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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Die Rolle des Ökonomen angesichts der aktuellen Weltkrise
und der entstehenden neuen Weltwirtschaftsarchitektur

Von Helga Zepp-LaRouche

Die Gründerin und Vorsitzende des Schiller-Instituts hielt am 11. November auf der Abschlußsitzung des 29. Nationalen Ökonomen-Kongresses von Peru per Videoschaltung die folgende Rede. Sie erinnert eingangs daran, daß sie bereits im November 2016 eine Rede vor der Ökonomen-Vereinigung gehalten hatte. Die diesjährige Tagung fand in der Universität von Huamanga in der Stadt Ayacucho statt. Es folgt Zepp-LaRouches Vortrag sowie ihre Antwort auf die Frage eines Teilnehmers. Die Rede wurde aus dem Englischen übersetzt, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich grüße Sie herzlich aus Deutschland!

Vielen Dank, daß Sie mich eingeladen haben, wieder zu Ihnen zu sprechen. Ich erinnere mich gerne daran, daß Sie mich bereits im November 2016 eingeladen hatten, auf Ihrem Bundeskongreß zu sprechen, und ich freue mich, über eines der „heißesten“ Themen unserer Zeit zu sprechen: die Rolle der Ökonomen. Wann hat ein Wissenschaftler schon einmal die Gelegenheit, den völligen Bankrott des bisher vorherrschenden Systems mitzuerleben und mit der Aufgabe konfrontiert zu werden, ein völlig neues System zu entwerfen, das auf völlig anderen Axiomen beruht als das System, das gerade untergeht? Das ist genau die Situation, in der wir uns heute befinden.

Inzwischen ist offensichtlich, daß das transatlantische neoliberale System nicht in der Lage ist, die angehäuften Billionen ausstehender Derivatkontrakte aufrechtzuerhalten. Es ist gefangen zwischen der Skylla der Quantitativen Lockerung („quantitative easing“, QE) mit einem daraus resultierenden Ausbruch von Hyperinflation und der Charybdis der Quantitativen Straffung („quantitative tapering“, QT) mit hohen Zinssätzen, um zu versuchen, diese Inflation einzudämmen, was zu einem kettenreaktionsartigen Zusammenbruch durch Unternehmens- und Bankinsolvenzen führt.

Es ist genau der Moment, den mein verstorbener Ehemann, der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Lyndon LaRouche, im August 1971 vorausgesagt hatte, als Präsident Nixon das Bretton-Woods-System auflöste und die festen Wechselkurse durch freie Wechselkurse ersetzte. LaRouche hatte erkannt, daß dies eine Verlagerung des Schwerpunkts des Finanzsystems bedeutete, weg von der realen physischen Produktion für das Gemeinwohl der Gesellschaft, hin zu einem spekulativen System, in dem das Hauptziel die Gewinnmaximierung der Spekulanten war. Er hat diese Analyse in den folgenden Jahrzehnten jedesmal aktualisiert, wenn die Finanzinstitutionen die Deregulierung der Märkte weiter vorantrieben, wobei er stets auf die Folgen der monetaristischen Entscheidungen hinwies, gleichzeitig aber auch Abhilfemaßnahmen anbot, die auf den Grundsätzen der physischen Ökonomie beruhten.

Die monetaristischen Schulen der Ökonomen der Wall Street und der Londoner City glaubten lieber an Statistiken, an die zunehmenden linearen Modelle der Informations- und Spieltheorie, an Algorithmen und an das Geld als solches, in der festen Überzeugung, daß diese Kasinowirtschaft ewig andauern würde, solange sie die Handelsbedingungen, das Preissystem und die Konditionalitäten des Kreditsystems kontrollieren könnten. Berauscht von ihrer Geldgier behaupteten sie sogar noch kurz vor dem systemischen Crash 2007-08, es werde keine Wirtschaftszyklen mehr geben und jedermann könne Millionär werden, solange die Leute „im Markt bleiben“.

Anstatt auf den systemischen Charakter der Krise von 2008 zu reagieren, als der Schrecken des Systemzusammenbruchs eine kurze zeitlang einige Leute veranlaßte, ein neues Bretton-Woods-System zu fordern – wie [der damalige französische Präsident] Nicolas Sarkozy im Oktober 2008 –, verlegten sich die Zentralbanken schnell auf eine im wesentlichen grenzenlose Quantitative Lockerung, die zu einem gewaltigen Überschuß der Finanzaggregate gegenüber dem Sektor der Realwirtschaft führte.

