Die Krise der US-Gesellschaft
Von Caleb Maupin
Caleb Maupin ist der Gründer und Direktor des amerikanischen
Zentrums für politische Innovation (Center for Political Innovation). In der
Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 9. April hielt er den folgenden
Vortrag.
Ich möchte dem Schiller-Institut für die Einladung zur Teilnahme an dieser
sehr wichtigen Webkonferenz danken. Ich möchte Helga Zepp-LaRouche und all den
anderen Rednern danken, die heute zusammengekommen sind. Viele verschiedene
Perspektiven und viele verschiedene Teile der Welt sind hier auf diesem Podium
vertreten – so viele wichtige Stimmen. Ich bin wirklich froh, heute hier zu sein
und das Zentrum für politische Innovation zu vertreten.
Die Wirtschaftskrise, mit der die Vereinigten Staaten konfrontiert sind, ist
sehr ernst. Eine Sache, die die arbeitenden Familien im ganzen Land stark
beeinträchtigt, sind die steigenden Treibstoffkosten. Wenn Sie irgendwo mitten
in Amerika an eine Tankstelle fahren – etwa in Ohio, wo ich geboren wurde, in
Pennsylvania, in Texas, in Alabama, in Colorado –, fällt einem eines auf: Ganz
häufig sieht man dort eine Mutter mit Kindern auf dem Rücksitz, die an der
Tankstelle vorfährt, aussteigt, die Zapfpistole herausnimmt und ganz vorsichtig
Benzin im Wert von nur 10 Dollar in ihr Auto füllt. Sie wird nicht volltanken,
sondern nur die Zapfpistole vorsichtig in den Tank stecken und ganz vorsichtig
Benzin im Wert von 10 Dollar in ihr Auto füllen. Warum tut sie das? Mit Benzin
für 10 Dollar kommt man nicht sehr weit. Aber es reicht, um die Kinder zur
Schule zu bringen; es reicht, um in den Supermarkt zu gehen und Lebensmittel zu
kaufen; es reicht, um einen weiteren Tag zur Arbeit zu fahren.
Arbeiterfamilien in den Vereinigten Staaten haben zu kämpfen, und Joe Biden
scheint zu sagen, daß dies unsere patriotische Pflicht ist: „Wir müssen das
einfach ertragen. Das ist der Preis dafür, daß wir die Ukraine unterstützen und
gegen Rußland kämpfen.“ Aber es gibt Millionen von Amerikanern, die das nicht
glauben, und Millionen von Amerikanern, die es leid sind zu sehen, wie sich
große Banken und große Ölgesellschaften und große Wall-Street-Monopolisten
bereichern, während das Land immer ärmer wird.
Das eurasische Gegenbeispiel
Aber ich möchte dieses Beispiel aus Amerika mit dem vergleichen, was in
Eurasien vor sich geht. Vor ein paar Jahren, 2017, hatte ich die Möglichkeit,
nach Sotschi zum Valdai-Diskussions-Club zu reisen. Das ist eine Denkfabrik, die
von der russischen Regierung geleitet wird. Ich habe dort eine Reihe von
wichtigen Stimmen gehört.
Zu ihnen gehörte auch Asle Toje vom norwegischen Nobel-Institut. In seinen
Ausführungen sprach Asle Toje darüber, daß in Eurasien, in Rußland, in China, in
den zentralasiatischen Ländern und in Pakistan ein goldenes Zeitalter anbricht.
Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnen werden gebaut, entlegene Regionen erhalten
Zugang zu Elektrizität, die Menschen werden aus der Armut befreit, neue
Möglichkeiten werden geschaffen.
Die Amerikaner sind von all dem abgeschirmt, es wird verhindert, daß sie sich
des enormen Wirtschaftswachstums, der Chancen und des Aufbaus in Eurasien bewußt
werden. Es wird einfach komplett vertuscht, und die Menschen wissen nichts
davon.
