Friedrich Schiller Denkmal
Friedrich Schiller



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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Musik ist die Sprache des Friedens

Ein Gespräch mit Maestro Gürer Aykal

Diane Sare, Unabhängige LaRouche-Kandidatin für den US-Senat im Bundesstaat New York 2024, Musikerin und Leiterin des New Yorker Chors des Schiller-Instituts, hatte in ihrem wöchentlichen Internetsymposium am 4. August in New York den weltberühmten Dirigenten Maestro Gürer Aykal zu Gast. Die Sendung diente der Vorbereitung der Kundgebung „Humanity for Peace“, die zwei Tage später am Sitz der Vereinten Nationen in New York stattfand, um zusammen mit anderen Demonstrationen auf der ganzen Welt des 78. Jahrestages des Atombombenabwurfs auf Hiroshima zu gedenken. Auf die Kundgebung folgte abends ein klassisches Konzert mit Mozarts „Requiem“, dirigiert von Maestro Aykal, sowie einer Auswahl klassischer Arien und Spirituals. Die dritte Teilnehmerin des Gesprächs neben Diane Sare und Maestro Aykal war Jen Pearl, eine der Chorleiterinnen des Schiller-Instituts. Es folgt ein bearbeiteter Auszug ihres Gesprächs, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt. (Ein Video des gesamten Interviews auf Englisch ist hier verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=8ruGT4gUVxU)

    Diane Sare: Die heutigen Atomwaffen sind um Größenordnungen stärker als die, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Jede Kriegssimulation, die durchgespielt wurde, jedes Computermodell, endet mit demselben unvermeidlichen Ergebnis: Sobald man einen Atomkrieg anfängt, ist alles aus. Nach kurzer Zeit feuern beide Seiten alles ab, was sie können, und in 40-90 Minuten ist die Erde praktisch erledigt. Wer nicht bei der ersten Explosion stirbt, verhungert in einem nuklearen Winter, weil soviel Rauch und Asche entsteht, daß die Sonne jahrelang verdeckt ist.

    Genau das könnte uns bevorstehen, wegen der Arroganz und des Wahnsinns führender politischer Persönlichkeiten in den Vereinigten Staaten, im Vereinigten Königreich, in der NATO und, wie ich mit Nachdruck sagen möchte, wegen finanzieller Interessen. Dabei handelt es sich nicht nur um gewählte Amtsträger, sondern auch um Leute, die hinter den Kulissen Politik machen...

    Am Sonntag findet von 13 bis 16 Uhr eine Kundgebung auf der Dag Hammarskjöld Plaza in New York statt, dem Sitz vieler UN-Missionen. Im Anschluß daran findet um 18 Uhr ein Konzert statt, bei dem afroamerikanische Spirituals und Mozarts Requiem erklingen.

    Die Bedeutung der klassischen Musik

    Heute Abend möchte ich über die Bedeutung der klassischen Musik sprechen, was durchaus mit dem Aufbau einer Friedensbewegung zusammenhängt. Denn damit die Menschheit die nächste Stufe erreichen kann, auf der Kriege der Vergangenheit angehören, müssen wir unsere Gefühle so erziehen, wie es Friedrich Schiller beschrieben hat. Schiller sagte, der „erhabene“ Mensch, eine „goldene Seele“, sei derjenige, der das Richtige nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus Nächstenliebe tut. Man tut das gerne, was notwendig wird, auch wenn das eine gewisse Selbstaufopferung oder körperliche Entbehrungen erfordert. Man hat sich selbst so weit entwickelt, daß es einem Freude macht, Dinge zum Wohl der Menschheit zu tun.

    Es ist für alle ein Kampf, dahin zu gelangen. Vielleicht gibt es ja irgendwo jemanden, der vollkommen konsequent ist und immer nur Gutes tut, aber die meisten von uns haben, glaube ich, ihre Höhen und Tiefen. Es ist ein ständiger Kampf. Die klassische Musik, etwas Schönes, kann uns inspirieren und uns helfen, Zugang zu diesen Emotionen zu finden – unsere Emotionen so zu erziehen, daß wir fähig sind, so zu handeln, wie es die Menschheit dringend braucht...