© EIR

Abb. 1: Lyndon LaRouches berühmte „typische Kollapsfunktion“.

Infolgedessen haben wir nun schließlich die Bruchstelle erreicht, vor der LaRouche mit seiner berühmten „Tripelkurve“ gewarnt hat: Es ist ein „Kreuzungspunkt“ erreicht, an dem die Bemühungen, den wachsenden Schuldenberg flüssig zu halten, nicht mehr funktionieren. Ein Indiz dafür ist, daß nach den jüngsten Zahlen der [US-Einlagenversichung] FDIC die nicht realisierten Verluste in den US-Großbanken über eine halbe Billion Dollar betragen. Allein die Bank of America hat bei einem Anleiheportfolio von 760 Milliarden 131 Milliarden Dollar nicht realisierte Verluste. Der endgültige Zusammenbruch des Systems ist also sehr nahe.

Sehen Sie sich das Diagramm der „Tripelkurve“ an, das auf den von mir erwähnten Kreuzungspunkt hinweist (Abbildung 1).

Ein neues System

Gleichzeitig zeichnet sich jedoch ein völlig anderes System ab. Seitdem der chinesische Präsident Xi Jinping 2013 die Politik der Neuen Seidenstraße verkündet hat, hat sich die Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI) in den letzten zehn Jahren langsam, aber stetig zum größten Infrastrukturprogramm der Geschichte entwickelt. Durch das Angebot, sich an der BRI zu beteiligen, gibt China allen 150 teilnehmenden Ländern die Möglichkeit, das chinesische Wirtschaftswunder zu wiederholen, durch das China in der Lage war, 850 Millionen seiner Bevölkerung aus der Armut zu befreien und eine schnell wachsende Gesellschaft mit mittlerem Einkommen zu schaffen.

In wirtschaftlicher Hinsicht tut China im wesentlichen das, was LaRouche mit der „Weltlandbrücke“ vorgeschlagen hatte, nämlich die Binnengebiete aller Kontinente mit Infrastrukturkorridoren zu erschließen, um ihnen die gleichen Standortvorteile für die Industrialisierung zu verschaffen, wie sie bisher nur Länder hatten, die an Ozeanen und Flüssen liegen.

Jetzt, nach zehn Jahren, gibt es viele Länder, die sich durch ihre Zusammenarbeit mit der BRI spürbar verändern. Da ist zum einen Chinas Aufstieg zur praktisch stärksten Volkswirtschaft in Bezug auf die physische Produktion sowie die Tatsache, daß es zum Anker des neuen Systems wurde. Es schuf eine mögliche Alternative zu dem System, das den Ländern, die man früher „Entwicklungsländer“ nannte, die sich aber seit langem nicht mehr entwickeln, keine wirtschaftlichen Vorteile bietet.

Durch die Option, mit China und den BRICS-Plus zusammenzuarbeiten, haben die Länder des Globalen Südens die Träume der Bewegung der Blockfreien der 50er, 60er und 70er Jahre wiederbelebt, die damals aufgrund des brutalen Widerstands der Finanzinstitutionen nicht verwirklicht werden konnten. Sie sind nun fest entschlossen, das koloniale System, das sie 600 Jahre lang mehr oder weniger beherrscht hat, zu überwinden und an dessen Stelle den wirtschaftlichen Aufbau ihrer Länder zu setzen.

Der zweite wichtige Faktor, der ins Spiel kam, war der, daß der Dollar zur Waffe gemacht wurde. Die Politik der einseitigen Sanktionen gegen Länder, deren Regierungen sich nicht der Vorherrschaft des Dollarsystems unterwarfen – das Fukuyama euphemistisch „Das Ende der Geschichte“ nannte, als sich der Zerfall der Sowjetunion abzeichnete, und das auf der grundlegenden Annahme beruhte, daß alle Länder das liberale Demokratiemodell einschließlich des neoliberalen Wirtschaftsmodells übernehmen würden –, schlug schließlich in einem gigantischen Rückschlag auf die Urheber zurück. Die einseitigen Sanktionen gegen viele solche Länder stellen eindeutig eine „Regimewechselpolitik“ dar, die darauf abzielt, eine Rebellion der Bevölkerung gegen ihre Regierungen herbeizuführen. Nach der fünffachen NATO-Osterweiterung entgegen eindeutiger Versprechen an Gorbatschow zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung und nach dem Regimewechsel in der Ukraine durch den Maidan-Putsch mit dem anschließenden Krieg gegen die russische Bevölkerung der Ukraine wurde dann ganz offen ausgesprochen, daß das Sanktionsregime „Rußland ruinieren“ sollte, wie die grüne deutsche Außenministerin Baerbock drohte.

