Friedrich Schiller Denkmal
Friedrich Schiller



Hauptseite
       

Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Südamerika und die Neue Entwicklungs-Architektur

Von Fraydique Gaitán und Pedro Rubio

Fraydique Gaitán ist Präsident des kolumbianischen Gewerkschaftsbundes CTU USCTRAB, Pedro Rubio Präsident der Vereinigung der Beamten des Obersten Rechnungshofs in Kolumbien. Für die Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 9. April übermittelten sie den folgenden Beitrag.

Fraydique Gaitán: Es ist sehr wichtig für Kolumbien und Lateinamerika, auf alles zu achten, was in dieser globalen Situation vor sich geht. Wir haben eine globale Pandemie erlebt, und nun die Ukraine-Rußland-Frage, die die ganze Welt betrifft.

Das zwingt uns dazu, darüber nachzudenken, wie die politische Agenda in Zukunft aussehen soll. Wir sollten von einer neuen Weltordnung sprechen. Und wir sollten darüber nachdenken, ob der Mensch weiterhin im Mittelpunkt des Geschehens stehen wird oder nicht; und ob der Mensch das Wichtigste für die Zentren des Denkens ist – wie etwa jenen Zentren der Macht, in denen wir sehen, daß der Schaden, der der Menschenwürde und dem Leben selbst zugefügt wird, eine ernste und enorme Wegscheide erreicht hat, wo er leicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden könnte.

Es geht nicht mehr um das Denken einiger Wirtschaftstheoretiker, wo der Mensch den Menschen benutzt, wo der Mensch versklavt wird, und dann wird er befreit und geht weiter zum Konzept des Proletariats und entwickelt sich zum Konzept der Neuen Welt der Arbeit. Wir alle müssen uns also die Frage stellen: Steht der Mensch derzeit wirklich im Mittelpunkt des Denkens dieser Denkfabriken und Machtzentren? Wir denken, daß er da stehen sollte.

Das andere wichtige Thema ist die historische Entwicklung des Konzepts der Arbeitswelt und der globalen Konflikte, die im Laufe der Geschichte aufgetreten sind. Der Westfälische Frieden ist ein wichtiger Bezugspunkt, den man in Betracht ziehen sollte, ebenso wie den Versailler Vertrag, trotz der Brüche und einiger Abweichungen, die in ihnen gefunden wurden. Im Falle des Versailler Vertrags sind wir jedoch der Meinung, daß wir als Gewerkschaftsbund, der auf der Grundlage des Konzepts der Internationalen Arbeitsorganisation ( ILO) gegründet wurde, die im Rahmen von Versailles ins Leben gerufen wurde, eine Dreigliedrigkeit brauchen, wenn wir von einem stabilen und dauerhaften Frieden sprechen wollen.

Ein weiterer sehr wichtiger Punkt, den wir im Auge behalten müssen, ist die Rolle der ILO und der UNO. Wenn wir wollen, daß die Entwicklung der Nationen symmetrisch verläuft, müssen wir unbedingt prüfen, ob diese beiden Organisationen gültig sind oder nicht. Für uns ist die ILO gültig, weil sie ein demokratisches Mitwirkungsorgan ist und aufgrund ihrer drei Wahlgremien einen demokratischen Sinn hat: eine Abstimmung durch den Staat, durch die Regierung, eine Abstimmung durch die Arbeitnehmer und eine Abstimmung durch die Arbeitgeber.

Die UNO hat eine Deformation, nämlich ihren Sicherheitsrat: Nur einige haben die bewaffnete Macht erlangt, über Atombomben und andere Arten von Massenvernichtungswaffen zu verfügen, die es ihnen erlauben, dort zu sein. Aber es gibt keinen Konsens, keine demokratische Entscheidungsfindung durch alle Nationen. Das führt zu den Asymmetrien, die wir heute vorfinden.

Es ist wichtig zu bedenken, daß wir in diesen neuen Architekturen ein Gleichgewicht finden müssen, um weiterhin von globaler sozialer Gerechtigkeit sprechen zu können. Es handelt sich um eine politische Agenda, die von Blöcken aufgebaut wurde, und das darf nicht bedeuten, daß wir zur Unipolarität oder zur Bi-Polarität zurückkehren. Wir sollten über ein Minimum von fünf Blöcken sprechen, und Lateinamerika sollte eine starke Rolle unter diesen Blöcken spielen. Wir sehen das Beispiel, daß Afrika, das das dreigliedrige System genutzt hat, heute die Internationale Arbeitsorganisation anführt.

Wir fordern daher, den sozialen Dialog zwischen den Nationen weiter zu stärken. Es ist nicht einfach, die Spannungen zu interpretieren, denn es gibt Spannungen zwischen einigen Agenden und anderen, und das ist es, was wir in diesem Konflikt sehen. Auch wenn einige ihn auf die Ukraine und Rußland reduzieren wollen, handelt es sich um globale Spannungen.

