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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Wir müssen Amerika verändern, um einen Krieg zu verhindern

Von Botschafter Chas Freeman

Im Rahmen der Konferenz wurden die folgenden Ausschnitte aus einem Video-Interview gezeigt, das Chas Freeman, ehemaliger Botschafter der Vereinigten Staaten in Saudi-Arabien und ehemaliger stellvertretender Leiter der US-Mission in China, wenige Tage zuvor Michael Billington vom Magazin Executive Intelligence Review und dem Schiller-Institut gegeben hatte.

    Frage: Letzte Woche haben die NATO und die USA beschlossen, Leopard-2- und M1-Abrams-Panzer in der Ukraine einzusetzen. Wie wird sich dies auf die militärische Lage vor Ort auswirken? Wie reagiert Rußland insbesondere auf die Vorstellung, daß wieder deutsche Panzer in sein Territorium eindringen?

Botschafter Chas Freeman: Die militärischen Auswirkungen werden kurzfristig minimal sein, da die Panzer nicht vor Ort sein werden. Es wird Monate dauern, bis sich die ukrainischen Soldaten mit der Bedienung dieser Panzer vertraut gemacht haben und, was noch wichtiger ist, wie man sie wartet. Panzer haben die unangenehme Angewohnheit, recht häufig kaputtzugehen und an Ort und Stelle repariert werden zu müssen. Es ist nicht klar, inwieweit die Ukrainer in der Lage sein werden, diese speziellen Panzer zu beherrschen, im Gegensatz zu denen, mit denen sie bereits vertraut sind.

Auf längere Sicht sind Panzer natürlich offensive Instrumente. Sie sind in der Lage, die feindlichen Linien zu durchbrechen und der Infanterie das Vorrücken zu ermöglichen. Sie gelten im allgemeinen nicht als defensiv, sie hängen also mit der ukrainischen Vorstellung von einer Art Gegenoffensive gegen die russischen Stellungen in der Ukraine zusammen.

Andererseits wird sich die Lage auf dem Schlachtfeld wahrscheinlich bereits ganz anders darstellen, wenn sie dort ankommen. Wir stehen am Vorabend eines offenbar größeren russischen Vorstoßes gegen die Ukrainer, sowohl im Osten als auch im Süden. Im Süden ist der Boden gefroren, sodaß schwere Fahrzeuge und Panzer durch den sonst ziemlich undurchdringlichen Schlamm vorrücken können.

Was das Auftauchen deutscher Panzer in der Ukraine anbelangt, so kann man das aus mehreren Perspektiven betrachten. Es wird in Rußland natürlich alle möglichen unangenehmen Erinnerungen an das letzte Mal wachrufen, als deutsche Panzer an Rußlands Grenzen auftauchten.

Aber abgesehen davon ist es ein weiterer wichtiger Beweis dafür, daß Deutschland den Pazifismus aufgegeben hat, den ihm der Zweite Weltkrieg auferlegt hat. Deutschland wird damit zur Kriegspartei, und das war etwas, was die deutsche Regierung offensichtlich nur sehr ungern getan hat, obwohl sie sich der Bedeutung dieses Schrittes bewußt war. Und Tatsache ist, daß ein remilitarisiertes Deutschland nicht nur für die Russen, sondern auch für viele andere Europäer wegen der Erinnerungen an die Vergangenheit von Bedeutung sein wird.

Das ist also ein wichtiger politischer Moment, der große Auswirkungen auf die europäische Sicherheit hat. Und es ist nicht klar, wohin wir uns damit bewegen…

China und der Nahe Osten

    Frage: Sie haben oft über die Rolle Chinas im Nahen Osten gesprochen. Wie verändert China den Nahen Osten und auch Afrika ganz allgemein? Wie beurteilen Sie Chinas Einfluß auf die Politik und die Entwicklungen in diesem Teil der Welt?

Freeman: China war immer sehr darauf bedacht, sich aus den regionalen Streitigkeiten, die den Nahen Osten belasten, herauszuhalten. So steht es zum Beispiel rhetorisch klar auf der Seite der Palästinenser, unterhält aber dennoch freundschaftliche Beziehungen zur israelischen Regierung. Es unterhält eine sehr produktive Arbeitsbeziehung mit dem Iran, aber auch mit den arabischen Golfstaaten am Persischen Golf bestehen ähnliche Beziehungen.

Chinas Politik ähnelt insofern der Politik der Vereinigten Staaten kurz nach deren Gründung als unabhängiges Land. Es sucht Freundschaft und Handel mit allen und verwickelt sich mit niemandem in Allianzen. Diese Politik hat sich für uns im 19. Jahrhundert sehr bewährt, und sie funktioniert auch für China recht gut.

Ich glaube nicht, daß sich der Nahe Osten durch China wesentlich verändert oder daß China überhaupt das Bestreben hat, den Nahen Osten zu verändern. Seine Forderungen an die Regierungen des Nahen Ostens sind minimal. Es sagt nichts dazu, wie sie ihre Innenpolitik oder ihre Gesellschaft organisieren. Es verlangt lediglich, daß sie Chinas Ein-China-Politik in Bezug auf Taiwan nicht in Frage stellen.

Im übrigen ist China offen für Geschäfte und versucht, diese zu fördern.

Der einzige Bereich, in dem sich größere Veränderungen abzeichnen könnten, ist die Rüstungsindustrie. Viele Länder im Nahen Osten, nicht nur Israel, das über einen sehr bedeutenden militärischen Hightech-Industriesektor verfügt, möchten ihre eigene Rüstungsindustrie aufbauen, um die Abhängigkeit von ausländischen Importen zu verringern, nachdem sie die Erfahrung gemacht haben, daß ausländische Lieferanten Exporte mit einem Embargo belegten oder in einer Weise aussetzten, die ihrer Sicherheit, wie sie sie verstehen, schadet. Und ich glaube, daß die Chinesen eher als westliche Länder bereit sein werden, Technologie in der Rüstungsindustrie mit Ländern wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten und so weiter zu teilen. In diesem Maße wird China in der Region etwas verändern.

Ansonsten ist China vollkommen zufrieden damit, daß die Menschen in der Region so bleiben, wie sie sind. Wir sind überzeugt und ich bin überzeugt, daß die Demokratie in vieler Hinsicht ein sehr gutes und wünschenswertes System ist. Aber wenn Menschen in anderen Ländern hierin nicht mit mir übereinstimmen, ist das ihr gutes Recht, und ich denke, die Chinesen verdienen Respekt dafür, daß sie das tun, wofür Präsident Kennedy einst eintrat, nämlich zu versuchen, die Welt sicher für Vielfalt zu machen.