Die Beschlagnahmung russischer Guthaben in den amerikanischen und europäischen Banken in Höhe von 300 Milliarden Dollar, und zuvor der Diebstahl von 9 Milliarden Dollar aus Afghanistan, nachdem die Taliban im August 2021 die Regierung übernommen hatten, sowie eine Vielzahl ähnlicher Maßnahmen gegen andere Länder auf der ganzen Welt überzeugten die Länder des Globalen Südens davon, daß es nicht sicher war, sein Vermögen in Dollar zu halten. Viele Länder begannen, in ihren Landeswährungen zu handeln, und es begann ein Prozeß der „Entdollarisierung“, mit dem Endziel, eine oder mehrere alternative Reservewährungen einzuführen. Lyndon LaRouches Ideen über eine solche Währung, die auf einem Rohstoffkorb basiert, spielen dabei eine wichtige Rolle.1

Eine rasante Abfolge von Gipfeltreffen

© ndb.int

Abb. 2: Brasiliens Präsident “Lula” da Silva gratuliert Dilma Rousseff zum Amtsantritt als Präsidentin der Neuen Entwicklungsbank (NDB).

Im letzten halben Jahr hat die Dynamik zur Schaffung eines neuen Systems ein enormes Tempo angenommen. Nachdem die BRICS bereits 2014 die Neue Entwicklungsbank (NDB) und das Devisenarrangement CRA geschaffen hatten, um die Entwicklungsländer vor spekulativen Angriffen wie bei der Asienkrise 1997 zu schützen, wurde die NDB nun zu einer großen Bank für Entwicklung aufgewertet. Als der brasilianische Präsident Lula im Mai die ehemalige brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff zur neuen Präsidentin der Neuen Entwicklungsbank mit Sitz in Shanghai ernannte, verkündete er stolz, die NDB werde zur großen Entwicklungsbank des Globalen Südens (Abbildung 2).

Genau das war die Idee hinter dem Vorschlag für eine „Internationale Entwicklungsbank“ (IDB) gewesen, den LaRouche bereits 1975 machte und der die Schlußresolution der Konferenz der Blockfreien Bewegung in Colombo, Sri Lanka, 1976 maßgeblich beeinflußte.2 Obwohl schon damals die große Mehrheit der Weltbevölkerung eine gerechte neue Weltwirtschaftsordnung forderte, wurde diese Forderung damals unterdrückt, mit Hilfe von Destabilisierungsmaßnahmen gegen jede Regierung, die eine solche Änderung forderte, ganz ähnlich wie 1975 gegen Präsident General Juan Velasco Alvarado in Peru.

Heute gibt es diese Widerstände immer noch, aber die Dynamik geht eindeutig in die andere Richtung. In einer raschen Abfolge von Ereignissen nimmt die Herausbildung eines völlig neuen Wirtschaftssystems und andersartiger internationaler Beziehungen Gestalt an.

Ende Juli fand in St. Petersburg das Russisch-Afrikanische Wirtschafts- und Humanitäre Forum statt, an dem 49 der 54 afrikanischen Staaten teilnahmen und auf dem 30 Energieprojekte, u.a. Wasserkraft-, Gas-, Öl- und Kernkraftprojekte, zwischen Rußland und 16 teilnehmenden Staaten vereinbart wurden.

Der BRICS-Gipfel in Johannesburg in Südafrika Ende August war ein Meilenstein in der Bildung des neuen Systems. Sechs neue Länder wurden eingeladen, zum 1. Januar 2024 dem BRICS-Plus-System beizutreten: Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. 14 weitere Länder haben einen Aufnahmeantrag gestellt, und rund 20 weitere haben den Wunsch geäußert, sich anzuschließen. Die neuen BRICS-11 werden bereits 42% der Weltbevölkerung, 47% der weltweiten Rohölproduktion und 36% des weltweiten BIP umfassen.

Anfang September fand dann in Jakarta das 43. ASEAN-Gipfeltreffen statt, auf dem viele Teilnehmer den „Geist von Bandung“ als Leitmotiv für den Kampf der Entwicklungsländer in der heutigen Zeit in Erinnerung riefen.

