Die neue Architektur
Ein Programm, um zu verhindern, daß wegen der Sanktionen eine Milliarde
Menschen verhungern
Von Dennis Small
Dennis Small ist Iberoamerika-Redakteur des Nachrichtenmagazins
„Executive Intelligence Review“. Er eröffnete den zweiten Abschnitt der
Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 9. April mit dem folgenden
Vortrag.
Ich freue mich sehr, heute hier in dieser angesehenen Gruppe internationaler
Akteure oder aktiver Denker zu sein, die zusammengekommen sind, um Lösungen für
die Probleme der Welt zu finden. Die Probleme sind in der Tat groß. Ich erinnere
mich an die Worte von Ramsey Clark, der einmal sagte, was Lyndon LaRouche für
seine Feinde im internationalen Finanzestablishment so gefährlich machte: Seine
Organisation sei ein „fruchtbarer Motor der Ideen“. Und genau das ist es auch
heute wieder, was uns zu einer so großen Bedrohung für das bestehende
Finanzestablishment mit Zentrum in London und seiner Filiale an der Wall Street
macht. Es ist jetzt dringend notwendig, daß wir diesen Motor hochfahren, um eine
Krise von einem Ausmaß zu bewältigen, wie wir sie nicht mehr seit dem Schwarzen
Tod im 14. Jahrhundert – oder vielleicht noch nie – erlebt haben.
© EIR
Abb. 1: Energieverbrauch in Deutschland 2020.
© EIR
Abb. 2: Lyndon LaRouches berühmte „typische Kollapsfunktion“.
© EIR
Abb. 3: Ein wesentlicher Aspekt des Kollapses ist der Rückgang der physischen
Produktion.
So blicken wir zum Beispiel in den Abgrund einer globalen Hungerkatastrophe:
Während man noch vor wenigen Monaten davon ausgegangen war, daß im Laufe dieses
Jahres 235-250 Millionen Menschen verhungern würden, gehen die besten, leider
zutreffenden Schätzungen davon aus, daß in diesem Jahr bis zu einer Milliarde
Menschen verhungern könnten. Das ist ein Achtel der Weltbevölkerung! Die Lage in
bestimmten Ländern, vor allem im Nahen Osten und in Nordafrika, ist aufgrund
ihrer extremen Abhängigkeit von Importen besonders schlimm. Die russischen und
ukrainischen Exporte sind wegen der Supersanktionen gegen Rußland unterbrochen,
und immerhin verfügen diese beiden Länder zusammen über ein Drittel des gesamten
Weizens, der auf den Weltmärkten gehandelt wird. Das wiederum trifft Afrika und
den Nahen Osten besonders hart.
Noch schlimmer ist die Situation bei der Energie. Das trifft Europa besonders
hart. Europa ist völlig abhängig von russischen Öl- und Gasexporten.
Deutschland, das am stärksten industrialisierte Land Europas, bezieht 24% seiner
gesamten Energieversorgung aus russischem Gas und Öl, wie Sie in Abbildung
1 sehen können.
Aber es trifft nicht nur Afrika und trifft nicht nur Deutschland. Diese
Supersanktionen treffen die ganze Welt, denn sie kommen noch zu dem
Zusammenbruch des gesamten globalen Finanzsystems hinzu.
Womit wir es jetzt zu tun haben, kann man sehen, wenn man sich Lyndon
LaRouches berühmte Funktion der „Dreifachkurve“ (Abbildung 2) ansieht,
sie vermittelt eine Vorstellung von der Beziehung zwischen dem Wachstum der
spekulativen Finanzanlagen und dem darunter liegenden realwirtschaftlichen
Zusammenbruch. Sie können sehen, daß der Zusammenbruch der Wachstumsraten der
physischen Wirtschaft ungefähr 1971 begann, als das System der freien
Wechselkurse international eingeführt wurde. Das von Franklin Delano Roosevelt
eingeführte System fester Wechselkurse von Bretton Woods wurde abgeschafft, und
damit öffnete man einer Flutwelle von Spekulationen Tür und Tor, die bis heute
eine Blase von Derivaten mit einem Volumen von 1,5 bis 2 Billionen Dollar
hervorgebracht hat.
