Diplomatie und Zusammenarbeit in Krisenzeiten
Von Dr. Clifford A. Kiracofe
Cliff Kiracofe war ehemaliger leitender Mitarbeiter des
Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des US-Senats und ist Präsident des
Washingtoner Instituts für Frieden und Entwicklung. In der Internetkonferenz
des Schiller-Instituts am 18. Juni 2022 hielt er den folgenden Vortrag.
(Übersetzung aus dem Englischen.)
Ich möchte dem Schiller-Institut dafür danken, daß es mich zu dieser
dringend benötigten Konferenzreihe eingeladen hat. Meine heutigen Bemerkungen
werden kurz sein. Meine Botschaft ist einfach: Um die heutige Weltkrise zu
bewältigen, müssen wir konstruktive Diplomatie und internationale
Zusammenarbeit fördern.
Die heutige internationale Situation birgt viele Gefahren, darunter das
Risiko eines Atomkriegs und die Gefahr eines globalen Wirtschaftschaos.
Die Welt bewegt sich heute in Richtung Multipolarität, was einige
Beobachter als Polyzentrismus oder Pluralismus bezeichnen. Trotz dieses Trends
befinden sich die Vereinigten Staaten und der Westen in einem fehlgeleiteten
Kreuzzug, um zum Blocksystem des Kalten Krieges und zum Nullsummen-Denken des
Kalten Krieges zurückzukehren.
Das Blocksystem, das Washington und seine europäischen NATO-Vasallen
anstreben, besteht aus sogenannten „Demokratien“ auf der einen Seite und
sogenannten „autoritären“ Staaten auf der anderen Seite. Diese Formulierung
der alten Blockpolitik des Kalten Krieges war der außenpolitische Konsens der
US-Elite, auf den man sich 2005 geeinigt hatte, ist also nicht neu in
Washington.
Dieses politische Blocksystem hat sein wirtschaftliches Gegenstück, so daß
sich heute eine zweigeteilte globale Wirtschaftslage entwickelt. Diese
gespaltene wirtschaftliche Situation wird durch die globale Wirtschaftskrise
verschärft, die durch mehrere Faktoren verursacht wurde. Der Prozeß der
Bildung von Wirtschaftsblöcken wird heute von einer sich auflösenden
Weltwirtschaftslage begleitet.
Wie ist es dazu gekommen und was sind die Merkmale?
Zunächst machte sich 2018-2019 eine Abschwächung der europäischen
Wirtschaft bemerkbar. Dann hatten der Handelskrieg von Trump und der
Tech-Krieg von Trump, der heute unter Biden andauert, schwere negative
Auswirkungen. Dann schlug die COVID-Krise zu und schwächte die Weltwirtschaft
weiter.
Vor diesem Hintergrund führte das völlige Versagen der europäischen und
US-amerikanischen Diplomatie bei der Vermeidung eines Krieges in der Ukraine
zu der gegenwärtigen Situation in diesem Land. Der UN-Sicherheitsrat hat in
seiner Resolution 2202 von 2015 den Minsk-2-Prozeß gebilligt. Dieser kam
jedoch aufgrund der Gleichgültigkeit des Westens und der Unnachgiebigkeit des
Kiewer Regimes, das der Westen der Ukraine durch den Putsch auf dem Maidan im
Jahr 2014 aufgezwungen hat, nie in Gang.
Die Ukraine-Krise stört die Weltwirtschaft weiter, und trotzdem werden die
westlichen Wirtschaftssanktionen unaufhörlich verschärft. Milliarden von
Dollar an US-amerikanischen und europäischen Steuergeldern werden in den
ukrainischen Neonazi-Sumpf gesteckt.
Die neue Runde westlicher Sanktionen, wie auch alle anderen Sanktionen
gegen Rußland, ganz zu schweigen von denen gegen China, haben einen
Rückkopplungseffekt auf die westlichen Volkswirtschaften und die
Weltwirtschaft und sind daher kontraproduktiv. Diese Sanktionen ziehen die
Weltwirtschaft nach unten und destabilisieren sie.
Derzeit erleben wir eine galoppierende Inflation in Verbindung mit einer
globalen Unterbrechung der Versorgungsketten, der Energie und der
Nahrungsmittel. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte steht unmittelbar bevor,
wenn diese „Südseeblase“ von heute endlich platzt. Wir schlafwandeln nicht auf
den Abgrund zu, sondern marschieren geradewegs darauf zu, in einem geistigen
Zustand der Verleugnung, den man vielleicht besser als Psychose bezeichnen
sollte.
Die finanziellen Aspekte der gegenwärtigen Krise
Was ist mit den globalen finanziellen Aspekten der gegenwärtigen
Krise?