    Bei mir sind Maestro Gürer Aykal, Orchesterdirigent und, wie ich höre, auch ein versierter Violinist, und Jen Pearl, Gründerin des Chors des Schiller-Instituts in Boston und Vorstandsvorsitzende des New Yorker Chors des Schiller-Instituts. Maestro Aykal wird die Aufführung des Mozart-Requiems im Anschluß an die Friedenskundgebung am Sonntag leiten. Ich möchte Sie, Maestro, bitten, uns zu erzählen, warum dies für Sie wichtig ist, warum Sie das tun, und auch, wie Sie dazu kamen, Musiker zu werden.

Maestro Gürer Aykal stellt sich vor

Maestro Gürer Aykal: Ich danke Ihnen sehr, Frau Sare. Ich mache diesen Mozart Ihretwegen, das sollten alle wissen. Weil ich Sie getroffen habe und Ihre Ideen aufmerksam verfolge. Dann erfuhr ich, daß Sie auch Musik studiert haben, also sagte ich mir: „Das ist die richtige. Ich tue es für Sie.“

Ich bin in der Türkei geboren; ich bin türkisch-amerikanisch. Mein Vater war Musiker, und ich habe am staatlichen Konservatorium [in Ankara] studiert. Ich habe erste Geige studiert.

Wissen Sie, man kommt mit elf Jahren auf das staatliche Konservatorium, anders als in Amerika. Wenn man nach der Grundschule gut in Musik ist, kann man dieses Konservatorium besuchen. Ich habe Geige und Klavier studiert. Während ich Geige und Klavier studierte, fing ich an, kleine Kompositionen zu schreiben. Dann sah ich, daß alle meine Freunde anfingen, diese Kompositionen zu spielen. Da begann ich zu dirigieren. Dann wurde mir klar, daß mir der Geigen- und Klavierunterricht nicht genügte, also studierte ich Komposition; das dauerte weitere acht Jahre. Eine lange Zeit, aber ich habe dort gute Musik studiert. Dann ging ich nach London. Ich schloß die Dirigierklasse der Royal Academy ab; außerdem absolvierte ich die fortgeschrittene Dirigierklasse der Guildhall School of Music. Dann bin ich nach Rom gegangen und habe an der Santa Cecilia Academy abgeschlossen.

Dann ging ich zurück in mein Heimatland, die Türkei. Ich begann dort zu dirigieren – ich dirigiere dort immer noch. Meine Frau wurde krank, und die Ärzte rieten uns, in die Vereinigten Staaten zu kommen, also waren wir in den Vereinigten Staaten, zuerst in Rochester, New York. Ich dirigierte dort das Philharmonic Orchestra, und zu dieser Zeit dirigierte ich auch das Buffalo Philharmonic Orchestra. Dann wurde ich nach Bloomington, Indiana, eingeladen – ich schwärme immer noch von dieser Schule in Bloomington, Indiana. Es ist eine unglaubliche Schule. Ich habe dort Dirigieren unterrichtet und auch einige Konzerte dirigiert.

Dann mußten wir wegen der medizinischen Behandlung meiner Frau nach Texas umziehen. Als wir nach Texas zogen, verlor ich meine Frau. Meine drei Söhne und ich blieben in Texas. Zuerst habe ich das Lubbock Symphony Orchestra dirigiert, dann das El Paso Symphony Orchestra. Ich liebe sie, ich habe immer noch Kontakt zu ihnen; es sind sehr gute Orchester. Auf der ganzen Welt habe ich große Orchester dirigiert, in London, in der Sowjetunion und auch jetzt noch in Rußland, in Deutschland und England. Ich habe alles gemacht, ich bin Dirigent, mein Job ist es, zu dirigieren.

