Die Non-Rival-Doktrin
Von Dr. Uwe Behrens
Dr. Uwe Behrens ist Logistikmanager und Autor. In der
Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 18. Juni 2022 hielt er den
folgenden Vortrag. (Übersetzung aus dem Englischen.)
Im Mai 2022 konnte endlich die Hochkommissarin der
UN-Menschenrechtskommission, Frau Michelle Bachelet, mit ihrem Team in China
die Provinz Xinjiang besuchen, die Heimat der chinesischen muslimischen
Minderheit, der Uiguren. Sie führte Gespräche mit den Beamten der Provinz, mit
Menschen auf der Straße, besuchte Gefängnisse, Berufsausbildungslager,
Schulen, Krankenhäuser, Fabriken und Werkstätten.
Nach einer viertägigen Reise durch die Provinz kehrte sie nach Guangzhou
zurück, wo sie die Fragen der internationalen Presse beantwortete. Sie wies
darauf hin, daß Chinas Anti-Terror-Maßnahmen zum einen darauf abzielen, die
Lebensbedingungen der gesamten Bevölkerung, einschließlich der muslimischen
Minderheit, zu verbessern, um dem Terrorismus den Boden zu entziehen, und zum
anderen, die Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen.
Der Besuch war keine Untersuchung, sondern bot die Möglichkeit zu
Gesprächen mit der Bevölkerung und den Behörden. Mit diesem Ergebnis entsprach
sie nicht den Erwartungen der antichinesischen Politik im Westen. Dafür
starteten die westlichen Medien erneut eine Kampagne, indem sie behaupteten,
ein Whistleblower habe interne Akten der Polizei von Xinjiang an den
bekannten, aber dubiosen Evangelisten Adrian Zenz geschickt; die so genannten
„Xinjiang-Polizeiakten“.
Ich habe mir die Akten angeschaut und muß feststellen, daß alle Akten
mindestens vier bis fünf Jahre alt sind. Die Fotos von der Polizei, die sich
anschickt, flüchtende Häftlinge zu erschießen, stammen aus dem internen
Schulungsmaterial der chinesischen Polizei, und der Text, der von der
BBC veröffentlicht wurde, wurde mit einer Software zum Schreiben der
chinesischen Sprache geschrieben. Diese Software wird nicht in China, sondern
im Ausland verwendet. Die englische Übersetzung der Originaldateien ist
irreführend und verändert teilweise den Sinn völlig.
In der kopierten Rede des Parteivorsitzenden von Xinjiang bezieht er sich
beispielsweise auf einen konkreten Fall, bei dem ein Gefangener entkommen
konnte, weil die Wärter ihre Waffen nicht einsetzten und nicht schossen,
obwohl sie es hätten tun müssen. In der Übersetzung heißt es, daß die Wachen
in jedem Fall schießen müssen, aber der spezielle Fall, den der Parteichef von
Xinjiang erwähnte, wurde in der Übersetzung nicht erwähnt.
All dies spricht für die Vermutung, daß die Akten irreführend oder sogar
gefälscht sind. Aber für die antichinesische Politik ist es nicht wichtig, daß
diese Akten gefälscht sind. Wichtig ist für sie nur, daß die Menschen in den
westlichen Ländern es glauben und die Reise von Michelle Bachelet kritisiert
werden kann.
Was hat das alles mit der Non-Rival-Doktrin der USA zu tun?
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die USA zur dominierenden Macht in der
Welt und beherrschten die internationalen Beziehungen weltweit, innerhalb der
UNO, der Weltbank und des IWF. Der einzige Herausforderer war damals die
Sowjetunion, gemeinsam mit den Staaten des Warschauer Paktes. Bereits 1946
formulierte der US-Diplomat George Kennan die Strategie für den Kalten Krieg
gegen die Sowjetunion, das sogenannte „Lange Telegramm“.
Bis die USA 1990 schließlich erfolgreich waren, die Sowjetunion wurde
aufgelöst. Fukuyama verkündete, das Ende der Geschichte sei erreicht. 1993
veröffentlichte US-Vizepräsident Dick Cheney eine „Non-Rival-Doktrin“: Nie
wieder soll eine Macht so stark sein wie die Sowjetunion, um die Hegemonie der
USA herauszufordern.