Unmittelbar danach, Mitte September, fand in Wladiwostok das Östliche Wirtschaftsforum mit 950 Rednern und 7000 Teilnehmern aus 68 Ländern statt, auf dem das enorme Entwicklungspotential des russischen Fernen Ostens vorgestellt wurde, wo alle Elemente des Periodensystems als natürliche Ressourcen zu finden sind und für den Präsident Putin sehr ehrgeizige Entwicklungspläne mit umfangreichen Infrastruktur-, Industrialisierungs- und Städtebauprojekten angekündigt hat.

Einige Tage später fand in Havanna der G77-Gipfel mit hundert Delegationen statt. UN-Generalsekretär António Guterres eröffnete ihn mit einem dringenden Aufruf zu einer neuen internationalen Finanzarchitektur, um die Länder des Globalen Südens von den „Ketten des Kolonialismus“ zu befreien.

Und schließlich fand Mitte Oktober in Beijing das dritte Gürtel- und Straßen-Forum für internationale Zusammenarbeit statt, auf dem die zehnjährige beispiellose Erfolgsgeschichte der BRI gefeiert wurde und an dem Delegationen aus 150 Ländern teilnahmen.

Eines der Projekte der BRI in Peru ist der Hafen von Chancay. Bereits 2019 unterzeichnete COSCO eine Vereinbarung über den Bau eines neuen Hafens an der peruanischen Küste, und 2022 erklärte sich die China Harbour Engineering Company der China Communications Construction Company bereit, den Komplex auf 992 Hektar zu bauen, der Wellenbrecher, Docks und einen 1,8 km langen Tunnel zu den Lagerhallen umfaßt und der größte Containerhafen an der lateinamerikanischen Pazifikküste werden soll. Er soll 2024 den Betrieb aufnehmen.

© Colegio de Economistas de Ucayali

Abb. 3: Die „Bi-ozeanische Eisenbahn“ soll durch Brasilien und Peru führen und den Atlantik und den Pazifik miteinander verbinden.

Von großer Bedeutung ist natürlich auch der Bau eines Bi-ozeanischen Eisenbahnkorridors von Brasilien am Atlantik bis zum Pazifik, zu dessen Bau und Finanzierung China seine Hilfe angeboten hat und der mit Projekten wie dem Hafen in Chancay verbunden werden soll (Abbildung 3).

Das neue, im Entstehen begriffene System ist noch nicht fertig, aber die Serie der Gipfeltreffen, die innerhalb eines kurzen Zeitraums von nur drei Monaten aufeinanderfolgten, spiegelt die Entwicklungsdynamik wider und ist ein untrügliches Zeichen dafür, daß das Pendel der Geschichte nach Asien und allgemein den Ländern des Globalen Südens ausgeschlagen hat.

Vier der sechs neuen Länder der BRICS-11 liegen in Südwestasien: Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Ägypten, das gleichzeitig die Brücke nach Afrika bildet, und auf diese Länder zusammen entfällt ein großer Teil der weltweiten Ölproduktion. Unter Vermittlung Chinas wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien wieder aufgenommen, wodurch die Gefahr von Spannungen, die es infolge der Rivalität beider Nationen in vielen Ländern Südwestasiens gab, beendet wurde.

Diese tektonische Verschiebung hin zu einem neuen Wirtschaftssystem sollte man als Hintergrund für den Ausbruch des Krieges zwischen Israel und Gaza berücksichtigen, und als Grund, warum die „geopolitischen Strippenzieher“, wie Präsident Putin sie kürzlich nannte, Chaos stiften wollen. Deshalb ist die Südwestasien-Friedenskonferenz, zu der China in seiner Funktion als derzeitiger Vorsitzender des UN-Sicherheitsrats in diesem Monat aufgerufen hat, äußerst dringend. Alle Länder sind aufgerufen, sich für die Beilegung dieses Konflikts einzusetzen, der sich sonst zu einem regionalen Krieg auszuweiten droht, und im schlimmsten Fall sogar einem Weltkrieg, der angesichts der großen Atomwaffenarsenale das Ende der Menschheit bedeuten könnte.

Wir erleben einen Epochenwandel. An die Stelle der alten Ordnung, in der die „Regeln“ im wesentlichen von den Ländern des Globalen Nordens bestimmt wurden und der „Entwicklungssektor“ sich kaum entwickeln durfte, tritt ein neues Paradigma in den internationalen Beziehungen, beruhend auf der Gleichheit aller Nationen, der Achtung der Souveränität aller, dem Respekt vor dem jeweiligen Gesellschaftssystem, dem Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten und der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen aller.