Ich denke, die US-Medien tun alles, um die Wirtschaftswunder, die auf der
anderen Seite des Planeten geschehen, vor uns zu verbergen. Denn es ist nur eine
Frage des gesunden Menschenverstandes, wenn man sieht, wie viel gebaut wird und
wie stark das Wachstum ist, was die Gürtel- und Straßen-Initiative bewirkt, was
Rußland mit der Eurasischen Wirtschaftsunion macht, was mit dem
Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridor passiert: Wenn man das sieht, ist
es nur logisch, daß wir angesichts der sich verschlechternden Wirtschaftslage in
den Vereinigten Staaten eine Zusammenarbeit mit ihnen anstreben sollten, anstatt
eine feindselige Haltung gegenüber Rußland und China einzunehmen.
Wenn wir wollen, daß sich die Bedingungen in den Vereinigten Staaten
verbessern, sollten wir anfangen, mit ihnen Geschäfte zu machen, und wir sollten
versuchen, herauszufinden, wie wir einen Teil des Wachstums hierher bringen
können, wie wir zusammenarbeiten und Joint Ventures gründen können, wie
russische und chinesische Unternehmen mit amerikanischen Bundesstaaten
zusammenarbeiten können, um das Leben im Landesinneren zu verbessern, wo unsere
Straßen bröckeln, die Kläranlagen verfallen und die Stromnetze kaputt gehen. Es
wäre nur vernünftig, wenn Rußland, China und die Vereinigten Staaten
zusammenarbeiten würden, um ein ganz neues Land aufzubauen.
Das Zentrum für politische Innovation
Ich spreche hier als Vertreter des Zentrums für politische Innovation und
möchte Ihnen das Zentrum einmal vorstellen. Wir sind eine Denkfabrik; wir sind
keine neue politische Partei oder neue politische Formation. Wir sind einfach
ein Zusammenschluß von Menschen, die in sozialistischen und marxistischen sowie
historischen und dialektisch-materialistischen Weltanschauungen verwurzelt sind
und versuchen, politische Lösungen zu entwickeln und politische Bildung in den
Vereinigten Staaten zu betreiben. Wir beginnen jede unserer Konferenzen mit dem
folgenden Gelöbnis:
„Wir geloben, daß wir uns an die Einheit, die am Ende des Zweiten Weltkriegs
geschmiedet wurde, erinnern werden, nicht nur heute, nicht nur diese Woche oder
dieses Jahr, sondern immer. Bis wir die Welt aufgebaut haben, von der wir
geträumt und für die wir gekämpft haben. Wir verpflichten uns, die Einheit der
Völker der Welt aufzubauen, aller Rassen, aller Farben, aller Nationalitäten,
aller Glaubensrichtungen. Alle Spuren des Faschismus auf der Erde zu beseitigen;
eine tiefe und aufrichtige internationale Freundschaft zwischen den Völkern der
Welt aufzubauen. Um einen gerechten, dauerhaften Frieden zu erhalten; um Not,
Frustration und erzwungenen Stillstand zu beseitigen. Wir sind gekommen, um die
Einheit aller Menschen zu bekräftigen, um unsere gefallenen Genossen zu ehren
und um unser Wort zu geben, daß geschickte Hände, kluge Köpfe und kühner
Enthusiasmus niemals mehr im Krieg verschwendet werden dürfen.“
Das ist das Einheitsgelöbnis des Zentrums für politische Innovation. Wir
haben es vom Gelöbnis des Weltverbandes der Demokratischen Jugend übernommen und
angepaßt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Sowjetunion den Weltverband der
Demokratischen Jugend ins Leben gerufen und junge Menschen aus der ganzen Welt
zusammengebracht, um sich zu verpflichten, Frieden in der Welt zu schaffen, sich
dem Faschismus, dem Imperialismus und dem Krieg entgegenzustellen und für
wirtschaftliche Entwicklung zu kämpfen. Das ist eine Form von linker Politik,
die weitgehend in Vergessenheit geraten ist.
