„Der Angriff auf Nord Stream war ein Kriegsverbrechen“
Von Prof. Francis Boyle
Francis Anthony Boyle ist Menschenrechtsanwalt und Professor
für internationales Recht am University of Illinois College of Law. Er war
Rechtsberater für Bosnien und Herzegowina und hat sich für die Rechte von
Palästinensern und indigenen Völkern eingesetzt. Im Online-Seminar des
Schiller-Instituts zu den Enthüllungen über die Nordstream-Sabotage am 23.
Februar 2023 sagte er folgendes.
Ich danke dem Schiller-Institut und Helga, daß ich heute hier sprechen
darf, und Harley Schlanger für die Organisation.
Ich werde hier nicht auf die lange Geschichte eingehen. Ich habe Interviews
gegeben und Vorträge gehalten seit dem illegalen Sturz der demokratisch
gewählten Regierung Janukowitsch in der Ukraine durch die CIA und der
Einsetzung eines Neonazi-Regimes, das seither bewaffnet und ausgerüstet
wird.
Ich wurde gebeten, auf die rechtlichen Aspekte der Zerstörung der
Nord-Stream-Pipelines einzugehen, und darauf werde ich mich beschränken.
Lassen Sie mich zunächst sagen, daß es sich eindeutig um einen Kriegsakt
und ein Kriegsverbrechen handelt. Ich möchte Ihnen den genauen Wortlaut des
Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zitieren. Als ein
Kriegsverbrechen wird darin definiert: „vorsätzliche Angriffe auf die
Zivilbevölkerung als solche oder auf einzelne Zivilpersonen, die an den
Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen; oder vorsätzliche Angriffe auf
zivile Objekte, das heißt auf Objekte, die nicht militärische Ziele sind“.
Lassen Sie mich den letzten Punkt wiederholen – „vorsätzliche Angriffe auf
zivile Objekte, das heißt auf Objekte, die nicht militärische Ziele
sind“.
Es liegt auf der Hand, daß die Nord Stream-Pipelines nicht mit
militärischen Aktivitäten verbunden sind. Wie Helga richtig feststellte, ging
es lediglich darum, Erdgas zu den Menschen in Deutschland und Europa zu
bringen. Diese Aussage im Römischen Statut – natürlich sind die Vereinigten
Staaten keine Vertragspartei des Römischen Statuts, und einige andere Staaten
sind es auch nicht. Aber es handelt sich um eine Kodifizierung des
internationalen Kriegsgewohnheitsrechts, das für die ganze Welt gilt. Es
handelt sich also nicht um einen Sonderfall oder so etwas in der Art. Das ist
heute geltendes Recht.
Hinzu kommt, daß es sich um einen Kriegsakt handelte, die die Russische
Föderation, wenn sie gewollt hätte, als Casus belli hätte behandeln und den
Vereinigten Staaten deswegen den Krieg erklären können. Ich behaupte nicht,
daß sie das tun würden; Präsident Putin ist zu scharfsinnig, klug und
gerissen, um so etwas zu tun. Aber ich sage das, um die Schwere der Ereignisse
zu unterstreichen. Man darf nicht unterschätzen, wie schwerwiegend dies war;
dies war ein Kriegsakt und ein Kriegsverbrechen.
Was wären nun die rechtlichen Folgen dieser Tat? Dem Hersh-Artikel zufolge
– und ich verfolgte Hersh schon vor My Lai – wurde die Planung dafür auf
norwegischem Territorium und in Zusammenarbeit mit norwegischen
Militärbehörden durchgeführt. Das bedeutet, daß dies der Gerichtsbarkeit des
Internationalen Strafgerichtshofs unterliegen würde. Das heißt,
US-Regierungsbeamte waren für die Planung, Vorbereitung, Verschwörung und
tatsächliche Begehung eines Kriegsverbrechens nach dem Römischen Statut in
einem Staat des Römischen Statuts, in diesem Fall Norwegen, verantwortlich.
Dies könnte also vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verfolgt werden,
und der IStGH befaßt sich nur mit hochrangigen Beamten, in diesem Fall also
mit Präsident Biden, Außenminister Blinken, dem Nationalen Sicherheitsberater
Sullivan, Unterstaatssekretär Nuland und Verteidigungsminister Austin – die
Navy-Taucher standen unter seiner Kontrolle und Aufsicht, seiner Befehlskette.
Das ist ganz klar.
