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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Beethoven im Garten von Gethsemane

Von Diane Sare

Diane Sare ist die Gründungsdirektorin des New Yorker Chors des Schiller-Instituts und unabhängige Kandidatin für den US-Senat im Staat New York. Sie hielt im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 20. März 2021 den folgenden Vortrag.

Guten Morgen oder Nachmittag oder Abend Ihnen allen, je nach Ihrer Zeitzone. Wie Sie wissen, haben wir zwar jetzt das Jahr 2021, aber wegen der COVID-Pandemie werden wir das 250. Geburtsjahr Beethovens weiter feiern, weil so vieles, was man sich 2020 vorgenommen hatte, nicht geschafft wurde. Unsere Vorsitzende Helga Zepp-LaRouche hat sogar vorgeschlagen, das Beethoven-Jahr so lange fortzusetzen, bis alle wie Beethoven denken. Und so denke ich, wir werden Beethoven noch mindestens einige Jahre lang studieren.

Wie Sie in dieser Konferenz hören werden, haben wir gegenwärtig viele Herausforderungen zu bewältigen. Ich weiß, daß viele Amerikaner sich ganz hoffnungslos fühlten, nachdem Biden als Präsident vereidigt worden war, und ich vermute, daß viele Menschen in Europa unter dem Dach der EU, vielleicht aus anderen Gründen, ein ähnliches Gefühl haben – nämlich daß wir nicht mehr Herren unserer eigenen Zukunft sind. Da Gott den Menschen mit einem freien Willen erschaffen hat, muß es immer ein Potential geben, unser Schicksal zu ändern. Aber wie?

1990, gegen Ende seines ersten Jahres im Gefängnis, diktierte Lyndon LaRouche eine kurze Einleitung zur Autobiographie der Heldin der Bürgerrechtsbewegung Amelia Boynton Robinson, Bridge Over Jordan (Brücke über den Jordan). Sie trug den Titel „Im Garten Gethsemane“ und beginnt mit einem Zitat aus dem Buch Matthäus: „Ein Prophet gilt nirgendwo weniger als in seinem Vaterland.“

Er sagt, eine Möglichkeit, sich der Frage von Gethsemane zu nähern, bestehe darin, sich die Welt 50 Jahre nach dem eigenen Tod vorzustellen und auf sein Leben zurückzublicken, nicht als Aneinanderreihung von Ereignissen, sondern als Gesamtheit. Was hast du für das Wohl der Menschheit beigetragen? Jeder Mensch habe ein Recht darauf, ein unsterbliches Vermächtnis des Guten für die Menschheit zu hinterlassen, Generationen in die Zukunft. Und am wichtigsten für uns hier und heute sagt er: „Ja, wir müssen gegen Unrecht kämpfen. Aber es reicht nicht, aus Wut zu kämpfen. Wir müssen aus Liebe kämpfen. Und das lernen wir, die wir als Vorbilder der einen oder anderen Art durch unser eigenes Gethsemane hindurch mussten, am besten mit dem Bild des Kreuzes vor uns.“

Da dies eine internationale Konferenz ist, an der Menschen vieler verschiedener Glaubensrichtungen und Kulturen teilnehmen (ich fürchte, einige Christen haben das vielleicht vergessen), lassen Sie uns daran erinnern, was in Gethsemane geschah. Christus hatte seinen Jüngern gerade mitgeteilt, daß ihr Abendessen ihr „letztes Abendmahl“ sein würde und daß man ihn wegführen und kreuzigen würde. Christus ging dann sehr betrübt mit drei Jüngern in den Garten Gethsemane und bat sie, Wache zu halten und zu beten, während er ein Stück weit wegging, um allein zu beten. Dort bat er Gott: „Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!“ Dreimal kehrte er zu seinen Jüngern zurück, und jedes Mal fand er sie schlafend vor, was ihm die Antwort lieferte. Christus nahm den Kelch an.

Aber den Tod zu akzeptieren war nicht die einzige Härte.

Gehen wir noch einmal zurück zum Matthäus-Zitat: „Ein Prophet gilt nirgendwo weniger als in seinem Vaterland.“ Stellen Sie sich vor, Sie handeln zum Wohle anderer, unter großem Risiko oder sogar unter Lebensgefahr, werden dafür aber noch verspottet und verleumdet. Amelia erzählte uns oft, wie ihr viele Leute sagten: „Halt dich fern von Dr. (Martin Luther) King.“ Und sie beobachtete, daß viele auf die andere Straßenseite wechselten, nur um nicht mit ihm gesehen zu werden. Viele von uns wissen, wie ähnlich es LaRouche ergangen ist.

Denken Sie daran, was mit Christus in den Stunden vor der Kreuzigung geschah. Sie haben ihn ausgezogen, ausgepeitscht und mit einem purpurnen Gewand und einer Dornenkrone bekleidet, und die Leute verspotteten ihn: „O, du großer König der Juden, du Gottessohn, wo ist jetzt dein Gott?“ Sie spuckten ihn an, lachten ihn aus und verspotteten ihn, während er das Kreuz trug, an dem er gekreuzigt werden sollte.

Beethovens Heiligenstädter Testament

Betrachten wir nun den Fall Beethoven und seinen eigenen Moment der Entscheidung, den er in seinem berühmten Heiligenstädter Testament zum Ausdruck brachte, das er 1802 schrieb, als er 31 Jahre alt war. Im Alter von 28 Jahren begann dieses musikalische Genie taub zu werden, und die Dinge nahmen eine Wendung zum Schlechteren, nachdem er viele Heilmittel ausprobiert hatte. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie schrecklich es ist, wenn man als großer Musiker bekannt ist und die Leute plötzlich entdecken, daß man nichts mehr hören kann. Aber lassen Sie uns Beethoven in seinem Testament mit seinen eigenen Worten erzählen:

    „O ihr Menschen die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet oder erklärt, wie unrecht tut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet...

