Delegation des Schiller-Instituts besucht China
Eine fünfköpfige Delegation des Schiller-Instituts unter der Leitung von
Helga Zepp-LaRouche ist Ende Mai von einer einwöchigen Chinareise
zurückgekehrt. Die Teilnehmer aus Deutschland, Frankreich und Schweden konnten
viele Eindrücke über die Entwicklungen in Chinas Hauptstadt Peking sammeln und
viele neue Kontakte knüpfen. Alle Gesprächspartner während des Aufenthalts
interessierten sich sehr für die politische und strategische Sichtweise der
Europäer angesichts des Ukraine-Konflikts, der labilen weltwirtschaftlichen
Lage und anderer drängender Probleme der strategischen Situation. Besonders
wichtig war den Chinesen die Frage, wie sich die Europäer zur geforderten
„Entkopplung von China“ (Decoupling) positionieren würden, bzw. ob und
wie der von der EU gewählte Begriff der „Risikominimierung“
(De-Risking) davon zu unterscheiden sei.
Natürlich stand bei den zahlreichen Gesprächen auch vielfach die Frage im
Raum, ob die Europäer angesichts der für sie schmerzlichen wirtschaftlichen
Folgen der Sanktionspolitik der USA/NATO gegenüber Rußland keine
eigenständigere Entwicklungsstrategie wählen würden, die die negativen
Auswirkungen der Konfrontationen innerhalb Europas in irgendeiner Form
abfangen oder gar kompensieren könnte. Es sei aus chinesischer Perspektive
schwer zu verstehen, warum vor allem Deutschland diesen Kurs nach wie vor
beinahe sklavisch einhalte, ohne eine vernünftige Antwort auf die
Negativfolgen dieser Politik zu finden.
Frau Zepp-LaRouche betonte deshalb mehrfach, daß die Politik der NATO, der
USA, Großbritanniens, aber auch der EU eine Deindustrialisierung Deutschlands
und der anderen Industriestaaten Kontinentaleuropas auszulösen drohe und daß
die deutsche Regierung unter Federführung der grünen Außen- und
Wirtschaftsministerien explizit an diesem destruktiven Kurs beteiligt sei. Der
gegenwärtige Kurs der europäischen Politik verstoße um so mehr gegen die
ureigensten Interessen der europäischen Staaten, als das wirtschaftliche
Momentum ganz klar in Asien und bei den Staaten liege, die mit der Gürtel- und
Straßen-Initiative (BRI) zusammenarbeiten. Die Nationen des Globalen Südens
befänden sich in einer beispiellosen Aufbruchsstimmung und seien entschlossen,
den faktisch immer noch fortbestehenden Kolonialismus mit der Hilfe Chinas zu
überwinden. Wenn sich Europa von dieser Entwicklung abkopple, zerstöre es
zugleich seine eigene Zukunft.
Die geopolitische Strategie des Westens werde von einer transatlantischen
Oligarchie verfolgt, die den Status einer unipolaren Weltordnung aufrecht
erhalten wolle, obwohl diese in der Realität längst durch eine multipolare
Ordnung abgelöst worden sei. Zepp-LaRouches verstorbener Ehemann Lyndon
LaRouche hatte bereits vor über 50 Jahren auf die systemischen Fehler des
neoliberalen Systems hingewiesen und die derzeitige Krise prognostiziert. Für
viele Länder insbesondere in der südlichen Hemisphäre sei jedoch erst seit dem
wirtschaftlichen Erstarken Chinas und dessen Angebot der Wirtschaftshilfe an
andere Staaten im Rahmen der BRI eine Alternative entstanden, moderne
Technologien und Infrastruktur in deren Länder und Volkswirtschaften zu holen,
ohne sich dem Diktat des IWF und Washingtons „regelbasierter Ordnung“
unterwerfen zu müssen.
