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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
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Die russische Perspektive auf den globalen nachhaltigen und anhaltenden Wiederaufbau

Von Botschaftsrat Boris Meschtschanow

Boris Meschtschanow, Botschaftsrat bei der Mission der Russischen Föderation bei den Vereinten Nationen, lieferte den folgenden Beitrag für die Konferenz des Internationalen Schiller-Instituts am 26. Juni 2021.

Sehr geehrte Präsidentin des Internationalen Schiller-Instituts, Frau Helga Zepp-LaRouche, liebe Kollegen und Freunde aus der Fachwelt, verehrtes Publikum der Konferenz!

Wir bedanken uns für die Gelegenheit, Ihnen einige der Ansätze der Russischen Föderation zur Erholung der Weltwirtschaft vorzustellen. Für diejenigen, die es vielleicht nicht wissen: In den Vereinten Nationen haben wir beschlossen, die Welt nach der Pandemie besser wiederaufzubauen – doch verschiedene Staaten oder auch Gruppen von Staaten haben ein unterschiedliches Verständnis davon, auf welche Weise sie sich besser erholen können und, was noch wichtiger ist, wie sie die Welt nach der Pandemie wieder aufbauen können.

1. Zunächst einmal haben wir sicher nicht das Recht, die Lehren aus der Geschichte zu vergessen – das wäre kurzsichtig und äußerst unverantwortlich. Friedliche Entwicklung und Solidarität frei von einseitigen Zwangsmaßnahmen sollten die Grundlage des globalen Wiederaufbaus sein. Unser Land setzt sich konsequent für eine ausgewogene und nachhaltige Vision ein, die auf Partnerschaft, Entwicklung und Innovation basiert und die in vollem Einklang mit der Vision der Agenda 2030 steht, die 2015 von den Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet wurde.

Unser Land hat sich der informellen Allianz derjenigen Staaten angeschlossen, die die UN-Charta und ihre zeitlosen Prinzipien der zwischenstaatlichen Kommunikation verteidigen: die Gleichheit souveräner Staaten, die Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten, das Recht der Völker, ihre eigene Zukunft zu bestimmen, die Nichtanwendung und Nichtandrohung von Gewalt und die politische Beilegung von Streitigkeiten.

Man kann auf dieser Konferenz erkennen, daß diese Prinzipien sehr viel mit der Lyndon-LaRouche-Doktrin gemeinsam haben, die bereits 1984 als Teil des Entwurfs eines Abkommens zwischen den USA und der UdSSR vorgestellt wurde. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, daß pragmatische, wissenschafts- und evidenzbasierte politische Lösungen keinen räumlichen oder zeitlichen Beschränkungen unterliegen. Sie spiegeln die Logik der Geschichte wider und werden von herausragenden Vordenkern in jeder Generation gefördert.

Hoffen wir, daß eine weitere Prophezeiung von Herrn LaRouche in Erfüllung geht – die des Gipfels zwischen vier Großmächten. Vorläufig hat Rußland in seiner Verantwortung als Gründungsmitglied der UNO vorgeschlagen, einen P5-Gipfel von fünf Staaten einzuberufen, den fünf Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates

2. Zweitens, die Idee eines qualitativen integrativen Wachstums.

Das Konzept der „Integration der Integrationen“ wurde erstmals unter der Schirmherrschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vorgeschlagen. Auf regionaler Ebene ist seine Umsetzung im Gange, da Beratungen über die Annäherung zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Gürtel- und Straßen-Initiative im Gange sind. Im weiteren Sinne besteht unsere Initiative darin, eine Große Eurasische Partnerschaft zu bilden, an der ausnahmslos alle asiatischen und europäischen Länder beteiligt sind. Sie ist rein pragmatisch und wird zunehmend relevant.

Man kann die Durchführbarkeit großer Kooperationsprojekte in unserer Zeit zwar in Frage stellen. Lassen Sie mich diese Kritiker aber beruhigen und an die erste erfolgreiche Kooperation auf dem eurasischen Kontinent nach dem Kalten Krieg erinnern: das Dreieck Rußland-Indien-China, das von einem herausragenden Politiker und Akademiker, Jewgenij Primakow, erfunden oder besser gesagt formuliert wurde. Das Bündnis erwies sich als erfolgreich und wurde später durch Brasilien und Südafrika ergänzt, um die sogenannte BRICS-Gruppe zu bilden. Man vermutet, daß die Optimierung der globalen Wertschöpfungsketten auch zum Prozeß der Regionalisierung der Weltwirtschaft beitragen kann.

3. Zu den offensichtlichen neuen Möglichkeiten für die globale Entwicklung gehören die Erschließung der Arktis und der Start des Projekts des Nördlichen Seewegs.

