Eine neue Weltordnung der Entwicklung für alle Nationen
Von Michelle Rasmussen,
Vizepräsidentin des Schiller-Instituts in Dänemark
Die pakistanische Staatsministerin für Auswärtige
Angelegenheiten Hina Rabbani Khar und Helga Zepp-LaRouche tauschten sich aus
über die Weltlage.
I.E. Hina Rabbani Khar ist eine führende Politikerin Pakistans, die als
Außenministerin (2011-13), Staatsministerin für Finanzen (2008-11) und
Staatsministerin für Wirtschaft (2003-07) sowie als Parlamentsabgeordnete
tätig war. Sie vertritt die Pakistanische Volkspartei (PPP). Khar ist Zweite
Ministerin im Außenministerium nach dem Außenminister. Die pakistanische
Botschaft in Dänemark lud das Schiller-Institut zu einem Gespräch mit ihr ein,
an dem die Gründerin und Präsidentin des Schiller-Instituts, Helga
Zepp-LaRouche, per Videoschaltung teilnahm. Ebenfalls anwesend waren der
Präsident und die Vizepräsidentin des Schiller-Instituts in Dänemark, Tom
Gillesberg und Michelle Rasmussen. Während des Treffens kam es zu dem
folgenden, 15-minütigen Austausch zwischen Hina Rabbani Khar und Helga
Zepp-LaRouche, der zur Veröffentlichung freigegeben wurde.
Michelle Rasmussen: (…) Im Namen des Schiller-Instituts
möchte ich sagen, daß ich mich sehr geehrt fühle, daß [die Geschäftsträgerin
der pakistanischen Botschaft in Dänemark] Dr. Shomaila Usman uns zu einem
Dialog mit Ihrer Exzellenz, Frau Khar, Staatsministerin für Auswärtige
Angelegenheiten, eingeladen hat, und ich möchte kurz Helga Zepp-LaRouche
vorstellen. Sie gründete 1984 das Schiller-Institut, dessen internationale
Vorsitzende sie ist. Sie war mit dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler
und Staatsmann Lyndon H. LaRouche jr. verheiratet, der 2019 im Alter von 96
Jahren verstarb.
Seit den 1970er Jahren leiteten beide eine internationale Kampagne zur
Schaffung einer neuen, gerechten Weltwirtschaftsordnung. Nach dem Fall der
Berliner Mauer 1989 schlugen sie vor, eine Eurasische Landbrücke quer durch
Eurasien zu bauen, die sie auch Neue Seidenstraße nannten. Und das Prinzip
lautet „Frieden durch wirtschaftliche Entwicklung“.
Dieses Prinzip ist eingebettet in Frau Zepp-LaRouches „Zehn Prinzipien für
eine neue internationale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur“ – ihre
Antwort auf die globale Krise, mit der wir konfrontiert sind, mit dem
eskalierenden Krieg und den Folgen.
Damit übergebe ich Ihnen, Frau Ministerin Khar, das Wort.
Ministerin Khar: Ich danke Ihnen. Ich möchte mich in der
Zeit, die uns zur Verfügung steht, wirklich gerne auszutauschen und daraus
eine interaktive Diskussion machen. Und Sie können mir gerne sagen, wenn ich
ein spezielles Thema ansprechen soll, sei es die regionale Lage, sei es die
Art und Weise, wie wir, der sogenannte „Rest“ – der Nicht-Westen – auf das
schauen, was im Westen passiert, denn wir haben durchaus unsere Sicht auf das,
was passiert (lacht).
Ich war gerade beim European Council on Foreign Relations. Dort wurde mir
die Frage gestellt: „Für wen wird sich Pakistan entscheiden? Wie sehen Sie
das?“ Aber ich antwortete: „Wie konnte es zu einer Welt kommen, in der
souveräne Länder gefragt werden: ,Auf welcher Seite steht ihr?‘ Wir stehen auf
unserer eigenen Seite! Wir müssen uns nicht für eine Seite entscheiden, wir
haben bereits eine Seite gewählt: Unsere Seite ist die pakistanische.“ Und
manchmal werden unsere Interessen, unser Wertesystem mit dem übereinstimmen,
was ein Land in der Welt vorhat oder was es in der Welt tut, und manchmal wird
es mit einem anderen Land übereinstimmen. Und manchmal wird es mit einer
Gruppe von Ländern übereinstimmen, und manchmal mit einer anderen.
Was uns jetzt in gewisser Weise droht, ist folgendes: In den letzten
Jahrzehnten, der Zeit nach 1945, wurde wohl allen Entwicklungsländern immer
gesagt, wir seien Teil eines „globalen Dorfes“, und „egal ob eure Unternehmen
dafür bereit sind oder nicht, Freihandel sei der richtige Weg, ihr müßt eure
Märkte öffnen“ – freier Austausch von Menschen, Informationen, Investitionen
und all das. Doch plötzlich sagt man uns: „Nein, nein, nein. Jetzt müssen wir
Zäune errichten, und einige Investitionen sind gut, aber andere sind schlecht;
in einigen Fällen ist Handel gut, in anderen schlecht.“
Das erscheint doch ziemlich zwiespältig, und sogar ein bißchen -- ich will
das Wort, das mir hier in den Sinn kommt, lieber nicht benutzen. An diesem
Punkt stehen wir.
