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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Der Bernard-Lewis-Plan

Der britische Fahrplan ins Armageddon

Von Daniel Platt

Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, kündigte ihr wöchentliches Internetforum am 31. Oktober mit den folgenden Worten an:

    „Das Grauen, das sich heute in Südwestasien abspielt, ist der Bernard-Lewis-Plan in Aktion: die bewußte Förderung von religiösem Zwist und Blutvergießen in der gesamten Region, um die bestialischsten Menschen auf beiden Seiten hervorzubringen.“

Für Menschen, die dem Irrglauben unterliegen, die gegenwärtige Krise sei das Ergebnis einer Feindschaft zwischen Muslimen und Juden, oder es gehe um einen Kampf um die Herrschaft über einige Gebiete im Gazastreifen und im Westjordanland, ist ein Verständnis des Bernard-Lewis-Plans von entscheidender Bedeutung, um diesen Konflikt in seinen wahren globalen Kontext einzuordnen.

© EIRNS/Stuart Lewis
Bernard Lewis baute auf Halford Mackinders Herzland-Theorie auf. Er schlug vor, die Sowjetunion und China durch die Finanzierung islamischer Freiheitskämpfer an ihrer Peripherie zu schwächen – eine Strategie, die von Zbigniew Brzezinski, Paul Wolfowitz und Dick Cheney übernommen wurde.

© Geographical Journal, Band 23, Nr. 4, April 1904
Karte der Herzland-Theorie, veröffentlicht in „The Geo­graphi­cal Pivot of History“ von Halford Mackinder im Jahr 1904.

Was ist der Bernard-Lewis-Plan? Lang­jährigen Lesern der Neuen Solidarität dürfte er bekannt sein; wir berichteten schon 1978 erstmals darüber. Professor Bernard Lewis war ein führender bri­tischer Geheimdienstmitarbeiter und Akademiker, der 1974 in die USA ging, um eine Position an der Princeton University und am Institute for Advanced Studies zu übernehmen. Er begann, in US-Regierungskreisen die Idee zu verbreiten, durch die Ausbreitung von islamischem Fundamentalismus könne man die Gegner im Kalten Krieg schwächen, indem man eine Zone der Instabilität entlang der südlichen Flanken Rußlands und Chinas schafft. Das war eine Weiterentwicklung dessen, was die Strategen des Britischen Empire im 19. Jahrhundert das „Große Spiel“ (Great Game) nannten.

Der Plan war fest in der britischen Doktrin der Geopolitik verwurzelt, wozu eine kultische Fixierung auf das gehört, was der geopolitische Theoretiker Sir Halford Mackinder (1861-1947) das „Herzland“ nannte, welches er allgemeinen in der Nachbarschaft Rußlands verortete. Mackinders berühmte Worte lauten:

    „Wer Osteuropa beherrscht, beherrscht das Herzland; wer das Herzland beherrscht, beherrscht die Weltinsel; wer die Weltinsel beherrscht, beherrscht die Welt.“

Diese Taktik wurde vom Nationalen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski und anderen Koryphäen der aufkommenden neokonservativen Bewegung enthusiastisch unterstützt. Die neokonservativen Denkfabriken nannten sie den „Krisenbogen“. Lewis prägte in der September-Ausgabe 1990 des Atlantic Monthly den Ausdruck „Kampf der Kulturen“, ein weiterer Werbeslogan für die Neocons.

Religiöser Fundamentalismus als Stellvertreter

Den ersten Versuch, radikale Islamisten als Stellvertretertruppen einzusetzen, unternahmen die Briten in den 1950er Jahren, als sie die Muslimbruderschaft gegen den nationalistischen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser benutzten. In den 1980er Jahren finanzierten, bewaffneten und trainierten die USA dann unter Lewis‘ Anleitung die Mudschaheddin in Afghanistan und setzten sie gegen die sowjetischen Streitkräfte ein, die das Land besetzt hatten.1

Nachdem es ihnen gelungen war, die Russen/Sowjets zu vertreiben, wandelten sich die Mudschaheddin bald in Gruppen wie Al-Qaida und ISIS um und begannen, im Irak, im Jemen, in Libyen, Syrien und anderen Ländern Terroranschläge zu verüben – und wurden so zu einer Art „Frankenstein-Monster“.

