Kultur ist der Schlüssel zum Frieden
Von Maurizio Abbate
Maurizio Abbate ist Vorsitzender des Nationalen Instituts
für kulturelle Aktivitäten (ENAC) in Italien.
Liebe Freunde und Kollegen aus aller Welt,
Wir sind heute hier versammelt, um mit aller Kraft nach nützlichen Ideen
und Lösungen zu suchen, um den schrecklichen bewaffneten Konflikt zu lösen,
der seit fast anderthalb Jahren auf dem alten Kontinent wütet. Ein
Bruderkrieg, der Tod und Zerstörung unter der Zivilbevölkerung in den direkt
betroffenen Gebieten mit sich bringt, sowie eine sehr ernste Wirtschafts- und
Finanzkrise in der übrigen Welt, zurückzuführen auf ein System der
Spekulation, das von den multinationalen Nahrungsmittel- und Energiekonzernen
mit beispielloser Bosheit betrieben wird – Konzerne, die oft von denselben
Herren kontrolliert werden.
Wir wissen sehr wohl, daß Riesen wie Vanguard und BlackRock über Monsanto,
Cargill und Dupont einen Großteil der Aktien multinationaler Agrarunternehmen
halten. Diese besitzen heute in der Ukraine etwa 19 Millionen Hektar Land, die
für intensive Landwirtschaft genutzt werden, das entspricht 60 Prozent der
ukrainischen Agrarfläche. Ebenso sind 100 Prozent der ukrainischen Bergwerke
heute im Besitz multinationaler Konzerne.
Die Frage, warum in diesem Teil Europas ein Krieg ausgebrochen ist,
erscheint daher überflüssig, wenn man von diesen einfachen Zahlen ausgeht.
Es kommt also nicht darauf an, die Ursachen des Konflikts zu analysieren,
sondern zu verstehen, wie es möglich war, daß die amerikanische und
europäische Öffentlichkeit, die dank ihrer Friedensbewegungen immer wachsam
für das Problem des Friedens war, von dem Geschehen heute wie gelähmt ist.
„Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke.“ Das
waren die Slogans, die auf der Fassade des Wahrheitsministeriums in George
Orwells berühmtem Roman (1984) eingraviert waren. In diesem Jahr hat
die Europäische Union in geradezu grotesker Weise einen „Friedensfonds“
geschaffen, mit dem fast acht Milliarden Euro für den Kauf von Waffen
bereitgestellt werden. Wir kaufen Waffen, um „Konflikte zu verhindern und
Frieden zu schaffen“, steht an prominenter Stelle auf der Webseite des
Europäischen Rats. Fast eine Parallele zum Orwellschen
Wahrheitsministerium.
Wenn eine Institution wie die EU die Grundlage der Freiheiten, nämlich die
Wahrheit, ins Gegenteil verkehren kann, indem sie die Lieferung von Waffen,
Werkzeugen zum Töten, als nützliche „Werkzeuge zur Friedensschaffung“
bezeichnet, dann ist der kulturelle und moralische Verfall der Institutionen
wie auch der Medien, die solche Lügen aufdecken müßten, offensichtlich.
Was ich bereits über die Konzentration der Nahrungsmittel- und
Energieerzeugung in den Händen weniger Mächtiger gesagt habe, gilt leider auch
für die politischen Institutionen, die Medien und die Verantwortlichen im
Bildungswesen.
Die Kultur, die sich nach den Lehren von Sokrates und Platon mit der
Entwicklung von Gedanken befassen soll und Gesellschaftsmodelle aufzeigen
soll, die zur Erreichung edlerer Ziele wie Gemeinwohl und Solidarität zwischen
den Völkern aufzubauen sind, wird ständig zu einer Art unwichtiger Mode
degradiert. Gleichzeitig werden diese Grundsätze den Interessen weniger
Wirtschaftsmächte untergeordnet, die die heutige Gesellschaft zu einem
riesigen Markt der Unsicherheit gemacht haben, auf dem man alles kaufen und
verkaufen kann - sogar das Recht auf Leben.
Es ist eine Gesellschaft, worin der soziale Zusammenhalt nach und nach
zerstört wird, und der ständig angebliche Notstände wie Klima, Gesundheit und
Finanzen aufgedrängt werden, die die nationalen Entscheidungen in
Landwirtschaft, Handwerk, Industrie und Gesellschaft verändern können.