Aber jetzt bin ich überglücklich, den Chor des Schiller-Instituts kennenzulernen. Denn mein ganzes Leben lang hatten wir immer professionelle Chöre. Aber als ich diesen Chor zum ersten Mal gesehen habe, sah ich in ihren Augen, daß sie etwas bewirken wollen. Ich danke Ihnen sehr, Frau Sare, dank Ihnen werde ich die Herzen dieser Menschen gewinnen, das weiß ich sicher, weil Mozart das tun wird.

Wissen Sie, Sie haben über den Krieg gesprochen. Ich habe einmal Herrn Putin Klavier spielen gesehen. Ich kenne Präsident Selenskyj nicht, aber falls er Geige spielt, wenn Herr Putin und Herr Selenskyj zusammenkämen und zusammen eine Mozart-Sonate spielten, dann glauben Sie mir, am nächsten Tag wäre dieser Krieg vorbei.

„Mozart ist mein Prophet“

Mozart ist mein ein und alles. Heute üben Menschen Mozart. Morgen werden Menschen Mozart genießen. Nächstes Jahr werden vielleicht Millionen von Menschen Mozart studieren und versuchen, Mozart zu spielen und Mozart zu hören und glücklich und gesund zu werden. Musik, besonders Mozart! Wenn du aufmerksam zuhörst, wirst du ein guter Mensch sein, verstehen Sie? Du wirst keinen Krieg führen, du wirst keinen Atomkrieg führen. Wir müssen viel Musik machen. Wir müssen an jeder Ecke Konzerte geben. Wir müssen unsere Musik öffentlich machen, wir müssen unseren Nationen begreiflich machen, wie wichtig Musik in unserem Leben ist.

Mozart ist mein Prophet.

    Sare: Sagen Sie uns, warum.

Aykal: Er ist mein Prophet, denn wenn ich Mozart studiere, und wenn ich mit diesem Chor Mozart studiere, werde ich reich, ich werde glücklich, ich werde gesund. Er ist mein Prophet. Er schenkt mir all diese schönen Dinge, und ich versuche, diese Dinge auch anderen Menschen zu geben. Nicht nur für mich selbst. Das ist Mozart.

Aufführungen von Mozarts Requiem

    Jen Pearl: Das war wirklich gut gesagt, Maestro. Ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich glaube, wir könnten eine Menge Probleme lösen, wenn die Menschen mehr Duos zusammen spielen würden.

    Ich möchte ein wenig über die Entwicklung unserer Konzerte sprechen, die 2013/14 begannen und den Ton für die Chorbewegung angab, die das Schiller-Institut ausgelöst hat, und heute sieht man, wie dieses wunderbare Konzert zustande kommt.

    Der Chor des Schiller-Instituts führte 2013 Mozarts Requiem in Vienna, Virginia, auf. Dann wiederholten wir dieses Konzert in der Cathedral of the Holy Cross in Boston am 19. Januar 2014, in einem viel größeren Rahmen. Es war der 50. Jahrestag des Gedenkkonzerts, das Jacqueline Kennedy im Rahmen der Trauermesse für den ermordeten Präsidenten John Kennedy organisiert hatte. Bei diesem Konzert im Jahr 1964 versammelten sich 1800 Menschen im Altarraum der Kathedrale und 3000 weitere davor, und ich bin mir sicher, daß damals, 1964, noch Millionen im Fernsehen zusahen.