Lewis‘ Plan sah aber gar nicht vor, diese Elemente kontrolliert einzusetzen. Sein Ziel war es, an den Grenzen Rußlands und Chinas so viel Chaos wie möglich zu stiften, ihre wirtschaftliche Entwicklung zu sabotieren und so dafür zu sorgen, daß keine Großmacht entsteht, welche die Hegemonie der Anglo-Amerikaner in Frage stellen könnte. Später wurde dieser Ansatz in „Wolfowitz-Doktrin“ umbenannt, nach dem stellvertretenden US-Verteidigungsminister für Politik Paul Wolfowitz. Er schrieb 1992 im Entwurf der Verteidigungsplanungsrichtlinien des Pentagon für die Haushaltsjahre 1994-99:

    „Unser oberstes Ziel ist es, das Wiederauftauchen eines neuen Rivalen zu verhindern, sei es auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion oder anderswo, der eine Bedrohung in der Größenordnung der früheren Sowjetunion darstellt. Dies ist eine der wichtigsten Überlegungen, die der neuen regionalen Verteidigungsstrategie zugrunde liegen, und sie erfordert, daß wir uns bemühen, eine feindliche Macht daran zu hindern, eine Region zu beherrschen, deren Ressourcen unter einer konsolidierten Kontrolle ausreichen würden, um globale Macht zu erzeugen.“

Auch die derzeit regierende israelische Likud-Partei war für den Einsatz radikaler Fundamentalisten als „Berserker“-Truppe. Wie EIR im Mai 2002 berichtete, war der (inzwischen verstorbene) israelische Ministerpräsident Ariel Scharon eine Schlüsselfigur in der Geschichte der Hamas:

    „Während seiner Tätigkeit in den Likud-Regierungen zwischen 1977 und 1992 spielte Scharon ... eine entscheidende Rolle bei der Gründung der Hamas, der palästinensischen islamistischen Gruppe, die 1988 offiziell gegründet wurde. Unter der israelischen Militärbesatzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens wurden schätzungsweise 800 ,Lizenzen‘ an Palästinenser vergeben, um Schulen, Krankenstationen, Garküchen und andere soziale Einrichtungen zu schaffen. Scharon sorgte dafür, daß all diese Lizenzen an Islamisten vergeben wurden, von denen viele zu den Gründern der Hamas gehörten, um eine ,Gegenregierung‘ zu schaffen, die letztlich die PLO von der Macht in den besetzten Gebieten verdrängen sollte.“

Der Likud wollte die säkulare Autorität der PLO untergraben, die 1993 das Osloer Abkommen unterzeichnet hatte und bei der vorgesehenen Gründung eines palästinensischen Staates wahrscheinlich die Regierung bilden würde. Die Likudniks gingen von denselben Annahmen aus wie Bernard Lewis in der Herbstausgabe 1992 von Foreign Affairs, wo er schrieb:

    „Die meisten Staaten des Nahen Ostens sind erst vor kurzem entstanden und künstlich geschaffen worden, so daß sie für einen solchen Prozeß anfällig sind. Wenn die Zentralmacht ausreichend geschwächt ist, gibt es keine echte Zivilgesellschaft, die das Gemeinwesen zusammenhält, kein wirkliches Gefühl einer gemeinsamen nationalen Identität oder übergeordneten Loyalität gegenüber dem Nationalstaat. Der Staat zerfällt dann – wie im Libanon geschehen - in ein Chaos von zankenden, streitenden, sich bekämpfenden Sekten, Stämmen, Regionen und Parteien.“

Das war auch 2019 noch die Politik des Likud. Die israelische Zeitung Ha'aretz zitierte in einem Leitartikel mit der Überschrift „Israels Demokratie im Krieg testen“ den heutigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu aus einer Rede vor Knesset-Abgeordneten seiner Partei:

    „Jeder, der die Gründung eines palästinensischen Staates verhindern will, muß die Hamas unterstützen und Geld an die Hamas überweisen... Das ist Teil unserer Strategie.“

Wir sollten nicht vergessen, daß dies derselbe Netanjahu ist, der den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober als äußerliche Rechtfertigung für einen Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung in Gaza benutzt.