Wir alle wissen, daß die Zentralbanken, insbesondere die amerikanische Fed
und die europäische EZB, mit endlosem Gelddrucken und untauglichen Zinssätzen
eine grob unverantwortliche Geldpolitik betrieben haben. Das Helikoptergeld in
Verbindung mit den untauglichen Zinssätzen, die in vielen Fällen bizarrerweise
in den negativen Bereich fallen, führt zu einer beispiellosen Inflation und zu
wilden Spekulationen auf den Finanzmärkten.
Einige Beobachter weisen auf die Zweiteilung des globalen Währungssystems
hin. Bekanntlich stützt sich das internationale Währungssystem derzeit auf den
US-Dollar als wichtigste Reservewährung. Diese Situation besteht seit den
Vereinbarungen von Bretton Woods im Jahr 1944.
Aber 1944 ist lange her, und die globale Finanzarchitektur ist heute
gefährlich instabil geworden. Natürlich ist finanzielle Stabilität ein
Schlüssel zu einer gut funktionierenden internationalen Wirtschaft. Die
Alternative ist Instabilität, die zu Chaos führt. Einige Experten glauben, daß
wir heute vor einer solchen Situation stehen.
Es ist nicht unvernünftig, wenn Staaten, die über das rücksichtslose und
gefährliche internationale Wirtschaftsverhalten des Westens besorgt sind,
überlegen, wie sie sich schützen können. In den letzten Jahren hat dies die
Form einer Vorbereitung auf das angenommen, was man „Entdollarisierung“ nennt.
Das heißt, man bereitet sich auf eine Zeit vor, in der der US-Dollar nicht
mehr die einzige anerkannte Reservewährung in einem Währungsstandard von
US-Schatzanweisungen ist.
Was ist zu tun?
Eine Zweiteilung der internationalen Währungssysteme mit zwei
konkurrierenden Blöcken, die sich gegenüberstehen, ist langfristig keine
optimale Lösung. Zweifellos wird dieser Prozeß, der sich heute vollzieht, noch
eine Zeitlang anhalten.
Aber ich halte es für klug, daß wir jetzt kreativ über einen Ausweg
nachdenken. Wir befinden uns heute in einer komplexen Weltkrise, aber diese
Phase des internationalen Lebens wird vorübergehen. In den dunklen Tagen
dieser komplexen Krise müssen wir jetzt über den Weg nach vorne und die
Schaffung einer tragfähigen Situation nach der Krise nachdenken.
US-Präsident Franklin Roosevelt erkannte, daß die Zeit nach dem Zweiten
Weltkrieg durch Vorausplanung und Handeln gestaltet werden mußte. Da er ein
dysfunktionales globales Wirtschaftssystem als Folge des Krieges voraussah,
bemühte er sich, dies zu verhindern und die Voraussetzungen für finanzielle
Stabilität und eine kooperative Diplomatie in der Nachkriegszeit zu schaffen.
Glücklicherweise war die internationale Gemeinschaft in der Lage, sich zu
sammeln und bei den Vereinbarungen von Bretton Woods zusammenzuarbeiten.
Roosevelts Vision für die Nachkriegsdiplomatie und die internationale
Zusammenarbeit hatte zwei Hauptmerkmale. Erstens wurde mit der Wiederbelebung
des Geistes des Internationalismus die Organisation der Vereinten Nationen
geschaffen. Zweitens hoffte Roosevelt auf eine praktische Zusammenarbeit der
Großmächte wie den USA, Rußland und China in der Nachkriegszeit.
Heute brauchen wir ein neues Bretton Woods und eine konstruktive Diplomatie
zwischen den Großmächten. Es stimmt zwar, daß der Prozeß der Zweiteilung im
Gange ist, aber dennoch müssen wir nach vorne blicken, um ein erneuertes
internationales System zu schaffen, das inklusiv und nicht exklusiv ist. Das
bedeutet, daß die Grundlage für die internationale Zusammenarbeit der
gegenseitige Vorteil für alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft
ist.
Das Nullsummen-Denken des Kalten Krieges muß zurückgewiesen werden. Es gibt
nur eine Welt, in der wir auf diesem Planeten Erde leben. Daher ist
kooperatives, umfassendes und systematisches Denken für uns alle notwendig, um
die Weltangelegenheiten mit einer guten Global Governance zu regeln und so
internationalen Frieden und Entwicklung zu fördern.
Abschließend möchte ich sagen, daß wir zum Geist des Internationalismus
zurückkehren müssen, der sich im 19. Jahrhundert angesichts des zunehmenden
Militarismus entwickelte. Der Internationalismus förderte die kooperativen
Projekte des Völkerbundes und der Vereinten Nationen im 20. Jahrhundert nach
den Verwüstungen des Krieges, die durch einen sich immer weiter ausbreitenden
Militarismus verursacht wurden. Kehren wir also angesichts des ungezügelten
Militarismus von heute zum Geist des Internationalismus zurück und planen wir
eine Zukunft, auf die wir uns alle freuen können.
|