Die Macht menschlicher Arbeit in einer Zeit des epochalen Wandels
Von Jacques Cheminade
Jacques Cheminade ist Präsident der Partei Solidarité et
Progrès und ehemaliger Präsidentschaftskandidat in Frankreich. (Übersetzung
aus dem Englischen.)
Die Macht menschlicher Arbeit zu mobilisieren, ist unsere unmittelbare
Aufgabe, um eine neue Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur für uns alle zu
schaffen. Sowohl die Nationen der globalen Mehrheit der Welt als auch die
Völker des westlichen Teils der Welt streben nach der existentiellen,
unmittelbaren Notwendigkeit, voranzukommen. Das ist der eigentliche Sinn,
warum wir auf den Straßen Europas demonstrieren.
Im Gegensatz dazu betreiben die Finanzeliten des globalen Nordens eine
Politik des sozialen Krieges gegen ihre eigene Bevölkerung und der Aufrüstung
gegen die Nationen, die sich ihnen widersetzen. Ihre Politik ist eine
Bedrohung für uns alle: Angesichts der Krise ihres räuberischen Finanzsystems
handeln sie wie verwundete Tiger, die zu Menschenfressern werden.
Unsere wichtigste Waffe gegen sie ist unser Menschenbild, daß der Mensch
von Natur aus gut ist. Die Errungenschaften der menschlichen Arbeit verkörpern
und beweisen unsere schöpferische Kraft! Nichtsdestotrotz versuchen die
oligarchischen Eliten mit allen Mitteln, Arbeit auf ein Machtgleichgewicht
innerhalb ihres etablierten Umfelds zu reduzieren, das durch die Herrschaft
des Geldes und der Preise vordefiniert ist.
Der Zweck meines Beitrags ist daher, die Macht der menschlichen Arbeit
wieder davon frei zu machen. Erstens ist sie menschlich, weil sie weder
tierisch noch mechanistisch ist. In einer Koltan- oder Goldmine physisch
ausgebeutet zu werden, ist keine menschliche Arbeit, sondern koloniale
Sklaverei. Menschliche Arbeit besteht darin, die Natur für einen nützlichen
sozialen Zweck physisch umzuwandeln, und nicht darin, eine Aufgabe zu
erfüllen, um eine Gegenleistung zu erhalten. Die Arbeit eines Menschen
entwickelt und erweitert seine schöpferischen Kräfte. Sie ist kein
Selbstzweck, sondern ein Beitrag zu unserem Gemeinwohl und unserer sozialen
Zukunft. Arbeit ist ein Menschenrecht auf Entfaltung, nicht ein Preis.
Aber das zu sagen, reicht nicht aus. Die notwendigen philosophischen
Grundlagen für ein neues Paradigma erfordern eine viel tiefere Untersuchung
dessen, was menschlich ist. Der beste Verweis darauf, den ich finden konnte,
ist eine Reihe von Vorträgen, die Lyndon LaRouche am 25. April 1984 über die
Macht der Arbeit, das Naturrecht und den technischen Fortschritt gehalten
hat.1
LaRouche geht von der Notwendigkeit aus, die potentielle relative
Bevölkerungsdichte einer Gesellschaft zu erhöhen, um ihren Niedergang zu
verhindern – potentiell bedeutet: über das Niveau der gegenwärtigen
Bevölkerung hinaus. Es ist die Entdeckung neuer physikalischer Prinzipien und
ihre Anwendung zur Förderung des technischen Fortschritts, der die
Produktivkraft der Arbeit pro Mensch und pro Landfläche erhöht. Denn der
Mensch hat die besondere Fähigkeit, seine Umwelt zu verbessern und die
Energieflußdichte und die Tragfähigkeit seines Universums zu erhöhen!
Sehen wir uns dagegen den gegenwärtigen Zustand unseres transatlantischen
Universums an. Es ist potentiell dem Untergang geweiht! Unter der Herrschaft
einer Finanzoligarchie, die immer mehr Geld schafft, ohne wirkliches,
physisches Wachstum zu erzeugen, wurde dieses Potential zerstört. Das
politische Ziel unseres Kampfes ist klar.
Aber gehen wir mit Lyndon LaRouche einen Schritt weiter. Ein Tier oder ein
Oligarch kann seine Umgebung nicht zum Besten verändern. Wir werden sehen, daß
Künstliche Intelligenz Daten besser verarbeiten kann als der Mensch, aber sie
kann keine Veränderung bewirken. Menschliche Arbeit kann das. Weil sie
Hypothesen aufstellt. Sie hat die Macht, das Universum zu verändern und zu
verbessern, indem sie die Spielregeln in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur
ändert und gegebene Zwänge durchbricht!
LaRouche definiert drei Ebenen von Hypothesen, die die menschliche Arbeit
zu etwas Einzigartigem machen.
