Adolfo Pérez Esquivel, argentinischer Friedensnobelpreisträger
1980, übermittelte die folgende Grußbotschaft an die Konferenz des
Schiller-Instituts, die von Juan Carrero aus Spanien, dem Präsidenten der
Stiftung S’Olivar, vorgestellt wurde.
Guten Tag! Mein Name ist Juan Carrero, Präsident der Stiftung S'Olivar mit
Sitz auf Mallorca. Mir wird heute eine doppelte Ehre zuteil. Zum einen habe
ich die Ehre, eine Botschaft von Adolfo Pérez Esquivel zu übermitteln, der
nicht nur seit einem halben Jahrhundert unser lieber Weggefährte und Lehrer in
der Bewegung für Gewaltlosigkeit, sondern auch internationaler Präsident von
SERPAJ, dem Servicio Paz y Justicia, ist, der die Völker auf dem Weg der
Gerechtigkeit und des Friedens begleitet.
Seine wertvollen Bemühungen in Lateinamerika wurden 1980 zu Recht mit dem
Friedensnobelpreis gewürdigt; damals herrschten noch andere Zeiten im
Nobel-Institut und im norwegischen Parlament. Seitdem ist Esquivels
Großzügigkeit nur noch gewachsen. Es gibt kein globales Anliegen, dem er
gleichgültig gegenübersteht. Neben vielen anderen internationalen Engagements
hat er uns bei unseren Bemühungen um Frieden, Gerechtigkeit, Wahrheit und
Versöhnung in Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo, dem Schauplatz der
größten Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg, stets tatkräftig unterstützt.
Um unsere Bemühungen zu unterstützen, schlug er mich sogar mehrere Jahre
lang für den Friedensnobelpreis vor, und so wurde ich mit seiner Hilfe der
spanische Kandidat mit der größten Unterstützung aller Zeiten: von der
einstimmigen Unterstützung durch das spanische Parlament bis zur Unterstützung
durch Tausende von Institutionen, Persönlichkeiten und Organisationen.
Zusammen mit Lanza del Vasto, dem direkten Schüler Mahatma Gandhis in
Europa, war Adolfo für meine Frau Susana und mich das Bindeglied, das uns für
alle Zeiten untrennbar mit Mahatma Gandhi und Dr. Martin Luther King
verbindet. Uns sind beide eine stets lebendige Präsenz, die uns immer tief
bewegt und in unserem Leben auf überraschende und wirksame Weise gegenwärtig
ist.
Meine zweite Ehre ist, wie gesagt, Adolfos Botschaft einem so wichtigen
Ereignis wie der heutigen Konferenz des Schiller-Instituts zu übermitteln.
Hier ist also die Botschaft von Adolfo [Pérez Esquivel] zur Unterstützung
dieser Konferenz – eine Botschaft, die er durch mich an Sie alle übermitteln
will:
„Ich sende eine Umarmung des Friedens und der Güte, Juan, die die Welt in
diesen Zeiten der Unsicherheit so sehr braucht. Eine Welt, die alles tun muß,
um einen weiteren Krieg, diesmal einen Atomkrieg, zu vermeiden.
Was ich zu dieser Konferenz des Schiller-Instituts beitragen kann, ist mein
Aufruf an die Vereinten Nationen, mutig aufzustehen und die Völker der Welt
zum Widerstand aufzurufen, um dem Krieg ein Ende zu setzen und nicht länger
eine Marionette der Großmächte zu sein.
Die Welt steht am Rande des Wahnsinns, weil die Machthaber ihre eigenen
politischen, wirtschaftlichen und strategischen Vorherrschaftsinteressen über
das Leben stellen. Wir befinden uns an einem Wendepunkt, an dem dramatische
und entscheidende Veränderungen in der Welt stattfinden, die einen hohen Preis
in Form von Menschenleben, Hunger, Krankheiten und der Zerstörung von Mutter
Erde fordern.
Es gibt zahlreiche Appelle, Frieden zu schaffen: von der Stimme von Papst
Franziskus über die Appelle von Persönlichkeiten und Regierungen bis hin zum
Aufschrei der Menschen. Wir schließen uns täglich diesen Forderungen nach
Frieden an. Wir müssen eine politische, aber vor allem eine humanitäre Lösung
finden, um die zahlreichen Kriege zu beenden, die in der Welt geführt werden.
Über viele dieser Kriege wird geschwiegen, wie z. B. über die Kriege in Israel
und Palästina, in Armenien und in verschiedenen afrikanischen Ländern.
