Die LaRouche-Bibliothek wird eröffnet:
Eine revolutionäre Intervention
Von Helga Zepp-LaRouche
Helga Zepp-LaRouche ist die Gründerin und Präsidentin des Schiller-Instituts.
Hallo, guten Tag. Ich bin sehr stolz und glücklich, die wundervolle Aufgabe
zu haben, Ihnen als Teilnehmer dieser Konferenz zum 100. Geburtstag von Lyndon
LaRouche, meinem verstorbenen Mann, und der ganzen Welt die Eröffnung der
Digitalen Bibliothek seines Werkes, in schriftlicher Form wie auch in Audio-
und Videoform, anzukündigen. Wie Dennis gerade sagte, bedeutet das, daß von
nun an Studenten und Wissenschaftler, aber auch normale Bürger Zugang zu
seinem enormen Ideenschatz haben werden.
Diese Tatsache ist absolut revolutionär, denn die internationale Oligarchie
hat eine riesige, konzertierte internationale Operation durchgeführt, um nicht
nur seine Schriften, sondern sogar seine Existenz zu unterdrücken. Vielleicht
werden Historiker eines Tages herausfinden, daß es sich dabei um die
ausgeklügeltste Operation zur Unterdrückung der Ideen eines einzelnen Menschen
handelte, die es je gab.
Jetzt erhalten die Menschen in jedem Land der Welt Zugang dazu. Ich stimme
Dennis nicht ganz zu, was die Anzahl der Bücher angeht, denn ich denke, es
werden Hunderte von Büchern sein, dazu Tausende von Artikeln, zahlreiche
aufgezeichnete Reden und Vorträge.
Was werden Sie feststellen, wenn Sie das tun (die digitale Bibliothek
nutzen)? Nun, viele Menschen, die ihn persönlich kannten, haben wiederholt
erklärt, daß er der gebildetste und kenntnisreichste Mensch war, den sie je
getroffen haben.
Ich hatte das Glück, gemeinsam mit ihm in viele Länder zu reisen – es
dürften um die 40 gewesen sein. Und was mir und natürlich auch anderen
Menschen immer wieder auffiel, war, daß er mit den unterschiedlichsten
Menschengruppen sprechen konnte, seien es Wissenschaftler in Rußland, Fischer
in Peru, Schuhmacher in Italien, Militärs in Frankreich, Staatsführer aus
Afrika, Philologen in Indien, Musiker aus vielen Ländern, Historiker aus
Europa, Ingenieure und Landwirte aus den Vereinigten Staaten, Industrielle aus
Deutschland. Die Liste ließe sich noch sehr lange fortsetzen. Er hinterließ
bei seinen Gesprächspartnern immer den Eindruck, daß er ein Experte auf ihrem
Gebiet war und mehr über die Materie wußte als sie selbst.
Um nur ein Beispiel zu nennen. Nachdem er zwei Tage lang mit niemand
anderem als dem weltbesten Musiker, Norbert Brainin – dem ersten Geiger des
berühmten Amadeus-Quartetts und jahrzehntelangen Freund von ihm –, über die
Prinzipien der klassischen Musik, musikalische Komposition, Motivführung und
die Kunst, die Intention des Komponisten zu verstehen, diskutiert hatte, kam
dieser zu dem Schluß, daß Lyn mehr über Musik wußte als er selbst. Und das
bedeutet eine Menge, denn Norbert Brainin war ein Genie auf seinem Gebiet.
Aber trotz seines universellen Wissens gab es in Lyn nicht ein Jota
Arroganz oder Ego. Er lebte so sehr in den Höhen der Ideen, daß er in seinen
Gesprächspartnern einen kreativen Funken hervorrufen konnte, einen sich selbst
erhaltenden Impuls, mit größerer Klarheit zu denken, so daß sich der
Gesprächspartner stets selbst erhöht fühlte und motiviert war, neue
Wissensgebiete und andere Sichtweisen zu erkunden. Auf diese Weise berührte er
in seinem langen und äußerst produktiven Leben das Leben einer großen Zahl von
Menschen.
