft, und dann überlegen, was los ist;
und dann, am nächsten Morgen, hat man die Welt aus den Angeln gehoben. Das ist
Weisheit!
Man bleibt nachts auf und erfaßt diese Beobachtungspunkte, den
Sonnenaufgang, den Sonnenuntergang und die Mittagsposition, und man
beobachtet, welchen Konstellationen und Sternen diese Beobachtungen
entsprechen. Man fixiert diese mit Steinen, wie mit jenen megalithischen
Konstruktionen, die sich überall in der Bretagne, in Irland und Britannien
finden, am besten verkörpert durch Stonehenge. Man kann die Tage nach der
Sonne zählen, nicht nach Wahnvorstellungen. Man zählt die Anzahl der Tage.
Nach fünf Jahren entdeckt man, daß im Zyklus des Vor- und Rückgangs der
Position der Sonne – und der Mensch verwendete offensichtlich die
Tagundnachtgleiche für die Datierung dieses Kalenders –, daß es ungefähr 365
und ein Viertel Tage in einem Zyklus gibt, der ein Jahr genannt wird. Und dann
entdeckt man mit denselben Mitteln andere Zyklen.
Ein Tier kann das nicht – und ein Liberaler auch nicht! Nur ein Mensch kann
das. Bereits die frühesten bekannten Kulturen, die auf 6-, 7-, 8- oder 10.000
v. Chr. datiert werden, entwickelten einen astronomischen Sonnenkalender, der
genauer ist als alles, was bis ins 19. Jahrhundert hinein existierte, und der
auch alles weit übertraf, was seit der Gründung von Sumer und Ur im biblischen
Land Mesopotamien geschaffen wurde – was ein von den Babyloniern verfaßter
biblischer Betrug ist, die auf Anweisung von babylonischen chaldäischen
Priestern die alten jüdischen Schriften umschrieben.
Der Mensch ist also dazu fähig; fähig zur Vernunft, fähig, die gesetzmäßige
Ordnung im Universum zu erkennen und das Wissen um diese gesetzmäßige Ordnung
zu nutzen, um sein eigenes Verhalten neu zu gestalten und zu ändern. Indem wir
die Vernunft nutzen – nicht Smiths bestialische Eigenschaften der
„Urinstinkte“ – und diese zum Merkmal des menschlichen Verhaltens machen,
erreichen wir das, was wir wissenschaftlichen und technischen Fortschritt
nennen. Wir steigern nicht nur die Macht des Menschen über die Natur, indem
wir den menschlichen Willen dem Gesetz der Vernunft im Universum unterstellen,
und indem wir den Verstand – und nicht den bestialischen Aspekt des Menschen –
zur Persönlichkeit, zum Wert und zur Identität des Individuums machen, heben
wir den moralischen Zustand der Menschheit. Wir erhöhen nicht nur die
menschliche Bevölkerung, sondern wir erhöhen den möglichen moralischen Zustand
der Menschheit, wenn wir keine Oligarchen haben, die den Prozeß ruinieren –
Wucherer, venezianische Bankiers und dergleichen.
Dann beginnen wir zu entdecken, was das Gute ist. Was ist das Gute? Das
Gute ist die Fähigkeit des Geistes, ein Prinzip der Vernunft als die
gesetzmäßige Ordnung des gesamten Universums zu erkennen. Zu erkennen, daß
damit ein Entwicklungsprozeß verbunden ist; und zu erkennen, daß das
anhaltende und wachsende Beherrschtsein der Persönlichkeit durch die
entwickelte Vernunft das Gute ist. Die Erhöhung des sittlichen Zustandes der
Menschheit in Übereinstimmung mit diesem Prinzip und in Handlungen, die mit
diesem Prinzip übereinstimmen, ist das Gute.
Das war das Prinzip von Solon in Athen. So lautete das Prinzip der
platonischen Akademie, das Konzept der Republik. Und das war das Prinzip der
Gründung der modernen europäischen Republik durch die Schriften des Heiligen
Augustinus. Das ist das Gute.
Die Republik ist der einzige natürliche Zustand der Menschheit. Dante und
seine Anhänger bewiesen, daß die einzige natürliche Form der Republik ein
völlig souveräner Nationalstaat ist, der nicht dem IWF, der Weltbank oder der
UNO unterworfen ist – ein souveräner Nationalstaat, eine Republik, die auf der
Verwendung einer gemeinsamen Bildungssprache ihrer Bürger beruht. Eine
Bildungssprache, die diesen Bürgern, mit den Worten Shelleys, „die Macht
verleiht, tiefe und leidenschaftliche Vorstellungen über Mensch und Natur zu
vermitteln und zu empfangen.“ Vorstellungen, die in der Form der Vernunft
organisiert sind; die Form der Vernunft, wie sie vom Sokrates der Dialoge
Platons vorgelebt wird.
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