Der chinesische Präsident Xi hat wiederholt erklärt, daß die BRI sich nicht gegen irgendein Land richtet, sondern im Gegenteil alle Länder zur Teilnahme eingeladen sind. Es ist dringender denn je, das geopolitische Denken zu überwinden und stattdessen ein neues Paradigma in den internationalen Beziehungen zu schaffen, bei dem das Interesse der gesamten Menschheit mit allen nationalen Interessen in Einklang gebracht wird. Je deutlicher die Länder der globalen Mehrheit diese Art der Zusammenarbeit von den Ländern des „Globalen Nordens“ einfordern, desto größer sind die Erfolgschancen, denn es liegt tatsächlich im Eigeninteresse der Vereinigten Staaten und der europäischen Nationen, mit dem Globalen Süden zusammenzuarbeiten, anstatt sich an eine unipolare Welt zu klammern, die nicht mehr existiert.

Ein umfassender Entwicklungsplan

In diesem strategischen Umfeld können die Ökonomen der einzelnen Nationen eine entscheidende Rolle spielen. Angesichts des eindeutigen Scheiterns des neoliberalen Modells sollten sich die Ökonomen eines Landes zusammensetzen und einen vollständigen, umfassenden Wirtschafts-Entwicklungsplan entwerfen, mit dem Ziel, das Land in kürzester Zeit in einen Staat mit mittlerem Einkommen umzuwandeln, angefangen mit einer grundlegenden Infrastruktur für das gesamte Land – ein grundlegendes integriertes Verkehrsnetz aus Autobahnen, Eisenbahnen, Wasserstraßen sowie Energieerzeugung und -verteilung, Kommunikation, als Voraussetzung für die Industrialisierung und eine moderne Landwirtschaft. Teil dieses Generalplans muß auch die „weiche“ Infrastruktur sein, darunter ein nationales Gesundheits- und Bildungssystem, Forschungs- und Entwicklungszentren und Wissenschaftsstädte, die für Forschung und Lehre ausgelegt sind.

Jetzt ist der Moment in der Geschichte, von den bisherigen Formen des Wirtschaftens zur Wissenschaft der physischen Ökonomie überzugehen, die sich gegen das Prinzip des britischen Wirtschaftssystems stellt, wonach Reichtum durch die Kontrolle der Handelsbedingungen, durch „billig kaufen und teuer verkaufen“ oder durch den Besitz und Export von Rohstoffen entsteht. Die physische Ökonomie basiert auf der Vorstellung, daß der gesellschaftliche Reichtum ausschließlich das Ergebnis der schöpferischen Kräfte des Individuums ist – die Fähigkeit, ständig neue physikalische Prinzipien zu entdecken und zu erlernen, die, im Produktionsprozeß als wissenschaftlicher und technischer Fortschritt angewandt, zu einer Steigerung der Produktivität sowohl der Arbeitskräfte als auch der industriellen und landwirtschaftlichen Kapazitäten führen, was wiederum zu einer Steigerung des materiellen Reichtums der Gesellschaft als Ganzes führt.

Investitionen in die Basisinfrastruktur sollte man nicht als etwas ansehen, das Gewinn bringen soll, sondern als unverzichtbare Voraussetzung für das Gedeihen von Industrie und Landwirtschaft, wofür der Staat die Verantwortung trägt. Die Ausbildung der Arbeitskräfte auf das durchschnittliche Niveau der BRICS-Länder wird der entscheidende Schlüssel zur Erreichung des Ziels sein, in naher Zukunft ein Land mit mittlerem Einkommen zu werden.

Wenn sich eine solche Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern zusammenfindet, um ein Sofortprogramm für Peru auszuarbeiten, kann dieser Plan der Brennpunkt für eine allgemeine Mobilisierung aller Gesellschaftsschichten sein: der Universitätsprofessoren und Studenten, der Unternehmer, der Landwirte, der Frauenorganisationen, der gewählten Vertreter in den Provinzen und Städten und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Diese Mobilisierung für eine optimistische Vision für eine bessere Zukunft Perus wird die nötige Energie und den Enthusiasmus erzeugen, die das ganze Land beleben und die Kreativität der Menschen freisetzen. Es gibt Zeiten, in denen ein solcher Plan in den Schubladen irgendeines Büros verstauben würde. Und es gibt Zeiten epochaler Veränderungen, in denen es auf Ideen ankommt, die nationale Bewegungen für die Entwicklung entfachen können. Dies ist ein solcher Moment!

