Friedensgedanken aus der Sicht eines Ostdeutschen
Von Oberst a.D. Dr. Hans-Joachim Lemke
Dr. Lemke ist Redakteur von Kompass, der Zeitschrift des
Verbandes zur Pflege der Traditionen der Nationalen Volksarmee und der
Grenztruppen der DDR.
Sehr geehrte Teilnehmer dieser in der heutigen Zeit so
nötigen Beratung.
Ausgangspunkt meiner Gedanken zu diesem Thema sind die Grundthesen der
Konferenz des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden mit den Grundaussagen:
Frieden mit Rußland – Dialog statt Waffen – Friedensinitiativen nur
überparteilich erfolgreich.
Wir erleben in diesen Tagen das Ende der „regelbasierte Ordnung“, einer
„Werte basierenden Außenpolitik“, „regelbasierten unipolaren Weltordnung“, bei
der Vertreter des Westens, insbesondere der NATO-Staaten, dem „Rest der Welt“
vorschreiben wollen, wie sie zu leben, sich zu organisieren haben, wer ihr
Freund sein darf und wer natürlich ihr Feind ist.
Begleitet wird diese Politik von Wirtschafts-, Finanz- und Medienkriegen,
rechtswidrigen Sanktionen und Falschinformationen, dem Verhängen von
Maulkörben für jeden, der anderes äußern will. Die Medien sind im
vorauseilenden Gehorsam gegenüber dieser Politik „beispielgebend“.
Wie viele andere in Ostdeutschland hatte ich die Möglichkeit, in Rußland
mit meiner Familie zu leben, dort zu studieren und zu promovieren. Acht Jahre
waren eine lange Zeit, zumal wenn man nicht isoliert in einer Blase wohnt,
sondern mitten in einem Moskauer Wohngebiet, um die Menschen, ihr Denken und
ihre Gefühle kennenzulernen und zu begreifen, was sie bewegt.
Durch das Leben in der DDR geprägt, lehnt auch heute die Mehrheit der
ostdeutschen Bevölkerung Waffenlieferungen in die Ukraine ab und fordert
diplomatische Lösungen. Der Ministerpräsident Sachsens, Michael Kretschmer,
ist einer der wenigen Politiker in Deutschland, der lautstark eine veränderte
Politik gegenüber Rußland verlangt und als Lösung des Konfliktes und als
ersten Schritt dabei das „Einfrieren des Konfliktes“ fordert.
Diese Haltung wird auch von vielen Militärangehörigen der ehemaligen DDR
geteilt. So sind führende Generäle und Offiziere der DDR-Armee bereits 2015 im
Zusammenhang mit dem 70. Jahrestag der Zerschlagung des Faschismus mit dem
„Aufruf Soldaten für den Frieden“ an die Öffentlichkeit getreten. Erst neulich
haben erneut zwei Generäle der ehemaligen NVA, Manfred Grätz und Sebald Daum,
mit einem offenen Brief zu ihrer Überzeugung von der Notwendigkeit, den
Frieden zu sichern und dabei keine einseitigen Verurteilungen Rußlands
zuzulassen, für Aufsehen gesorgt.
Wie könnte eine neue Sicherheitspolitik unter diesem Aspekt aussehen?
Viele Konzepte liegen dazu auf dem Tisch, ein Ringen um Lösungsansätze hat
eingesetzt, das gar nicht nötig wäre, wäre die Vereinbarung zwischen der
Ukraine und Rußland vom März/April 2022 umgesetzt und nicht durch das
Eingreifen von Boris Johnson, dem damaligen Premierminister Großbritanniens,
im Auftrag der NATO-Führung verhindert worden.
Aus meiner Sicht sind folgende Ansätze besonders vielversprechend, die
bereits neben anderen Punkten am 22. November 2022 von Helga Zepp-LaRouche
dargelegt wurden:
1. Partnerschaft souveräner Nationalstaaten,
2. Umgestaltung des Finanzsystems,
3. Beendigung des Blocksystems in der Weltpolitik und Militärpolitik, wenn
wir politische, wirtschaftliche und militärische Aspekte gebündelt sehen.