Er war ein wahrhaft universeller Denker, der bewies, daß es trotz der
Komplexität unserer Zeit durchaus möglich ist, alle wesentlichen
Wissensgebiete zu kennen, und daß der Elfenbeinturm der Experten kein
Schicksal war für einen Menschen, der die Methode des Wissenserwerbs
beherrschte, anstatt ein Brotgelehrter zu sein, also jemand, der nur für sein
Geld arbeitet. Er war wirklich ein philosophischer Geist, wie ihn Schiller in
seinem Essay Was heißt und zu welchem Ende studiert man
Universalgeschichte? beschreibt.
Natürlich war er in erster Linie Wirtschaftswissenschaftler. Die Leser der
digitalen Bibliothek finden dort eine beispiellose Darstellung sowohl der
Entwicklung der Wissenschaft der physischen Ökonomie, von den antiken Wurzeln
in der Astronomie, Geometrie, dem Städtebau, dem Aufbau der Infrastruktur
usw., als auch der Grundlagen der Physischen Ökonomie bei Leibniz, Hamilton,
List, Carey, Witte und verwandten Wissenschaftlern wie Gauß, Riemann,
Wernadskij und Einstein – aber auch die Theoretiker der entgegengesetzten
oligarchischen Schule der Sklavenhalter-Gesellschaften und Imperien, wie die
verschiedenen Schulen der Physiokraten, Monetaristen und Verfechter der
Freihandelsdoktrin.
Er hat offensichtlich das fast vergessene Wissen über den grundlegenden
Unterschied zwischen dem Amerikanischen und dem Britischen Wirtschaftssystem
wiederbelebt. Wer lernen will, wie man eine erfolgreiche Wirtschaft für sein
Land aufbaut, findet bei LaRouche sowohl die historischen Beispiele als auch
die theoretischen Bausteine dazu.
Angesichts der offensichtlichen Krise der Wirtschaftswissenschaft, in der
keine der etablierten Schulen – von der Österreichischen bis zur Chicagoer
Schule, von den Keynesianern bis zu den Friedmanisten – auch nur annähernd in
der Lage war, eine korrekte Wirtschaftsprognose abzugeben, ist das Studium von
LaRouches Lehre von großer Bedeutung. Das Studium der LaRouche-Ökonomie ist
offensichtlich ein Muß für jeden, der die Stümperei eines Paul Volcker oder
eines Robert Habeck vermeiden will. Man denke nur an die vielen Ökonomen, die
kurz vor der Systemkrise 2007/8 schrieben, daß der Boom von nun an ewig
weitergehen würde und jedermann mit den richtigen Investitionen an der Börse
Millionär werden könnte.
Aber auch der Student der Universalgeschichte findet hier einen
unmißverständlichen Leitfaden, um die Entwicklung des oligarchischen Systems
zu studieren. LaRouche beschrieb es u.a. als einen „Schleimpilz“, der im Laufe
der Jahrhunderte zwar Farbe und Form ändern kann, aber im wesentlichen immer
den gleichen Charakter behält, ein Schleimpilz zu sein, d.h. ein System, in
dem eine kleine oligarchische Elite versucht, alle Privilegien für sich zu
behalten, und deren grundlegendes Interesse darin besteht, die Bevölkerung so
rückständig wie möglich zu halten.
Dieses System war in weiten Teilen der Welt die vorherrschende Form bis zum
15. Jahrhundert, als mit der Entstehung des souveränen Nationalstaats zum
ersten Mal die Idee des Gemeinwohls als Zweck des Staates aufkam. Seitdem
befinden sich diese beiden Ausrichtungen – Oligarchie und Nationalstaat – in
einem ständigen Kampf, der noch nicht entschieden ist.
