Wir müssen Amerika verändern, um einen Krieg zu verhindern
Von Botschafter Chas Freeman
Im Rahmen der Konferenz wurden die folgenden Ausschnitte aus
einem Video-Interview gezeigt, das Chas Freeman, ehemaliger Botschafter der
Vereinigten Staaten in Saudi-Arabien und ehemaliger stellvertretender Leiter
der US-Mission in China, wenige Tage zuvor Michael Billington vom Magazin
Executive Intelligence Review und dem Schiller-Institut gegeben
hatte.
Frage: Letzte Woche haben die NATO und die USA beschlossen,
Leopard-2- und M1-Abrams-Panzer in der Ukraine einzusetzen. Wie wird sich dies
auf die militärische Lage vor Ort auswirken? Wie reagiert Rußland insbesondere
auf die Vorstellung, daß wieder deutsche Panzer in sein Territorium
eindringen?
Botschafter Chas Freeman: Die militärischen Auswirkungen
werden kurzfristig minimal sein, da die Panzer nicht vor Ort sein werden. Es
wird Monate dauern, bis sich die ukrainischen Soldaten mit der Bedienung
dieser Panzer vertraut gemacht haben und, was noch wichtiger ist, wie man sie
wartet. Panzer haben die unangenehme Angewohnheit, recht häufig kaputtzugehen
und an Ort und Stelle repariert werden zu müssen. Es ist nicht klar, inwieweit
die Ukrainer in der Lage sein werden, diese speziellen Panzer zu beherrschen,
im Gegensatz zu denen, mit denen sie bereits vertraut sind.
Auf längere Sicht sind Panzer natürlich offensive Instrumente. Sie sind in
der Lage, die feindlichen Linien zu durchbrechen und der Infanterie das
Vorrücken zu ermöglichen. Sie gelten im allgemeinen nicht als defensiv, sie
hängen also mit der ukrainischen Vorstellung von einer Art Gegenoffensive
gegen die russischen Stellungen in der Ukraine zusammen.
Andererseits wird sich die Lage auf dem Schlachtfeld wahrscheinlich bereits
ganz anders darstellen, wenn sie dort ankommen. Wir stehen am Vorabend eines
offenbar größeren russischen Vorstoßes gegen die Ukrainer, sowohl im Osten als
auch im Süden. Im Süden ist der Boden gefroren, sodaß schwere Fahrzeuge und
Panzer durch den sonst ziemlich undurchdringlichen Schlamm vorrücken
können.
Was das Auftauchen deutscher Panzer in der Ukraine anbelangt, so kann man
das aus mehreren Perspektiven betrachten. Es wird in Rußland natürlich alle
möglichen unangenehmen Erinnerungen an das letzte Mal wachrufen, als deutsche
Panzer an Rußlands Grenzen auftauchten.
Aber abgesehen davon ist es ein weiterer wichtiger Beweis dafür, daß
Deutschland den Pazifismus aufgegeben hat, den ihm der Zweite Weltkrieg
auferlegt hat. Deutschland wird damit zur Kriegspartei, und das war etwas, was
die deutsche Regierung offensichtlich nur sehr ungern getan hat, obwohl sie
sich der Bedeutung dieses Schrittes bewußt war. Und Tatsache ist, daß ein
remilitarisiertes Deutschland nicht nur für die Russen, sondern auch für viele
andere Europäer wegen der Erinnerungen an die Vergangenheit von Bedeutung sein
wird.
Das ist also ein wichtiger politischer Moment, der große Auswirkungen auf
die europäische Sicherheit hat. Und es ist nicht klar, wohin wir uns damit
bewegen…
China und der Nahe Osten
Frage: Sie haben oft über die Rolle Chinas im Nahen Osten
gesprochen. Wie verändert China den Nahen Osten und auch Afrika ganz
allgemein? Wie beurteilen Sie Chinas Einfluß auf die Politik und die
Entwicklungen in diesem Teil der Welt?
Freeman: China war immer sehr darauf bedacht, sich aus den
regionalen Streitigkeiten, die den Nahen Osten belasten, herauszuhalten. So
steht es zum Beispiel rhetorisch klar auf der Seite der Palästinenser,
unterhält aber dennoch freundschaftliche Beziehungen zur israelischen
Regierung. Es unterhält eine sehr produktive Arbeitsbeziehung mit dem Iran,
aber auch mit den arabischen Golfstaaten am Persischen Golf bestehen ähnliche
Beziehungen.
Chinas Politik ähnelt insofern der Politik der Vereinigten Staaten kurz
nach deren Gründung als unabhängiges Land. Es sucht Freundschaft und Handel
mit allen und verwickelt sich mit niemandem in Allianzen. Diese Politik hat
sich für uns im 19. Jahrhundert sehr bewährt, und sie funktioniert auch für
China recht gut.
Ich glaube nicht, daß sich der Nahe Osten durch China wesentlich verändert
oder daß China überhaupt das Bestreben hat, den Nahen Osten zu verändern.
Seine Forderungen an die Regierungen des Nahen Ostens sind minimal. Es sagt
nichts dazu, wie sie ihre Innenpolitik oder ihre Gesellschaft organisieren. Es
verlangt lediglich, daß sie Chinas Ein-China-Politik in Bezug auf Taiwan nicht
in Frage stellen.
Im übrigen ist China offen für Geschäfte und versucht, diese zu
fördern.
Der einzige Bereich, in dem sich größere Veränderungen abzeichnen könnten,
ist die Rüstungsindustrie. Viele Länder im Nahen Osten, nicht nur Israel, das
über einen sehr bedeutenden militärischen Hightech-Industriesektor verfügt,
möchten ihre eigene Rüstungsindustrie aufbauen, um die Abhängigkeit von
ausländischen Importen zu verringern, nachdem sie die Erfahrung gemacht haben,
daß ausländische Lieferanten Exporte mit einem Embargo belegten oder in einer
Weise aussetzten, die ihrer Sicherheit, wie sie sie verstehen, schadet. Und
ich glaube, daß die Chinesen eher als westliche Länder bereit sein werden,
Technologie in der Rüstungsindustrie mit Ländern wie Saudi-Arabien und den
Vereinigten Arabischen Emiraten und so weiter zu teilen. In diesem Maße wird
China in der Region etwas verändern.
Ansonsten ist China vollkommen zufrieden damit, daß die Menschen in der
Region so bleiben, wie sie sind. Wir sind überzeugt und ich bin überzeugt, daß
die Demokratie in vieler Hinsicht ein sehr gutes und wünschenswertes System
ist. Aber wenn Menschen in anderen Ländern hierin nicht mit mir
übereinstimmen, ist das ihr gutes Recht, und ich denke, die Chinesen verdienen
Respekt dafür, daß sie das tun, wofür Präsident Kennedy einst eintrat, nämlich
zu versuchen, die Welt sicher für Vielfalt zu machen.
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