- Einfache Hypothesen sind mit den bestehenden Axiomen und
Hypothesen vereinbar, sie werden sozusagen „nebenbei entdeckt“.
- Höhere Hypothesen stürzen bestehende Axiome und Postulate
akzeptierter wissenschaftlicher oder anderer Meinungen um. Es ist die Art des
Denkens, mit der alle wissenschaftlichen Entdeckungen nachvollzogen werden
können und sich der Weg für die Entdeckung neuer physikalischer Prinzipien
öffnet. Diese werden dann im Rahmen des technischen Fortschritts angewandt, so
daß sie potentiell jeder Mensch verstehen und gesellschaftlich umsetzen kann.
Ihre soziale Umsetzung verkörpert die Macht der menschlichen Arbeit, die
relative potentielle Bevölkerungsdichte zu erhöhen.
- Die Hypothese der höheren Hypothese ist ein Prinzip, das
erfolgreich aufeinanderfolgende wissenschaftliche Revolutionen hervorbringt.
Es ist der Bereich, den Wladimir Wernadskij die Noosphäre nennt, die Fähigkeit
der menschlichen Arbeit, zur geologischen Kraft zu werden, die die Erde in
Übereinstimmung mit den Gesetzen des physikalischen Universums formt.
Gehen wir noch einen Schritt weiter: die sogenannte Revolution der
Künstlichen Intelligenz. Die KI verarbeitet Daten und stellt logische
Zusammenhänge her, indem sie „lernt“, in Bereichen mit einer sehr großen, aber
endlichen Anzahl von Fällen zu induzieren und zu deduzieren. Sie weiß nicht,
was sie wirklich physisch tut, sie ist sich ihrer selbst nicht bewußt.
Es stimmt, sie kann einen menschlichen Gegner beim Schach oder Go besiegen.
Das ist bereits geschehen. Das ist Logik. Aber im Bereich physisch unsteter
Prozesse – der schöpferischen menschlichen Arbeit – kommt sie nicht voran,
denn sie bleibt ein sehr ausgefeiltes statistisches Modell, das Korrelationen
zwischen Werteskalen quantifiziert.
Für die KI ist eine Metapher – ein Bedeutungswechsel von einer Ebene des
Denkens zu einer höheren – wie für ein Huhn, das ein Korn aus weißem Ton
findet. Die KI kann die Ebene der höheren Hypothese nicht erreichen! Das
bedeutet, daß die KI besser als der Mensch das verarbeiten kann, was nicht
menschlich ist, nämlich den stupiden Bereich der Daten. Maschinelles Lernen
und Deep Learning ermöglichen es ihr, bereits Bekanntes zu erforschen und in
diesem Bereich Sinnvolles hervorzubringen – aber niemals Metaphern, niemals
ein neues physikalisches Prinzip.
Wie LaRouche einmal sagte, Geld sei ein Idiot, so ist die KI ein weiterer
Idiot, ein idiota senza mente, ein Datenanalytiker unter dem Einfluß
elektronischer Steroide.
Ist das eine gute oder schlechte Nachricht? Das ist eine Frage der
Intention. Eine sehr schlechte Nachricht, wenn die KI in den Händen derer
bleibt, die versuchen, kreatives menschliches Denken auf einer noch
raffinierteren Ebene menschlichen Verhaltens zu kontrollieren, dem
oligarchischen Spiel, Menschen zu Nicht-Menschen zu machen – menschliche
Arbeit durch die algorithmische Kontrolle von Bildern, Fake News und
Finanzoperationen zu zerstören.
In diesem Sinne ist der wahre Feind menschlichen Wissens und menschlicher
Arbeit nicht die Unwissenheit, sondern – wie Sokrates wußte – die Illusion des
Wissens.
Eine sehr gute Nachricht, wenn die KI unter der Kontrolle der Macht
menschlicher Arbeit steht. Die KI ist ein sehr nützlicher Helfer, nicht nur um
zeitraubende Aufgaben zu erledigen, sondern auch um selbst in einem Bereich
bekannter logischer Beziehungen voranzukommen.
So dauert beispielsweise die Kommunikation mit einem Rover auf dem Mars in
beide Richtungen mehr als eine halbe Stunde. Die KI kann die Maschine so
trainieren, daß sie mit allem rechnen kann, was zu erwarten ist, außer wenn
ein unerwartetes, unlogisches Ereignis eintritt! Sehr nützlich.
Es stimmt, daß die KI viele von Menschen ausgeführte Arbeiten ersetzen
wird. Aber diese Jobs sind nicht die kreative Arbeit des Menschen! Es sind
also nicht-kreative Tätigkeiten, die ersetzt werden. Vor allem bürokratische
Jobs, wie die der Strategieberater, der McKinseys, der Börsenhändler, der
Anwälte, der Powerpoint-Experten, all der Hochstapler, die vorgeben, die
Spielregeln zu beherrschen, aber in Wirklichkeit Profiteure sind.