    Wir hatten die Idee, dieses Ereignisses 50 Jahre später zu gedenken. Wir wandten uns an die Kathedrale vom Heiligen Kreuz, und eine der größten Herausforderungen war, wie wir den Raum füllen sollten. Sie ist riesig! Es war ziemlich überwältigend. Aber als wir dann diese Idee von Mozarts Requiem und John F. Kennedy zusammenbrachten, fand sie in der ganzen Stadt großen Anklang. Man könnte viel darüber erzählen, aber was wir erreichten, war ein unglaubliches, bahnbrechendes Ereignis, mit einem Chor von mehr als hundert Personen und einem Orchester mit vielen jungen Leuten aus den örtlichen Musikhochschulen, das von unserem Dirigenten John Sigerson geleitet wurde. Die Ansprache hielt Helga Zepp-LaRouche. Der irische Präsident Michael Higgins und der ehemalige Bürgermeister von Boston, Raymond Flynn, übermittelten Grußbotschaften. In der Mitte des Requiems unterbrachen wir die Musik und spielten über die Lautsprecher der Kathedrale Ausschnitte aus Reden von John F. Kennedy. Das war sehr bewegend, und viele Leute sagten uns hinterher, es hätte sich angefühlt, als wäre er bei uns gewesen, und es gab eine unglaubliche Resonanz bei den Anwesenden.1

    Die eindrucksvolle Schönheit der klassischen Musik

    Dieses Konzert war einfach überwältigend, und ich glaube, das war der Startschuß für einen Prozeß, den wir in den letzten zehn Jahren mit unserem Chor in New York und mit anderen Chören in der ganzen Welt durchlaufen haben. Es wurde eine echte politische Intervention, im Gegensatz zu bloßer Unterhaltung oder etwas in der Art. Wir können Menschen dazu bewegen, sich zu ändern, wenn auch nicht dauerhaft – obwohl ich glaube, daß man das kann –, aber zumindest vorübergehend, für den Moment. Wenn man sie dann immer wieder in eine solche Schönheit einbezieht, kann man sie dauerhaft verändern.

    Sare: Ich habe über die unglaubliche Spannung des Augenblicks nachgedacht, in dem wir uns befinden. Es ist klar, daß ein großer Teil der Weltbevölkerung nach neuen Beziehungen strebt, in denen sie sich gegenseitig respektieren, in denen sie aktiv die Armut beseitigen, in denen sie die souveränen Rechte anderer Länder respektieren. Und dann gibt es da noch dieses verrottete, verschrumpelte Relikt des Kolonialsystems, wie ein alter Griesgram am Stock, der sagt: „Nein, ihr müßt das so und so machen!“ Leider hat der alte Griesgram am Stock die Macht, uns alle mit einem Atomkrieg auszulöschen.

    Da ist also diese Spannung, die, meine ich, für die Menschen schwer auszuhalten ist. Ich glaube, das fordert einen emotionalen Tribut. Es ist, als hörte man einen endlos langen Akkord mit einem doppelten lydischen Intervall oder einer verminderten Septime. Man will wissen, wie es sich auflöst; man will die Antwort wissen, man will wissen, wie es dazu kommt. Und wenn man darüber nachdenkt, was man in einer Musikaufführung entwickelt, und auch in gewissem Sinne, wenn man sich in diesen Momenten der Spannung befindet, dann erkennt man auch das große Potential, das darin steckt.

    Ich habe wirklich das Gefühl, daß durch die Teilnahme an einer Aufführung klassischer Musik die Seele geschult wird. Ich denke, es ist eines der großen Verbrechen in den Vereinigten Staaten, daß die Menschen das nicht in der Schule lernen. Die Kinder singen nicht; sie haben keinen Musikunterricht; es gibt keine Ensembles. Sie haben kein Ventil für Gefühle, mit denen sie nicht umgehen oder die sie nicht kontrollieren können. Keine Möglichkeit, diese Dinge auszudrücken.