Im Zentrum für politische Innovation sprechen wir viel über Henry Wallace und
seinen großen Präsidentschafts-Wahlkampf im Jahr 1948, die sich gegen das
McCarthy-Regime richtete. Wir sprechen über William Z. Foster und seine
optimistische Vision des neuen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg und die
Hoffnung, daß die Länder zusammenkommen könnten. Wir sprechen über das Heldentum
derjenigen, die sich gegen den McCarthyismus stellten; Ideas They Cannot
Jail von Eugene Dennis und anderen. Das ist die Art von sozialistischer
Politik, die im politischen Diskurs in den USA weitgehend fehlt.
Die Linke in den Vereinigten Staaten ist mit Pessimismus, Hoffnungslosigkeit,
Zerstörung, Kulturkriegen und rachsüchtiger Politik behaftet. Es gibt zum
Beispiel eine sozialistische Gruppe in den Vereinigten Staaten, die behauptet,
eine maoistische Organisation zu sein und die Kommunistische Partei Chinas zu
unterstützen. Sie nennt sich „Freedom Road Socialist Organization“. Und während
das Land in einer Wirtschaftskrise steckt, die den Mittelstand in Amerika
verwüstet, und während wir die Gefahr eines Krieges am Horizont sehen, worauf
konzentrieren sie sich da? Ihre Aktionen konzentrieren sich im Moment darauf, zu
versuchen, die Republikaner aus den Studentenvertretungen der Universitäten in
Texas zu verbannen. Sie konzentrieren sich darauf, die Republikaner aus den
Studentenvertretungen zu entfernen.
Das ist eine lächerliche Verzerrung der Politik so vieler heldenhafter
Persönlichkeiten wie Eugene Debs und Gus Hall, derjenigen, die mit dem
Bürgerrechtskongreß den Grundstein legten, von Paul Robeson, William L.
Patterson und so vieler anderer. Diese zerstörerische, kulturlose Linke ist eine
völlige Verzerrung dessen, wofür so viele Menschen standen, die an den
Sozialismus glaubten, die an den Marxismus glaubten und die eine optimistische
Perspektive hatten.
In diesem Sinne möchte ich dem Schiller-Institut für die Einberufung
großartiger Konferenzen wie dieser danken. Ich möchte der LaRouche-Organisation
für das danken, was sie getan hat. Und obwohl wir eine andere Weltanschauung
haben und die Dinge aus einer anderen Perspektive betrachten, muß ich sagen, daß
Ihre Organisation eine große Quelle der Inspiration war und ist.
Ich möchte Ihnen gern dieses Buch zeigen – ich war sehr gespannt, als ich
mein Exemplar der Gesammelten Werke von Lyndon LaRouche erhielt. Ich war sehr
gespannt, es in die Hände zu bekommen, aber ich war ein wenig enttäuscht, denn
als ich das Inhaltsverzeichnis aufschlug, stellte ich fest, daß ich jedes Buch
und jeden Text, der darin abgedruckt war, bereits besaß.
Sie können sicher sein, daß die Erfahrungen des Schiller-Instituts und der
LaRouche-Organisation, die Geschichte des National Caucus of Labor Committees
und die Organisationsarbeit, die in der Vergangenheit vom Schiller-Institut und
der LaRouche-Organisation geleistet wurde und weiterhin geleistet wird, eine
Quelle der Inspiration für unsere Arbeit sind. Wir lernen auf jeden Fall von der
großartigen Arbeit, die Ihre Organisation im Laufe der Jahre geleistet hat, und
wir schätzen die Möglichkeit, bei Dingen zusammenzuarbeiten, bei denen wir uns
einig sind.
