Amerika allein in einer sich verändernden Welt?
Von Dr. Clifford A. Kiracofe
Dr. Clifford Kiracofe (USA) war leitender Mitarbeiter des
US-Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen und ist Präsident des
Washington Institute for Peace and Development.
Ich möchte dem Schiller-Institut dafür danken, daß es mich eingeladen hat,
auf dieser wichtigen Konferenz zu sprechen. Im Laufe der Jahre, von den
unvergessenen Mittagessen mit Lyn in seinem Haus in Virginia bis zu den
Konferenzen in Berlin mit Helga, fand ich die intellektuelle Atmosphäre
inmitten einer freundlichen und aufmerksamen Gastfreundschaft stets
anregend.
Mein heutiges Thema lautet:„Amerika allein in einer sich verändernden
Welt?“ In diesem Titel steckt ein Fragezeichen, denn es bleibt abzuwarten, ob
Washington seine Politik von der Konfrontation zu einem konstruktiven
Engagement in der internationalen Gemeinschaft ändern wird. Unter
internationaler Gemeinschaft verstehe ich die souveränen Staaten, die in der
Generalversammlung der Vereinten Nationen vertreten sind. Die Vereinten
Nationen müssen gestärkt werden und in den Mittelpunkt des internationalen
Systems gestellt werden.
Das internationale System wandelt sich heute rasch von einem von den USA
dominierten unipolaren System zu einem pluralistischen multipolaren System.
Wir sehen den Aufstieg Chinas, die Rückkehr Rußlands, das Auftauchen von
Ländern wie Iran, Indonesien, Mexiko, Ägypten, Brasilien und den wachsenden
Einfluß verschiedener Formate und Organisationen wie BRICS, ASEAN, SCO und der
Eurasischen Wirtschaftsunion. Dann gibt es eine neue Situation in Europa mit
dem Ukraine-Krieg und dessen wirtschaftlichen und diplomatischen Auswirkungen
nicht nur auf Europa, sondern auf die ganze Welt.
Ich möchte noch hinzufügen, daß die Beziehungen zwischen China und Rußland
ein Schlüsselfaktor sind und die gemeinsame Erklärung der Präsidenten Xi und
Putin vom 4. Februar dieses Jahres eine neue Etappe in der Entwicklung der
internationalen Beziehungen darstellt. Die zunehmend kriegerischen und
irrationalen Vereinigten Staaten könnten sich in einer sich wandelnden Welt,
die nach Frieden und Entwicklung strebt, so isoliert und allein wie nie zuvor
vorkommen.
Die Taiwan- und die Ukraine-Frage sind zu diesem Zeitpunkt von großer
Bedeutung. Der Besuch von Pelosi auf der chinesischen Insel Taiwan hat die
Spannungen verschärft. Pelosis Eskapade fand vor dem Hintergrund von
Washingtons Stellvertreterkrieg gegen Rußland in der Ukraine und seiner
„Diplomatie der leeren Hände“ im Pazifik, in Asien und Afrika statt.
Pazifische Inselstaaten, ASEAN und afrikanische Staaten haben die
Bemühungen der USA, sie in den Kreuzzug gegen China und Rußland einzubeziehen,
höflich zurückgewiesen.
Die europäischen Führungen, die in das NATO-Bündnis eingebunden sind,
folgen dem Diktat Washingtons. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von
Washingtons Ukraine-Krieg fordern ihren Tribut in Europa, wie wir jeden Tag
sehen. Zweifellos wird es zu politischer Instabilität kommen, wenn die
europäische Öffentlichkeit erfährt, welche Auswirkungen es hat, wenn ihre
Führer wirtschaftlichen Selbstmord begehen, indem sie den amerikanischen
Stellvertreterkrieg in der Ukraine und die US-Sanktionen gegen Rußland und
China unterstützen.