    Ich glaube auch, daß diese Musik für die Kundgebung sehr wichtig ist, denn ich muß sagen, seit Februar letzten Jahres wache ich jeden Morgen unglücklich auf. Ich bin eigentlich kein unglücklicher Mensch, ich bin ein froher Mensch, aber ich wache jeden Morgen mit diesem schrecklichen Gefühl der Anspannung auf. Dann verbringst du den Tag damit, dich davon zu befreien. Ich denke, es ist dringend nötig, sich in die Gedankenwelt der großen Komponisten hineinzuversetzen, weil wir dadurch vielleicht Lösungen finden können. Beethoven hat einmal gesagt: „Wenn die Menschen meine Musik verstehen würden, dann gäbe es keine Kriege mehr.“

Maestro Aykal: Sie haben Recht. Im Jahr 1791, im November, begann er [Mozart], diese Musik zu schreiben, und er war schon krank. Sie wissen sicher besser als ich, daß er vom Lacrymosa (im Requiem) nur acht Takte geschrieben hat; danach ist er gestorben. Ab dem neunten Takt hat (Franz Xaver) Süßmayr es geschrieben. Süßmayr hat sehr gute Arbeit geleistet; er hat alles aufgegriffen, was Mozart geschrieben hatte. Er hat all das daraus entwickelt; dafür gilt ihm unser Dank.

Außerdem ist dieses Requiem nicht immer traurig. Manchmal muß man ein richtig starkes Forte machen, weil es an der Stelle genug ist. Man muß sagen: „genug, das reicht“, und danach „Amen“. Aber erst muß das „genug“ kommen.

    Sare: Gerade am Anfang des Kyrie, wenn man zu dem Teil „Et lux perpetua“ (und das ewige Licht leuchte ihnen) kommt, ist das so schön und in Dur und leicht, verglichen mit dem schwierigen Teil.

Maestro Aykal: Ja, das ist technisch ein sehr schwieriger Teil für den Chor. Wirklich technisch sehr schwierig; man braucht dafür eine gute Ausbildung, das weiß ich. Aber dieser Chor macht das ganz wunderbar. Ich mag sie, ich mag sie sehr. Also werde ich ihnen die ganze Kraft geben, und wir werden etwas erreichen. Und das Publikum wird die Idee mitbekommen.

    Pearl: Diese Idee der klassischen Komposition und des Requiems: Ich habe darüber nachgedacht, als ich mir vorhin den Text angesehen habe, wie man durch diese Reise oder diesen Prozess geführt wird, wie Sie sagten, wo einem ein Weg gegeben wird, mit diesen komplexen Gefühlen umzugehen. Aber es ist noch mehr als das – Menschen machen diese Krisen durch. Wie gehen Sie, wie Sie schon sagten, mit der Spannung eines Atomkriegs um?

    Zuerst die Musik in den Schulen

    Ich habe auch darüber nachgedacht, weil ich viel mit Kindern arbeite, und ich möchte nicht vom Thema ablenken, aber es ist etwas Ähnliches. Ich bestehe darauf, daß Kinder sich mit klassischer Musik beschäftigen müssen. Es wird viel Druck gemacht, sich mit populärer Musik zu beschäftigen, viel Druck. Ich versuche, ihnen klar zu machen, daß es nicht nur um den technischen Aspekt des Gesangs geht. Das ist ein Aspekt, aber es geht auch um den Inhalt. Woran läßt man die Kinder arbeiten? Wie entwickelt man ihre Gefühle? Wie erzieht man sie zu besseren Menschen? Wie schenkt man ihnen Freude und Optimismus? Diese schönen klassischen Lieder, diese Kunstlieder, die Poesie – das sind Dinge, die, weil sie schön sind, den Menschen das Gefühl geben, daß es schön ist, ein Mensch zu sein. Im Gegensatz zu all dem anderen Zeug, mit dem die Menschen bombardiert werden und das ihnen sagt, es sei schrecklich, ein Mensch zu sein; es sei besser, ein Tier zu sein.

    Wenn man eine bestimmte lebensverändernde Erfahrung macht, als Zuhörer des Requiems oder als Sänger, hat man die Möglichkeit, Dinge zu verarbeiten, von denen man sonst nicht wüßte, wie.

