Die Krise im östlichen Mittelmeerraum und die Belt & Road-Initiative
Von Leonidas Chrysanthopoulos
Leonidas Chrysanthopoulos ist Botschafter ad honorem
Griechenlands und ehemaliger Generalsekretär der Organisation für die
Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation. In der Internetkonferenz des
Schiller-Instituts am 18. Juni 2022 hielt er den folgenden Vortrag.
(Übersetzung aus dem Englischen.)
Hallo aus Aeon, Griechenland. Ich freue mich sehr, heute abend an diesem
wichtigen Treffen teilnehmen zu können. Wenn man sieht, was sich seit Dezember
auf der Erde abspielt, hat man den Eindruck, daß es keine ernsthaften
politischen Führer mehr gibt. Sie verhalten sich weiterhin inkohärent und tun
alles, um die Menschheit zu zerstören. Die Lage im östlichen Mittelmeer war
schon vor dem Krieg kompliziert genug, aber jetzt ist sie noch komplizierter
geworden, vor allem wegen der Türkei, die den Krieg in der Ukraine ausnutzt,
um ihre eigene Agenda zu fördern.
Die Türkei hat zum ersten Mal in ihren Beziehungen zu Griechenland die
Frage der Souveränität der an die Türkei angrenzenden griechischen Inseln
aufgeworfen und behauptet, daß diese Inseln zu Unrecht an Griechenland
abgetreten wurden und an die Türkei hätten abgetreten werden müssen, obwohl
die internationalen Verträge diesbezüglich sehr eindeutig sind. Verletzungen
des griechischen Luftraums und des griechischen Hoheitsgebiets sind an der
Tagesordnung, und auf politischer Ebene hat die Türkei alle Gespräche auf
hoher Ebene mit Griechenland abgebrochen.
Die Türkei hat Griechenland auch untersagt, in den Gewässern vor Kreta nach
Öl und Gas zu bohren, weil das Gebiet angeblich unter türkischer Hoheit steht.
Dasselbe gilt auch für andere Gebiete, und nun will Ankara mit Bohrungen in
der Ägäis beginnen. Außerdem erlaubt die Türkei der Republik Zypern nicht, in
den Gewässern nördlich von Zypern nach Öl und Gas zu bohren, mit der
Begründung, das Gebiet gehöre zur türkischen Hoheit.
Die Lage hat sich zugespitzt, und es ist nicht auszuschließen, daß es zu
einem bewaffneten Konflikt zwischen den beiden NATO-Ländern kommt, was Rußland
mit großer Genugtuung zur Kenntnis nehmen würde, da es die NATO weiter in
Unordnung bringt.
Die Türkei droht auch mit einer Invasion in Syrien, um eine
30-Kilometer-Zone um Syrien herum zu schaffen, in die die kurdische YPG nicht
eindringen kann.
Und aus eigenen Gründen blockiert Ankara den NATO-Beitritt von Schweden und
Finnland. Es ist ganz klar, daß diese beiden Länder der NATO nicht beitreten
werden, da sie keine politischen Flüchtlinge an die Türkei ausliefern werden.
Ankara hat keine Sanktionen gegen Rußland beschlossen und versucht, zwischen
Moskau und Kiew zu vermitteln.
Griechenland hat sich den USA angeschlossen und ein Abkommen über die
Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich mit Washington unterzeichnet, in dem es
den Amerikanern seine Militärstützpunkte in Alexandroupolis überläßt. Athen
ist der Ansicht, daß diese Stützpunkte Griechenland vor einem Angriff aus der
Türkei schützen werden, während Washington sie als Teil der Einkreisung
Rußlands betrachtet. Es ist fraglich, ob diese Stützpunkte im Falle eines
türkischen Angriffs etwas ausrichten können.
Athen folgt den Befehlen Washingtons und hat deshalb Waffen in die Ukraine
geschickt. Es hat sich geweigert, die bewaffneten Mannschaftstransporter, die
sich auf den griechischen Inseln befinden, abzuziehen, bevor Deutschland nicht
Ersatz geschickt hat, um diese Inseln nicht ungeschützt zu lassen. Aber es
scheint, daß dieser Plan gescheitert ist, weil die Deutschen nicht garantieren
können, diese Waffen vorher zu schicken.
Die wirtschaftliche Lage in Griechenland ist nicht gut. Nach zehn Jahren
Sparmaßnahmen, die durch die Memoranden der EU auferlegt wurden, ist die
öffentliche Verschuldung in Prozent des BSP von 124% im Jahr 2010 auf 211,9%
im Jahr 2020 gestiegen.
Diese Katastrophe hätte vermieden werden können, wenn Deutschland sich
bereit erklärt hätte, Griechenland die 450 Milliarden Euro – ja, 450
Milliarden Euro – zurückzuzahlen, die es aus den Kriegsreparationen und dem
Kredit von 1941 schuldet. Aber Berlin weigert sich, darüber auch nur zu
diskutieren, während es kein Problem damit hat, Rußland zu beschuldigen, in
der Ukraine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.
Der Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise macht die Situation in
Griechenland nicht einfacher. Als verlängerter Arm der USA hat Griechenland
auch Probleme mit den traditionellen Feinden der USA, wie dem Iran. Auf
Ersuchen der USA beschlagnahmte Griechenland einen Tanker russischer
Interessen, der iranisches Öl geladen hatte, das nach Ansicht der US-Behörden
zur Finanzierung terroristischer Aktivitäten oder zur Geldwäsche verwendet
werden sollte. Als Vergeltung beschlagnahmte Teheran zwei griechische Tanker.