Wenn wir den Bereich der KI kontrollieren, wird unsere Arbeit menschlich
sein, denn unser geistloser Assistent wird das Unkreative erledigen! Die
entscheidende politische Frage ist, wer die Kreditvergabe kontrolliert und zu
welchem Zweck.
Es gibt noch mehr zu sagen. Entscheidend ist das Bewußtsein, daß unsere
Arbeit wirklich menschlich ist.
Ich habe nicht genug Zeit, um darauf einzugehen. Daher möchte ich Ihnen nur
raten, Nikolaus von Kues zu lesen, den besten philosophischen Freund von Helga
Zepp-LaRouche.
Nur ein Beispiel: In De Beryllo (1458) lehrt er uns unter anderem
den wahren Weg menschlicher Erkenntnis, befreit vom sterilen aristotelischen
Prinzip des Widerspruchs, um in den Bereich des Intellekts jenseits der
Vernunft vorzudringen, wo der menschliche Geist den Zusammenfall der
Gegensätze begreift und fähig wird, eine höhere Ebene des Handelns zu
erreichen. Die Metapher für diese schöpferische Einsicht in das, was er später
posse ipsum, das Können an sich, nannte, ist der Beryll, ein
Halbedelstein, aus dem zu seiner Zeit Brillengläser geschliffen wurden. Die
menschlichen Augen würden so mit dem intellektuellen Beryll ausgestattet, der
es dem Geist ermöglicht, den Zusammenfall von Gegensätzen zu erfassen.
Heute wendet Helga Zepp-LaRouche diesen Ansatz auf die Lösung menschlicher
Konflikte an, um „von oben“ die zerstörerische Logik von Block gegen Block zu
überwinden. Aus unserem eigenen Denken heraus und indem wir auf die Gedanken
der anderen hören, erstellen wir im Geiste des Westfälischen Friedens (1648)
mit unserer schöpferischen Arbeit den Fahrplan, um aus dem Dilemma
herauszukommen.
Das ist die höchste Stufe der Erkenntnis, der schöpferischen Intuition, die
eine Friedensdynamik hervorbringt, die nicht auf Daten oder zusammengestellten
Plänen beruht, sondern auf Prinzipien, die die Macht der menschlichen Arbeit
erzeugen. Der heutige Wandel in der Welt ist die beste Gelegenheit für uns
alle, Akteure dieses Wandels zum Guten zu werden.
Lassen Sie mich mit einem Zitat von Bernhard Riemann über den Begriff der
„Geistesmasse“ schließen:
„Die Seele ist eine compacte, aufs Engste und auf die mannigfaltigste
Weise in sich verbundene Geistesmasse. Sie wächst beständig durch eintretende
Geistesmassen, und hierauf beruht ihre Fortbildung.“
Es sind also neue Ideen, die unser gesamtes Wissen zum Klingen bringen und
anregen. Helga Zepp-LaRouche und meine Frau Odile haben sich mit Johann
Friedrich Herbarts Beitrag zur Pädagogik schöpferischer Fähigkeiten
beschäftigt, um die Seele des Schülers zu bilden und nicht in ein
vorgefertigtes Format zu zwängen, wie es heute der Fall ist. Menschliche
Arbeit ist ein Experimentieren mit diesem ständigen Fortschritt, von dem das
gesamte Leben der Menschheit und das Beste von uns den experimentellen Beweis
liefert.
Das ist es, was heute durch Krieg und wirtschaftliches Chaos bedroht ist.
Werden wir uns dessen bewußter. Mobilisieren wir mehr Menschen, die daran
arbeiten, die Richtung in unserem transatlantischen Teil der Welt umzukehren
und die Gegensätze wieder zusammenzuführen. Das ist eine Frage von Leben und
Tod. Die Kraft der menschlichen Arbeit muß uns dazu inspirieren, in Metaphern
zu denken und Hypothesen zu entwickeln, die über eine sinnliche Erfahrung
hinausgehen, die uns heute, wenn wir uns ihrer eigenen Logik überlassen,
pessimistisch und damit machtlos machen würde.
Folgen wir dem Rat von Lyndon LaRouche, als er nach dem Geheimnis seiner
Kreativität gefragt wurde: „Arbeit, Arbeit“. Der entscheidende Augenblick der
Geschichte, in dem wir leben, erfordert von uns die Mobilisierung unserer
schöpferischen menschlichen Arbeit, damit dieser große Augenblick der
Geschichte auf ein größeres Geschlecht trifft.
Anmerkung
1. Siehe https://www.youtube.com/watch?v=Ja4KZqt3E88
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