Ein neues Kreditsystem für die kommende wissenschaftliche Revolution
Von Helga Zepp-LaRouche
Die folgende Rede hielt die Gründerin und Präsidentin des
Schiller-Instituts auf der „Internationalen wissenschaftlichen und praktischen
Konferenz: Wissenschaftlich-technologische und innovative Zusammenarbeit der
BRICS-Länder“, die am 25.-26. Oktober 2022 vom russischen Nationalen Komitee
für BRICS-Forschung ausgerichtet wurde. Die Text wurde leicht bearbeitet und
aus dem Englischen übersetzt. Das Video des Vortrags ist hier verfügbar:
https://youtu.be/B0m5-v0etmE?t=7435
Ich danke dem Nationalen Komitee für BRICS-Forschung von ganzem Herzen für
die Einladung zu dieser unverzichtbaren Konferenz!
Ich beginne mit einem Zitat von Sir Peter Westmacott, ehemaliger britischer
Botschafter in den Vereinigten Staaten (2012-2016), der kürzlich beklagte,
Großbritannien sei „im Ausland zu einem Objekt von Belustigung, Unglauben,
Mitleid und Schadenfreude geworden. Es ist beschämend für ein Land, das so
lange ein Musterbeispiel für eine funktionierende Demokratie war.“
Einmal abgesehen von der Bemerkung über das Vereinigte Königreich als
„funktionierende Demokratie“ hat es einen gewissen Nutzen, sich die panische
Achterbahnfahrt der Bank of England anzusehen, die von Quantitativer Lockerung
[QE, Liquiditätspumpen] zu Quantitativer Straffung [QT, Liquiditätsdrosselung]
wechselte, nur um dann schnellstens wieder zu QE zurückzukehren – mit einem
ähnlichem Tempo wie dem, mit dem Liz Truss in die Downing Street 10 einzog und
wieder hinausflog. Auch wenn so mancher Schadenfreude über den Untergang
Großbritanniens empfinden mag, ist eine nüchternere Betrachtung angebracht,
denn es ist das systemische Versagen des neoliberalen Systems, das die
eigentliche Dynamik hinter der angelsächsischen geopolitischen Konfrontation
mit Rußland und China darstellt.
Das britische Establishment rauft sich über diese Fragen die Haare – etwa,
wie sich diese Anzeichen von Unregierbarkeit auf die britische Unterstützung
für den NATO-Krieg in der Ukraine oder auf die Sonderbeziehung zu den
Vereinigten Staaten auswirken werden –, doch der Aufruhr im Vereinigten
Königreich weist auf eine größere Bedeutung dieser Entwicklungen für die BRICS
und den gesamten Rest der Welt hin.
Die globale Systemkrise
Die Ereignisse in London signalisieren die endgültige Ankunft der globalen
Systemkrise, vor der mein verstorbener Mann, Lyndon LaRouche, bereits vor 51
Jahren warnte, als US-Präsident Richard Nixon anstelle der festen Wechselkurse
des Bretton-Woods-Systems freie Wechselkurse einführte. LaRouche warnte
damals, eine Fortsetzung dieses monetaristischen Systems, das auf
Profitmaximierung für die Spekulanten ausgerichtet ist, müsse zwangsläufig zu
einer neuen Wirtschaftsdepression, einem neuen Faschismus und der Gefahr eines
neuen Weltkriegs führen – oder zu einem völlig neuen
Weltwirtschaftssystem.
Der Prozeß der Entdollarisierung ist bereits im Gange – immer mehr Handel
zwischen den BRICS-Staaten und einigen Ländern des Globalen Südens wird in
ihren Landeswährungen abgewickelt, und die Vorbereitungen für die Einführung
einer neuen internationalen Währung auf der Grundlage eines Warenkorbs laufen.