    Aber bedenket nur, daß seit sechs Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hoffnung, gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem Überblick eines dauernden Übels (dessen Heilung vielleicht Jahre dauern oder gar unmöglich ist)...

    Für mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft, feinere Unterredungen, wechselseitige Ergießungen nicht statt haben, ganz allein, fast nur so viel als es die höchste Notwendigkeit fordert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen, wie ein Verbannter muß ich leben; nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Ängstlichkeit, indem ich befürchte in Gefahr gesetzt zu werden, meinen Zustand merken zu lassen...

    Aber welche Demütigung, wenn jemand neben mir stand und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte, oder jemand den Hirten Singen hörte, und ich auch nichts hörte...

    Solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte…

    Geduld – so heißt es, Sie muß ich nun zur Führerin wählen, ich habe es – dauernd hoffe ich, soll mein Entschluß sein, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen. Vielleicht geht’s besser, vielleicht nicht, ich bin gefaßt.“

Dieser letzte Satz ist der Schlüssel: „Ich bin gefaßt.“ Beethoven hatte beschlossen, daß er sein Talent auch dann weiter ausschütten würde, wenn er sein Gehör nie wiedererlangen würde, weil er wußte, daß dies seine Aufgabe war.

Negro Spirituals

Wir werden an einem Musikbeispiel hören, wie Beethoven diesen Gedanken anspricht (er tut das genau genommen in jeder Komposition). Aber es gibt noch einen anderen wichtigen musikalischen Fall von Gethsemane, nämlich die Quelle der enormen Überzeugungskraft des Negro Spirituals, wie der Komponist und Arrangeur William Dawson dies in einem Essay ausdrückt, den er über diese Musik für eine seiner Aufnahmen schrieb.

Er zitiert dazu

    „eine Verfügung des Landtags von South Carolina aus dem Jahr 1741, die offenbar die Folterung von Sklaven eindämmen sollte:

      ,Sollte jemand vorsätzlich einem Sklaven die Zunge herausschneiden, ein Auge ausstechen, ihn kastrieren oder ihn grausam verbrühen, verbrennen oder seiner Gliedmaßen berauben oder ihm eine andere grausame Bestrafung zufügen als das Auspeitschen oder Schlagen mit einer Peitsche, einer Kuhhaut, einer Rute oder einem kleinen Stock oder das Anlegen von Eisen oder das Einsperren eines solchen Sklaven, so soll jede solche Person für jedes derartige Vergehen die Summe von hundert Pfund in bar einbüßen…‘

    Vor einem solchen Hintergrund staunen wir, daß in den religiösen Volksliedern des Negers ein Wort fehlt, der Haß! Inmitten der Unmenschlichkeit sang er: ,Herr, ich will ein Christ sein. Ich will wie Jesus sein.‘ In diesen Liedern kann man den ,Schrei‘ nach Befreiung und Freiheit hören, der hinter jedem Takt lauert, denn der Neger schüttete buchstäblich sein Herz in sie hinein!

    Neben dem Leiden brachte die Sklaverei dem Neger auch die Geschichte von Jesus. In dieser Geschichte fand der Sklave das Gegenstück zu seinen eigenen tragischen Erfahrungen und beanspruchte sofort den Helden dieses epischen Dramas für sich, was dem oft wiederkehrenden ,mah (mein) Jesus‘ in diesen Liedern seine Bedeutung verleiht. Der Sklave identifizierte sich mit dem Retter der ganzen Menschheit, dessen Leiden und Triumph zur Hoffnung und Gewißheit seiner eigenen Befreiung wurde.“

Es ist vollbracht

Hören wir nun zunächst, wie J.S. Bach und Marian Anderson die Frage von Gethsemane in Bachs Johannespassion behandeln. Die Arie folgt, nachdem Christus ans Kreuz geschlagen worden war, aber er lebt noch. Er sieht seine Mutter und einen seiner Jünger an und sagt seiner Mutter, sie solle diesen Jünger als ihren Sohn annehmen, und sagt dem Jünger, er solle sich um seine Mutter kümmern. Man gibt ihm mit einem Schwamm an einer langen Stange Essig zu trinken, dann sagt Christus: „Es ist vollbracht“ – was offensichtlich nicht nur bedeutet, daß er für die Mutter gesorgt hat, sondern daß er seine Mission erfüllt hat.

Hören Sie also, wie das Cello und Marian Anderson dem Anfang davon singen. (Musikbeispiel)

Und nun den Teil, wo es heißt: „Der Held aus Juda siegt mit Macht und schließt den Kampf“ (Musikbeispiel). Man hört den Sieg im Kampf in der Musik, obwohl es große Trauer gibt, wenn es heißt: „Es ist vollbracht.“ Aber denken Sie daran, was der Sieg ist: durch den Tod Christi können allen Menschen ihre Sünden vergeben werden, die sonst mit dem Tod bestraft werden würden. Dies ist also ein Fall des Erhabenen, denn indem Christus stirbt, lebt er und gibt der Menschheit das Geschenk der Unsterblichkeit.

Nun möchte ich damit schließen, daß wir das Ende von Beethovens Sonate Opus 110 anhören (Musikbeispiel). Sie können hören, wie Beethoven triumphiert. Ich bedanke mich bei der Pianistin Dura Jun für diese Aufführung.