Der Konflikt in und um die Ukraine erweist sich aus meiner Sicht dabei
immer mehr als Katalysator eines Prozesses der Abkehr der früher spöttisch
„Dritte Welt“ genannten Staaten und Nationen vom Diktat der westlichen
Industrieländer und ihren militärischen, finanziellen und politischen Armen –
wie Weltbank, Weltwährungsfonds, NATO, EU, etc.
Der Versuch, Rußland von der Weltbühne zu verdrängen oder es zumindestens
handlungsunfähig zu machen, um Potential für die Auseinandersetzung mit dem
neuen Feind – China – frei zu machen, wird uns wahrscheinlich noch einige Zeit
beschäftigen, weil damit auch der Kessel des US-amerikanischen Wahlkampfes
angeheizt wird.
Mit Sorge sehe ich, daß unter der neuen Mannschaft in Berlin die
Bundesrepublik Deutschland sich immer mehr als Kriegspartei etabliert.
Waffenlieferungen, Geld, militärische Ausbildung sind davon nur ein Teil. Nach
der Unterstützung des Überfalls der NATO auf Jugoslawien, der Heraustrennung
des Kosovo aus dem Staatsverbund Serbiens, haben die gleichen Politiker den
nächsten Schritt der Eskalation getan.
Man kann Rußland und der russischen Führung vieles im Zusammenhang mit den
militärischen Aktivitäten in der Ukraine und besonders im Donbaß vorwerfen,
aber nicht, daß darüber nicht offen gesprochen wurde. Nach dem Putsch auf dem
Maidan, dem offenen Ausbruch der Russophobie der staatlichen ukrainischen
Einrichtungen, warnte Rußland mehrmals, daß militärische Aktionen der
ukrainischen Streitkräfte gegen die beiden selbsternannten „Volksrepubliken“
bevorstehen würden, und daß man gezwungen sei, zu reagieren. Das Völkerrecht
verurteilt einen präventiv geführten Angriffskrieg, das Völkerrecht kennt aber
auch einen „präemptiv“ geführten Angriffskrieg, dieser ist den
OECD-Beobachtern dann tatsächlich auch gemeldet worden, die sich ja an der
Konfliktlinie Ukraine – abtrünnige Landesteile befanden. Dort hatten ja von
2014 bis 2021 14.000 Einwohner des Donbaß ihr Leben durch den Einsatz der
ukrainischen Armee verloren und die Ukraine hatte bis zu 300.000 Mann
zusammengezogen, um diese „Volksrepubliken“ zu liquidieren. Ein Thema, das in
unseren Medien nicht gerade ausgewälzt wurde.
Unter diesem Aspekt der Verhärtung der Positionen der Ukrainer und Rußlands
ist es interessant, sich die Vorschläge der Volksrepublik China anzusehen.
Bei allen in ihnen enthaltenen Höflichkeiten des verbalen Ausdrucks lassen
die am 24. Februar dieses Jahres publizierten 12 Punkte sich wie folgt
zusammenfassen:
1. Keine zweierlei Standards im internationalen Recht anwenden,
2. Beachtung der Sicherheitsinteressen jedes einzelnen Landes,
3. Beendigung der Kampfhandlungen und Rückkehr zum Dialog,
4. Die Weltgemeinschaft soll dazu eine Plattform für Dialoge schaffen,
5. Beendigung der Sanktionspolitik des Westens.
Daß aus chinesischer Sicht dazu auch die Gewährleistung der Sicherheit der
Kernwaffen und ihrer Trägermittel gehört, versteht sich von allein.
Positiv ist zu bewerten, daß aus dem Kreis der BRICS-Staaten Initiativen
kommen, den Konflikt um die Ukraine diplomatisch lösen zu wollen, auch andere
Staaten suchen nach Lösungen, wie die Konferenz in Kopenhagen vor wenigen
Tagen zeigte. Vertreter westlicher Staaten, aber auch aus China, Indien,
Brasilien und Südafrika, Teilnehmer der BRICS-Vereinbarungen, haben hier auf
diplomatische Lösungen, beruhend auf grundlegenden Kompromissen, gedrängt, wie
zu hören war.
Dabei wurde deutlich auf die Sicherheitsinteressen Rußlands verwiesen.