Die Vereinigten Staaten haben die Kriege in Korea, Vietnam, Afghanistan und
Irak verloren. Jetzt sieht es so aus, als würden sie auch den
Stellvertreterkrieg in der Ukraine verlieren. Ist Washington seit dem Sieg im
Zweiten Weltkrieg über den deutschen Nationalsozialismus und den japanischen
Militarismus zu einem Schurkenstaat geworden? Nicht wenige Experten und
Beobachter behaupten das.
Fördern die USA den Weltfrieden, die kooperative Diplomatie im Rahmen der
Vereinten Nationen und das Völkerrecht? Es ist schwer zu verbergen, daß
Washington dies nicht tut, sagen Kritiker.
Die Pelosi-Rundreise durch Asien sollte Washingtons Anti-China-Politik
bekräftigen. Aber niemand hat angebissen. Bezeichnenderweise zog es der
südkoreanische Staatschef vor, mit Freunden zu Abend zu essen, anstatt Pelosi
zu treffen. Die ASEAN-Mitglieder erinnerten Washington höflich daran, daß sie
sich nicht für eine Seite in einem amerikanischen Nullsummenspiel im
asiatisch-pazifischen Raum entscheiden wollen.
US-Außenminister Tony Blinken wurde auf seiner jüngsten Afrika-Reise, die
sich gegen die chinesische Präsenz in Afrika richtete – genau das war sein
Ziel –, ebenfalls abgewiesen. Es ist nicht verwunderlich, daß Südafrika seine
Bemühungen ablehnend gegenüberstand. Das Land ist zusammen mit Brasilien,
Rußland, Indien und China Mitglied der BRICS-Gruppe.
Die BRICS erweitern heute ihre Reichweite, da eine Reihe von Ländern an
ihre Tür klopfen und um Aufnahme bitten. Es gibt gute praktische Gründe,
dieser Organisation beizutreten, denn sie fördert die wirtschaftliche
Entwicklung und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern in verschiedenen
Bereichen. Die Organisation respektiert das souveräne Recht der Mitglieder,
das für ihre Kultur am besten geeignete Entwicklungsmodell zu wählen.
Washingtons strategische Fehler
In ihrer nationalen Strategie und Außenpolitik haben die USA in den letzten
sechs Jahrzehnten drei schwerwiegende und unumkehrbare Fehler begangen: den
Vietnamkrieg, die Hegemonialpolitik nach dem Kalten Krieg und die Kriege in
Afghanistan und im Irak. Die US-Führung hat aus ihren Fehlern und Mißerfolgen
nichts gelernt.
Der alte Kalte Krieg wurde durch Diplomatie und ein Abkommen zwischen
US-Präsident Ronald Reagan und dem verstorbenen Präsidenten der Sowjetunion,
Michail Gorbatschow, beendet. Doch die herrschenden Kreise der USA bereiteten
in einem mehrjährigen parteiübergreifenden Projekt den neuen Kalten Krieg vor,
und zwar auf einer Reihe hochrangiger Konferenzen in den Jahren 2004 und 2005
– also vor fast 20 Jahren.
Ziel des politischen Projekts war es, den alten Kalten Krieg wiederaufleben
zu lassen und ein bipolares, wenn nicht gar ein unipolares Blocksystem
wiederherzustellen. Das alte Zweiblocksystem des Kalten Krieges zwischen der
„Freien Welt“ und der „Kommunistischen Welt“ wurde umgewandelt und ein neuer
Begriff eingeführt, nämlich die „demokratische“ Welt und die „autoritäre“ Welt
– wiederum ein bipolarer Ansatz.
Es ist bemerkenswert, daß dieses Projekt, das sogenannte
„Princeton-Projekt“, von George Schultz für die Republikaner und Tony Lake für
die Demokraten geleitet wurde und zahlreiche hohe Beamter, Personen aus
Denkfabriken, Akademiker usw. umfaßte. Der Abschlußbericht des Projekts wurde
2005 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Ko-Direktorin des Projektstabs, Anne
Marie Slaughter, leitete später den politischen Planungsstab des
US-Außenministeriums unter Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary
Clinton. Ich möchte die Kontinuität zwischen der Obama-Administration, der
Trump-Administration und der Biden-Administration in Bezug auf diese
Außenpolitik der „Eindämmung“ von Rußland und China hervorheben.