LaRouches Schriften bieten einen Wegweiser von den frühen Formen der
Zivilisation zu den wesentlichen Kämpfen vor allem der europäischen Geschichte
der letzten zweieinhalbtausend Jahre. Auf der Grundlage seiner profunden
Kenntnis der Geschichte als eines Kampfes gegensätzlicher Ideen war er in der
Lage, jedes neue historische Ereignis auf erstaunliche Weise zu begreifen.
Wenn andere durch plötzliche Veränderungen in der strategischen oder
politischen Situation verwirrt waren, konnte er das Ereignis einordnen und ihm
einen richtigen Namen geben.
Der Grund für diese Fähigkeit hatte wiederum mit seiner Denkmethode zu tun,
beruhend auf seiner völligen Beherrschung des platonischen Ideenuniversums und
aller wichtigen Denker, die in dieser Tradition standen, wie Augustinus, die
Kontroversen unter den Neuplatonikern, Nikolaus von Kues, Kepler, Leibniz usw.
– ebenso wie seinem Verständnis des komplexen Bereichs und das Denken in
Begriffen der Analysis situs, ein Begriff, der aus den geometrischen
Überlegungen von Leibniz stammt.
Ein ganz anderer Bereich sind die verschiedenen strategischen Vorschläge
und politischen Entwürfe, die, auch wenn sie für bestimmte historische
Situationen gemacht wurden, immer noch gültige Prinzipien enthalten, die heute
anwendbar sind.
Ein solches Beispiel ist die Strategische Verteidigungsinitiative, die als
Lösung für die Mittelstreckenraketen-Krise zwischen der NATO und dem
Warschauer Pakt Anfang der 80er Jahre für die Reagan-Präsidentschaft und die
damalige sowjetische Regierung konzipiert wurde, aber noch heute der beste
ausgearbeitete Vorschlag zur Schaffung einer neuen internationalen
Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur ist, die den Fluch der Geopolitik
ersetzen soll. Er enthält den wesentlichen Gedanken, daß die einzige
realistische Form der Abrüstung in einer Vereinbarung besteht, nukleare und
andere Massenvernichtungswaffen technologisch obsolet zu machen und eine Form
der Zusammenarbeit einzugehen, die sowohl die Interessen des anderen
berücksichtigt als auch allen Seiten mehr Nutzen bringt als die
Aufrechterhaltung der feindlichen Haltung.
Es wird viele überraschen zu sehen, daß LaRouche mit den tiefsten
Prinzipien der Poesie, des Dramas und der Musik ebenso vertraut ist wie mit
den universellen Prinzipien der Wissenschaften. Und nur von diesem Standpunkt
aus war er in der Lage, die künstliche Trennung zwischen Naturwissenschaften
und Geisteswissenschaften, die sich in Europa seit den Zeiten von Savigny und
Kant herausgebildet hatte, methodisch zu überwinden.
LaRouches ständiges Interesse galt jedoch der Kreativität als jener
spezifischen Fähigkeit, die die menschliche Gattung von allen anderen
Lebensformen unterscheidet. Er interessierte sich daher für alle Aspekte und
Prozesse, die die Kreativität des menschlichen Geistes fördern, und ebenso für
diejenigen, die diese Fähigkeit herabsetzen, als etwas, das überwunden werden
muß. Wenn man also den Schlüssel zur eigenen Kreativität finden will, gibt es
keinen besseren Weg, als LaRouche zu studieren, der davon überzeugt war, daß
jeder Mensch das Potential hat, ein Genie zu werden, auch wenn dies viele
verschiedene Formen annehmen kann, weil im Bereich der Kreativität die
Freiheitsgrade grenzenlos sind.
An dieser Stelle muß ich jedoch eine Warnung aussprechen. Als ich Lyn
einmal fragte, wie es dazu kam, daß er ein solches Allround-Genie geworden
ist, das so viele Wissensgebiete abdeckt und so viele grundlegende Durchbrüche
auf so vielen Gebieten erzielt hat, hatte er eine sehr ernüchternde Antwort.
Er sagte: „Es ist eine Menge Arbeit.“
Ich danke Ihnen.
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