Maestro Aykal: Das ist sehr wichtig, die Musikerziehung. In vielen Ländern gibt es keine besonders gute musikalische Ausbildung. Alle denken an Mathematik. Ich weiß, daß Mathematik sehr wichtig ist, aber wenn die junge Generation eine gute musikalische Ausbildung erhält, wird auch die Mathematik besser. Man kann Musik für alles nutzen. Aber Musik und Atomkrieg, das geht nicht zusammen. Wenn sie nur ein bißchen verstehen – do, re, mi, fa, so, la, si –, dann wollen sie keinen atomaren Angriff.

Frau Sare, das ist, glaube ich, Ihre Aufgabe. Wir brauchen mehr gute Musiklehrer in unseren Schulen, und mehr Unterricht. Nicht nur jede Woche zwei Stunden oder so, sondern jeden Tag Musikunterricht. Erst Musikunterricht, dann Mathe, dann Algebra, was immer Sie wollen. Aber wenn man sagt, die Musik ist nicht wichtig, aber die Mathematik ist wichtig, dann wird es auch mit der Mathematik nicht so gut gehen. Man verpaßt dann sehr viel. Dafür kämpfe ich auch in der Türkei, für gute Musiklehrer.

Erst die Musik, dann die Mathematik. Wenn ihr gute Mathematiker, gute Naturwissenschaftler in eurem Land haben wollt, braucht ihr zuerst die Musik. Wenn ein Schüler oder eine Schülerin Mozart hört, sind die Hausaufgaben viel einfacher. Aber heutzutage hören sie andere Musik, was ich nicht verstehe. Was einige junge Leute hören – ich verstehe das nicht…

    Sare: Ich glaube, unser lieber Freund Lyndon LaRouche, der 2019 verstorben ist, würde sich über Ihre Worte sehr freuen. Er hat viel darüber geschrieben, daß die Poesie Vorrang haben muß vor der Mathematik. Als er eine große Zahl junger Leute rekrutierte, bestand er darauf, daß sie jeden Morgen mit Singen beginnen sollten. Jeder Morgen begann mit Gesang.

Maestro Aykal: Großartig!

Vermittelt tiefgreifende Ideen

    Sare: Er sprach über die Platzierung der Stimme, und das ist etwas, was ich in letzter Zeit langsam zu verstehen beginne. Leider nicht als Sängerin. Ich kann meine Melodie halten, das ist die Grenze meiner Gesangskunst. Aber beim Sprechen, als Politikerin, höre ich immer wieder diese Idee der „Platzierung der Stimme“. Es geht eigentlich um die Platzierung einer Idee. Es geht darum, ein Überträger einer Idee zu sein, die mächtiger ist als man selbst, und sich selbst zurückzunehmen, um sie auszudrücken. So wie es Percy Shelley in seiner Verteidigung der Poesie sagt: In Momenten der Revolution kann eine Trompete etwas erklingen lassen, was die Trompete selbst nicht versteht, dennoch kommt der Ton auf eine bestimmte Weise rüber. Das ist enorm wichtig; es gibt den Menschen tatsächlich Macht. Wenn man die Macht hat, eine Idee zu vermitteln, die größer ist als die eigene sterbliche Existenz, dann beginnt man zu erkennen, wie man etwas sehr Böses besiegen kann.

    Eine der größten Herausforderungen der sogenannten Friedens- oder Antikriegsbewegung ist, daß sich diese Menschen sehr klein fühlen. Sie sagen: „Wir sind eine Protestbewegung.“ Ich bin aber kein Protestler. Ich habe vor, die Welt zu verändern. Wir müssen die Welt verändern. Wir sind nicht hier, um zu protestieren. Ich will nicht, daß wir alle tot sind und ich mich dann zu Wort melden und sagen kann: „Na ja, wenigstens war ich auf der richtigen Seite.“ Das ist nicht die Position, in der man sein sollte.