Für den Gewerkschaftsbund CTU-USCTRAB ist es daher wichtig, zum dreigliedrigen Mechanismus zurückzukehren, die Deformation der UNO im Sicherheitsrat und andere asymmetrische Situationen zu berücksichtigen, wie z.B. die Interventionen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). In der ILO ist deren Rolle klar definiert, aber in der UNO torpedieren diese störenden Kapitalgruppen, die sogar ganze Staaten kontrollieren, eine echte Agenda globaler Politik und behindern eine neue Architektur, die eine echte Entwicklung für alle Nationen und ein Gefühl der Sicherheit für alle schaffen würde.

Die Potentiale müssen genutzt werden

Pedro Rubio: Grüße aus Kolumbien. Wir haben Initiativen und Vorschläge für den Zugang zum südamerikanischen Kontinent durch die Darien-Lücke und Kolumbien gefördert, um nicht nur ein Dreh- und Angelpunkt für die Weltlandbrücke oder die Neue Seidenstraße (Abbildung 1), wie sie auch genannt wird, zu werden, sondern auch, um unter dem Gesichtspunkt einer neuen Wirtschafts- und Entwicklungsarchitektur für alle Nationen nicht nur die Ernährung der kolumbianischen Bürger zu sichern, sondern auch zu einem Lieferanten von Nahrungsmitteln für den Planeten zu werden.

© EIR

Abb. 1: Die Korridore der „Maritimen Seidenstraße“ in der Karibik.

Paradoxerweise haben wir im weltweiten Vergleich sehr fruchtbares Land, weil wir Teil des Äquatorialgürtels sind, und wir haben eine Vielfalt von Klimazonen, die es Kolumbien ermöglichen, 365 Tage im Jahr Nahrungsmittel zu produzieren. Wir haben also ein großes Potential.

Ich möchte die Berechnungen von Wladimir Wernadskij erwähnen, dem russischen Vater der Biogeochemie, die wir angewandt haben, um die Fähigkeit zu bestimmen, eine bestimmte Bevölkerung pro Quadratkilometer zu ernähren. Interessant ist zum Beispiel, daß wir in Kolumbien mit 446.656 Quadratkilometern Ackerland und einer Bevölkerung von 49,6 Millionen Menschen eine Bevölkerung von 67 Millionen ernähren könnten.

Mit anderen Worten, mit dem Potential, das wir heute haben, um auf kolumbianischem Gebiet Nahrungsmittel zu produzieren, könnten wir mit Hilfe der Technologie – und Wernadskijs Berechnungen basierten auf der Technologie, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zur Verfügung stand – und mit Hilfe des technologischen Fortschritts, der Optimierung unserer landwirtschaftlichen Flächen zur Ernährung der Menschen, diese Menge sogar verdoppeln.

Mit anderen Worten, ich wage zu behaupten, daß es möglich ist, auf der Fläche, die wir in Kolumbien haben, durchschnittlich bis zu 75-80 Millionen Menschen zu ernähren.

Unser Nachbarland Venezuela, das an Kolumbien grenzt, verfügt über 216.000 Quadratkilometer Ackerland und hat eine Bevölkerung von 28,8 Millionen Menschen. Durch die Optimierung dieses Gebiets auf der Grundlage moderner technologischer Fortschritte könnten sie mehr als 40-45 Millionen Menschen ernähren.

Und hier haben wir es mit einer souveränen Entscheidung zu tun, die von den Nationen getroffen werden muß und die auf der Notwendigkeit beruht, jeden Quadratkilometer oder jeden Hektar Land, je nachdem, wie man es mißt, produktiver zu machen, um die Nahrungsmittelversorgung zu sichern.

© EIR

Abb. 2: Schematische Darstellung eines Entwicklungskorridors.

Auf diese Weise können wir der drohenden Welthungersnot entgegentreten, vor der die FAO und die UNO und viele andere internationale Stimmen warnen: daß sie nicht nur kommt, sondern international bereits im Gange ist. Und es ist notwendig, sofort einen Plan zur wirtschaftlichen Wiederbelebung für die Länder zu aktivieren, die über ein landwirtschaftliches Potential verfügen, um die Politiken zu intensivieren, damit sie in der Lage sind, die Nahrungsmittellieferanten der Welt zu werden, und nicht nur für ihre eigene Bevölkerung.

Wie Sie hier sehen können, ist es wichtig, den Ansatz der Entwicklungskorridore (Abbildung 2) umzusetzen, um den Fluß der notwendigen Inputs zu gewährleisten, sodaß sowohl die Importe als auch die Exporte von Nahrungsmitteln über diese Entwicklungskorridore, die als Teil der Neuen Seidenstraße vorgeschlagen werden, abgewickelt werden können. Das ist es, was unserer Meinung nach in diesem Moment, in diesem Punctum Saliens der Geschichte, getan werden muß.

Uns stehen zwei Wege zur Verfügung: der Weg in eine neue Ära, eine Renaissance des Wirtschaftswachstums und des Dialogs der Kulturen, oder, wie es einige Theoretiker des Kampfes der Kulturen vorschlagen, ein finsteres Zeitalter der ständigen Kriege und Konflikte zwischen den Nationen.

Wir in Kolumbien hoffen, daß der gesamte Planet und diese Dialogforen den notwendigen Fortschritt des Dialogs der Kulturen und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit vertiefen, den der Planet so dringend braucht.

Ich danke Ihnen.