Wie Sie auf der zweiten Version der Dreifachkurve (Abbildung 3) sehen
können, kam zu diesem anhaltenden Zusammenbruch noch eine Pandemie hinzu, die
auf der ganzen Welt schwere Krisen auslöste. Darüber hinaus gab es einen
weiteren Einbruch durch die absichtliche Deindustrialisierung, die ausgehend von
der COP26-Konferenz und dem grünen Programm auf internationaler Ebene
eingeleitet wurde. Und jetzt gibt es eine dritte, dramatische Verschlechterung
mit den Sanktionen, die international verhängt wurden.
Als 1971 das System der frei schwankenden Wechselkurse eingeführt wurde, war
dies der Anfang vom Ende des internationalen Glass-Steagall-Systems, das die
produktive Verwendung von Geld und Kredit von Spekulationsgeschäften trennte.
Auf internationaler Ebene geht es um ein System fester Wechselkurse; innerhalb
der Vereinigten Staaten geht es um das Glass-Steagall-System. In Bezug auf die
wirtschaftlichen Grundlagen ist es das Gleiche.
Die Lösung: eine neue Wirtschaftsarchitektur
Lassen Sie mich nun zu der Frage kommen, wie wir dieses Problem lösen können,
denn ich denke, darauf müssen sich unsere Aufmerksamkeit und unsere Diskussion
vor allem konzentrieren. Wir haben ein Programm zur Bewältigung dieser Krise auf
globaler Ebene aufgestellt, um eine neue Wirtschaftsarchitektur zu schaffen, die
auf LaRouches grundlegender Wirtschaftspolitik basiert, gestützt auf seine Vier
Gesetze.
Beginnen muß man immer mit der physischen Wirtschaft. Nicht mit den
finanziellen Aspekten, sondern mit der realen Wirtschaft.
Wenn man sich die Kombination Rußland, Indien und China anschaut – das, was
Primakow das Strategische Dreieck nannte –, kann man sehen, daß diese drei
Länder allein schon durch die spekulativen Angriffe aus London und Washington
sowie die politischen und militärischen Angriffe angegriffen und zerstört werden
sollen. Aber diese drei Länder haben zusammen 38% der Weltbevölkerung; sie
produzieren 42% des Weizens, 66% des Stahls. Von den neuen Kernkraftwerken, die
gebaut werden, 45%.
Es ist nicht so, daß sie autark wären, aber sie haben eine sehr gute Basis,
um mit dem spekulativen System zu brechen und – das ist der zweite Punkt unseres
Vorschlags – eine gemeinsame Währung zwischen diesen Nationen einzuführen, die
einen festen Wechselkurs zwischen ihnen und eine absolute Barriere zwischen
ihnen und dem spekulativen Dollarsystem schaffen würde.
In internationalen Finanzkreisen ist viel darüber diskutiert worden, wie das
geschehen könnte. Soll das System durch Gold, durch Rohstoffe oder ähnliches
gestützt werden? Das wichtigste, was eine Währung wertvoll macht, ist, daß sie
durch Kredite gedeckt ist, die für produktive Aktivitäten vergeben
werden. Ich möchte zitieren, was Lyndon LaRouche in einem Seminar am 29. Juni
2005 in Berlin dazu gesagt hat:
„Die gängige Auffassung von Geld bei Regierungen und führenden Institutionen
ist verrückt, gemessen an den Auswirkungen des Konzepts und der Art und Weise,
wie es angewendet wird. Der Wert des Geldes sollte durch ein wissenschaftliches
Prinzip bestimmt werden, nicht durch ein Buchhalter-Prinzip. Und das
wissenschaftliche Prinzip ist das, was physikalisch begründbar den Willen und
die Fähigkeit von Regierungen ausdrückt, durch die Schaffung von Krediten eine
langfristige Entwicklung ihrer Volkswirtschaften und ihrer Produktivität zu
erreichen – die Gewißheit, daß die Regierung entschlossen und fähig ist, Werte
zu schaffen, Wohlstand zu schaffen und über genügend Wohlstand zu verfügen, um
die so geschaffenen Schulden rechtzeitig zurückzuzahlen. Das ist eine
physikalische Frage, keine buchhalterische Frage.“
Ich denke, für diese Aufgabe ist es wesentlich, einen solchen gemeinsamen
Block und eine Währung zu schaffen, um diesen mit realwirtschaftlichen
Fähigkeiten zu stützen.