Doch 2001 schlug der russische Präsident Putin Deutschland und der EU vor,
die deutsche Technologie mit den russischen Ressourcen zu kombinieren.
Eurasien würde ein Raum des Friedens sein, der stark genug ist, um den
Lebensunterhalt der Menschen zu sichern. Aber genau das wollten die USA nicht:
eine neue starke Macht, die eine Herausforderung für die amerikanische
Hegemonie sein könnte.
Brzezinski schrieb in seinen verschiedenen Büchern, daß die Ukraine der
Schlüssel zur Spaltung Europas und Rußlands sein würde. Im Jahr 2004 wurde von
den USA die Farbrevolution finanziert, 2014 die Maidan-Revolution.
Es folgte die Absicht, die NATO bis an die russischen Grenzen zu erweitern.
Rußland schützte schließlich seine militärische Sicherheit, die Sicherheit der
in der Ukraine lebenden russischen Bevölkerung, und griff zu den Waffen.
Mission erfüllt, Rußland und Europa sind keine Rivalen mehr.
Im Jahr 2021 formulierte der Atlantic Council das sogenannte „Längere
Telegramm“, die Strategie zur Eindämmung Chinas. Sie funktioniert heute auf
drei Ebenen – militärisch, wirtschaftlich und politisch bzw. ideologisch.
Militärisch haben die USA die sogenannte Quad gebildet, eine Allianz
zwischen den USA, Japan, Australien und Indien. Die USA werden Atom-U-Boote an
Australien liefern, um den sogenannten AUKUS und die ständige Präsenz der
US-Marine im Südchinesischen Meer zu bilden.
Auf wirtschaftlicher Ebene will man mit Handelsbeschränkungen, Zöllen,
Embargos und Sanktionen gegen bestimmte Waren eine Wirtschaftsallianz gegen
China bilden. Das neue Bündnis ist das Indo-Pacific Economic Framework, das
erst vor zwei Wochen in Japan vorgestellt wurde.
Politisch und ideologisch konzentriert man sich auf die Bruchlinien
zwischen Xi und seinem inneren Kreis, um deren strategischen Kurs zu ändern
und Taiwan bei der Forderung nach Unabhängigkeit von China zu unterstützen.
Man versucht, China zu spalten oder die politischen Aktivisten zu
unterstützen, die mehr Demokratie durch die Unabhängigkeit Hongkongs von der
Volksrepublik China fordern.
Und schließlich wird China für die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang
verantwortlich gemacht. Das ist das Bindeglied zwischen den
Xinjiang-Polizeidossiers, dem Besuch von Michelle Bachelet und der
Non-Rival-Doktrin: China fordert die hegemoniale Macht der USA heraus.
China ist der einzige Rivale der USA für die nächsten Jahre. Ich denke, daß
der Konflikt zwischen Rußland und der Ukraine im Moment wahrscheinlich nur das
Vorspiel für den kommenden Konflikt zwischen den USA und China ist. Diesen
kommenden Konflikt gilt es zu verhindern.
Alle Fakten – das sogenannte Lange Telegramm, die Non-Rival-Doktrin und das
Längere Telegramm des Atlantic Council – sind veröffentlicht und im Internet
verfügbar. Aber leider schaut sich das niemand an. Niemand sieht sich die
Zusammenhänge an. Statt dessen glaubt jeder den irreführenden Informationen,
Halbwahrheiten und sogar den gefälschten Hauptmedien.
Die Xinjiang-Polizeiakten sind nur ein Teil dieser Strategie zur Eindämmung
Chinas. Es ist äußerst wichtig, über die unverblümte Politik der USA und der
NATO und deren Absichten zu informieren. Wir müssen jede Quelle einer weiteren
Eskalation unterbinden. Das beginnt jetzt mit den Konferenzen, die das
Schiller-Institut organisiert hat. Hierfür danke ich dem Schiller-Institut.
Herzlichen Dank!
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