„Die Sanktionen gegen Syrien müssen aufgehoben werden!“
Von Helga Zepp-LaRouche
Helga Zepp-LaRouche ist Gründerin des Schiller-Instituts und
Vorsitzende der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo). Sie eröffnete das
Internetseminar des Schiller-Instituts am 21. Februar mit den folgenden
Bemerkungen.
Ich grüße Sie. Offensichtlich befinden wir uns in einer entsetzlichen
Situation. Wir haben es mit einer Eskalation der Kriegsgefahr zwischen der
NATO und Rußland zu tun, die nach den Worten des chinesischen Außenministers
außer Kontrolle geraten könnte.
Wir erleben dramatische Entwicklungen. Putin hat in seiner jährlichen Rede
zur Lage der Nation die Teilnahme Rußlands am START-Vertrag im wesentlichen
ausgesetzt, und das ist das letzte Element der Rüstungskontrollverträge, die
nun beendet sind.
Dann gibt es heute eine dramatische Sitzung des UN-Sicherheitsrates, die
von Rußland einberufen wurde, um die Enthüllungen von Seymour Hersh zu
erörtern, der ein ganzes Bündel von Beweisen dafür vorgelegt hat, daß es aller
Wahrscheinlichkeit nach die Vereinigten Staaten waren, die die Sabotage der
Nord Stream-Pipelines verübt haben.
Ich möchte diese Dinge jedoch nur anreißen, um zu sagen, daß all diese
Entwicklungen uns nicht davon abhalten sollten, das Augenmerk auf die
beispiellose Krise in Syrien zu richten, die Gefahr läuft, völlig
unterzugehen. Was getan werden muß – und das ist ein Appell an die
Weltgemeinschaft –, ist eine sofortige humanitäre Hilfe. Das aber setzt
voraus, daß die Sanktionen, die verhindern, daß Hilfe rechtzeitig oder in
nennenswertem Umfang in Syrien ankommt, sofort aufgehoben werden.
Diese Sanktionen sind ohnehin illegal. Wie Sie wissen, gab es am 6. Februar
ein schweres Erdbeben der Stärke 7,8 auf der Richterskala. Unmittelbar darauf
folgten zwei weitere schwere Erdbeben, und sogar vor ein paar Stunden folgte
noch ein weiteres. Die Zahl der Todesopfer ist schwer zu beziffern, sie liegt
aber in der Türkei und in Syrien bereits bei etwa 50.000 Menschen.
Während es in der Türkei internationale Hilfe gab, ist die Lage in Syrien
aufgrund der Sanktionen eine totale Katastrophe. Kardinal Zenari, der
päpstliche Nuntius, hatte bereits vor einigen Jahren dringend dazu aufgerufen,
die Sanktionen aufzuheben, weil sie zu einer Situation geführt haben, in der
zusätzlich zum Krieg, zum Auseinanderreißen des Landes, das zum großen Teil
auf die westliche Unterstützung der Rebellen, von Al-Kaida und ISIS
zurückzuführen ist, mehr als 90% der Menschen bereits in großer Armut leben.
Und das war vor dem Erdbeben.
Jetzt ist Kardinal Zenari nach Aleppo gereist und hat berichtet, daß es
dort extrem kalt ist, daß es keine Unterkünfte gibt und daß viele Menschen,
die aus Angst ihre Häuser verlassen haben, in religiösen Einrichtungen
untergekommen sind. Sie haben Angst, in ihre Häuser zurückzukehren, weil alle
diese Häuser nach jahrelangem Krieg durch Schüsse und frühere Beben stark
geschwächt sind. Kardinal Zenari berichtet, daß viele Menschen völlig
verzweifelt sind und sich fragen: „Warum passiert das gerade uns? Wir haben
unter Bomben gelebt, wir mußten die Rebellen ertragen und jetzt diese
Erdbeben.“ Die Bomben der Armut seien viel schlimmer, so beschrieb Zenari die
Auswirkungen der Sanktionen.
Was das syrische Volk derzeit erlebt, ist eine Tragödie innerhalb einer
Tragödie. Nach Aussagen von Zeugen vor Ort – wir werden einige von ihnen
später in dieser Sendung hören – sind die Sanktionen der Grund dafür, daß die
Lieferung von Hilfsgütern an der Grenze blockiert wird.
Wir dürfen nicht zulassen, daß das Schicksal der syrischen Bevölkerung aus
dem Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit gerät. Nach zwölf Jahren
Krieg, COVID, Sanktionen, dem Zusammenbruch der Währung und der jüngsten
Katastrophe ist das einfach mehr, als die Menschen ertragen können. Aber wir
wollen auch sagen, was Kardinal Zenari sagt: Das ganze Land versinkt in diesem
Meer von Schmerz. Und trotz der Tatsache, daß es etwas Hilfe aus Rußland, dem
Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt, ist es auch wahr, was Xavier
Bisits von der Hilfe für die Kirche in Not (ACN) sagt, nämlich daß es kaum
oder keine internationale Hilfe gibt und ein völliger Mangel an
internationaler Unterstützung herrscht.