Drittens müssen die Nationen, die sich an der Rettung der physischen
Volkswirtschaften beteiligen, nationale Währungen mit festen Wechselkursen
einführen, statt mit frei schwankenden Wechselkursen, die der Spekulation mit
dem Dollar Tür und Tor öffnen, daß sie und diese mit Devisenkontrollen schützen.
Auf diese Weise können wir einen Hamiltonischen Kredit für produktive
Tätigkeiten einführen, genau so, wie Lyndon LaRouche es gerade beschrieben hat.
Die Notwendigkeit einer solchen hohen Mauer zwischen der spekulativen Wirtschaft
und der produktiven Wirtschaft ist der Kern eines Glass-Steagall-Systems.
Wenn das als Baustein oder Ausgangspunkt vorhanden ist, bildet das den
Ausgangspunkt für die drei RIC-Staaten [Rußland, Indien, China], woraus die BRIC
und dann die BRICS wurden [Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika]. Sie
sollten expandieren, indem sie Kapital für produktive Aktivitäten zur
Entwicklung des Entwicklungssektors bereitstellen. Die meisten Länder des
Entwicklungssektors werden sehr froh sein, einer solchen Vereinbarung
beizutreten, weil die Politik des untergehenden, sich selbst zerstörenden
transatlantischen Finanzsystems sie buchstäblich umbringt.
Es ist extrem wichtig, diese neuen Vereinbarungen auch den Vereinigten
Staaten und den europäischen Nationen anzubieten. Das ist es, was Lyndon
LaRouche immer vorgeschlagen hatte: ein Vier-Mächte-Abkommen zwischen Rußland,
Indien, China und den Vereinigten Staaten. Bei Vorschlägen wie der chinesischen
Gürtel- und Straßen-Initiative wird den Vereinigten Staaten und Europa
angeboten, sich an diesen Aktivitäten zu beteiligen, die natürlich nicht der
Wall Street oder der Londoner City, aber der Bevölkerung und der Industrie der
gesamten Region zugute kommen werden. Für die Vereinigten Staaten ist das keine
so große Veränderung. Es bedeutet lediglich eine Rückbesinnung auf die
Grundsätze von Alexander Hamilton, auf denen unser Amerikanisches System der
politischen Ökonomie faktisch beruht.
Schließlich schlagen wir sechstens vor, daß diese neue Orientierung, dieser
Ansatz der Ost-West-Zusammenarbeit für eine Win-Win-Entwicklung auf die Ukraine
angewandt wird – das vielleicht schwierigste Problem auf dem Planeten. Die
Ukraine ist durch 30 Jahre liberale Wirtschaftspolitik zerstört worden, nicht
nur durch den Krieg. Das hat dazu geführt, daß die Bevölkerung um ein Drittel
geschrumpft ist, daß die Zahl der Arbeitskräfte schrumpfte, die Zahl der
Arbeitskräfte im verarbeitenden Gewerbe sank um 25%. Und das in einer
Wirtschaft, die zu den fortschrittlichsten Industrienationen gehörte, mit
Hochtechnologie, Luft- und Raumfahrt und anderen Fähigkeiten, Atomenergie usw.
Und natürlich hat die Ukraine die berühmte Schwarzerde, die für eine hohe
landwirtschaftliche Produktivität sorgt.
Das alles muß wieder aufgebaut werden, und zwar in gemeinsamer Kooperation
zwischen Ost und West. Auf diese Weise wird die Ukraine nicht zum Auslöser eines
potentiellen thermonuklearen Krieges, sondern für eine Neuordnung auf der
Grundlage des westfälischen Prinzips des „Vorteils des anderen“, das die
Grundlage für die Lösung der Probleme des gesamten Planeten ist. Wir müssen uns
der Herausforderung mit der Ukraine stellen, nicht weil sie einfach ist, sondern
weil sie schwierig ist.
Ich danke Ihnen.
|