In diesem Jahr hat Rußland den Vorsitz im Arktischen Rat inne, und das Motto für unseren Vorsitz lautet „Verantwortungsvolles Management für eine nachhaltige Arktis“. Dies ist ein sehr wichtiges und interessantes Thema, da die Entwicklung der gesamten arktischen Region und insbesondere des Nördlichen Seewegs für viele Länder in der Region und darüber hinaus von enormer wirtschaftlicher Bedeutung ist. Das Hauptaugenmerk wird darauf liegen, günstige Bedingungen für die Verbesserung des Lebensstandards zu schaffen, die Wirtschaft zu modernisieren, die Attraktivität der Region für Investitionen zu gewährleisten und gleichzeitig das wissenschaftliche und innovative Potenzial und die Ressourcen der Region effizient zu verwalten sowie eine sehr rücksichtsvolle Haltung gegenüber den Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Umwelt der Region einzunehmen. Die Nutzung der Schiffahrt auf dem Nördlichen Seeweg wird praktisch ganzjährig werden aufgrund des Klimawandels und der Inbetriebnahme unserer neuen Eisbrecher. Rußland verfügt über die leistungsfähigste nukleare Eisbrecherflotte.

4. Die oben genannten Prinzipien der friedlichen Entwicklung, der Zusammenarbeit und der Verantwortung führen uns zu einer weiteren Priorität für den globalen Aufschwung – ich meine den Vorschlag des russischen Präsidenten, sogenannte „grüne Korridore“ zu schaffen, die frei von Handelskriegen und Sanktionen sind, vor allem für lebenswichtige Güter, Lebensmittel, Medikamente und persönliche Schutzausrüstung, die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie benötigt werden. 

Generell wäre die Befreiung des Welthandels von Barrieren, Verboten, Einschränkungen und illegitimen Sanktionen eine große Hilfe bei der Wiederankurbelung des globalen Wachstums und der Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Die Aufhebung von Sanktionen ist der Schlüssel zu friedlicher Koexistenz, Entwicklung und, wie ich schon sagte, zu stabilen und berechenbaren Beziehungen.

Wir haben festgestellt, daß einige westliche Länder in der Pandemie humanitäre Ausnahmen eingeführt und begonnen haben, die COVID-19-Hilfe für stark sanktionierte Länder zu erleichtern. Das ist ein kleiner, aber völlig unzureichender Schritt nach vorn. Wie der frisch wiedergewählte Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, sagt, ist es Zeit für Solidarität, nicht für Ausgrenzung.

5. Was das Gesundheitswesen betrifft, so müssen wir jetzt, genau wie in der Wirtschaft, so viele Hindernisse wie möglich für partnerschaftliche Beziehungen beseitigen. Aufbauend auf der wissenschaftlichen, industriellen und klinischen Erfahrung seiner Ärzte hat Rußland umgehend eine Reihe von Testsystemen und Medikamenten zum Nachweis und zur Behandlung des Coronavirus entwickelt und den weltweit ersten Impfstoff „Sputnik-V“ zugelassen.

Wir sind völlig offen für partnerschaftliche Beziehungen und bereit zur Zusammenarbeit. In diesem Zusammenhang hat unsere Delegation auf der 75. Sitzung der UN-Generalversammlung vorgeschlagen, eine hochrangige Online-Konferenz für Länder abzuhalten, die an einer Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus interessiert sind. Wir sind bereit, Erfahrungen auszutauschen und die Zusammenarbeit mit allen Staaten und internationalen Organisationen fortzusetzen, auch bei der Lieferung des russischen Impfstoffs, der sich als zuverlässig, sicher und wirksam erwiesen hat, an andere Länder. Rußland ist sich sicher, daß alle Kapazitäten der globalen pharmazeutischen Industrie genutzt werden müssen, um der Bevölkerung aller Staaten in absehbarer Zeit einen freien Zugang zur Impfung zu ermöglichen.

6. Fragen der Cybersicherheit und der Nutzung digitaler Spitzentechnologie verdienen ebenfalls eine sehr ernsthafte Betrachtung. Es ist wichtig, die Sorgen der Menschen über den Schutz ihrer Rechte, wie das Recht auf Privatsphäre, Eigentum und Sicherheit, in der neuen Ära aufzunehmen und zu würdigen. Wir müssen lernen, die neuen Technologien zum Wohle der Menschheit zu nutzen. Wir müssen nach einem richtigen Gleichgewicht zwischen der Förderung der Entwicklung künstlicher Intelligenz und vertretbaren Beschränkungen suchen, um sie zu begrenzen. Und wir müssen gemeinsam auf einen Konsens im Bereich der Regulierung hinarbeiten, der potentielle Bedrohungen für die militärische und technologische Sicherheit, aber auch für unsere Traditionen, das Recht und die Moral der menschlichen Kommunikation abwenden würde.