Das Caesar-Gesetz
Der Hauptgrund dafür ist das Caesar-Gesetz [in den USA]. Das Gesetz beruht
auf einem großen Betrug – das hat Max Blumenthal von Greyzone schon vor
einigen Jahren aufgedeckt. Caesar war der Name dieser mysteriösen Person, die
angeblich Fotos von Verbrechen der syrischen Regierung gegen die
Zivilbevölkerung vorgelegt hat. Aber das war nur ein Vorwand für eine
Regimewechsel-Operation gegen die syrische Regierung. Tatsächlich waren es
meist von Terroristen ermordete syrische Soldaten, die auf diesen Bildern zu
sehen waren.
Es ist ein Betrug, und dieser Betrug muß sofort aufhören! Wir rufen Sie,
die Zuschauer, dazu auf, vom amerikanischen Kongreß die sofortige Aufhebung
dieser Sanktionen zu fordern, denn jeder Tag und jeder Stunde mehr trägt zum
Sterben des syrischen Volkes bei.
Das eigentliche Ziel hat James Jeffrey, der Sondergesandte für Syrien
während der Trump-Administration, dargelegt, als er praktisch sagte, daß
niemand, der Syrien wieder aufbauen will, das tun kann, ohne gegen die
Caesar-Sanktionen zu verstoßen. Das heißt also im Grunde genommen: Das soll
nie passieren.
Unilaterale Sanktionen machen die Frage der Menschenrechte ohnehin völlig
bedeutungslos. Sie sind Teil der asymmetrischen Kriegsführung, sie sind eine
kollektive Bestrafung der Zivilbevölkerung. Das Ziel ist es, ihr Leiden so
unerträglich zu machen, daß sie zu einem Instrument des Regimewechsels wird.
Das ist völlig illegal! Die Schwächsten, die Alten, die Kranken, die Kinder,
die Frauen sind die Leidtragenden dieser ganzen Operation. Und das ist
illegal. Einseitige Sanktionen sollten verboten werden, sie verstoßen gegen
das Völkerrecht. Die einzigen Sanktionen, die überhaupt legal sein können,
sind solche, die vom UN-Sicherheitsrat beschlossen werden – und auch nur dann,
wenn sie die Grundrechte der Bevölkerung des betroffenen Landes nicht
verletzen.
Also: die Sanktionen müssen weg. Aber dann müssen wir sofort auch den
wirtschaftlichen Wiederaufbau Syriens auf die Tagesordnung setzen. Das
Schiller-Institut hat bereits 2014 ein Projekt vorgestellt, das wir damals das
„Phönix-Projekt“ nannten, das ist ein riesiges Programm zum kompletten
Wiederaufbau der syrischen Wirtschaft, das jetzt mit einem gigantischen
Wohnungsbauprogramm für die Rückkehr der vielen Millionen Flüchtlinge beginnen
muß. Ich denke, es sind insgesamt etwa 10 Millionen Flüchtlinge, wenn man alle
Flüchtlinge mitzählt, die in die Nachbarländer und in die europäischen Länder
gegangen sind. In Syrien müssen u.a. Schulen und Krankenhäuser wieder
aufgebaut werden. Aber auch die Landwirtschaft muß wieder aufgebaut werden,
die pharmazeutische Industrie, die Petrochemie, die Luft- und Raumfahrt, die
Elektronik, der Maschinenbau.
Präsident Assad hatte bereits schon die Vision der sogenannten „Strategie
der Fünf Meere“, d.h. die Idee, das Mittelmeer, den Indischen Ozean, das Rote
Meer, das Kaspische Meer und das Schwarze Meer durch ein Netz von
Wasserstraßen zu verbinden, das zum Rückgrat der Integration Syriens in die
Neue Seidenstraße, die Belt and Road Initiative (BRI) wird. In Anbetracht der
Tatsache, daß sogar Saudi-Arabien und die Türkei die Mitgliedschaft in der
BRICS-Gruppe beantragt haben und daß Präsident Xi Jinping die Integration des
Mittelmeerraums in die Gürtel- und Straßen-Initiative angeboten hat, muß das
unverzüglich auf die Tagesordnung gesetzt werden. Aber das ändert nichts an
der unbedingten moralischen Verpflichtung Europas und der Vereinigten Staaten,
sich am Wiederaufbau Syriens zu beteiligen.
Dabei möchte ich es belassen. Wir sollten die Weltbevölkerung unbedingt
dafür mobilisieren!
|