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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Den Geist von Bandung der Blockfreien wiederbeleben

Von Dr. Kirk Meighoo

Dr. Kirk Meighoo ist ehemaliger Senator von Trinidad und Tobago.

Guten Tag! Ich möchte den Veranstaltern dafür danken, daß sie mich eingeladen haben, die vorangegangenen Beiträge unter ein übergreifendes Thema zu stellen, das meiner Meinung nach die aktuelle Krise am besten in den richtigen historischen Kontext stellt.

Der NATO/Ukraine-Rußland-Konflikt ist das jüngste Kapitel in der sich entfaltenden Geschichte des Geistes von Bandung, der Ablösung der alten imperialen westlichen Ordnung durch eine wirklich integrative, gerechte internationale Ordnung, deren oberstes Ziel die Entwicklung der gesamten Menschheit in jedem Land ist und nicht die geopolitische Beherrschung und Ausbeutung der Vielen durch die Wenigen.

Um diesen historischen Übergang geht es im NATO-Rußland-Konflikt, nicht um einen falschen geopolitisch- ideologischen Kampf zwischen „östlichem Autoritarismus“ und „westlicher Demokratie“. Der NATO-Rußland-Konflikt ist die jüngste Episode des alten Systems, das verzweifelt und selbstzerstörerisch versucht, die Entstehung des neuen Systems zu verhindern.

Dies ist eine lange Geschichte, die 1955 begann, als die erste offizielle asiatisch-afrikanische oder afro-asiatische Konferenz in Bandung auf Westjava in Indonesien, stattfand. Die globale Ordnung - die wir heute noch haben - wurde neu definiert durch die Vereinten Nationen (gegründet 1945), den IWF und die Weltbank (gegründet 1944) und die NATO (gegründet 1949).

Als die UNO 1945 gegründet wurde, gab es 51 Mitgliedsstaaten. Die meisten Länder Afrikas, Asiens und der Karibik waren noch Kolonien der europäischen Imperien und daher keine Mitglieder. Erst als sie unabhängig wurden, konnten diese Länder in die UNO aufgenommen werden.

Als sie dann als unabhängige Nationen der internationalen Gemeinschaft beitraten, wurden sie und ihre Anliegen an den Rand gedrängt, obwohl sie den Großteil der Menschheit repräsentierten. In vielen dieser Länder herrschte ein erdrückendes, unmenschliches Maß an Armut. Die Unabhängigkeit wurde als Chance gesehen, Entwicklung zu erreichen. Das war und ist unsere erste und höchste Priorität: nicht Demokratie, nicht Klimawandel, nicht einmal Menschenrechte - so lobenswert diese auch sein mögen - sondern Entwicklung.

Nachdem die Bretton-Woods-Institutionen Europa nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs wiederaufgebaut hatten, konzentrierten die ehemaligen imperialen Mächte des Westens ihre globale Aufmerksamkeit auf die Geopolitik des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion und nicht auf die wirtschaftliche Entwicklung der neuen unabhängigen Länder.

Die Konferenz von Bandung war der erste organisierte Versuch, die Interessen dieser Länder auf der internationalen Bühne durchzusetzen. Ihr erklärtes Ziel war es, die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zwischen Afrika und Asien zu fördern und sich dem Kolonialismus oder Neokolonialismus jeglicher Nation entgegenzustellen.

Die 29 teilnehmenden Länder repräsentierten eine Gesamtbevölkerung von 1,5 Milliarden Menschen, was damals 54% der Weltbevölkerung entsprach. Die Konferenz wurde von Indonesien, Birma (Myanmar), Indien, Ceylon (Sri Lanka) und Pakistan organisiert.

In den folgenden Jahren wuchs die Zahl der neuen unabhängigen Länder, die sich vom europäischen Kolonialismus gelöst hatten, fast exponentiell. Bis 1970 war die Zahl der UN-Mitglieder auf 127 angestiegen. Heute sind es 193 Mitglieder.

Ich möchte betonen, daß die Befreiung von 142 Nationen seit 1945 - der Mehrheit der Menschheit - die wichtigste Entwicklung der Menschheitsgeschichte in den letzten 100 Jahren war.

Leider ist die internationale Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg diesen Ländern, der Masse der Menschheit, nicht entgegengekommen. Statt dessen haben sich die alten imperialen Mächte und ihre Verbündeten in der G7 organisiert, und zusammen mit der NATO haben ihre herrschenden Klassen darum gekämpft, die Kontrolle und Hegemonie über die anderen über 100 Länder aufrechtzuerhalten (während sie gleichzeitig die Bevölkerungen ihrer eigenen Länder immer mehr verarmen ließen).

Trotz der Bemühungen der alten westlichen imperialen Mächte ist der Übergang zur neuen Ordnung unvermeidlich. Die alten imperialen Mächte können ihn nicht aufhalten, egal wie sehr sie es versuchen.

Dies ist die übergreifende Geschichte der letzten 75 Jahre. Doch die Geschichte ist nicht so einfach. Während der Übergang selbst unvermeidlich ist, ist es die Art und Weise, wie der Übergang abläuft, nicht.

Die Fragen lauteten schon immer: Wie lange wird dieser Übergang dauern? Wie wird das neue System aussehen? Wird der Übergang friedlich oder kriegerisch sein? Werden die alten Mächte zu Partnern bei der Einführung des neuen Systems oder werden sie feindselig und aggressiv sein? Wo werden die neuen Zentren des politischen, wirtschaftlichen, militärischen, sozialen und kulturellen Einflusses liegen? Wird das neue System genauso ausbeuterisch sein wie das alte, oder können wir auf eine breitere Entwicklung und mehr Wohlstand hoffen?

Dies ist der Kontext, den ich uns für unsere künftige Diskussion vorschlage. Dies ist die objektive Bewegung der Geschichte, wie ich sie erkenne, und wir sollten versuchen, sie so produktiv und harmonisch wie möglich zu steuern, zum Nutzen und zur Entwicklung aller.