Nun hat Herr Helmer auch darauf hingewiesen, daß seiner Meinung nach auch
Dänemark, Polen und Deutschland beteiligt gewesen sein könnten. Das mag
stimmen; es stärkt nur das Argument, denn sie sind alle Vertragsparteien des
Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Dann habe ich vor
kurzem gelesen, daß auch Schweden involviert gewesen sein könnte. Nun gut, das
stärkt nur das Argument, daß diese US-Regierungsbeamten, weil sie ein
Kriegsverbrechen nach dem Römischen Statut gegen mindestens einen Staat des
Römischen Statuts begangen, geplant, eingefädelt und vorbereitet haben, vom
Internationalen Strafgerichtshof wegen eines Kriegsverbrechens verfolgt werden
können.
Darüber hinaus müssen alle Staaten, die das Römische Statut unterzeichnet
haben, eigene Durchführungsvorschriften haben, die Verstöße gegen das Römische
Statut zu Verbrechen nach nationalem Recht machen. Ich hatte noch keine
Gelegenheit, alles zu recherchieren, aber es könnte durchaus möglich sein, daß
die von mir erwähnten fünf Personen – Biden, Blinken, Nuland, Sullivan und
Austin – in jedem Unterzeichnerstaat des Römischen Statuts im Rahmen der
nationalen Umsetzungsgesetze strafrechtlich verfolgt werden können. Das würde
davon abhängen, was in diesen Rechtsvorschriften steht.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: Unser Vorredner kam aus der Schweiz,
und ich hatte vor dem IStGH Klage gegen Bush, Cheney, Rumsfeld, Condoleezza
Rice und andere wegen Verbrechen nach dem Römischen Statut in den Staaten des
Römischen Statuts im Zusammenhang mit der Politik ihrer außerordentlichen
Auslieferungspraxis eingereicht. Nachdem Bush Jr. als Präsident zurückgetreten
war, wurde angekündigt, daß er in die Schweiz reisen würde, um dort in Genf
eine hochdotierte Rede zu halten. Einige Schweizer
Nichtregierungsorganisationen wußten von meiner Beschwerde; sie wandten sich
an einen Schweizer Parlamentarier und veranlaßten diesen, den Schweizer
Generalstaatsanwalt aufzufordern, Bush strafrechtlich zu verfolgen, falls er
in Genf auftauchen würde. Diese Forderung wurde publik gemacht; die Forderung
ging an Bush zurück, und er erschien nicht in Genf.
Diese Personen könnten also, je nach den innerstaatlichen
Durchführungsvorschriften, von den Staaten des Römischen Statuts
strafrechtlich verfolgt werden. Sie könnten auch nach dem Zusatzprotokoll I
zur Genfer Konvention strafrechtlich verfolgt werden, je nachdem, welche
innerstaatlichen Durchführungsvorschriften für diese Konvention gelten.
Argumente für eine Amtsenthebung
Hier in den Vereinigten Staaten von Amerika habe ich im letzten Sommer –
das war vor dem Erscheinen von Hershs Nord-Stream-Artikels – einen Entwurf für
ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Biden wegen der Begehung nicht
neutraler Handlungen, kriegerischer Handlungen und Kriegshandlungen vorgelegt.
Ich habe eine Kopie davon an Harley Schlanger gegeben und ihn gebeten, sie an
Sie weiterzuleiten.
Es gibt drei Artikel der Anklageerhebung:
- Der erste ist ein Verstoß gegen die Kriegsermächtigungsklausel der
Verfassung der Vereinigten Staaten und die Kriegsermächtigungsresolution – in
diesem Fall die Beteiligung an einer Kriegshandlung und anderen kriegerischen
Handlungen und nicht neutralen Handlungen, die die Regierung unter Biden unter
Verletzung der Kriegsermächtigungsklausel und der eigenen
Kriegsermächtigungsresolution des Kongresses von 1973 vorgenommen hat.
- Der zweite Anklagepunkt für ein Amtsenthebungsverfahren ist ein
Verstoß gegen 18 USC §960, ein Gesetz, das die Neutralitätsgesetze der
Vereinigten Staaten und die Anforderungen des internationalen Rechts umsetzt:
„Wer innerhalb der Vereinigten Staaten wissentlich eine militärische oder
maritime Expedition oder Unternehmung gegen das Territorium oder die
Herrschaft eines fremden Fürsten oder Staates, einer Kolonie, eines Distrikts
oder eines Volkes, mit dem die Vereinigten Staaten im Frieden sind, beginnt
oder in Gang setzt oder Mittel dafür bereitstellt oder vorbereitet oder das
Geld dafür liefert oder sich daran beteiligt, wird nach diesem Titel mit einer
Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren oder mit
beidem bestraft.“
Die Vereinigten Staaten befinden sich technisch gesehen immer noch im
Frieden mit der Russischen Föderation; dem Himmel sei Dank! Es bedürfte eines
Gesetzes des Kongresses, um uns hier in den Vereinigten Staaten gegen die
Russische Föderation in den Krieg zu versetzen. Das ist aber nicht der Fall.
