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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Zu Weisheit und Pragmatismus zurückfinden, statt Öl ins Feuer zu gießen

Von General a.D. Leonardo Tricarico

General Leonardo Tricarico war Stabschef der italienischen Luftwaffe. Auf der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 26. Mai 2022 hielt er die folgende Rede (Original Italienisch).

Guten Abend allerseits. Gestatten Sie mir etwas Zweifel an dem, was ich von der Gründerin des Schiller-Instituts gehört habe, in Bezug auf eine nukleare Konfrontation und die verschiedenen Doktrinen, die in solchen Fällen umgesetzt werden sollen. Ich würde nicht so weit gehen, ich würde mich an die Tatsachen halten, wie wir sie jeden Tag erleben, um zu verstehen, was wir tun können, um diesen so sinnlosen Krieg zu beenden.

Ich möchte dazu von dem, was die Präsidentin (Helga Zepp-LaRouche) gesagt hat, eines herausgreifen: die Regeln. Sie sprach über einige Regeln, die ihrer Meinung nach die Säulen eines möglichen Weltsicherheitssystems sind. Ich möchte daran erinnern, daß ein Merkmal dieses Krieges der Bruch aller Regeln ist, angefangen bei Regel Nummer Eins, der Anwendung von Gewalt. Alle Militärs, insbesondere westliche Militärs wie ich, wissen, daß es im Krieg einige Regeln gibt. Diese Regeln werden von der NATO und von jedem westlichen militärischen Instrument angewandt. Das sind die Regeln, die Rußland in diesen drei Monaten gebrochen hat, und die es bereits in Syrien gebrochen hatte, indem es unkontrolliert oder bedingungslos Stärke einsetzte. Das ist die erste Regel, an die man sich erinnern und die man meiner Meinung nach wiederherstellen muß. Und ich weiß nicht, welche Art von Pragmatismus nötig ist, um Regeln wiederherzustellen, die Menschenleben und insbesondere Unschuldige schützen. Das muß die erste Regel bei der Planung eines Bombeneinsatzes sein.

Die zweite Regel - und das sind Regeln, die jeder im Kopf behalten sollte, das sind konsolidierte Regeln in allen Ländern, die sich 1949 auf der Grundlage von Gesetzen zusammengeschlossen haben, und sie sind immer noch zusammen. Der erste Artikel der NATO besagt, daß die Mitgliedsländer sich verpflichten, jede Kontroverse, die sie betreffen könnte, friedlich zu lösen. Ich wiederhole: Die Mitgliedsländer verpflichten sich, jede Kontroverse, die sie betrifft, friedlich zu lösen. Ich möchte Sie also alle fragen, ob es ein einziges NATO-Land gibt, das seine Stimme erhoben hat, um die Einhaltung dieser grundlegenden Regel zu fordern? Wir haben genau das Gegenteil erlebt, wir erleben, daß man versucht, diese Kontroverse mit aller Härte zu lösen, und zwar um jeden Preis. Das war die erste Regel, die gebrochen wurde und die wir eines Tages wieder aufgreifen sollten, wenn alles vorbei ist.
Gehen wir zu Artikel 4. Artikel 4 besagt, daß jedesmal, wenn ein Mitgliedsland der Meinung ist, daß eine Gefahr für seine Sicherheit oder die Sicherheit des Bündnisses besteht, dieses Land um eine Konsultation der verbündeten Länder bitten kann. Auf diesen Artikel 4 hat sich niemand berufen, sondern das Gegenteil wurde geltend gemacht. Wir haben gesehen, wie der amerikanische Verteidigungsminister 40 Länder in Ramstein zusammengerufen hat, nicht um über einen Angriff durch ein feindliches Land wie Rußland zu beraten, sondern um eine starke Verteidigung bis zum letzten Blutstropfen zu planen. Der amerikanische Verteidigungsminister Austin sprach davon, Rußland zu schwächen, „bis es für niemanden mehr eine Gefahr darstellt“. Das hat er gesagt; das ist die Auslegung von Artikel 4 des NATO-Vertrags durch die Vereinigten Staaten.
Kommen wir zu Artikel 10: Artikel 10 besagt, daß die Mitgliedsländer andere Länder einladen können, der NATO beizutreten, und zwar durch einstimmigen Beschluß. Wenn dies zu einer Erhöhung der Sicherheit im nordatlantischen Raum führt, ist das gut. Zwei Länder haben um den Beitritt gebeten, und natürlich sieht jeder, daß dies nicht zu einer Erhöhung der Sicherheit führt, sondern genau das Gegenteil: Es handelt sich um eine größere Destabilisierung einer Situation, die bereits stark beeinträchtigt ist. Und trotzdem rennen sie los, um den Beitritt zur NATO zu beschleunigen.

Soweit das, um nur die wichtigsten Regeln zu nennen. Damit werde ich schließen, ich werde nicht mehr als die mir zugeteilte Zeit in Anspruch nehmen.

Es war ein Verstoß gegen die Verhaltensregeln. Unter den Umständen haben die Vereinigten Staaten die Maske fallen lassen und ihre Mehrheitsposition innerhalb der NATO rücksichtslos mißbraucht, indem sie jedem Befehle erteilten und dafür ein Megaphon namens Jens Stoltenberg benutzten. Und das im Widerspruch zu den NATO-Grundsätzen, die sie als Hauptaktionär respektieren sollten.

Abschließend möchte ich also sagen, daß der gesunde Menschenverstand wieder die Oberhand gewinnen sollte. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß die Vereinigten Staaten erst nach dem Besuch Mario Draghis vor einigen Wochen zum ersten Mal von einem Waffenstillstand sprechen; es ist ein unmöglicher Zustand, daß sie sich nicht zu Verhandlungen verpflichten, sondern nur einige Länder dies vorantreiben - Länder, die eine schwache Stimme haben, wie die Türkei, Italien, Frankreich und sogar Israel. Wir brauchen also eine ernsthafte Verpflichtung, ein ernsthaftes Engagement. Wir müssen wieder zu Weisheit und Pragmatismus zurückfinden, denn anstatt Öl ins Feuer zu gießen, wie es alle in einer Welle irrationaler Kriegstreiberei tun, sollten wir endlich wieder die Weisheit finden, Verhandlungen zu fördern, die der einzige Ausweg aus dieser Situation sind - und an die nukleare Gefahr möchte ich erst gar nicht denken.