Deindustrialisierung: nicht Zufall, sondern Absicht
Das Beispiel des PCK Schwedt
Von Frank Bornschein
Frank Bornschein ist Mitinitiator der Initiative „Frieden –
Freiheit und Souveränität“ und Stadtverordneter in Schwedt/Oder. In der
Straßburger Konferenz des Schiller-Instituts am 8-9. Juli sagte er
folgendes.
Sehr geehrte Konferenzteilnehmer, sehr verehrte Gäste,
Mein Name ist Frank Bornschein, bin 62 Jahre alt und komme aus Schwedt an
der Oder im Nordosten der Bundesrepublik Deutschland.
Ich bin Mitinitiator der Friedensbewegung in Schwedt und der Initiative
„Frieden – Freiheit und Souveränität“, dazu bin ich Stadtverordneter und
beruflich als Unternehmensberater tätig.
Deindustrialisierung – nicht Zufall sondern Absicht – das Beispiel des PCK
Schwedt: Zuerst sei es mir kurz gestattet, auf den Begriff sowie die Bedeutung
der Deindustrialisierung einzugehen. Als Deindustrialisierung bezeichnet man
Prozesse des sozialen oder wirtschaftlichen Wandels, die verursacht werden
durch eine Schrumpfung der industriellen Sektoren, vor allem der Schwer- und
verarbeitenden Industrie, in einem Land oder einer Region. Sie liegt vor, wenn
die Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe sinkt und deshalb die Zahl der
Industriearbeitsplätze zurückgeht, so eine allgemein anerkannte Definition
der Schweizerischen Akademie der technischen Wissenschaften SATW, die auch
fortlaufende Studien zu diesem und angrenzenden Themen veröffentlicht.
Demzufolge, weniger Wertschöpfung und weniger Beschäftigung: Beides muß
also über einen längeren Zeitraum vorliegen, um von Deindustrialisierung zu
sprechen.
Die Situation in Deutschland ist dabei sehr vielfältig, wo die
Kernkompetenzen, das bedeutet die Hauptschwerpunkte der industriellen
Fertigung durch vier Branchen dominiert werden: dem Automobilbau, dem
Maschinenbau, der Chemischen und der Elektro-Industrie.
Die Industrie benötigt dabei über ein Viertel der gesamten in Deutschland
verwendeten Energiemenge. Energieintensive Industriezweige sind dabei vor
allem die Chemie- und Metallindustrie, aber auch die Kohle- und
Mineralölverarbeitung sowie die Herstellung von Glas, Keramik, sowie die
Papier- und Pappe-Produktion sind energieintensive Wirtschaftsbereiche.
Diese Industriezweige benötigten lt. statistischem Bundesamt 2020 mit 791
Mrd. kWh rund 76% der gesamten industriell genutzten Energiemenge, sie schufen
21% der Bruttowertschöpfung und beschäftigten 2020 mit ca. 935.000
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ca. 7.000 Betrieben rund 12% der
Mitarbeiter im Verarbeitenden Gewerbe.
So stellte sich die Ausgangssituation von 2020 in Deutschland dar. Diese
Situation befindet sich jedoch seitdem im Wandel.
Mit dem Green Deal der EU von 2019, der sich die Empfehlungen des Club of
Rome von 1972 (mit dem dort gefaßten Appell zu den Grenzen des Wachstums) zu
eigen machte und sich hier auf die Schwerpunkte wie die Regulierung des
Finanzmarktes, der Energieversorgung, dem Verkehr, dem Handel, der Industrie
sowie der Land- und Forstwirtschaft konzentriert und so nahezu alle
Kernbereiche einer jeden Volkswirtschaft umfaßt, soll dieser Wandel vollzogen
werden, wobei der Begriff „Regulierung“ schlichtweg für Kapazitätsabbau und
Einschränkungen steht.
Getarnt bzw. politisch untersetzt wird dies mit der beabsichtigten
Begrenzung der Emission der sogenannten Treibhausgase bis 2050 auf 55% bezogen
auf den Stand von 1990, wo auf dessen Grundlage am 30. Juni 2021 das
europäische Klimagesetz verabschiedet wurde.
Seitdem erfolgt der Abbau der Industrie, wo gegenwärtig mit ca. 880.000
Beschäftigten 55.000 weniger als noch 2020 in den energieintensiven
Industriezweigen beschäftigt wurden, womit die Deindustrialisierung
eingeleitet wurde.
Demzufolge kann man hier nicht von einer zufälligen Deindustriealisierung
Deutschlands und auch Europas sprechen, sondern es ist definitiv Plan und auch
politischer Wille.
Dabei treffen sie folgerichtig die energieintensiven Branchen, wie die
Chemie- und Metallindustrie sowie die Kohle- und Mineralölverarbeitung zuerst
und leiten dann auch auf die angrenzenden Branchen, wie die Zulieferindustrie
und den Dienstleistungssektor über.
Das Beispiel PCK Schwedt
Hier möchte ich nun auf das Beispiel des PCK Schwedt Bezug nehmen.
Die Stadt Schwedt ist eine Stadt mit ca. 32.000 Einwohnern im Nordosten
Deutschlands und seit 1965 ein bedeutender Chemie und Industriestandort.
