Die Zukunft fordert uns heraus:
„Belastbarkeit“ oder echte Transformation?
Von Julio De Vido
Julio De Vido war argentinischer Minister für Planung und
öffentliche Investitionen und Kongreßabgeordneter. (Übersetzung aus dem
Spanischen.)
Ich möchte dem Schiller-Institut und insbesondere Helga Zepp-LaRouche und
Dennis Small für die Möglichkeit danken, heute an dieser Versammlung
teilzunehmen und Ihnen in diesem Video einige kurze Gedanken mit auf den Weg
zu geben.
Der Titel meines Vortrags geht zurück auf eine Aussage von Dennis Small in
seinem Wochenbericht vom 7. April sowie auf einen Vorschlag der
geschäftsführenden Direktorin des IWF, Kristalina Georgieva, und den Bericht
des IWF für die derzeit stattfindenden „Frühjahrskonferenzen“, deren
vorgebliche Botschaft es ist, die wirtschaftliche Belastbarkeit zu stärken und
das Wachstum zu stimulieren.
Diese beiden Thesen lassen sich natürlich nicht miteinander verbinden. Ein
Festhalten am Kurs der multilateralen Kreditorganisationen, die versuchen, die
Finanzierung für bereits verschuldete Länder wie Argentinien auszuweiten,
indem sie überarbeitete Verschuldungsziele und neue Instrumente vorschlagen,
um die Anpassungsmechanismen stets auf die Erwartungen der von ihnen
unterstützten Investoren auszurichten, kann nicht der Weg zu einer Lösung
sein.
Wir alle wissen, daß der Begriff Belastbarkeit oder Resilienz aus
verschiedenen Bereichen wie Psychologie, psychische Gesundheit, Soziologie,
Pädagogik usw. stammt. Er bezieht sich auf eine Realität voller Ungewißheiten,
auf die Lebenslinien von Menschen, die traumatische Situationen von
beträchtlicher Dauer und Intensität durchlebt haben, solche Aggressionen
erfolgreich überwunden haben und durch diese Pfeile und Schleudern in Bezug
auf Reife und Wachstum gestärkt worden sind.
Die falsche Vorstellung des IWF, die Schuldnerländer hätten die Schrumpfung
der regionalen Volkswirtschaften aufgrund steigender globaler Kosten erlitten
oder erduldet, kann niemals eine Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum oder
soziale Gerechtigkeit sein und wird auch nicht die Auswirkungen auf die
schwachen Bevölkerungsgruppen mildern. Im Gegenteil, unsere Völker haben sich
tolerant verhalten und unsere Regierungen haben sich bisher gehorsam an die
Vorgaben des IWF gehalten.
Das Rezept hätte statt dessen lauten müssen: vorbeugen, erkennen und
rechtzeitig eingreifen, zusammen mit der sogenannten Wachstumsförderung, um
den Zustand von sozialer Entrechtung, Risiko und Verwundbarkeit in Bezug auf
ihre Rechte zu korrigieren, was in diesem Zusammenhang an erster Stelle stehen
sollte, anstatt mehr Druck für „Anpassungen“ auf die Schuldnerländer
auszuüben.
Mit solchen Werturteilen wird eine unkritische Anpassung der
Schuldnerländer angestrebt, etwas, was für uns bereits ein
selbstverständlicher Teil unserer Existenz ist, wie es beispielsweise in den
90er Jahren geschah, als nach dem Drehbuch des Washingtoner Konsenses
bestimmte Regionen als „nicht lebensfähig“ eingestuft wurden.
Die Welthegemonie der wichtigsten Industrienationen des 20. Jahrhunderts,
der Vereinigten Staaten und ihrer europäischen Partner, hat die Kontrolle über
die Weltwirtschaftsordnung behalten, indem man die Herrschaft der mächtigsten
Institutionen über die kommerziellen, politischen und finanziellen Beziehungen
der übrigen Welt aufrechterhalten hat.
Dieser hegemoniale Prozeß, der durch das Bretton-Woods-System mit der
Schaffung von Institutionen wie IWF, Weltbank (ursprünglich Internationale
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung), GATT und seiner gesamten Palette an
Handels- und Zollstandards (nach dem Ende der ITO 1947 und der Eingliederung
in die WTO im Jahr 1995) eingeleitet und durch den „Washingtoner Konsens“ und
das Ende des Kalten Krieges noch verschärft wurde, kann politische und
wirtschaftliche Beziehungen nur unter dem Aspekt der Herrschaft begreifen.