Die schreckliche Gewalt des jüngsten Konflikts zwischen Israel und Gaza ist nur die jüngste Manifestation des Bernard-Lewis-Plans. Anglo-amerikanische Geheimdienste haben in einem riesigen Gebiet der eurasischen Landmasse Konflikte ausgelöst, von Algerien im Westen bis zur Provinz Xinjiang im Westen Chinas. (Chinas erfolgreiche Entschärfung der von den Briten betriebenen Destabilisierung Xinjiangs war der Anstoß für die neokonservative moderne Legende vom dortigen chinesischen „Völkermord“.)

Die Bernard-Lewis-Taktik an anderen Orten

Während Bernard Lewis als „Islamist“ galt und sich sein berufliches Fachwissen auf die Erstellung von Profilen und die Manipulation fundamentalistischer Strömungen in der islamischen Welt konzentrierte, hat das anglophile Lager seine Methodik auch auf andere Kulturen angewandt, in denen fanatische, sektenartige Schichten als Rammbock gegen unerwünschte Nationalstaaten eingesetzt werden.

Ein Beispiel ist der Fall der Ukraine, wo die neokonservativ verseuchte Obama-Regierung unter der Führung von Victoria Nuland – damals Vize-Außenministerin für Europäische und Eurasische Angelegenheiten und heute stellvertretende Außenministerin – die Überreste der Organisation Ukrainischer Nationalisten-Bandera (OUN-B), einer pro-nazistischen Gruppierung, die sich im Zweiten Weltkrieg mit Deutschland gegen die Sowjetunion bzw. Rußland verbündet hatte, dazu benutzte, um 2014 die demokratisch gewählte Regierung der Ukraine zu stürzen und eine brutale ethnische Säuberung einzuleiten, die unaufhaltsam in den gegenwärtigen Krieg mit Rußland führte.

Es ist sicher kein Zufall, daß gerade jetzt in der Ukraine und im Gazastreifen gleichzeitig extrem gefährliche Kriege toben. Die anglophile Achse muß zusehen, wie ihr die ersehnte „unipolare Welt“ aus den Händen gleitet, weil sich die „globale Mehrheit“ unter dem Mantel der BRICS+ und verwandter Organisationen mehr und mehr behauptet. Trotz ihrer ostentativen „Demokratie“-Rhetorik sind die Anglophilen nicht in der Lage, die Herzen und Köpfe des Globalen Südens zu gewinnen. Ihre „Partnerschaft für globale Infrastruktur und Investitionen“, die früher unter dem Namen „Build Back Better World“ bekannt war, ist gescheitert, nachdem sie allgemein als schwacher Abklatsch der chinesischen Gürtel- und Straßen-Initiative erkannt wurde. Ihre einzig verbliebene Option, um zu versuchen, den Rest der Welt wieder auf Linie zu bringen, ist nun, das Schachbrett umzuwerfen und Gewalt im großen Stil anzuwenden.

Das Gewissen der Welt wachrütteln

Am 4. November demonstrierten Hunderttausende von Menschen auf der ganzen Welt gegen die israelische Apartheidpolitik und den Krieg gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Viele gedachten auch des 28. Jahrestages der Ermordung des israelischen Staatsmanns und Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin, der anläßlich der Unterzeichnung des Osloer Abkommens gesagt hatte:

    „Wenn ich einen Toast ausspreche, dann auf diejenigen, die den Mut haben, Axiome zu ändern, Vorurteile zu überwinden und Realitäten zu verändern... Auf alle, die an den Fortbestand des Friedens in der Region glauben, ihn unterstützen und bereit sind, ihn zu fördern. Le Chaim.

Die spektakulären Demonstrationen an so unterschiedlichen Orten wie London, Indonesien, Washington, Neuseeland, Indien und Südafrika zeigen, daß es noch nicht zu spät ist, Axiome zu ändern. Es waren die ersten wirklich großen Antikriegsaktivitäten seit der Zeit vor dem Irakkrieg 2003, und es ist sehr bezeichnend, daß auch große Proteste an amerikanischen Universitäten stattfanden, wo die Studentenschaft zwei Jahrzehnte lang scheinbar apathisch gegenüber der kriminellen Außenpolitik der USA gewesen war. Aber der Geist ist aus der Flasche.


Anmerkung

1. Die EIR-Artikel „'Uighur Card' Used To Break Up China“ (vom 28.3.1997) und „Bernard Lewis Plan, Setting the 'Arc of Crisis' Aflame“ (9.6.1995) bieten eine ausführlichere Geschichte; der letztere Artikel enthält eine Karte von 26 solcher religiöser Konflikte.