7. Klima und Energie. Wir haben immer noch keine wirklich globalen Lösungen, die auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, wie sie im Pariser Abkommen formuliert sind. Eine der Fragen: Kohlendioxid befindet sich seit Jahrhunderten in der Atmosphäre. Deshalb reicht es nicht aus, nur über neue Emissionsmengen zu sprechen. Es ist wichtig, das Kohlendioxid zu absorbieren, das sich bereits in der Atmosphäre angesammelt hat.

Zweitens müssen wir absolut jede Ursache der globalen Erwärmung berücksichtigen. Zu diesem Zweck haben wir alle interessierten Länder aufgefordert, sich an gemeinsamer Forschung zu beteiligen, in Klimaprojekte zu investieren, die einen praktischen Effekt haben können, und die Anstrengungen zur Entwicklung kohlenstoffarmer Technologien zu verdoppeln, um die Folgen des Klimawandels abzumildern und sich an ihn anzupassen.

Noch unverantwortlicher ist es, dringende Probleme der nationalen Entwicklung oder gar des Überlebens vieler Entwicklungsländer zugunsten weit entfernter Klimaziele zu opfern. Rußland geht von der Notwendigkeit aus, ein Gleichgewicht zwischen der Versorgung der Volkswirtschaften und der Bevölkerung mit bezahlbaren Energieressourcen und der Lösung der Klimaprobleme zu wahren.

Der Zugang zu bezahlbarer und zuverlässiger Energie wird ein Hauptmerkmal der wirtschaftlichen Entwicklung sein. Die Herausforderung besteht darin, ihre Nutzung so effizient und nachhaltig wie möglich zu gestalten.

Wir betrachten Wasserkraft und Kernenergie als zuverlässige, effiziente und umweltfreundliche Komponenten des Energiekomplexes. Nach Schätzungen von BP und der Internationalen Energieagentur wird sich das Wachstum der Stromerzeugung mit Kernenergie in den entwickelten Ländern verlangsamen oder ganz zurückgehen; das Hauptwachstum der Stromerzeugung aus Kernkraftwerken wird für die sich entwickelnden asiatischen Länder, vor allem für China und Indien, prognostiziert. Diese beiden Länder werden natürlich die Situation der Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert prägen. Rußland hat viele Länder der Welt bei der Entwicklung der Kernenergie unterstützt und tut dies auch weiterhin. Russische Turbinen und Kernreaktoren sind in Dutzenden von Ländern der Welt erfolgreich in Betrieb.

Zusammengefaßt: Diese Veranstaltung folgt dem ersten Post-Pandemie-Gipfel der Präsidenten Rußlands und der USA, der am 16. Juni in Genf stattfand. All das schafft den Rahmen für die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen Rußland und Amerika. Gute oder zumindest faire Beziehungen zwischen uns waren immer eine Garantie für globale Stabilität und Ruhe. Wir freuen uns auf die Wiederaufnahme der ressortübergreifenden Konsultationen zu einer breiten Palette von Themen unter der Schirmherrschaft des US-Außenministeriums und des russischen Außenministeriums, um die Verhaltensregeln in allen in diesem Vortrag erwähnten Bereichen zu koordinieren: strategische Stabilität, Cybersicherheit, Arktis, Handel und die Beilegung regionaler Konflikte. Das „Presidential Joint Statement on Strategic Stability“ und der „Strategic Stability Dialogue“ werden dabei wichtige Säulen sein.

Was wir tun müssen, ist, alle Verschwörungstheorien zu verwerfen, uns auf Expertenebene zusammenzusetzen und im Interesse unserer Staaten zu arbeiten. Wie Präsident Putin es ausdrückt: „Es kann in dieser Situation kein familiäres Vertrauen geben, aber ich denke, wir haben etwas davon aufblitzen sehen.“ Wenn ich so sagen darf: Die Logik des historischen Prozesses erzwingt unsere engere Zusammenarbeit, ungeachtet vieler Stereotypen, Vorurteile und Mythen. Es war von amerikanischer Seite auch ein positives Signal, einen zukünftigen Gipfel mit China anzukündigen.

Bezugnehmend auf den Titel des Panels, ist der Zusammenfall der Gegensätze etwas, womit wir uns tagtäglich beschäftigen, nämlich die Alchemie der Diplomatie und der persönlichen Kontakte. Wir sind der festen Überzeugung, daß die Welt nach der Pandemie, so neu, digital und nachhaltig sie auch sein mag, nicht ohne persönliches Engagement sowohl auf der hohen Ebene der Politik als auch bei den einfachen Menschen auskommen wird.

Ich danke Ihnen, verehrtes Publikum, und wünsche dem Gremium eine offene und konstruktive Debatte.