Das überholte System der multilateralen Kreditinstitutionen erdrückt immer
noch die Länder, insbesondere die Entwicklungsländer, und steht mit seinen
hegemonialen Ansprüchen nach wie vor im Widerspruch zu verschiedenen Teilen
der Welt. Um Doktrinen aufzugeben, die in jedem internationalen Abkommen
enthalten sind, brauchen wir eine Revision und einen Drehpunktwechsel für die
globale Integration – nicht nur im Hinblick auf die Einbindung ausländischer
Investitionen in unsere Volkswirtschaften, sondern auch auf die Mobilisierung
unserer Märkte, und vor allem auf die Fähigkeit der Regierungen der Länder
dieser Region, der ich angehöre, in diesem neuen Weltszenario zu manövrieren.
Denn es ist klar, daß diese Veränderungen in der Weltwirtschaft uns neue
Wachstumsmöglichkeiten bieten.
Ich habe bereits in früheren Beiträgen darauf hingewiesen, daß die „grüne“
Produktion und die erneuerbaren Energien, die auch heute noch als
„Notwendigkeit“ angepriesen werden, nicht die erwarteten Ergebnisse in Bezug
auf den Handel und die Warenausfuhr gebracht haben und sich weiterhin auf den
Handel mit Rohstoffen konzentrieren, was zu einem Rückgang der
Industrialisierungstendenzen in unserer Region geführt hat und Finanzströme in
Steuerparadiese gelenkt hat.
Diese neuen „neokolonialen Imperative“ kann man heute in den Putschen in
Bolivien, Peru und der Situation um das Volk der Mapuche in Argentinien sehen,
erleben und dokumentieren, wo das eindeutige Ziel darin besteht, Konflikte zu
bewaffnen und zu finanzieren, institutionelle Handlungsunfähigkeit in unserer
Region und unseren Ländern zu provozieren und einen Prozeß des Zerfalls und
des Verlusts der Kontrolle über unsere natürlichen Ressourcen anzuheizen.
Ich habe an dieser Stelle und bei anderen Gelegenheiten vorgeschlagen, daß
transformative Maßnahmen, wie wir sie in Argentinien von 2003 bis 2012
umgesetzt haben, mit einer schrittweisen Entdollarisierung unserer
Volkswirtschaften einhergehen müssen, damit die Grundausgaben, die
Kapitalausgaben, die Ausgaben für wesentliche öffentliche Dienstleistungen und
die Warenkosten im allgemeinen, die beim heutigen Lohngefälle eine wichtige
Rolle spielen, unsere Währung widerspiegeln können. Solange das nicht
geschieht, gibt es keine Chance auf politische Stabilität und klare
Spielregeln. Und das wird nicht durch Förderung der „Belastbarkeit“ erreicht,
sondern vielmehr, wie Dennis Small in seinem Wochenbericht vom 7. April
hervorhob, als er vorschlug, Titel 14 der neuen außenpolitischen Erklärung der
Russischen Föderation zur Kenntnis zu nehmen, nämlich die Verteidigung des
Rechts auf Existenz und der Freiheit zur Entwicklung, und zu diesem Zweck
eindeutig alle verfügbaren Mittel zu nutzen.
Wie Dennis in Bezug auf den Fall der Credit Suisse betonte, steht die
Souveränität eines Landes auf dem Spiel, wenn es sich dem Finanzkasino
unterwirft.
Das Streben nach Transaktionen in lokalen Währungen sollte das Gebot der
Stunde sein, und sie sollten auf der Grundlage einer Bewertung der natürlichen
Ressourcen eines jeden Landes, die die physische Wirtschaft eines souveränen
Staates ausmachen, erfolgen.
Meines Erachtens ist die Entdollarisierung der regionalen Volkswirtschaften
die einzige Möglichkeit, die von den Vereinigten Staaten aufgezwungene
„unipolare Welt“ zu beenden. Auf dem Weg dahin spielen die internationale
Zusammenarbeit im Rahmen der Neuen Seidenstraße und die Stärkung der BRICS
eine große Rolle und kann viel zu einer solchen Auflösung der Blöcke
beitragen.
Die BRICS und die Entwicklungsländer müssen ihre eigene Finanzarena
entwickeln, ihre eigenen Kreditmechanismen schaffen und versuchen, die Welt
auf Multilateralismus und eine umfassende Reform der lateinamerikanischen
Wirtschaftsinfrastruktur auszurichten; dies wird eine stärkere regionale
Integration und Süd-Süd-Kooperation fördern, wo der Zustand der unausgewogenen
Produktionsstrukturen zum Maßstab und Ausgangspunkt einer neuen Realität wird,
die wir für die Herausforderung einer transformativen Zukunft leben und
gestalten müssen.
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