Es ist bemerkenswert, daß an dieser Politikgruppe auch ausländische
Teilnehmer wie japanische Diplomaten und Wissenschaftler sowie australische
Geheimdienstmitarbeiter beteiligt waren. Daher sollten die
Anti-China-Ausrichtung der „Quad“ (USA-Japan-Indien-Australien) und die neuere
Anti-China-Ausrichtung der „AUKUS“ (Australien-UK-USA) nicht überraschen. Das
Quad-Konzept war in der „Diamant“-Strategie des verstorbenen japanischen
Premierministers Shinzo Abe gegen China enthalten.
Da es sich um ein parteiübergreifendes politisches Projekt handelte, war es
nur logisch, daß es auch in den nächsten Regierungen weitergeführt werden
würde. Biden setzt den außenpolitischen Konsens der US-Elite fort. Tatsächlich
hat die Biden-Administration die Konsenspolitik auf ein schärferes und
intensiveres Niveau gebracht als unter Trump oder Obama vor ihm. Die
Kriegstreiberei der USA ist noch ausgeprägter und schärfer geworden. Die
Erklärung dafür ist einfach. Während seiner gesamten politischen Laufbahn im
US-Senat und als Vizepräsident unter Obama folgte Biden dem außenpolitischen
Konsens des Establishments.
Bidens Politik des Neuen Kalten Krieges sollte daher keine Überraschung
sein. Einige ausländische Hauptstädte, Akademiker und Beobachter mögen
überrascht sein, daß Bidens Politik nicht gemäßigter ist als die von Trump.
Aber nach eineinhalb Jahren Außenpolitik der Biden-Administration sollten sie
vielleicht einmal über falsche Wahrnehmungen und Analysemethoden
nachdenken.
Was kommt auf Washington zu?
Es ist offensichtlich, daß ein Sinneswandel im US-Establishment und seiner
Außenpolitik in nächster Zeit nicht zu erwarten ist. Natürlich wünscht sich
das amerikanische Volk Frieden und Entwicklung, aber das ist nicht der Ansatz
des US-Establishments. So wird der Neue Kalte Krieg weitergehen, obwohl er für
die Vereinigten Staaten und ihre europäischen NATO-Verbündeten eine Sackgasse
ist. Wie lange es dauert, bis die Sackgasse erreicht ist, ist eine offene
Frage.
Man kann davon ausgehen, daß die Vereinigten Staaten aufgrund des
unaufhaltsamen Wandels hin zu einer multipolaren Welt immer mehr in die
Isolation geraten werden, wenn sie ihre kriegerische und kriegslüsterne
Hegemonialpolitik nicht aufgeben. Die US-Politik mit ihren anhaltenden
Merkmalen des Neoimperialismus und Neokolonialismus dient nur dazu, die
Isolation der USA mit der Zeit zu verstärken. Die internationale Gemeinschaft
lehnt diese Art von Verhalten zunehmend ab, und in diesem neuen multipolaren
internationalen System bildet sich ein Gegengewicht zu dieser Politik
heraus.
Washingtons Politiker müssen die US-Außenpolitik grundlegend überdenken und
sich vom Hegemonismus und vom Denken des Kalten Krieges verabschieden.
Andernfalls könnten die Amerikaner ihr Land in Zukunft in einer sich
verändernden Welt allein vorfinden.
Abschließend möchte ich sagen, daß nur durch ein konstruktives Engagement
Washingtons in der internationalen Gemeinschaft ein neues Paradigma entstehen
kann, das Frieden durch Entwicklung und eine positive und optimistische Vision
einer internationalen Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft fördert.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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