Doch diese Länder sind nicht ausreichend geschützt vor dem Ausstrahlungseffekt
eines Ausbruchs von Hyperinflation im transatlantischen Finanzsystem als Folge
der fortgesetzten QE oder eines Wirtschaftszusammenbruchs durch eine
Kettenreaktion von Insolvenzen als Folge der Bemühungen, mit QT die Inflation
einzudämmen.
Vorbereitungen für ein neues Kreditsystem
Eine repräsentative Gruppe von Regierungen wie die BRICS, die SCO
[Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit] und andere, die im Interesse der
Mehrheit der Menschheit handeln, müssen sich rasch darauf vorbereiten, ein
neues Kreditsystem einzurichten, das die Länder des Entwicklungssektors vor
den Auswirkungen eines chaotischen Zusammenbruchs des bisher dominierenden
Finanzsystems der westlichen Zentralbanken schützt.
Eine weitere starke Motivation ergibt sich aus der unverhohlenen und
offensichtlich völlig undurchführbaren Absicht führender Kreise in den USA,
Großbritannien und der EU, sich von Rußland und China und damit implizit von
allen Ländern, die sich an der Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI)
beteiligen, wirtschaftlich komplett abzukoppeln.
Eine Rückkehr zum alten Bretton-Woods-System wird zwar von den
Entwicklungsländern verständlicherweise abgelehnt, weil es unter der Dominanz
des imperialen Denkens von Churchill und Truman eingerichtet wurde und weil
Präsident Roosevelts Vorhaben, ein Kreditsystem zu schaffen, das den
Kolonialismus beendet und vor allem den Lebensstandard der Menschen in der
sog. Dritten Welt erhöht, nicht einmal annähernd verwirklicht hat. Es ist aber
dennoch ein nützlicher Hinweis darauf, daß Finanzsysteme kein gottgegebenes
Phänomen sind, sondern von Regierungen gestaltet werden können.
Wie Lyndon LaRouche immer wieder betont hat, muß ein neues Kreditsystem
unbedingt folgendes beinhalten:
- ein System fester Wechselkurse für die nationalen Währungen, die von
Zeit zu Zeit angepaßt werden können;
- ein kooperierendes System von Nationalbanken auf der Grundlage der
souveränen Befugnisse der Regierungen;
- begrenzte Konvertierbarkeit der Währungen;
- Kapitalverkehrskontrollen, die im wesentlichen die gleiche Wirkung haben wie eine internationale Glass-Steagall-Bankentrennung;
- Schutzzölle und Handelsbestimmungen, die vor allem die aufstrebenden
Volkswirtschaften der Entwicklungsländer schützen; und
- das Verbot jeglicher Form von Spekulation.
Die Bemühungen, „Rußland zu ruinieren“
und „China zu stoppen“, sind gescheitert
Die beispiellosen Sanktionen gegen Rußland, die ausdrücklich darauf
abzielen, „Rußland zu ruinieren“ – indem man Rußland den Zugang zu allen
modernen Spitzentechnologien verwehrt und die Diversifizierung von Öl- und
Gasexporten verhindert, wie ungenannte Vertreter des Weißen Hauses in einem
Pressegespräch am 25. Januar erklärten –, ist eindeutig gescheitert und wird
nun als Rückschlag die Wirtschaft Europas und insbesondere Deutschlands
ruinieren.
In ähnlicher Weise wird nun versucht, China den Zugang zu den Chip- und
Halbleitertechnologien zu verwehren. Durch die Auswirkungen der
hyperinflationären Explosion der Lebensmittel- und Energiepreise auf die
Entwicklungsländer droht eine weltgeschichtliche Tragödie von beispiellosem
Ausmaß. Alle diese Faktoren tragen dazu bei, daß die derzeitigen
Industriekapazitäten sowohl des „Westens“ als auch der BRICS-Staaten und des
Globalen Südens weit unter dem liegen, was erforderlich wäre, um die
derzeitige Weltbevölkerung zu versorgen.