Fortschritt für ländliche Gebiete
Dieses wirtschaftliche, technologische, aber auch
gesellschaftlich-kulturelle Erstarken Chinas war von den Teilnehmern dieser
Reise an allen Ecken und Enden ihrer Besichtigungen, Gespräche und
Erkundigungen regelrecht mit Händen zu greifen! Als grundsätzlich verbindendes
Element der Herangehensweise der chinesischen Bevölkerung war zu beobachten,
daß sich der absolute Wille, alles ans Laufen zu bringen und stetig zu
verbessern, überall manifestierte. Bereits beim Bau einer neuen
Industrieanlage, eines neuen Kulturzentrums oder gleich eines gesamten
neugeplanten Stadtviertels wird der Blick darauf gerichtet, was beim nächsten
ähnlichen Projekt optimiert werden könne. Und obwohl so gut wie alles, was den
Gästen von ihren chinesischen Gastgebern gezeigt und erklärt wurde, gerade
erst fertiggestellt oder sogar noch im Aufbau begriffen war, konnte die
Anknüpfung an die jahrtausendealte Geschichte und die Einbeziehung auch des
verstecktesten Winkels des Hinterlandes und der kleinsten Minderheit innerhalb
des Riesenreiches immer durchscheinen.
Derzeit scheint eine Phase der „Modernisierungs- und Öffnungsstrategie“ der
chinesischen Führung eingeleitet worden zu sein, in der es hauptsächlich darum
geht, die grundlegenden Aufbauerfolge der letzten 40 Jahre zu konsolidieren
und weiter auszubauen. Beispielsweise wird nun verstärkt versucht, die
wirtschaftliche Dynamik mittels Digitalisierung und Infrastrukturverbesserung
auch in die ländlichen Gebiete hineinzutragen, um einerseits den
Wanderarbeiterdruck auf die Metropolzentren zu reduzieren, andererseits aber
auch die technologische, finanzielle und kulturelle Schere zwischen Stadt und
Land zu verringern. Außerdem wird verstärkt daran gearbeitet, die modernsten
Errungenschaften der letzten Jahre nutzbringend in den Alltag des
1,4-Milliarden-Volkes zu integrieren.
Für den normalen Pekinger Bürger stellt sich das in etwa folgendermaßen
dar: Mit seinem Smartphone plant er seine Geschäftsmeetings, läßt über WeChat
seine Arbeitskollegen wissen, wo er gerade was macht, bestellt und bezahlt in
einem Vorgang sein Mittagessen im Bistro/Restaurant seiner Wahl und läßt sich
dieses auch gleich an einen bestimmten Punkt bringen, an dem er zu einem
bestimmten Zeitpunkt essen möchte. Alles ist über die Cloud miteinander
vernetzt; auch das eigene Konto und der Paß.
Dies mag uns Europäern reichlich naiv und der Horrorvorstellung des
gläsernen Bürgers sehr nahe kommend erscheinen. Für den Chinesen ist dies
jedoch so selbstverständlich, daß er sich überhaupt keine Gedanken darüber
macht. Wenn man ihn darauf anspricht, ob er sich nicht überwacht fühle,
antwortet er einfach: Das sei doch die Aufgabe der digitalisierten Welt, alles
zu vernetzen! Sorgen darüber, ob diese Überwachung auch negative oder gar
schädliche Auswirkungen auf ihn haben könnte, macht er sich kaum; dies ist
sicherlich auch im Werdegang der chinesischen Geschichte der letzten
Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte begründet. Darüber hinaus ist das Vertrauen
in die Führung, dem Wirken fürs Gemeinwohl alles andere unterzuordnen, sehr
ausgeprägt. Dies ist wiederum für uns Europäer angesichts unserer politischen
Führungen schwer zu verstehen.
Die fruchtbaren Gespräche und Kontakte mit Chinesen aus Politik,
Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sollen nun fortgesetzt und intensiviert
werden. Eine erste Gelegenheit dazu bot bereits letzte Woche ein
deutsch-chinesischer Internet-Dialog.
Christoph Mohs
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