    Die Zusammenarbeit zwischen LaRouche und John Sigerson, unserem früheren Chorleiter bei Aufführungen von Mozarts Requiem, führte dazu, daß Bachs Motette Jesu, meine Freude, die sehr schwierig ist, als das Stück ausgesucht wurde, an dem die jüngeren Aktivisten jeden Morgen eine dreiviertel bis anderthalb Stunden arbeiteten. Da waren Leute dabei, die keinerlei musikalische Vorbildung hatten, gar nichts. Jen (Pearl) war sehr in dieses Projekt eingebunden. Sie haben sehr Gutes geleistet.

    Größer als die Summe der Teile

    Für den Chor, den ich in New York gegründet habe, muß man nicht vorsingen. Wir haben entschieden: Jeder kann mitmachen, und wir hoffen, daß ihr die nötige Arbeit selbst macht. Wir haben Übungssitzungen für die Stimmgruppen, wir haben Übungsbänder, wir haben Stimmgruppenleiter. LaRouche hatte auch eine sehr interessante Idee, er sagte: „Euer Chor sollte 5000 Mitglieder haben.“ (Lacht) Da dachte ich auch: was für eine verrückte Idee! Wir haben zwar nicht 5000 Mitglieder rekrutiert, aber mit der Zeit waren insgesamt vielleicht 3000 Leute in unserem Chor, und die sind jetzt auch im Publikum. Sie werden ein besseres Publikum, weil sie selbst Teil des Chors waren.

    Das Schöne ist aber auch etwas, was man entdeckt, was ich am Chor liebe: Wenn man viele von uns – mich eingeschlossen – alleine singen hört, würde man denken: „Na ja, ich weiß nicht. Werden wir damit wirklich Mozarts Requiem singen? Sollen wir wirklich Bachs Jesu, meine Freude singen?“ Aber wenn man diese Leute dann in eine Gruppe steckt, entsteht eine gewisse Führung. Man stellt fest, daß man in einer Gruppe ein paar wirklich starke Sänger hat, und die anderen fangen an, sich an ihnen zu orientieren. Und irgendwann ist plötzlich das, was die Gruppe produziert, unendlich viel besser als die Summe der Einzelteile.

    Auch hier hat man ein Gefühl der inneren Stärke, weil sich die Chormitglieder sagen: „Ich war gerade ein Teil von etwas wirklich Schönem, von dem ich mir vorher nicht vorstellen konnte, daß ich daran teilhaben könnte.“ Ich denke, das ist die Dynamik.

    Pearl: Die Art und Weise, wie Sie über Mozart sprachen, Maestro, war fast so, als wäre er Ihr Freund. Ich weiß das zu schätzen. Gibt es noch andere Komponisten, die Sie quasi als Freunde betrachten, zu denen Sie eine solche Verbindung spüren?

Maestro Aykal: Mozart; aber ein anderer ist Beethoven. Wenn ich zum Beispiel ein Problem habe, wenn ich ein Problem lösen muß, wenn ich für etwas kämpfen muß, dann fange ich an und höre Beethoven. Wenn man als Dirigent Beethoven hört, und auch mit einem perfekten Ohr, kann man auch die Symphonien hören. Ich höre immer Beethoven und studiere Beethoven, weil Beethoven mir Kraft gibt. Es macht mich kraftvoller, es macht mich anspruchsvoller. Mozart ist anders, wenn Sie als Dirigent eine Sinfonie von ihm dirigieren, dann werden Sie quasi mit diesem Komponisten tanzen. Sie werden sich in ihn verlieben. Aber ich halte Abstand zu ihnen. Mozart und Beethoven. Beethoven, ich wiederhole es, mit Beethoven kann ich leicht streiten. Ich kann meine Gefühle leicht mit Beethoven beschreiben. Das ist es.


Anmerkung

1. Das Video dieses Gedenkkonzerts finden Sie hier auf der Website des Schiller-Instituts: https://schillerinstitute.com/blog/2022/12/28/a-tribute-to-john-f-kennedy-featuring-mozarts-requiem-boston-ma/<