China überwindet durch Entwicklung
die Nutzung der US-Diplomatie als Waffe
Von Graham Fuller
Graham Fuller war 27 Jahre lang CIA-Beamter und unter anderem
als stellvertretender Vorsitzender des National Intelligence Council für den
Nahen Osten und Südasien zuständig für die nationalen Langfristprognosen der
Vereinigten Staaten für den Nahen Osten. (Übersetzung aus dem Englischen.)
Ich denke, daß viele Menschen, die die amerikanische Politik gegenüber dem
Nahen Osten seit Jahren beobachten, verzweifelt sind, weil wir es nicht
richtig gemacht haben. Wir haben erfolglose Kriege in Afghanistan geführt und
erfolglose und sehr blutige Kriege im Jemen unterstützt, ganz zu schweigen von
anderen Teilen der Welt.
Ich denke daher, daß dies oft von einem amerikanischen ideologischen Ansatz
angetrieben wurde, oder zumindest einem nominell ideologischen Ansatz, wo wir
sagen, daß wir auf der Seite von Demokratie und Menschenrechten gegen all jene
Staaten kämpfen, die diese Werte anscheinend nicht achten.
Obwohl ich sehr dafür bin, Sie sicher auch – und ich bin mir sicher, daß
die meisten Menschen und die meisten Staatschefs im Prinzip Demokratie und
Menschenrechte in irgendeiner Form befürworten würden –, fürchte ich, daß die
Vereinigten Staaten tatsächlich diese Konzepte als Waffe gegen Staaten
eingesetzt haben, die wir nicht mögen, wie Rußland, wie China, wie Iran, wie
Kuba. Die Liste der Staaten, mit denen wir nicht reden wollen, läßt sich
fortsetzen. Aber wir schenken unseren Freunden und Verbündeten nie oder nur
selten Demokratie und Menschenrechte. Wir lassen sie gewähren, wie
Saudi-Arabien oder andere Staaten, in denen es nicht den geringsten Anschein
von Demokratie gibt.
Der sehr heuchlerische Ansatz der amerikanischen Politik hat sie meiner
Meinung nach geschwächt und sie zudem auf eine ideologische Ebene gestellt,
die China überwinden konnte, indem es sagte: „Wir haben keine Ideologie“.
Ironischerweise handelt es sich hier um einen ehemaligen oder sogar technisch
gesehen immer noch kommunistischen Staat, der aber behauptet, er habe keine
ideologischen Ziele in der Welt, außer eine stabilere Welt und wirtschaftliche
Vorteile für alle zu entwickeln, was auch China zugute kommt. Das war bisher
eine erfolgreiche Formel für China, und ich denke, das wird sich mit der Zeit
noch verstärken.
Aber wir bleiben unterdessen bei einem quasi militärischen Ansatz, der die
Diplomatie ausschließt, zugunsten härterer militärischer und wirtschaftlicher
Sanktionen mit harter Hand.
Die Vereinigten Staaten sind in vielerlei Hinsicht zum militärischen
Instrument geworden, einfach weil wir mit Abstand das größte Militär der Welt
haben. Unser Militärbudget ist größer als das der nächsten acht Länder der
Welt zusammen. Wenn man also ein so großes Militär hat, „warum sollen wir es
dann nicht nutzen?“ – wie Madeleine Albright einmal fragte.
Ich denke, wenn es um echte Gefahr geht, können wir es einsetzen und müssen
es vielleicht auch einsetzen. Aber die meiste Zeit würde man es lieber ruhen
lassen und auf diplomatischem Wege vorgehen. Doch wir haben zugelassen, daß
unsere Diplomatie als Instrument der amerikanischen Politik verkümmert. Und
damit haben wir China, das ständig darüber redet und Diplomatie zielgerichtet
einsetzt, eine große Öffnung gelassen.
Es war und ist für die Vereinigten Staaten sehr schwer, der Tatsache ins
Auge zu sehen, daß sie zwar die einzige Supermacht der Welt sind – das ist in
rein militärischer Hinsicht richtig, aber nicht mehr in wirtschaftlicher oder
anderer Hinsicht. Es ist sehr schwer für die USA, das aufzugeben – diesen
Stolz, diese Position in der Welt einzunehmen, daß wir überall auf der Welt
das Sagen haben, daß uns niemand sonst in dieser Hinsicht wirklich blockieren
kann. Das wird ein schmerzhafter Niedergang sein, wenn Sie so wollen, wenn wir
das allmählich aufgeben.
Aber ich glaube nicht, daß es nur darum geht, ob wir, die Vereinigten
Staaten, uns entscheiden, es aufzugeben, sondern daß sich die Realität in der
Welt verschiebt. China ist jetzt die größte Industriemacht der Welt. Das ist
etwas ganz Neues für die Vereinigten Staaten, dem sie sich stellen müssen.
Andere Länder entwickeln sich wirtschaftlich. Wir alle kennen die
BRICS-Staaten im globalen Süden: Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika.
Andere Staaten wollen dieser neuen Organisation beitreten. Die Türkei möchte
das. Saudi-Arabien möchte das. Der Iran möchte das. Sie stehen dafür
Schlange.
Das entzieht Washington wirklich viel wirtschaftliche Macht. Es wirkt sich
vor allem auf unsere Fähigkeit aus, andere Länder zu sanktionieren. Diese
Sanktionen werden immer weniger wirksam sein, vom Krieg einmal abgesehen.
Ich denke also, daß diese Realität Washington letztendlich zwingen wird, zu
erkennen, daß diese Welt nicht mehr dieselbe ist, in der wir einst zu leben
glaubten. Und wir werden unsere Autorität an vielen, vielen Orten widerwillig
aufgeben und uns einer geschickteren Diplomatie zuwenden müssen, als nur einer
Militär- oder Sanktionspolitik. Aber das wird sehr schmerzhaft sein. Wir sind
wie ein gealterter Boxer, der zurück in den Ring steigen will, um zu zeigen,
daß wir immer noch die Nummer eins sind, aber das wird immer schwieriger.
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