Diese Bestimmung wurde eingeführt, um sicherzustellen, daß selbst hochrangige
US-Regierungsbeamte ohne ausdrückliche Ermächtigung durch den Kongreß keine
Kriegshandlungen begehen. Doch genau das hat die Regierung Biden getan.
- Der letzte Anklagepunkt ist die Verletzung der Haager Konvention von
1907 über die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte im Falle eines
Landkrieges und des Haager Übereinkommens von 1907 über die Rechte und
Pflichten der neutralen Mächte im Falle eines Seekrieges. Die Vereinigten
Staaten sind Vertragspartei; Rußland ist Vertragspartei; die Ukraine ist
Vertragspartei. Dies ist das oberste Gesetz des Landes, gegen das Biden
verstoßen hat.
Alle drei Anklagepunkte gelten direkt für Biden, und auf der Grundlage des
Hersh-Artikels könnte man identische Anklageschriften auch gegen Außenminister
Blinken, den nationalen Sicherheitsberater Sullivan, Verteidigungsminister
Austin und Unterstaatssekretärin Nuland einreichen. Das wäre mein Ratschlag;
daß gegen sie alle sofort ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wird.
Wie wir wissen, haben die Republikaner die Kontrolle über das
Repräsentantenhaus. Nach der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses könnte
jedes Mitglied des Hauses einfach im Plenarsaal aufstehen und meine
Anklageschrift gegen Biden verlesen, und der Sprecher des
Repräsentantenhauses, McCarthy, könnte eine sofortige Abstimmung über die
Anklageschrift veranlassen. Sie haben die Stimmen; sie könnten Biden auf der
Stelle anklagen und die Sache zur Verhandlung an den Senat weiterleiten.
Wenn das geschieht, wäre die Regierung Biden am Ende. Man könnte es auf
diese Weise hier und jetzt stoppen. Sie würden ihre ganze Zeit damit
verbringen, sich mit dem Amtsenthebungsverfahren zu befassen. Genau das
Gleiche geschah mit Reagan; damals war ich Berater des Pledge of Resistance.
Wir waren kurz davor, daß Reagan in Nicaragua einmarschieren würde. Plötzlich
brach der Iran-Contra-Skandal aus; man befürchtete ein
Amtsenthebungsverfahren; man war am Ende. Reagan ist nie in Nicaragua
einmarschiert.
Deshalb empfehle ich, daß wir zumindest die Anklage gegen Biden, wenn nicht
auch die anderen, sofort im Repräsentantenhaus verabschieden lassen. Erst
neulich hat EIR berichtet, daß die Kongreßabgeordnete Marjorie Taylor
Greene, die jetzt sehr viel Einfluß hat, gesagt hat, daß Biden wegen der
Ukraine angeklagt werden sollte. Wir müssen das tun; wir müssen diese Leute
aufhalten, bevor es zu einem allgemeinen De-jure-Krieg mit Rußland kommt. Im
Moment haben wir einen De-facto-Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und
Rußland; sogar Herr Lawrow hat das gesagt, und er hat recht. Noch ist es nicht
de jure, wir müssen das verhindern!
Was schließlich den Vorschlag für eine internationale Untersuchung
betrifft, so sind sowohl die Vereinigten Staaten als auch Rußland
Vertragsparteien der Haager Konvention von 1907 zur friedlichen Beilegung
internationaler Streitigkeiten. Diese Konvention sieht ein Verfahren zur
Einsetzung eines internationalen Untersuchungsausschusses vor, der sich mit
Situationen wie dieser befassen soll.
Das wurde schon früher erfolgreich angewandt; man kann darüber in meinem
Buch Foundations of World War nachlesen. Ich spreche darin darüber,
auch im Zusammenhang mit feindlichen Handlungen zwischen der russischen
Marineflotte und einem britischen Fischereifahrzeug. Alles, was es dazu
braucht, ist eine Demarche der russischen Regierung an die Regierung der
Vereinigten Staaten, in der sie die Einsetzung einer internationalen
Untersuchungskommission fordert. Wenn die US-Regierung dies ablehnt, ließe
sich das durchaus als Schuldbewußtsein ihrerseits interpretieren.
Ich danke Ihnen. Es tut mir leid, daß ich nicht bis zum Ende der Konferenz
bleiben kann, aber ich muß zurück zu meinen Lehrverpflichtungen. Ich danke
Ihnen.
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