Denn was immer Sie in Peru als Patrioten für Ihr Land tun, ist gleichzeitig Teil des Aufbaus des neuen Systems der BRICS-Plus und der Bemühungen des Globalen Südens, durch Entwicklung endlich frei zu werden, so daß jedes Land die Chance hat, seine Ressourcen selbst zu nutzen und durch die Wertschöpfungskette bis zur höchsten Stufe von Wissenschaft und Technologie ein gleichberechtigter Partner im Bündnis der Nationen der Welt zu werden.

So können Sie gleichzeitig Patrioten für Peru und Weltbürger für die Neue Weltwirtschaftsordnung sein, was – wie Friedrich Schiller, dessen 264. Geburtstag wir gestern feierten, erkannte – kein Widerspruch sein muß! Ich danke Ihnen.

* * *

Frage: Die Frage, die ich Ihnen stellen wollte, hat mit der Diskussion über eine neue Währung innerhalb der BRICS-11 zu tun. Welche Währung ist innerhalb der Gruppe der BRICS-11 stark genug, so daß diese Gruppe diese Idee zumindest vorantreiben könnte? Denn wenn zum Beispiel Peru dieser Gruppe beitreten würde, worüber Sie mit uns gesprochen haben, hätte es meiner Meinung nach eine stabilere Währung als viele andere Länder, die dieser Gruppe angehören. Meine Frage ist also, was ist die starke Währung innerhalb dieser Gruppe, die Ihrer Meinung nach mit dieser neuen physischen Wirtschaftsordnung und dieser neuen Weltwirtschaftsordnung, die Sie mit uns besprochen haben, eingeführt werden könnte? Ich danke Ihnen vielmals.

Zepp-LaRouche: Nun, in diesem Moment findet in einer Stadt in Rußland, in Tscheljabinsk, eine Konferenz statt, auf der die Pläne des russischen Wirtschaftswissenschaftlers Sergej Glasjew diskutiert werden, der zusammen mit den Chinesen daran arbeitet, wie eine solche internationale Reservewährung aussehen könnte. Und nach allem, was ich in der Vergangenheit von ihm gelesen habe, berücksichtigt er sehr stark die Schrift meines verstorbenen Mannes Lyndon LaRouche, „Warenkorb statt Währungskorb: Handel unabhängig vom Wechselkurs“2, in der es um die Idee geht, eine neue Währung einzuführen, die durch einen Korb von Rohstoffen, darunter Gold, aber auch andere Rohstoffe, gestützt wird, wobei der Wert der Währung an das Produktivitätsniveau der jeweiligen Teilnehmerländer gekoppelt wird; es ist also ein dynamisches Konzept. Meines Erachtens ist das jedoch nicht so einfach zu verwirklichen, und deshalb geht man dabei sehr vorsichtig vor.

Ich denke, es finden schon jetzt viele Geschäfte in nationalen Währungen statt, wobei der Renminbi natürlich die stärkste Rolle spielt. Ich glaube, China hat in den zehn Jahren der BRI insgesamt 19 Billionen Dollar in Renminbi investiert. Daher denke ich, daß jede Gruppe von Währungen vorerst sehr stark auf dem Yuan und dem Renminbi verankert sein wird.

Ich denke aber auch, daß das nur eine Übergangszeit wäre, bis eine echte Reservewährung eingeführt werden kann. Und soweit ich weiß, haben weder China noch die anderen BRICS-Staaten die Absicht, den Dollar zu ersetzen. Das ganze ist nicht als Wirtschaftskrieg gemeint, sondern es ist eher so, daß diese Währungen dann für eine sehr lange Zeit parallel zum Dollar existieren würden – natürlich abhängig davon, was mit dem Dollar passiert, aber das ist die Absicht.


Anmerkungen

1. Lyndon LaRouche, „Die Arbeitsweise der Internationalen Entwicklungsbank“, siehe https://schillerinstitute.com/wp-content/uploads/2023/09/Wie-die-Internationale-Entwicklungsbank-arbeiten-wird.pdf

2. Lyndon LaRouche, „Trade without Currency“, dt. „Warenkorb statt Währungskorb: Handel unabhängig vom Wechselkurs“, vgl. Neue Solidarität 33-34/2000.