Geprägt wird die Stadt durch zwei mittelständische Betriebe der
Erdölverarbeitung und Papierherstellung mit jeweils mehr als 1.200
Beschäftigten und noch einmal ca. 5.000 Beschäftigten in den angrenzenden
Bereichen. Der Wirtschaftsstandort Schwedt generierte dabei 2020 ein Drittel
der gesamten Bruttowertschöpfung des Landes Brandenburg und die höchste
Pro-Kopfwertschöpfung der neuen Bundesländer.
Ich selbst hatte übrigens im PCK auch meinen ersten Beruf erlernt.
Bis Ende 2021, also vor der Verschärfung des Ukraine-Konfliktes, wurden
dort 11 Mio. Tonnen Rohöl jährlich verarbeitet, welches hauptsächlich über die
Erdölleitung Druschba (Freundschaft) aus Rußland geliefert wurde
Mit dem Stopp der Abnahme des russischen Öls zum Jahreswechsel 2022/2023
wurde das PCK dann über die bestehende Leitung aus dem Hafen Rostock
beliefert, die aber nur über eine Kapazität von 6 Mio. Tonnen verfügt und wo
im Ergebnis dieser geringen Zufuhr nur noch eine Auslastung von ca. 55% bis
maximal 60% der Anlagen zu erzielen ist, wo sich aber die Gewinnschwelle – der
„Break even“ – bei ca. 70% beläuft.
Daher kann selbst mit der beabsichtigten Lieferung kasachischen Öls von 1,2
Mio. Tonnen die Gewinnschwelle nur sukzessive erreicht werden, was bedeutet,
das PCK arbeitet selbst im besten Fall nur am Rande der Gewinnschwelle, was
einen Kapazitätsabbau von ca. einem Drittel zumindest mittelfristig
erforderlich macht und so Arbeitskräfte freisetzt.
Das Handeln der Politik ist dabei auf Beschwichtigung, Beruhigung und auch
Täuschung mit beispielsweise der Bildung einer sogenannten Task Force oder
auch eines Ausschuß für Transformation ausgerichtet, was zumindest zu einem
großen Teil auch gelungen ist und so die Stimmung in der Belegschaft trotz der
Unzufriedenheit immer noch gut ist, indem man ihnen schlichtweg nicht die
Wahrheit sagt. Denn es liegt ein Leitpapier des Bundeswirtschaftsministerium
bereits aus dem Jahr 2019 vor, der die drastische Reduktion des Verbrauchs von
Kraftstoffen aus fossilen Ausgangsstoffen bis zum Jahr 2030 auf 40% und bis
zum Jahr 2050 auf 10% bezogen auf den Stand von 2018 vorsieht. Auch ist im
Koalitionsvertrag der Bundesregierung vom Jahr 2021 dieses Ziel enthalten und
somit fester politischer Wille. Und da hat die Verschärfung des
Ukrainekonfliktes noch nicht stattgefunden, was aber von der Politik als
Deckmantel für ihre Handlungen benutzt wird.
Die Beschäftigten selbst haben bis Ende 2024 eine Beschäftigungsgarantie
und danach noch ein weiteres Jahr bei Veräußerung (entsprechend den
gesetzlichen Regelungen bei Betriebsübernahmen). Daher ist noch keine breite
Unzufriedenheit in der Belegschaft zu verspüren. Es ist aber anzunehmen, das
sich dies ab dem Herbst diesen Jahres ändert, wenn immer mehr absehbar wird,
das es für viele Beschäftigte mittelfristig keine Weiterbeschäftigung gibt,
denn auch bei einem Weiterbetrieb am Rande der Gewinnschwelle, werden im Zuge
der Digitalisierung ganze manuelle Fertigungs- und Steuerungsstrecken
wegfallen, wo dann am Ende maximal nur noch ca. 250 bis 300 Beschäftigte im
PCK arbeiten.
Durch die Reduktion der Produktion gab es bisher keine regionalen Engpässe
in der Mineralölversorgung, wo schlußgefolgert werden kann, das selbst bei
einer Reduzierung der Produktion auf 30% diese auch gewährleistet ist, mit
allen daraus entstehenden Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort, wo ich
noch erwähnen möchte, das sich gegenwärtig auch der zweite größere Betrieb,
die Papierwerke in der Sanierung oder Planinsolvenz befinden.
Wir von unserer Initiative „Frieden – Freiheit und Souveränität“ werden
unsere Aktivitäten darauf ausrichten zu informieren und den Protest gegen
diese Entwicklung bzw. Pläne weiterführen. Dies geschieht durch
Demonstrationen, Mahnwachen und Veranstaltungen wie dem geplanten Friedensfest
Ende August, Autokorsos und auch der Vernetzung mit den anderen
Initiativgruppen aus den Nachbarorten und Landkreisen. Und nicht zuletzt
entwickeln wir Angebote an die Menschen selbst, wie es besser gehen kann in
einer besseren Gesellschaft. Denn wir sind überzeugt, daß es uns so gelingt,
dieser verheerenden Politik etwas Wirksames entgegenzusetzen und wünschen uns
allen viel Kraft und Erfolg.
Und bedanke mich, daß ich hier sprechen durfte.
Vielen Dank
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