Mobilisierung eines koordinierten Programms als „Wissenschaftsmotor“
Wenn die BRICS-Länder und ihre Partner diesem Zustand abhelfen wollen,
besteht die einzige verläßliche und nicht-inflationäre Option darin, alle
verfügbaren Ressourcen dieser Gruppe von Nationen für ein koordiniertes
„Wissenschaftsförderungsprogramm“ zu mobilisieren. Es ist entscheidend,
denjenigen neuen wissenschaftlichen Durchbrüchen Vorrang einzuräumen, die auf
tendenziell höheren Energieflußdichten beruhen und die somit eine höhere
relative potentielle Bevölkerungsdichten ermöglichen – ein Zusammenhang, der
einer der wichtigsten Aspekte der Wissenschaft der physischen Ökonomie ist,
der sie völlig vom Monetarismus unterscheidet. Bei dieser Notwendigkeit, die
Zunahme der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte als Maßstab für den Wert
einer Investition zu nehmen, geht es um die langfristige Überlebensfähigkeit
der menschlichen Gattung.
Angesichts der Tatsache, daß Rußland, China und Indien zu den führenden
Raumfahrtnationen gehören, gehören wissenschaftliche Raumfahrtprogramme zu den
vielversprechendsten Bereichen, in denen der Spillover-Effekt neuer
revolutionärer Technologien auf andere Bereiche der Wirtschaft die höchste
Produktivitätssteigerung des gesamten Produktionsprozesses mit der
größtmöglichen Rate verspricht. Das gleiche gilt im Prinzip auch für andere
Avantgarde-Technologien wie die Kernfusion, die Biophysik und Biochemie, die
kognitiven Wissenschaften, usw. Die bedeutenden wissenschaftlichen Traditionen
und Kapazitäten Rußlands, Chinas, Indiens und Südafrikas im Bereich der
Kernforschung und verwandten Wissenschaftszweigen sind bereits vorhanden und
können die wissenschaftliche Grundlage für einen wachsenden Sektor von
„Wissensexport“ für umfangreiche Technologietransfer- und Ausbildungsprogramme
für andere Nationen des Globalen Südens bilden, die es ihnen ermöglichen, ein
deutlich höheres Produktivitätsniveau zu erreichen.
© Roskosmos/CNSA

Eine künstlerische Darstellung von Phase 3 der Internationalen
Mondforschungsstation China-Rußland (ILRS), die von Roskosmos und der
Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas entwickelt wird. Die ILRS ist ein
wunderbares Beispiel dafür, was erreicht werden kann, wenn Länder
zusammenarbeiten, um Wissenschaft und Technik voranzubringen. Das Projekt
steht allen interessierten Ländern und internationalen Partnern zur Teilnahme
offen.
Während man sich bemühen muß, alle verfügbaren personellen Kapazitäten zu
nutzen und ihr technologisches Leistungsniveau auf das höchstmögliche Niveau
zu heben, müssen gleichzeitig kostengünstige Kredite und Steuererleichterungen
für Investitionen für jeden „Spillover“ bereitgestellt werden, der sich aus
den Programmen zur Wissenschaftsförderung ergibt und der dann die Lösung
entscheidender Probleme der Wirtschaft ermöglicht.
Der Transfer des wissenschaftlichen Fortschritts in potentiell alle
Sektoren der Wirtschaft erfolgt im Wesentlichen über zwei Kanäle, die
Bildungssysteme und den Werkzeugmaschinensektor, und von dort aus in die
Produktionsgüter, Haushaltsgüter, die Infrastrukturentwicklung und den
Agrarsektor.
Der sich derzeit abzeichnende systemische Zusammenbruch des Finanzsystems
stellt natürlich eine große Herausforderung dar, bedeutet aber auch eine
willkommene Chance, den größten Teil der Weltwirtschaft endlich auf Prinzipien
zu stellen, die mit denen unseres physikalischen Universums
übereinstimmen.
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