Dem vorausgegangen war die Studie „Avoiding a Long War“ der
Rand-Corporation, in der die Ukraine dringend aufgefordert wurde, mit Rußland
zu verhandeln. Dabei sehen auch die Amerikaner keine andere Möglichkeit einer
Friedenslösung, als den russischen Truppen und damit der Russischen Föderation
die Territorien zu überlassen, die sie bereits besitzt. Interessant ist für
uns ja auch die Tatsache, daß sogar die Biden-Administration von diesen 20%
ukrainischen Territoriums als Tribut für einen Frieden sprach, bevor dieser
Vorschlag blitzartig wieder aus den Massenmedien verschwand.
Der dort enthaltene Gedanken eines Waffenstillstandes paßt natürlich
einigen nicht in den Kram, da er ein „Einfrieren“ des Konfliktes eine
Demarkationslinie à la der zwischen Nord- und Südkorea bedeutet und der
Frieden damit ein De-facto-Zustand würde, bei dem man nichts verdient.
Auf russischer Seite bedeutet das auf andere Weise, sich von den Gedanken
des „Brudervolkes“, des Panslawismus zu trennen und die Realitäten einer
veränderten Welt vor ihrer Haustür anzuerkennen. Kritisch und wahrscheinlich
nicht verhandelbar scheint mir für die Russische Föderation und ihre Führung
die Frage der Bündnisneutralität der Ukraine und ihrer Nichtzugehörigkeit zu
NATO zu sein.
Da alle Regimewechsel-Konzepte in Bezug auf Rußland und Präsident Putin
nicht aufzugehen scheinen, wird man wohl mit ihm verhandeln müssen, wie die
Südafrikaner gerade erst meiner Außenministerin verständlich gemacht
haben.
Die unterschiedliche Position der Vertreter des Globalen Südens hängt vor
allem davon ab, daß sie diesen Konflikt als etwas betrachten, das durch die
Osterweiterung der NATO, die Einmischung des Westens in den
Rußland-Ukraine-Konflikt, entstanden ist, ein Problem, das nur diplomatisch
und nicht durch immer neue Waffen gelöst werden kann.
Wie könnte eine Lösung aus meiner Sicht aussehen? Ich will drei Punkte
benennen:
1. Schaffung einer Waffenstillstandslinie, nach dem Muster der
Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea oder vergleichbar mit der
Situation an der innerdeutschen Grenze bis zur Wiedervereinigung. Keiner
anerkennt diese Grenze völkerrechtlich, alle respektieren sie aber!
2. Die Krim und alle gegenwärtig besetzten Gebiete verbleiben bei der
Russischen Föderation, die sich aber von allen Panslawischen Illusionen
verabschiedet und den Bestand der Ukraine als Staat garantiert, im Verbund mit
anderen Ländern.
3. Die Ukraine bestimmt ihre gesellschaftlichen Strukturen autonom, ohne
Druck von außen, wird kein NATO-Mitglied, bleibt aber vor der Gefahr der
Zerschlagung zu einer „Restukraine“ bewahrt. Ich denke hier an die
Gedankenspiele in polnischen, slowakischen, ungarischen und rumänischen
Amtsstuben, unter dem Vorwand des Schutzes ihrer Bürger sich territorial an
der Restukraine zu bedienen. Auch das müßte international durch Verträge mit
den Anrainerstaaten abgesichert werden.
Sagen Sie bitte nicht: Das geht ja nun gar nicht! Es geht, wie uns die
Geschichte belehrt.
Nach 30 Jahren blutigem Krieg aller Mächte – Jeder gegen Jeden – wurde 1648
der Westfälische Frieden besiegelt durch einen diplomatischen Trick. Der
Kaiser schloß einen Friedensvertrag mit Frankreich, zugleich einen mit
Schweden, beide Dokumente wurden aber als ein gültiger Vertrag von den drei
Vertragsparteien dann als ein Dokument unterzeichnet.
Zur Wahrheit gehört aber auch, daß er nur zustande kam unter zwei in der
Diplomatie neuen Bedingungen:
1. Verzicht auf die Aufrechnung aller Kriegsverbrechen, die alle
beteiligten Seiten begangen hatten, und
2. Anerkennung der Souveränität, der Unabhängigkeit jeden Staates.
Vielleicht sollten unsere Diplomaten und Politiker mal wieder in das
Lehrbuch der Geschichte sehen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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