Zum Beispiel beim Wiederaufbau der Infrastruktur des Landes, beim Aufbau von
Verständnis, internationaler Freundschaft und Zusammenarbeit mit Rußland und
China, beim Widerstand gegen Krieg und politische Unterdrückung. Ich bin
wirklich voller Hoffnung, daß trotz all des Pessimismus und trotz all der
Verzerrungen, die wir derzeit in der US-Politik erleben, etwas Optimistisches
durchbrechen kann. Es gibt viele Menschen in den Vereinigten Staaten, die nicht
glauben, was Joe Biden sagt; sie glauben nicht an die wachstumsfeindliche
Agenda, die im Namen des Sozialismus und der Linken spricht. Stattdessen möchten
sie die Machthaber herausfordern und in diesem Zeitalter der Dunkelheit und des
Pessimismus für Wirtschaftswachstum und Aufbau kämpfen und sich von Eurasien
inspirieren lassen.
Ein Freund von mir, ein antiimperialistischer Aktivist aus Deutschland,
erzählte mir, wie er in den 80er Jahren Wahlkampfplakate von Organisationen sah,
die mit Lyndon LaRouche und dem Schiller-Institut in Deutschland verbunden
waren. Darauf waren Bilder von Bahngleisen und Zügen zu sehen, die durch Rußland
und China nach Europa fuhren. Er sah sich diese Plakate an und dachte: „Das ist
verrückte Science-Fiction! Das ist wahnhaft.“ Heute blickt er darauf zurück und
erkennt, wie Recht Lyndon LaRouche hatte und wie sehr er ein Visionär war. Er
hat wirklich verstanden, wie sich die Welt entwickelt.
In einem seiner Bücher – ich glaube, es heißt „Die kommenden fünfzig Jahre“ –
sprach er über die eurasische Zukunft des Planeten. In den Schriften von Lyndon
LaRouche steckt ein tiefes Verständnis dafür, wie die Welt funktioniert, was die
Menschen bewegt und wohin sich die Welt entwickelt. Daraus kann man eine Menge
lernen.
Es ist ganz klar, daß Lyndon LaRouche nicht wegen irgendeines Verbrechens ins
Gefängnis kam, sondern weil er sich den Kräften der Zerstörung und des
Pessimismus entgegenstellte. Deshalb wurde er ins Gefängnis gesteckt. Lyndon
LaRouche zu rehabilitieren und klarzustellen, daß er der Verbrechen, für die er
verurteilt wurde, nicht schuldig war – das ist etwas, das geschehen sollte. Alle
politischen Gefangenen in den Vereinigten Staaten sollten freigelassen
werden.
Anstatt politische Aktivisten einzusperren und politische Aktivisten der
schwarzen Befreiungsbewegung oder des Kampfes der amerikanischen Ureinwohner wie
Leonard Pelletier weiter ins Gefängnis zu sperren, sollten wir damit beginnen,
die Verbrechen der amerikanischen Geheimdienste und die Verbrechen des FBI und
des Cointelpro-Programms zu untersuchen – was sie den Progressiven im Laufe der
amerikanischen Geschichte angetan haben.
Abschließend möchte ich auf das Bild der Kinder auf dem Rücksitz des Autos
zurückkommen, das die Mutter mit Benzin im Wert von nur 10 Dollar betankt. Und
ich möchte die Menschen daran erinnern, daß wir für diese Menschen kämpfen. Wir
kämpfen für die Millionen, nicht für die Millionäre. Wir kämpfen für Vereinigte
Staaten, in denen arbeitende Familien Gerechtigkeit erfahren und als
Bereicherung angesehen werden können. Alle Menschen erhalten einen Platz und
eine Wirtschaft, die voranschreitet und eine ganz neue Welt aufbaut. Wir kämpfen
für eine Gesellschaft, worin der Mensch nicht als Tier oder wirtschaftliches
Kalkül betrachtet wird, sondern als ein Wesen mit großem schöpferischen
Potential, das eine neue Welt aufbauen und große Entdeckungen und Innovationen
hervorbringen kann.
Ich möchte Ihnen also von ganzem Herzen für diese Einladung danken und freue
mich auf die Diskussion im Anschluß an die anderen Redner.
|