Was den für die gesamte Menschheit so gefährlichen Krieg in der Ukraine
betrifft, so gibt es mehrere Vorschläge, wie ein konstruktiver Dialog zustande
kommen und der Krieg beendet werden kann. Aber leider wollen die Kriegsherren
nichts davon hören, und sie fahren fort, ihre Waffen- und Geldlieferungen an
die Ukraine zu erhöhen und den Konflikt anzuheizen. Es handelt sich um einen
Krieg, der von Großmächten wie den Vereinigten Staaten und der NATO sowie von
strategischen und politischen Interessen provoziert wird, die ihre weltweite
Hegemonie sichern wollen.
Die Welt ist im Wandel, und wenn wir überleben und unseren Planeten Erde,
unser gemeinsames Haus, retten wollen, brauchen wir einen neuen Sozialpakt des
Zusammenlebens zwischen den Menschen und Mutter Erde. Um dies zu erreichen,
muß das Gleichgewicht wiederhergestellt werden, das heute nicht mehr besteht
und die Menschheit der sozialen Gewalt unterwirft. Die Besonnenheit, die
Beziehungen zwischen den Völkern und die Spiritualität sind verlorengegangen.
Wir stehen vor der Verbannung Gottes, seinem Exil.
Die Vereinten Nationen sind eine Kammer ohne Echo, die von den Vereinigten
Staaten geleitet wird. Und die OAS ist eine koloniale Organisation. Europa hat
seine Stimme verloren und ist zu einer kolonialen Enklave der Vereinigten
Staaten geworden.
Um eine Verhandlungslösung für die Kriege zu finden, ist es notwendig und
dringend, daß Religionen, Kirchen, Tempel, Moscheen, Synagogen und Klöster zu
Gebets- und Aktionstagen aufrufen. Gewerkschaften und soziale Organisationen
sollten Aktionen vorschlagen. Die UNESCO, Pädagogen, Wissenschaftler und
Kommunikationsfachleute müssen sich an der Rebellion des Gewissens gegen den
Krieg beteiligen und Frieden fordern. Wir alle müssen unsere Stimmen und
Aktionen mit denen anderer verbinden, die den gleichen Weg gehen, bevor es zu
spät ist.
Wir müssen uns an die Vergangenheit erinnern, um die Gegenwart zu
erleuchten. Hiroshima und Nagasaki gehören nicht der Vergangenheit an. Die
Menschheit leidet noch immer unter den Schrecken der Konzentrationslager, dem
Holocaust und den Massakern.
Die Mächte drohen mit dem Einsatz von Atomwaffen. Was können wir tun? Denen
zurufen, die nicht hören wollen? Schreien, wo die Telefone und alle
Verbindungen unterbrochen sind? Sie hören nur auf sich selbst.
Aber wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren, daß eine andere Welt möglich
ist, wenn wir unsere Anstrengungen und unseren Willen zum Frieden vereinen.
Nicht Frieden als bloße Abwesenheit von Kriegen und Konflikten, sondern als
Frucht der Gerechtigkeit in brüderlichen Beziehungen zwischen Menschen und
Nationen.
Um den Krieg zu beenden, ist eine Rebellion der Völker notwendig. Die am
Krieg beteiligten Regierungen haben andere Ziele und Kriterien, um ihre
Herrschaftsmacht zu stärken. Soweit es um ihre persönlichen Interessen geht,
zählen die Menschen nicht. Wir müssen zu einem weltweiten Tag der Rebellion
aufrufen und ein Ende der Kriege fordern, damit die Waffen zu Pflugscharen
umgewandelt werden, wie der Prophet Jesaja vor Tausenden von Jahren verkündet
hat.
Die Vereinten Nationen müssen sich gegen den herrschenden Totalitarismus
auflehnen und eine Generalversammlung der Völker einberufen, die den Frieden
wollen. Sie müssen den Kriegen und der Heuchelei der Herrschenden ein Ende
setzen. Sie müssen ihre eigene Präambel umsetzen: ,Wir, die Völker der Welt,
wollen den Frieden.'
Retten wir das Leben auf dem Planeten, unserem gemeinsamen Zuhause. Wir
können nicht länger nur zuschauen; wir müssen eine Rebellion der Werte und des
Geistes starten, um diese Realität zu verändern, die die gesamte Menschheit
überwältigt.
Juan, Sie haben meine ganze Solidarität und Unterstützung bei dieser
gemeinsamen Herausforderung, zusammen mit so vielen Brüdern und Schwestern in
der Welt Frieden zu schaffen. Ich wünsche allen Teilnehmern der Konferenz viel
Kraft und Hoffnung. Ich verbinde meine Stimme mit der der gesamten Menschheit.
– Adolfo Pérez Esquivel
Buenos Aires, 11. April 2023.“