Und ich denke, wir müssen auch respektieren, daß jeder von uns, jedes Land
– und das soll ja gerade die multilateralen Foren bereichern – seine eigenen
Lehren daraus gezogen hat, wie gewisse Entscheidungen auf der Welt getroffen
wurden.
Insbesondere die beiden Interventionen in Afghanistan, unmittelbar in
unserem Hinterhof, diese seit 40 Jahren andauernde Intervention des einen oder
des anderen Akteurs – das war sehr kostspielig. Die Aufmerksamkeit der Welt
verschwindet, die Kameras verschwinden, aber das Chaos durch diese
Interventionen bleibt!
Ich war auf dem Doha-Forum zu Afghanistan, das der UN-Sicherheitsrat und
der Generalsekretär organisiert haben, und viele Länder waren dort in
Feierlaune: „Nein, wir haben nicht versagt! Wir haben an den Sanktionen
festgehalten und dafür gesorgt, daß die Banken nicht arbeiten können, und wir
haben dafür gesorgt, daß sie [die Afghanen] keinen Zugang zu ihren
Devisenreserven haben.“ Daraufhin sagte ich: „Das ist praktisch wie eine
Strangulierung einer Volkswirtschaft, und wenn wir so weit gekommen sind, daß
wir es feiern, wenn Mädchen, die nicht zur Schule gehen können, auch nicht
ernährt werden können, soll das unsere Antwort auf ein Regime sein, mit dem
wir nicht einverstanden sind? Und das sind ja viele von uns nicht.“
Das ist also unsere Lage. Ein Land wie Pakistan, bestenfalls eine
Mittelmacht, steht vor vielen Herausforderungen: Wir müssen unsere Kinder
ernähren, sie ausbilden, sie entwickeln, und dafür sorgen, daß unser
Pro-Kopf-BIP steigt. Und inmitten dieser Herausforderungen gibt es zusätzlich
nicht nur weitere Herausforderungen, sondern katastrophale Ereignisse,
angefangen mit dem Klimawandel. Hinzu kommt COVID, was uns allen vor Augen
geführt hat, daß niemand sich innerhalb seiner Grenzen schützen kann. Grenzen
halten nichts auf, wenn es Pandemien gibt und wenn wir den Klimawandel haben.
Und was wir tun, hat keinen Einfluß darauf, welche Auswirkungen diese
katastrophalen Ereignisse haben! Egal, selbst wenn wir heute eine komplett
„grüne“ Politik machen, werden wir trotzdem noch die Leidtragenden sein!
Es ist also traurig – und ein bißchen unreif –, wenn wir gerade jetzt, wo
sich die Welt zusammensetzen und sagen sollte: „Was tun wir auf
internationaler Ebene für die Regulierung der Künstlichen Intelligenz, für die
Regulierung und Förderung von Klimaschutz und zur Vorbereitung auf das nächste
große Problem, das auf uns zukommen könnte?“, so sehr damit beschäftigt sind,
zu versuchen, die Welt immer mehr zu spalten.
Das waren meine zwei Minuten.
Helga Zepp-LaRouche: Zunächst möchte ich meine Freude darüber
zum Ausdruck bringen, mit Ihnen sprechen zu können. Ich habe schon viel von
Ihnen gehört, und ich denke, das ist heute eine sehr gute Gelegenheit.
Ich bin äußerst besorgt über die Gefahr eines Weltkrieges, die ganz akut
ist – die Gefahr, daß die Kombination aus der Eskalation der Ukraine-Krise und
den Bemühungen um den Aufbau einer Globalen NATO die Spannungen in der Welt
tatsächlich so weit erhöht, daß ein Weltkrieg durchaus möglich ist. Das ist
ein großes Thema.
Aber ich will mich nicht nur auf das allein konzentrieren, denn ich bin
überzeugt, daß gleichzeitig ein unglaubliches Potential vorhanden ist. (…)
Sie sollten wissen, daß mein verstorbener Mann, Lyndon LaRouche, 1975 die
Idee einer Internationalen Entwicklungsbank konzipierte, und wir haben darüber
mit allen Ländern der Blockfreien-Bewegung diskutiert und sie haben diesen
Vorschlag 1976 auf ihrem Gipfel in Colombo auf Sri Lanka praktisch
übernommen.
Aber das hat nicht funktioniert, obwohl die große Mehrheit der Welt eine
neue Weltwirtschaftsordnung wollte, weil die damaligen Möchtegern-Mächte die
beteiligten Länder destabilisierten: Indira Gandhi (Indien) wurde
destabilisiert; Sirimavo Bandaranaike (Sri Lanka) wurde aus dem Amt geputscht.
Ich weiß, daß auch Zulfikar Ali Bhutto (Pakistan) eine sehr tragische
Geschichte hatte. So war die Bewegung der Blockfreien Staaten lange Zeit kein
wirklicher Faktor auf der Welt.