Deshalb ist es an der Zeit, diese durch die Globalisierung von Wirtschaft
und Kultur verursachte neobarbarische Entwicklung zu stoppen. Es muß eine neue
soziale und kulturelle Renaissance eingeleitet werden.
Ein neues Paradigma: Der Mensch im Mittelpunkt
Dazu brauchen wir für unsere westlichen Gemeinwesen dringend ein neues
Paradigma, welches das Prinzip der Wirtschaft als Zentrum der Gesellschaft
endgültig aufgibt und den Menschen in seiner materiellen und geistigen
Komplexität wieder in den Mittelpunkt stellt. Die Politik muß ein harmonisches
System neu definieren, in dem jeder Mann und jede Frau auf synergetische und
organische Weise seine bzw. ihre Rolle spielt. Eine Gesellschaft, in der die
Menschen danach beurteilt und geschätzt werden, wer sie sind, nach den Werten,
die sie zum Ausdruck bringen und erfolgreich verkörpern, und nicht nach dem,
was sie besitzen.
Nur so können die einzelnen Nationen – frei, unabhängig, selbstbestimmt und
mit ihren jeweiligen Besonderheiten – wieder Gemeinschaften werden und zum
globalen Wachstum der ganzen Menschheit beitragen.
Die durch jahrhundertelange Geschichte und unterschiedliche Kulturen
entstandenen Unterschiede und Besonderheiten der Völker müssen zur treibenden
Kraft werden, um einen konstruktiven Dialog für ein friedliches Zusammenleben
zu schaffen. Einen Dialog, der zu einer gerechten Verteilung der Ressourcen
des Planeten führt, auf dem wir alle leben, die oft Ursache für bewaffnete
Auseinandersetzungen und beispiellose Gewalt sind, weil der kriminelle Wunsch
besteht, sie in den Händen weniger zu konzentrieren.
Bei der Entwicklung dieser These und dem Versuch, alle einzubeziehen, die
ihre Ziele teilen, müssen jedoch starke und überzeugende Signale ausgesandt
werden. Man muß der Welt klar machen, daß sehr viele freie Menschen sich nicht
nur den willkürlichen, selbstherrlichen Entscheidungen der globalistischen
Eliten nicht beugen wollen, sondern bereit sind für einen globalen Wechsel des
Paradigmas, das bisher von denen aufgezwungen wurde, die sich für die
absoluten Herren halten.
Angesichts des bevorstehenden Frontalangriffs der Inhaber der wichtigsten
globalen Medien brauchen wir eine Vernetzung. Wir müssen so viele
Veranstaltungen wie möglich organisieren und jeden möglichen Fernseh-,
Internet- oder Radiokanal nutzen, um die Botschaft zu verbreiten.
Auch die Einladung ausländischer Gäste zu lokalen Veranstaltungen muß zur
Gewohnheit werden, um das Mantra zu widerlegen, daß nur die Globalisierung
Freiheit, Pluralismus und Demokratie garantieren kann.
ENAC, das Nationale Institut für kulturelle Aktivitäten in Italien, das ich
mit Stolz vertrete, organisiert in Italien eine Konferenz mit dem Ziel, die
Beziehungen zwischen Syrien und Italien wiederherzustellen. Wirtschaftliche
und kulturelle Beziehungen, die aus rein politischen Interessen unterbrochen
wurden und auch nach dem dramatischen Erdbeben, das in der Türkei und in
Syrien Tausende von zivilen Opfern gefordert hat, nicht wieder aufgenommen
wurden.
Auf dieser Konferenz, zu der wir jeden Anwesenden, der teilnehmen möchte,
gerne begrüßen, wollen wir eine klare und unmißverständliche Botschaft senden.
Während der Liberalismus von Frieden und Demokratie spricht und dabei Kriege
und Mauern schafft, antworten wir mit der Kraft der Kultur, die als einzige in
der Lage ist, individuelle Unterschiede zu garantieren und zu respektieren,
und gleichzeitig daran zu arbeiten, eine Brücke der Freundschaft, Solidarität
und Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu bauen.
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