Nachdem ein griechisches Gericht die Beschlagnahmung des Tankers mit
iranischem Öl für rechtswidrig befunden hatte, wurde der Tanker freigelassen
und das beschlagnahmte Öl zurückgegeben; damit war der Weg für die Freigabe
der beiden griechischen Tanker frei.
Die Lage im Nahen Osten hat sich nicht geändert: Israel betreibt in den
palästinensischen Gebieten ein Apartheidregime, bombardiert Syrien, bedroht
den Iran und setzt Staatsterrorismus ein, um hohe iranische Beamte
hinzurichten. Man kann dort keine Möglichkeiten für positive Veränderungen
sehen.
Eine weitere Bedrohung für die Menschheit ist der Versuch der USA, China
als Feind darzustellen, ähnlich wie Rußland. Hier begeht Washington einen
großen Fehler. Ein Land mit einer mehr als 5000 Jahre alten Zivilisation, das
so viel zur Menschheit beigetragen hat, kann nicht von einem 300 Jahre alten
Land, das der Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs so viel Schaden
zugefügt hat, als Feind bezeichnet werden.
Wäre es nicht besser für alle, wenn die großen Länder der Welt sich
entschließen würden, gemeinsam an der Entwicklung des Planeten zum Wohle der
Menschheit zu arbeiten? Anstatt zu versuchen, ihn zu kontrollieren und ihre
Einflußzonen zu vergrößern, sollten sie ihre Tötungsmaschinen und ihre
Drohungen mit dem nuklearen Holocaust einstellen. Sie sollten sich von dem
Einfluß des militärisch-industriellen Komplexes befreien. Sie sollten sich
ihrer Augenbinden entledigen und sehen, wie die Menschheit und sie selbst
unter friedlichen Bedingungen gedeihen können.
Hier kommt der Belt and Road Initiative – BRI- eine entscheidende Rolle zu.
Das BRI-Projekt wird, wenn es vollendet ist, den eurasischen Kontinent auf dem
Land-, Schienen-, Straßen- und Seeweg verbinden. Waren werden schnell und ohne
große Kosten zwischen den beiden Seiten ausgetauscht. Sowohl in Europa als
auch in Asien werden Projekte im Zusammenhang mit der BRI durchgeführt.
Eine engere bilaterale Zusammenarbeit zwischen China und den europäischen
Ländern ist erforderlich. Die maritime Seidenstraße betrifft auch
Griechenland, wo die Aktivitäten von COSCO [China Ocean Shipping Company] im
Hafen von Piräus eine der bisher wichtigsten Aktivitäten im Rahmen von Chinas
One Belt, One Road in Europa darstellen.
Die negative Haltung der USA ist das wichtigste Element, das den
Fortschritt der BRI behindern könnte. Die Teilnehmer sollten bilaterale,
multilaterale oder andere Anstrengungen unternehmen, um Washington von den
Vorteilen zu überzeugen, die es durch die Teilnahme an diesem Projekt hätte.
In diesem Sinne sind engere Kontakte mit Japan, Australien und Indien
erforderlich, um zu prüfen, wie der asiatisch-afrikanische Wachstumskorridor
in das BRI-Projekt integriert werden könnte.
Eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung dieses Projekts ist, daß Frieden
und Stabilität herrschen und die Sanktionen aufgehoben werden, was heute nicht
der Fall ist. Die Umsetzung und Förderung dieses Projekts kann jedoch auch
Friedensinitiativen erleichtern, wenn die Konfliktparteien verstehen, daß ihre
Beteiligung an der BRI in hohem Maße von überwundenen Konflikten profitieren
kann. Dies gilt für die USA, Rußland, die EU, China und die Länder Asiens und
des Nahen Ostens, darunter die Türkei, der Iran, Syrien, der Irak, Ägypten und
Israel.
Dies war die Erfahrung mit der Schwarzmeer-Ringautobahn, bei der die
Differenzen zwischen einigen Schwarzmeerstaaten – den Mitgliedstaaten der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit am Schwarzen Meer (BSEC) – so
weit abgemildert werden konnten, daß die Autobahn durch Zonen mit
eingefrorenen Konflikten geführt werden durfte. Sie könnte auch zur Befriedung
des europäischen Krieges beitragen, der in der Ukraine geführt wird. Sie
könnte auch zur Befriedung des östlichen Mittelmeerraums beitragen.
In einer Welt, in der bewaffnete Konflikte und Gewalt vorherrschen und das
Völkerrecht nicht mehr existiert, ist es wichtig, die Rolle der Kultur, der
Philosophie, des Humanismus und der Spiritualität zu betonen. Das muß über die
Seidenstraße in Form eines Austauschs von Ideen und Kultur zwischen dem Osten
und dem Westen transportiert werden. Das Schiller-Institut leistet durch die
aktive Teilnahme von Helga LaRouche an vielen internationalen Foren und durch
die Organisation von Treffen wie dem heutigen einen positiven Beitrag zum
Frieden in Europa und in der Welt.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die erfolgreiche Umsetzung der BRI
eine entscheidende Rolle bei der Humanisierung der internationalen
Beziehungen, der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Bevölkerung
der teilnehmenden Staaten spielen und auf diese Weise die Voraussetzungen für
den globalen Frieden schaffen kann. Doch zunächst müssen sich die führenden
Politiker der Welt von ihren Augenbinden befreien und wieder anfangen zu
sehen. Das mag utopisch klingen, aber wenn wir nicht an Utopia glauben, wird
sie nie Wirklichkeit werden. Ich danke Ihnen vielmals.
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