Aber ich denke, daß in den letzten Jahren, vor allem wegen der Gürtel- und
Straßen-Initiative, das Potential für eine echte Entwicklung vorhanden ist. So
gibt es in Pakistan den CPEC, den Chinesisch-Pakistanischen
Wirtschaftskorridor, der ein Ausdruck davon ist, und das ist nur ein Beispiel
von vielen. Aber gleichzeitig gibt es eine umfassende Wiederbelebung der
Blockfreien-Bewegung und des Geistes von Bandung.1 Die Idee, daß es
möglich ist, den Kolonialismus ein für alle Mal zu beenden, ist wieder da.
Und ich glaube, darin liegt ein enormes Potential. Denn wenn man die Welt
nur aus der Sicht des Globalen Nordens und seines Konflikts mit Rußland und
China betrachtet, dann sieht die Sache fast aussichtslos aus. Wenn die Welt in
komplett getrennte Blöcke zerfällt, dann birgt dies, da bin ich ganz der
Ansicht von Dr. Mahathir aus Malaysia, auch die Gefahr eines Dritten
Weltkriegs.
Ich denke daher, daß die Länder des Globalen Südens – die die große
Mehrheit der Menschheit bilden und die derzeit in einer optimistischen
Stimmung sind, wie man zum Beispiel daran sieht, daß 30 Länder sich um die
Mitgliedschaft bei BRICS bewerben –, dieser Globale Süden braucht eine viel
stärkere Stimme. Denn wie Präsident Sukarno (Indonesien) und Premierminister
Nehru (Indien) in Bandung sagten: Wenn es zu einem Weltkrieg kommt, dann wird
das den Globalen Süden genauso treffen wie den Globalen Norden; die Menschen
dort werden vielleicht etwas später sterben, aber sie werden auch sterben.
Ich denke, das gibt dem Globalen Süden unbedingt das Recht, seine Stimme zu
erheben und sich Gehör zu verschaffen. Und deshalb habe ich diese neue globale
Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur vorgeschlagen, mit einem sehr
konkreten Vorschlag von Zehn Prinzipien, die ich Ihnen zur Kenntnis bringen
möchte, denn ich denke, daß dies etwas ist, das dringend in die Diskussion
eingebracht werden muß. Am Rande des Dritten Weltkriegs, am Rande eines
Zusammenbruchs des Finanzsystems der transatlantischen Welt, ist es wirklich
die Frage: Sind wir als einzige schöpferische Spezies, die es gibt – oder von
der wir wissen –, in der Lage, uns eine Ordnung zu geben, die das Überleben
aller Nationen und die Entwicklung aller Nationen ermöglicht? Soweit meine
Gedanken.
Ministerin Khar: Absolut, ich könnte Ihnen nicht mehr
zustimmen. Und ich denke, das spiegelt sich überall wider. Erst gestern war
ich beim European Council on Foreign Affairs. Und es war recht lustig, denn
ich sprach über etwas, was ich für allgemeine Logik, für gesunden
Menschenverstand hielt. Und dann kamen alle zu mir und sagten: „Es war so
erfrischend, Ihre Perspektive zu hören.“ Ich fand es gar nicht erfrischend. Es
hätte das Normalste auf der Welt sein sollen.
Worüber Sie gesprochen haben, werde ich schreiben. Ich schreibe einen
Artikel darüber, daß der Süden der neue Norden ist. Denn in gewisser Weise
erinnern wir die Welt an die Lektionen, die uns beigebracht wurden und die wir
nun nicht mehr verlernen können. Wir können das nicht – einfach blind in
Konflikte hineinlaufen oder uns lächelnd in Konflikte stürzen.
Ich sehe es so: Aus Wettbewerb wird eine Konfrontation, und daraus wird
dann vielleicht ein Konflikt. Und die anderen sehen, was wir sehen: daß hier
etwas fehlt, nämlich die Kooperation! Das ist einfach völlig out! Es ist fast
so, als ob die Welt nicht kooperieren kann, daß sie sich in zwei getrennte
Teile aufspaltet.
Ich werde Ihre Zehn Prinzipien lesen, und ich denke, es wird sich wirklich
lohnen, sie aufzugreifen und vielleicht in unsere Überlegungen und
Formulierungen einfließen zu lassen und sie in unser Außenministerium
einzubringen. Und dann gibt es natürlich noch „Die Neue Seidenstraße wird zur
Weltlandbrücke“.2
(Ein YouTube-Video des Dialogs ist hier verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=4GtJMFd-T0c&feature=youtu.be)
Anmerkungen
1. Die Bewegung der Blockfreien Staaten wurde auf einem Treffen asiatischer
und afrikanischer Nationen, die zumeist gerade unabhängig wurden, vom 18. bis
24. April 1955 im indonesischen Bandung gegründet.
2. Vor dem Beginn des Gesprächs hatte Frau Rasmussen der Ministerin ein
Exemplar dieser EIR-Studie überreicht.
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